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MKL1888:Genfer Konvention

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Genfer Konvention“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 9597
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Genfer Konvention. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 95–97. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Genfer_Konvention (Version vom 22.10.2022)

[95] Genfer Konvention, völkerrechtlicher, internationaler Vertrag, durch welchen der Schutz der Verwundeten, der bisher immer nur für den einzelnen Fall auf die Dauer eines Kriegs oder bestimmten Zeitraums von den betreffenden kriegführenden Staaten unter sich als verbindlich anerkannt worden war, durch einen gemeinsamen Vertrag aller Staaten für alle Zeiten gesetzlich sanktioniert wurde. Infolge der Beschlüsse der Genfer Konferenz (s. d.) vom 26. Okt. 1863 erließ der Schweizer Bundesrat 6. Juli 1864 an 25 Regierungen Einladungen zur Beschickung eines diplomatischen Kongresses, dem ein aus 11 Artikeln bestehender, vom Genfer Komitee ausgearbeiteter Vertragsentwurf vorgelegt wurde. Auf diesem Kongreß waren 16 Mächte vertreten: Baden, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Hessen-Darmstadt, Italien, die Niederlande, Portugal, Preußen, Sachsen, die Schweiz, Schweden, Spanien, die Vereinigten Staaten und Württemberg. Der vom Kongreß angenommene Vertrag bildet die [96] noch jetzt in Geltung stehende Konvention. Dieser Vertrag wurde sofort beim Abschluß von 12 Abgesandten unterschrieben (Baden, Belgien, Dänemark, Frankreich, Hessen, Italien, Niederlande, Portugal, Preußen, Schweiz, Spanien und Württemberg). Nachträglich haben sich alle europäischen Mächte angeschlossen; außerhalb Europas, abgesehen von der Türkei, die Vereinigten Staaten, Persien, Japan, Bolivia, Chile, die Argentinische Republik und Peru.

Der Inhalt der Konvention bezieht sich 1) auf die verwundeten und erkrankten Soldaten selbst als zu pflegendes Objekt, 2) auf die Ärzte und das Hilfspersonal als pflegendes Subjekt und 3) auf die Hospitäler und die Materialausstattung als das Mittel zur Pflege. Die Hospitäler und Ambulanzen werden (Art. 1) auf so lange, als sich Kranke und Verwundete darin befinden, und solange sie nicht von einer bewaffneten Macht bewacht sind, für neutral erklärt, das Material der Militärhospitäler bleibt den Kriegsgesetzen unterworfen, während das mobile Feldlazarett und die Sanitätsdetachements (l’ambulance) im Gegenteil unter gleichen Verhältnissen ihr Material behalten sollen (Art. 4). Das Personal der Hospitäler und Feldlazarette (einschließlich der Intendantur, der Sanitäts- und Verwaltungsbeamten, der mit dem Transport der Verwundeten Beauftragten und der Feldgeistlichen) soll an der Wohlthat der Neutralität teilnehmen, solange es in der Ausübung seines Berufs ist, und solange es Verwundete gibt, die aufzunehmen sind, oder denen Beistand zu leisten ist (Art. 2). Diese Neutralität bezieht sich aber nur auf das amtliche Personal; freiwillige Krankenpfleger, soweit sie nicht dem amtlichen Personal inkorporiert worden sind, haben daher keinen Anspruch auf Neutralität. Das neutrale Personal kann auch nach der Besetzung durch den Feind fortfahren, seine Pflichten in dem Hospital oder dem Feldlazarett zu erfüllen, oder sich zurückziehen. Sobald es aufhört, seinen Beruf auszuüben, wird der besitzergreifende Truppenteil dafür Sorge tragen, es den feindlichen Vorposten zu überliefern (Art. 3). Das sich zurückziehende Personal der Hospitäler (Art. 4) darf nur diejenigen Gegenstände mitnehmen, die sein Privateigentum sind. Die verwundeten und erkrankten Krieger sollen (Art. 6) aufgenommen und verpflegt werden, zu welcher Nation sie auch gehören. Die Oberbefehlshaber sind ermächtigt, die während eines Gefechts verwundeten Krieger sofort an die feindlichen Vorposten abzuliefern, wofern es die Umstände gestatten, und mit Einwilligung beider Teile. Alle nach ihrer Herstellung dienstuntauglich Befundenen sollen in ihre Heimat entlassen werden. Auch die andern können entlassen werden, jedoch mit der Bedingung, für die Dauer des Kriegs nicht mehr die Waffen zu führen. Jeder in ein Haus aufgenommene und gepflegte Verwundete (Art. 5, Abs. 3 u. 4) dient demselben als Sauvegarde; jeder Einwohner, welcher Verwundete bei sich aufgenommen hat, soll von Einquartierung und einem Teil der etwa auferlegten Kriegskontributionen frei sein. Diejenigen Landesbewohner (Art. 5, Abs. 1 u. 2), welche den Verwundeten zu Hilfe eilen, sollen respektiert werden und frei bleiben; den Befehlshabern der kriegführenden Mächte liegt die Verpflichtung ob, einen Aufruf an die Menschenliebe der Einwohner zu erlassen und dieselben von der Neutralität, welche für sie daraus erfolgt, zu unterrichten. Art. 8 überläßt den Oberbefehlshabern die Einzelheiten der Ausführung der Konvention nach Maßgabe der Instruktion ihrer Regierungen und der allgemeinen Grundsätze, welche in der Konvention ausgesprochen und geregelt worden. Auch die Räumungstransporte (les évacuations) und ihr Begleitungspersonal werden unter den Schutz unbedingter Neutralität gestellt (Art. 6, Abs. 5). Als allgemeines Neutralitätszeichen (Art. 7) gelten die Fahne und die Armbinde mit dem roten Kreuz auf weißem Feld, mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß die Verabfolgung der Armbinde nur den Militärbehörden überlassen bleiben solle. Derjenige, welcher die Neutralitätsbinde trägt, ohne dazu berechtigt zu sein, setzt sich dadurch schwerer Verantwortlichkeit und Gefahr aus.

Zur praktischen Anwendung gelangte die Konvention zuerst in den 1866er Kriegen; bereits bei dieser ersten Anwendung wurde die Ausführbarkeit ihres Grundgedankens dargethan, zugleich aber ergab sich die Notwendigkeit einer Revision der Konvention. Mit der Anbahnung einer solchen beschäftigten sich zunächst eine militärärztliche Konferenz in Berlin unter dem Vorsitz Langenbecks, eine während der Weltausstellung in Paris zusammenberufene internationale Versammlung der Hilfsvereine und der von 20 deutschen Vereinen des Roten Kreuzes beschickte deutsche Vereinstag zu Würzburg (22. Aug. 1867). Diesen vorbereitenden Versammlungen folgte der Pariser Kongreß, eine von 57 Vertretern der National- und Zentralkomitees und von einer Anzahl Abgeordneter der Regierungen gebildete Privatversammlung, deren Beschlüsse als Wünsche den Konventionsregierungen für die Revision des internationalen Vertrags selbst unterbreitet wurden. Zur Beratung dieser Wünsche traten infolge einer vom schweizerischen Bundesrat unterm 12. Aug. 1867 erlassenen Einladung 5. Okt. 1868 in Genf die Vertreter von 14 Mächten (Norddeutscher Bund, Österreich, Baden, Bayern, Belgien, Dänemark, Frankreich, England, Italien, die Niederlande, Schweden, Schweiz, Türkei und Württemberg) zu einem diplomatischen Kongreß zusammen. Von einer Revision und Umarbeitung der Konvention wurde abgesehen, man beschränkte sich auf die Beratung von Zusatzartikeln, vermied aber auch hierbei die Aufstellung und Unterzeichnung eines diplomatischen Aktes, bestimmte vielmehr, daß die vereinbarten Zusätze lediglich den Charakter eines Projekts haben sollten. Der Inhalt dieser Zusatzartikel entsprach den ausgesprochenen Wünschen nicht. Keine Berücksichtigung fanden von vornherein: die Ausdehnung der Neutralität auf die Mitglieder der Hilfsvereine, die Feststellung einer Kontrollmaßregel zur Verhütung des Mißbrauchs der Neutralitätsbinde und die Annahme eines gemeinsamen Zeichens zur Feststellung der Identität der Gefallenen. Von den 14 Zusatzartikeln beziehen sich 9 auf Ausdehnung der Konvention auf die Marine, 5 enthalten Zusätze zur 1864er Konvention. In den letztern wird eine genauere Definition der Benennung „Ambulance“ gegeben (Zusatzart. 3) und bestimmt, daß den in die Hände der feindlichen Armeen gefallenen neutralen Personen der Fortgenuß ihrer Gehaltbezüge gesichert bleiben solle (Zusatzart. 2). Weiter werden die unverständlichen und unausführbaren Vorschriften des Art. 5 der Konvention dahin modifiziert, daß bei der Verteilung der aus der Einquartierung der Truppen und aus den zu leistenden Kriegskontributionen entstehenden Lasten das Maß des von den betreffenden Einwohnern entwickelten Eifers für Mildthätigkeit in Betracht gezogen werden solle. Zusatzart. 5 erweitert die Bestimmung im Art. 6 der Konvention dahin: „daß, mit Ausnahme derjenigen Offiziere, [97] deren Anwesenheit in der betreffenden Armee auf den Erfolg der Waffen von Einfluß sein würde, die in die Hände des Feindes gefallenen Blessierten, selbst wenn sie nicht als unfähig zum Fortdienen erkannt werden, nach erfolgter Herstellung oder noch früher in ihre Heimat zurückzusenden sind (früher ‚können‘) unter der Bedingung, daß dieselben während der Dauer des Kriegs nicht wieder die Waffen führen dürfen“: eine Erweiterung, welche die Ausführung dieses Zusatzartikels absolut unmöglich macht. Einflußreicher ist dagegen die im ersten Zusatzartikel enthaltene Neuerung, welche das im Art. 3 der Konvention enthaltene „können“ beseitigt und in vorschreibender Weise bestimmt: „Das Hilfspersonal fährt nach der Besetzung durch den Feind fort, den Kranken und Verwundeten des Feldlazaretts etc. seine Sorgfalt zuzuwenden. Sobald dieses Personal sich zurückzuziehen wünscht, hat der Kommandant der Besatzungstruppen den Zeitpunkt des Abzugs zu bestimmen, den er jedoch nur auf eine kurze Zeitdauer und zwar, sobald militärische Notwendigkeiten vorliegen, hinausschieben kann.“

Diese Zusatzartikel sind niemals ratifiziert worden. Sie bilden daher kein geltendes Recht; nur während des deutsch-französischen Kriegs haben sie vermöge eines ausdrücklichen Übereinkommens zwischen den kriegführenden Staaten in praktischer Geltung gestanden. Die damals gemachten Erfahrungen werden nicht dazu beitragen, die Abneigung der Mächte gegen eine staatsverbindliche Ausdehnung der Konvention von 1864 zu beseitigen.

1874 beschäftigte sich der in Brüssel tagende völkerrechtliche Kongreß über das gesamte internationale Kriegsrecht auch mit der G. K. Die sieben auf die Verwundeten, das Sanitätsmaterial und -Personal bezüglichen Paragraphen der russischen Vorlage enthielten zwar eine ganz erhebliche Umgestaltung eines Teils des bisher geltenden Rechts; sie wurden aber gestrichen und folgender Beschluß gefaßt: „Die Verpflichtungen der Kriegführenden in Bezug auf die Verwundeten- und Krankenpflege werden durch die G. K. vom 22. Aug. 1864 geregelt, vorbehaltlich der Abänderungen, die in Bezug auf dieselbe in Zukunft etwa vereinbart werden sollten“. Die Beratungen und Verhandlungen dagegen über den russischen Entwurf und die von dem deutschen Bevollmächtigten und der belgischen Regierung eingebrachten Gegenentwürfe, bei denen sich sehr weitgehende Meinungsverschiedenheiten ergaben, und deren Resultat in den Kommissionsprotokollen niedergelegt ist, enthalten für die Zukunft hochwichtiges Material. Der von 15 Staaten und von allen europäischen Großmächten beschickte Kongreß verfügte über ein reiches, bereits vielfach durchgearbeitetes Material und konnte eingehende praktische Erfahrungen berücksichtigen. Namentlich trat den früher gemachten Erfahrungen gegenüber die Auffassung der Vertreter Deutschlands maßgebend in den Vordergrund. In vielen schwierigen Punkten ist in der Kommission eine Einigung erzielt worden; die Beschlüsse nehmen gebührend auf das kriegerische Interesse Rücksicht; sie zeigen große Sachkenntnis, Schärfe, Gründlichkeit und praktischen Blick und erstreben nur das wirklich Erreichbare und Ausführbare.

Leider haben diese Kommissionsbeschlüsse praktische Geltung nicht erlangt; thatsächlich steht die Konvention von 1864 allein noch in Kraft. Dieselbe bedarf aber ganz entschieden einer Revision, denn sie enthält unausführbare und übertriebene Bestimmungen, welche auf das oberste Gesetz des Kriegs, die unbedingte militärische Aktionsfreiheit, nicht genügende Rücksicht nehmen und daher notwendigerweise durch die allmächtige Gewalt der Thatsachen durchbrochen werden müssen. Hieraus erklärt sich ein großer Teil der in den letzten Kriegen beklagten sogen. Konventionsverletzungen, wenn auch nicht geleugnet werden soll, daß in vielen Fällen Unkenntnis der betreffenden Konventionsbestimmungen und böser Wille zu wirklichen Verletzungen geführt haben. Bei einer Revision wird, abgesehen von den bereits oben dargelegten Gesichtspunkten, vor allem darauf Rücksicht zu nehmen sein, den vagen und unrichtigen Ausdruck Neutralität durch den Begriff Unverletzlichkeit zu ersetzen und die Hauptbestimmungen des Vertrags in die militärischen Reglements und Sanitätsinstruktionen der kontrahierenden Staaten aufzunehmen. In Deutschland ist dieses Ziel bereits teilweise erreicht, indem, ohne Bezugnahme auf Gegenseitigkeit und internationale Verträge, in § 5 der Kriegssanitätsordnung vom 10. Jan. 1878 bestimmt ist: „Kranke und verwundete Kriegsgefangene nehmen gleich den Soldaten des deutschen Heers und den Angehörigen verbündeter Heere an der Krankenpflege teil“. Auch die G. K. nebst den Zusatzartikeln vom 20. Okt. 1868 ist der Sanitätsinstruktion als Beilage D beigefügt. Vgl. Gurlt, Der internationale Schutz der im Felde verwundeten und erkrankten Krieger (Berl. 1869); Palasciano[WS 1], La neutralità dei feriti in tempo di guerra (Neap. 1861); Moynier, Étude sur la convention de Genève (Par. 1870); „Verhandlungen der internationalen Konferenz zu Berlin v. 22.–27. April 1869“; Schmidt-Ernsthausen, Das Prinzip der G. K. (Berl. 1874); v. Corval, Die G. K. (Karlsr. 1874); Lueder, Die G. K. (Erlang. 1876); v. Criegern, Ein Kreuzzug nach Stambul (Dresd. 1879).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Palasiano