MKL1888:Handel
[69] Handel (lat. Commercium, franz. Commerce, engl. Commerce, Trade), im weitern Sinn jeder zur Erzielung eines Gewinnes vorgenommene Austausch von Gütern. H. im engern Sinn, wie er der Auffassung des Handelsrechts entspricht, ist der auf Arbeitsteilung u. eigner Berufsbildung beruhende regelmäßige Tausch oder der gewerbsmäßige Ein- und Verkauf von Gütern, welche als Gegenstände des Handels allgemein Waren genannt werden. In einem engern Sinn versteht man im H. unter Waren auch nur die beweglichen Sachgüter und unterscheidet demgemäß Warenhandel, Immobilienhandel (H. mit Grundstücken, Häusern), Effektenhandel (H. mit Wertpapieren), Geldhandel (H. mit fremden Münzsorten, Geldwechsel). Als Produktenhandel bezeichnet man den H. mit Erzeugnissen der europäischen Landwirtschaft im Gegensatz zum H. mit Kolonialwaren. Können auf niederer Stufe der Volkswirtschaft diejenigen, welche Güter begehren und anbieten, einander unmittelbar gegenübertreten, so bildet sich mit weiterer Entwickelung des Verkehrs ein eigner Stand, der des Kaufmanns, aus, welcher geschäftsmäßig Waren kauft, um sie wieder zu verkaufen. (Vgl. Kaufmann.)
Aufgabe des Handels ist es, die Waren örtlich und zeitlich zu verteilen und auf diese Weise Überfluß und Mangel zu begleichen. Er sucht die Ware da auf, von wo sie billig zu beziehen, wo sie also in relativem Überfluß vorhanden ist, und verbringt sie dahin, wo sie höher bezahlt wird, wo demnach einem dringendern Begehr ein verhältnismäßig kleiner Vorrat gegenübersteht. Folge hiervon ist größere örtliche Ausgleichung der Preise. Hand in Hand hiermit geht die zeitliche Verteilung der Waren (An- und Verkauf zu verschiedenen Zeiten, z. B. von Kohlen, landwirtschaftlichen Erzeugnissen etc.) und die zeitliche Preisausgleichung (z. B. bei verschiedenem Ernteausfall). Als Hilfsmittel dienen dem H. hierbei die Lagerbestände und Vorräte der Lagerhäuser, Warenhäuser, Docks, Entrepots, Speicher, Magazine etc. Als Bedarfshandel genügt der H. vorhandenen Bedürfnissen, als Spekulationshandel faßt er die wahrscheinliche zukünftige Gestaltung des Marktes ins Auge (z. B. nach Maßgabe der Berichte über den wahrscheinlichen Ernteausfall etc.), oder er sucht auch durch Schaustellung, Reklame etc. neue Bedürfnisse zu wecken.
Bei einigermaßen entwickelter Kultur ist die internationale Arbeitsteilung unvermeidlich. Infolgedessen scheidet sich der auswärtige H. oder Außenhandel vom innern oder Binnenhandel (letzterer auch bisweilen als Landhandel im Gegensatz zum Seehandel, d. h. dem über See, insbesondere nach entlegenen Ländern, betriebenen H.). Der auswärtige H. zerfällt zunächst in den Einfuhr- und den Ausfuhrhandel. Häufig sind die eingeführten Waren nicht dazu bestimmt, im Land konsumiert, sondern wieder ausgeführt zu werden; geschieht dies lediglich unter Benutzung der Verkehrsanstalten eines Landes, so spricht man vom Durchfuhr- (Transito-) H., werden dagegen an den eingeführten Waren technische oder wirtschaftliche Veränderungen und solche spekulative Operationen vorgenommen, welche die Absatzfähigkeit und Wiederausfuhr vorbereiten (Lagern, Sortieren, Teilen, Mischen, Emballieren etc.), so wird dieser Handelsbetrieb Zwischenhandel (früher Ökonomiehandel) genannt (vorzüglichstes Beispiel: England, die Hansestädte und Holland in der Vermittelung des überseeischen Handels mit den europäischen Kontinentalstaaten). Über die hieran sich knüpfenden weitern Unterscheidungen der amtlichen Handelsausweise vgl. Handelsstatistik. Aktivhandel treiben diejenigen Völker, welche durch eigne Handelsthätigkeit, z. B. mit eigner Reederei, ihren Bedarf an fremden Waren decken und ihre eignen Erzeugnisse verkaufen, Passivhandel diejenigen, welche ihren Aus- und Einfuhrhandel nicht selbst besorgen (insbesondere Länder halber Kultur, wie China, Japan). Auch spricht man von Aktivhandel bei günstiger, von Passivhandel bei ungünstiger Handelsbilanz (s. d.). Nach dem Umfang unterscheidet man Groß- (Engros-, Grosso-) und Kleinhandel oder Detailhandel, ohne daß sich eine scharfe Grenze zwischen beiden ziehen ließe; gewöhnlich verkauft der Großhändler an Kaufleute, der Kleinhändler an die unmittelbaren Konsumenten (dagegen direkter Verkauf bedeutender Geschäfte, wie großer Pariser und Berliner Läden, an Konsumenten und umgekehrt der Absatz kleiner Aufkäufer an große Handlungshäuser). Echter Kleinhandel ist der Trödelhandel (H. mit gebrauchten Sachen), der Hökerhandel (H. insbesondere mit Lebensmitteln von offenem Stand aus), dann der Hausierhandel (s. d.). Letzterer ist eine besondere Form des Wanderhandels (s. d.), welcher den Gegensatz zum seßhaften H., d. h. dem von festen Sitzen aus betriebenen H., bildet. Nach der rechtlichen Stellung der handeltreibenden Personen unterscheiden wir den Eigen- oder Proprehandel, bei welchem die erstern das Eigentum der Waren für eigne Rechnung erwerben, von dem Kommissionshandel (s. d., vgl. auch Konsignation), bei welchem für fremde Rechnung Ein- oder Verkauf besorgt wird. Eine Unterart des Kommissionshandels ist der Speditionshandel, welcher für fremde Rechnungen Güterversendungen besorgt (vgl. Spedition). Über die Stellung des Staats zum H. s. Handelspolitik. Die nötige Litteratur über Handelskunde s. bei Handelswissenschaft.
Die Geschichte des Welthandels hat eine weitreichende Bedeutung, weil sie zugleich die Geschichte der menschlichen Gesittung ist; seit Menschengedenken hat der H. den Anstoß zu großen politischen und sozialen Bewegungen gegeben, zu geographischen Entdeckungen geführt und die Kultivierung ganzer Erdstriche veranlaßt.
Der H. des Altertums war vorwiegend Landhandel, indem er sich zumeist auf die drei alten Kontinente beschränkte; das Mittelmeer mit seinen vielen Inseln, Buchten und Landzungen wurde fast nur zur Küstenfahrt benutzt. Der Ausgangspunkt der Handelsthätigkeit liegt ursprünglich in Ägypten und Indien. Von Ägypten wissen wir, daß es mit den Wanderstämmen Libyens, Arabiens und mit den Küstenländern Syriens im grauesten Altertum H. trieb. Als am Euphrat und Tigris das gewaltige babylonisch-assyrische Staatswesen entstand, knüpfte es bald mit Indien, mit der Arabischen Wüste, Kleinasien etc. Handelsbeziehungen [70] an; nach Syrien und Phönikien bestand durch die Wüste hindurch eine Karawanenstraße. Kaum später entwickelte sich die Kultur in dem mit Naturschätzen reich gesegneten Indien, von wo sich der Handelsstrom durch Baktrien ergoß, die Wasserstraßen des Oxus und Jaxartes benutzend, welche damals in das Kaspische Meer mündeten. Auch mit dem goldgesegneten Strich an der Ostküste Afrikas, dem später sogen. Sofala, trat man vom Indus und Ganges aus in Verbindung. Das Verdienst, einen ökonomischen Zusammenhang Asiens mit Südeuropa hergestellt zu haben, gebührt indessen erst den Phönikern; ihre Handelsmacht gelangte in Tyros ungefähr im 10.–8. Jahrh. v. Chr. zur höchsten Entfaltung; sie breiteten damals ihren Handelsverkehr über das ganze Mittelmeer, über den Arabischen und Persischen Meerbusen aus und drangen mit ihren Schiffen nördlich in den Pontus Euxinus, östlich bis in das Indische Meer, westlich bis in die Nord- und Ostsee, wo sie das Zinn der Kassiteriden und von Cornwallis und den Bernstein von der jetzigen friesischen und jütischen Küste geholt haben sollen. Die Karawanen der Phöniker durchzogen Palästina, Syrien, Arabien, Ägypten, Persien, Babylonien und die nördlichen Skythenlande; phönikische Kolonien bedeckten die Küstenstriche und Inseln des Mittelländischen und Roten Meers und des Persischen Golfs. Diese Handelsbedeutung dauerte von ihren ersten Anfängen (1200 v. Chr.) bis zum völligen Erlöschen (300 v. Chr.) ungefähr neun Jahrhunderte. Das Zurückdrängen der Phöniker erfolgte allmählich durch das Heranblühen der griechischen Kolonien im Ägeischen Meer, durch den Einfluß, welchen Karthago, die mächtigste phönikische Kolonie, im Mittelmeer errang, und endlich durch die makedonische Herrschaft. Wie die Phöniker, besuchten auch Karthager auf ihren weiten Fahrten die Küsten Frankreichs, Portugals und Nordspaniens; es ist als sicher anzunehmen, daß sie bis nach England und ins Baltische Meer gelangten, und daß Himilko im 4. Jahrh. v. Chr. eine Reise nach dem Zinnland machte. Sie unternahmen Entdeckungsreisen an die Westküste von Afrika und betrieben mittels Karawanen einen Landhandel in das Innere dieses Kontinents. Die Handelsherrschaft auf dem ganzen Mittelländischen Meer hat Karthago vom 6. Jahrh. bis in die Mitte des 2. Jahrh. v. Chr. behauptet. Das Anwachsen der griechischen Handelsmacht geht mit der politischen Geschichte der Hellenen gleichen Schritt; die mächtigen Städterepubliken vertreiben die Phöniker allmählich aus den Niederlassungen am Ägeischen Meer, stellen einen regelmäßigen Handel mit Kleinasien her und zeichnen sich besonders durch ihr Geschick in der Gründung von Niederlassungen und Kolonien aus; Milet, Korinth, Ägina, Rhodos werden wichtige Mittelpunkte des Verkehrs. Der Einfluß Griechenlands macht sich auch auf Ägypten geltend; die Milesier senden ihre Schiffe in die kanopische Mündung des Nils und gründen Naukratis, die Vorläuferin Alexandrias. Eine Verbindung des Nils mit den Bitterseen durch einen Kanal wird hergestellt und unter Dareios bis zum Roten Meer fortgesetzt. Ebenso trieb sie Handelsgeist und Wandersinn an die Küsten des Pontus Euxinus nach Skythien (dem heutigen Südrußland), und auch die bleibendsten Kulturwirkungen, die Kolonisierung Unteritaliens und Siziliens sowie die spätern Ansiedelungen in Gallien (Massilia), Sardinien, Corsica, Nordafrika und Spanien, sind ein Ausfluß ihrer Handelsthätigkeit. Später gelangte durch die politische Macht Makedoniens Alexandria zur Blüte. Alexander d. Gr. gründete diese Stadt an einer der Mündungen des Nils, um den H. zwischen dem ganzen Osten und Westen zu beherrschen. Alexandria erhob sich bald zu einer der bedeutendsten Handelsstädte und behauptete seine Stellung bis zur arabischen Herrschaft. Im Gegensatz zu dem bisher geschilderten Zusammentreffen politischer und wirtschaftlicher Kultur bietet das römische Weltreich das Bild einer Großmacht, welche dem Erwerb und H. keinen Aufschwung zu geben, sondern nur die von andern errungenen Erfolge rücksichtslos auszunutzen und schließlich zu vernichten verstand; die eroberten Provinzen werden geplündert und kolossale Reichtümer in der Hauptstadt aufgehäuft. Die Herbeischaffung der notwendigen Lebensmittel für Italien war die einzige Aufgabe, die den Schiffen zufiel, welche alsdann mit Ballast zurückkehrten. Das Reich ging seinem Verfall entgegen, nachdem es Karthago und Korinth, die Pflanzstädte in Spanien und Sizilien, im Schwarzen Meer und in Kleinasien wirtschaftlich zu Grunde gerichtet hatte. Bei der Teilung des Reichs (337 n. Chr.) wurden die Kulturelemente nach Konstantinopel verlegt, wo sich nach dem Fall des weströmischen Reichs im Beginn des Mittelalters wieder eine gewisse Blüte von Gewerbe und H. entwickelte.
Die Völkerwanderung zerstörte die noch vorhandenen Überreste wirtschaftlicher Kultur an deren alten Sitzen in Italien, im Westen von Europa und an den Küsten des Mittelmeers. Neue Keime einer durchaus veränderten Richtung des Handels werden im byzantinischen Reich und durch die Araber gelegt; denselben folgen wieder andre Gestaltungen seit dem 9. und 10. Jahrh. in Italien, wo die kommerzielle Macht der Republiken geschaffen wird, und im Norden Europas bei den Niederländern und Deutschen.
Im byzantinischen Reich wurde Konstantinopel ein Verbindungsglied der morgenländischen und abendländischen Welt; es betrieb einen nicht unbedeutenden H. mit Indien, Ägypten (über Alexandria) sowie nach dem Westen und Norden; die staatlichen Verhältnisse ließen indessen keine dieser Handelsrichtungen mächtig erstarken. Schon im 7. Jahrh. tritt der Einfluß der Araber hervor, welche mit den Persern die hervorragendsten Träger der muselmanischen Kultur wurden; sie verstanden es, nicht bloß in Arabien und Mesopotamien, in Syrien mit dem damals zur höchsten Bedeutung gelangten Damaskus und in den Küstenländern des Schwarzen und Kaspischen Meers, sondern auch selbst in dem von der Natur so schlecht ausgestatteten Landstrich zwischen dem Kaspischen Meer, dem Aralsee und dem Dschihun eine kunstgewerbliche und kommerzielle Blüte hervorzurufen, und bemächtigten sich vollständig des ostasiatischen Handels. Der Einfluß des Mohammedanismus machte sich ebenso in Nordafrika geltend, wo die Araber lebhafte Schiffahrt und H. trieben, und von wo aus sie die Keime des Wiederaufschwunges auf die ganze Pyrenäische Halbinsel und den Süden Frankreichs als Förderer der Volkswirtschaft und Zivilisation übertrugen. Der H. der Araber umfaßte also als Landhandel einen großen Teil von Vorderasien bis Indien, die pontischen Gebiete, das nördliche Afrika, das südwestliche Europa; als Seehandel beherrschte er das Mittelmeer, die Hafenplätze vom Arabischen Meer bis zu den afrikanischen Küsten und vom Persischen Meerbusen bis nach Indien und China.
Weniger günstig war nach dem Verfall der römischen Weltherrschaft und zu Beginn des Mittelalters die Lage der Hafenstädte des Mittelländischen [71] Meers. Venedig, Genua und Marseille waren durch die feindliche Abgeschlossenheit der Mohammedaner und durch die Räubereien auf dem Meer an dem Verkehr mit Kleinasien behindert. Nur das kleine Amalfi hatte seine Unabhängigkeit gegen die Mauren zu behaupten gewußt und (im 9.–11. Jahrh.) einen Verkehr mit den Arabern in Sizilien und Griechenland eingeleitet sowie unter sarazenischem Schutz seine Schiffe regelmäßig in die Levante gesendet. Amalfis Schiffer waren es, welche sich bei ihren Fahrten zuerst des Kompasses bedienten. Seit dem 12. Jahrh. wurde es von den übrigen italienischen Städten in den Hintergrund gedrängt. Unter diesen errang Venedig infolge seiner glücklichen Lage und dadurch, daß es seiner Flotte gelang, die sarazenischen Seeräuber zu bekämpfen, schon im 9. Jahrh. ein großes Ansehen; Genua und Pisa verdanken ebenfalls den im 10. und 11. Jahrh. besonders lebhaft entbrennenden Kämpfen gegen sarazenische Seeräuber und normännische Plünderer sowie der gemeinsamen Eroberung von Corsica und Sardinien ihre erste Bedeutung. Die Handelsthätigkeit der Hafenstädte hob sich nun rasch, seitdem ihnen von der Regierung in Byzanz einige Vorstädte Konstantinopels eingeräumt wurden und sie einen pontisch-griechischen Zwischenhandel beginnen konnten und anderseits in Italien selbst in den lombardischen Städten eine gewerbliche Entwickelung begann. Vom entscheidendsten Einfluß waren jedoch die Kreuzzüge, deren Expeditionen (seit dem 12. Jahrh.) durch die Flotten von Venedig, Genua und Pisa vorgenommen wurden. Nicht nur gelangten diese dadurch zu Ansehen und Erwerb, sondern es ergab sich von selbst der Anlaß, einen Zwischenhandel zwischen der Levante und dem Abendland herzustellen. Die Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer eröffnete, besonders zu gunsten Venedigs, mit dem lateinischen Kaisertum einen vorteilhaften Verkehr. Der H. der italienischen Republiken umfaßte bald im Osten die syrische Küste, Ägypten (mit Alexandria als Stapelplatz für indische Waren), die Gegenden des Schwarzen Meers, das Mittelmeer, besonders die griechische Küste und die Inseln. Er ging im Norden und Westen teils als Landhandel über die Alpen nach Deutschland und bis Polen, teils zur See nach Flandern. Zahlreiche kommerzielle Einrichtungen, die Anlage von Lagerhäusern (fondachi), die Entstehung des Bankwesens, des Wechselverkehrs etc., stammen aus der Blütezeit des italienischen Handels (13.–15. Jahrh.). Unter den Häfen des Mittelländischen Meers hatten Venedig und Genua alle andern an Bedeutung überflügelt, waren aber (im 14. Jahrh.) in Kämpfe miteinander geraten. Sie stritten mit wechselndem Glück um den Besitz der Stapelplätze Kleinasiens, auf denen die indischen Waren zu Markte kamen, um die Suprematie im Mittelmeer und um die bevorzugte Stellung in Konstantinopel. Beide Republiken griffen in die Geschicke des byzantinischen Reichs mehrfach ein; im ganzen aber war die Haltung der Regierung in Konstantinopel den Venezianern günstiger, und die Genuesen rächten sich dafür, indem sie die Osmanen, als diese im 15. Jahrh. (1453) Konstantinopel eroberten, direkt unterstützten; sie erreichten dadurch eine Schädigung Venedigs, ohne selbst etwas zu gewinnen, denn die nächste Folge war die Unterbindung des Handels auf dem Mittelländischen Meer. Der Krieg von Chioggia, seit welchem der Verfall der genuesischen See- und Handelsmacht entschieden war, schwächte auch Venedig; der Verlust Cyperns, die Vernichtung des Verkehrs mit der Levante und die Entdeckung des neuen Seewegs nach Indien gaben der Handelsmacht Venedigs den Todesstoß.
Zur Zeit, als die italienischen Hafenplätze ihren Zenith erreicht hatten, beginnt auch schon im Norden Europas der kommerzielle Geist sich zu regen. Im karolingischen Reich nimmt das Erwerbsleben einen raschen Aufschwung, insbesondere aber zeichnet sich das Zeitalter der Städtegründung durch das Aufblühen des deutschen Gewerbes (Zunftbewegung) aus. Seit dem 11. Jahrh. nimmt auch der H. einen regern Aufschwung; die Kreuzzüge tragen das meiste zur Hebung des Binnenverkehrs und der Beziehungen mit Italien und der Levante bei. Nach dem Untergang der Hohenstaufen verbanden sich (um die Mitte des 13. Jahrh.) die deutschen Städte zu gegenseitigem Schutz u. zur Erhaltung ihrer Freiheit gegen den räuberischen Adel. Der 1241 gegründete norddeutsche Bund der Hansa (s. d.) hatte sich die norddeutschen Reiche zum Feld seiner Wirksamkeit erkoren. Vor allen war Lübeck damals groß und blühend. Bald umschloß die Verbindung alle Städte der Küste, von Riga bis nach Ostende, und landeinwärts bis nach Köln, Erfurt, Krakau. Der Bund hatte vier Kontore, seine Hauptstapelorte waren Bergen, Nishnij Nowgorod, London und Brügge. Die bergensche Faktorei war besonders wegen des Fischfanges wichtig. Durch die Hauptfaktorei in Nishnij Nowgorod, dem Stapelplatz für die orientalischen Güter, und die Kontore in Pskow und Moskau beherrschte die Hansa den ganzen nordischen H. Die Londoner Faktorei lieferte ihr den Verkehr mit den britischen Inseln und den Zwischenhandel mit indischen und italienischen Produkten in die Hände. Die größten Geschäfte der Hansa konzentrierten sich in Brügge, bez. im nahen Antwerpen, welches die Verbindung zwischen der Hansa und Italien vermittelte. Durch die geänderten politischen Verhältnisse und die größere Verkehrssicherheit entfielen die frühern Ursachen des Bündnisses; England, Dänemark, Rußland kündigten der Hansa das Privilegium; viele Städte sagten sich von derselben los, und der allmählich vorbereitete Verfall der Hansa war am Ende des 15. Jahrh. unaufhaltsam geworden. Im 16. Jahrh. hatte die Hansa nur noch eine geringe Bedeutung für den Welthandel, und im J. 1669 ward die letzte Tagsatzung von Bremen, Lübeck, Hamburg, Braunschweig, Danzig und Köln gehalten.
Mit den Entdeckungsreisen zu Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. beginnt eine völlige Umwälzung des Welthandels. Die Wege des Handels werden verlegt, das Mittelländische Meer, welches während zweier Jahrtausende der Schauplatz der Kulturthätigkeit war, wird allmählich verlassen, der Atlantische und Indische Ozean werden die Verkehrsstraßen der Völker. Die Staaten, deren Handelsflotten an den Kolonisationen der neuerschlossenen Gebiete aktiven Anteil nehmen, werden zu Trägern des Welthandels, und die andern versinken; die Handelsmacht geht von den italienischen Republiken auf die Portugiesen und Spanier, von der Hansa auf die Niederländer und Engländer über, und Frankreich tritt in die Reihe der Handelsstaaten ein. Ganz neue Waren gelangen in den Kreis des Verkehrs, und dieser erreicht einen ungeahnten Umfang.
Den Anstoß zu diesen Veränderungen boten die Entdeckungen der Portugiesen auf den östlichen, jene der Spanier auf den westlichen Meeren. Als Vasco da Gama im J. 1497 Afrika umschiffte, legte er den Keim nicht bloß der kurz dauernden Handelsmacht seines [72] Vaterlandes, sondern auch der bleibenden Suprematie der Holländer und Engländer, und als Christoph Kolumbus 12. Okt. 1492 die Insel Guanahani (San Salvador) erreichte, schuf er die Grundlage des rasch aufflackernden Reichtums Spaniens und jene der britischen und niederländischen Wirtschaftsmacht. Schon im Beginn des 16. Jahrh. nutzen die Portugiesen die Vorteile des neuen Seewegs nach Ostindien aus und machen sich für einige Zeit zu Herren des indischen Handels; noch ehe ein Vierteljahrhundert verging, blühte der portugiesische H. in unzähligen Häfen vom Kap der Guten Hoffnung bis zum Fluß Kanton auf einer Küste von 4000 Seemeilen Länge. Malakka wurde der Zentralpunkt und größte Stapelplatz dieses ungeheuern Handelsgebiets. Aber auch der afrikanische H. war in den Händen der Portugiesen, welche in Mosambik festen Fuß faßten. Die uralten Handelsstraßen durch Persien und nach dem Kaspischen Meer, über den Taurus nach den Häfen Anatoliens, durch die Wüste nach Kairo, durch das Rote Meer nach Alexandria und Damiette verödeten mehr und mehr, manche wurden gänzlich verlassen. So wurde Lissabon das, was Venedig gewesen war, und nachdem Venedig gesunken, verloren auch die Vermittler seines Verkehrs mit dem Norden, die deutschen großen Binnenmärkte (Nürnberg, Augsburg, Basel, Straßburg, Ulm, Regensburg, Erfurt), im Welthandel ihre Bedeutung. Um Venedig den einzigen Bezugsweg der indischen Waren über Persien vollends abzuschneiden, erwarben die Portugiesen die Insel Ormus im Persischen Meerbusen und gründeten auf derselben eine rasch aufblühende Niederlassung. Aber auch die portugiesische Handelsmacht hatte nur kurze Dauer; zu ihrem bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. beginnenden Verfall trugen die fehlerhafte Kolonialverwaltung und die Übermacht der Holländer ebensoviel bei wie die Veränderung der Wirtschaftsverhältnisse Europas. Spanien war durch die wichtigen überseeischen Erwerbungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. auf den Höhepunkt seiner Entwickelung gelangt und hatte aus Amerika unermeßlichen Reichtum an edlen Metallen erhalten wie auch große Kolonien in Ostindien erworben; in der Zeit, in welcher es Portugal erobert hatte (1580), erreichte sein überseeischer Besitz den größten Umfang, und es schien berufen, die erste Handelsmacht der Welt zu werden. Die Fehler der innern und äußern Politik ließen aber bald diese anscheinend unerschöpflichen Hilfsquellen versiegen. Die gewaltigen Anregungen, welche H. und Kolonisation in Ostindien, Westindien und Amerika gaben, riefen schon im 16. und noch mehr im 17. Jahrh. sowohl in Holland als in England die Begründung neuer Welthandelszentren hervor.
Die Niederlande, deren Bewohner (besonders in Flandern, Brabant, Limburg) frühzeitig im Gewerbe- und Handelsbetrieb hervorragten, wurden als spanische Provinz der Sitz eines lebhaften europäisch-amerikanischen Verkehrs, der im Zusammenhang mit der ins 12. und 13. Jahrh. reichenden Blüte Brügges besonders in Antwerpen so groß wurde, daß er bei weitem den von Venedig in der glänzendsten Epoche übertraf. Nach der Loslösung von Spanien waren sie vom transatlantischen Verkehr und auch von den ostindischen Märkten ausgeschlossen; sie rüsteten deshalb mehrere Expeditionen nach Ostindien aus, welche von günstigen Erfolgen begleitet waren und zur Gründung der Holländisch-Ostindischen Kompanie (1602) Anlaß gaben. Java, die Molukken und Ceylon kamen so in ihren Besitz, sie bemächtigten sich namentlich des Alleinhandels mit Gewürzen und verstanden es, in kurzer Zeit auch den größten übrigen Teil des ostindischen Handels den Spaniern und Portugiesen aus den Händen zu winden; sie eroberten das Kap, gründeten Stationen auf dem festen Land und erwarben selbst in China und Japan vorteilhafte Handelsprivilegien. Gleichzeitig suchten sie in Amerika festen Fuß zu fassen. Sie eroberten mehrere portugiesische Niederlassungen in Brasilien, Surinam, Demerara, Essequibo und Berbice, kolonisierten Guayana, errichteten Schmuggelstationen auf den kleinen westindischen Inseln Curassao und St. Eustach und gründeten Niederlassungen in Nordamerika, New York etc. Die Niederländisch-Westindische Gesellschaft (1621) erreichte es bald, daß der europäische H. mit den spanisch-portugiesischen Kolonien Amerikas großenteils in ihre Hände kam. Der Fischfang aller Meere, der Walfischfang, der Stockfisch- und Heringsfang, geriet in ihren Besitz. Die Holländer wurden zugleich Herren des Ostseehandels und eines Teils des Handels mit der Levante. Doch war es ihnen nicht möglich, den Rang als erste Handelsnation der Erde auf die Dauer zu behaupten, denn im Lauf des 18. Jahrh. ward ihnen, ohne daß von einem eigentlichen Verfall des holländischen Handels gesprochen werden dürfte, doch allmählich die Handelsherrschaft von den Engländern entrissen.
Die Grundlagen des britischen Welthandels wurden schon unter der Königin Elisabeth gelegt, indem außer der Hebung von Gewerbe und Industrie die Pflege der Schiffahrt und die Gewinnung der Selbständigkeit zur See konsequent im Auge behalten wurde. Nachdem die englische Flotte Spaniens Seemacht vernichtet und die französische gedemütigt hatte, trat sie als ebenbürtig der holländischen zur Seite, und bald wußte sie auch Holland zu überflügeln. Schon 1600 errichteten die Engländer ihre Ostindische Handelskompanie, 50 Jahre später demütigten sie Holland völlig, und seitdem blieben sie Sieger in jedem Seekrieg, und ihr Handelsgebiet wurde durch jeden Frieden erweitert. Durch die Navigationsakte Cromwells (1651), durch die Privilegien, welche der Ostindischen Kompanie erteilt wurden, durch die außerordentliche Eignung zur Kolonisation, welche die Regierung klug begünstigte, durch die große Handelsmarine, welche durch eine mächtige Kriegsflotte beschützt wurde, entstand im Lauf des 17. und 18. Jahrh. ungemein rasch das britische Kolonialreich in Asien, Amerika und Afrika. Portugiesen und Spanier wurden ebenso wie die Holländer aus einem großen Teil ihres überseeischen Gebiets von den Engländern verdrängt, neue Länder der britischen Herrschaft unterworfen, Schiffahrtslinien auf allen Weltmeeren eingerichtet, der Zwischenhandel amerikanischer und ostindischer Produkte mit den kontinental-europäischen Staaten usurpiert. Die Gründung des britisch-ostindischen Reichs und das damit zusammenhängende natürliche Monopol des Handels mit den Tropenerzeugnissen Asiens, der Erwerb vieler westindischer Inseln und der H. mit den wertvollen Kolonialwaren dieser letztern, die ausgedehnten Niederlassungen und Gebietserwerbungen in Nordamerika und der dadurch zuerst eingeleitete direkte Bezug von Tabak, Baumwolle etc. wirkten mit der natürlichen Gunst der Lage und des Bodenreichtums zusammen. Zwei Jahrhunderte genügten, um aus dem kleinen England ein gewaltiges Weltreich zu machen.
Die zu Ende des vorigen Jahrhunderts eingeleiteten politischen und sozialen Umwälzungen im Zusammenhang mit den Erfindungen und Fortschritten in [73] Produktion und Verkehr verleihen dem H. des 19. Jahrh. ein neues Gepräge. Er wird zum allgemeinen Welthandel, er zieht alle Völker in seine Kreise hinein. Zwar läßt sich noch von einem größern oder geringern Anteil einzelner Staaten der abendländischen Kultur an diesem Getriebe sprechen, allein kein einziger derselben kann jetzt ohne Teilnahme am Welthandel gedacht werden. Europa wird in seinem ganzen Wirtschaftsleben von Asien und Amerika beeinflußt. Ostindien, welches fast drei Jahrhunderte hindurch den mächtigsten Einfluß auf den H. genommen hatte, wird seit dem Ende des 18. Jahrh. durch die Impulse, welche von Amerika ausgehen, zurückgedrängt. Bald nachdem sich die Folgen der Kolonisation des amerikanischen Festlandes wirtschaftlich zu äußern begonnen hatten, wurde durch die Losreißung der englischen Kolonien in Nordamerika ein wichtiger Wendepunkt herbeigeführt. Der Strom der europäischen Einwanderung ergoß sich in breiterm Bett in die fruchtbaren Ebenen des neuen Kontinents, und die Einwanderer wurden nun die stärksten Verbraucher europäischer Fabrikate, während eigne Rohprodukte einen immer größern Markt in Europa fanden. Unter dem Einfluß von Dampfkraft und Großindustrie begannen H. und Verkehr mächtig anzuschwellen; die internationale Arbeitsteilung machte riesige Fortschritte. Bisher hatte man die Rohprodukte überwiegend in dem Erzeugungsland verarbeitet; seitdem man mit Maschinen arbeitete, überwog die Ersparnis an Arbeitslöhnen die Kosten der Fracht für das Rohmaterial und der Rückfracht für das Fabrikat. Dazu kam der rasch um sich greifende Verbrauch der ebenfalls billiger gewordenen Genuß- und Reizmittel, die aus den Kolonialländern in großen Mengen herbeigeschafft werden konnten. Die alten Kommunikationsmittel genügten dem Weltverkehr nicht mehr; die Eisenbahnen, die Dampfschiffahrt sorgten dafür, daß dieselbe Naturkraft, welche die Produktion der Güter gesteigert hatte, auch ihren Transport steigerte. Das Geld- und Kreditwesen ward von Grund aus umgestaltet, in den Anschauungen über die Aufgaben der Handelspolitik trat ein großer Umschwung ein, und an Stelle der aus dem merkantilistischen Zeitalter noch herrührenden Prohibitionen wurden neue Grundsätze des Schutzzolles mit dem Hinblick auf die allmählich anzustrebende Handelsfreiheit zur Richtschnur.
An der Spitze der ganzen Bewegung steht seit der Mitte des 18. Jahrh. Großbritannien. Die Ursachen, welche dort eine so günstige Entwickelung von H. und Industrie bewirkten, sind: die Großindustrien, welche den Weltmarkt aufsuchen mußten; die mächtige Handelsflotte und die großartigen Kommunikationsanlagen im Innern des Landes; die vorgeschrittenen Einrichtungen des Bankwesens; die Wiederanknüpfung des Verkehrs mit den amerikanischen Freistaaten nach dem Unabhängigkeitskrieg und der dadurch gewonnene Einfluß auf den transatlantischen H.; die klugen Reformen in der Handels- wie in der Kolonialpolitik, welche zur Sicherung Kanadas, zur raschen Ausbreitung in Ostindien, zur Kultivation von Australien und zur Hebung der Niederlassungen in Afrika führten. Von den übrigen Staaten sind zwar die Niederlande nicht mehr als erste Handelsmacht zu nennen, doch behaupteten sie sich durch kluge Reformen ihrer Kolonialpolitik und durch den Übergang zum Freihandel als ein bedeutendes Glied im Verkehr mit Ostasien. Frankreichs H. erlitt durch die Kriege im Zeitalter der Republik und des ersten Kaiserreichs die empfindlichsten Einbußen, und erst seit dem Beginn der 60er Jahre tritt zusammenhängend mit dem Umschwung der äußern Handelspolitik ein mächtiger Aufschwung im Anteil am Welthandel ein. In Deutschland vollzog sich in den Friedensjahren die innere gewerbliche und kommerzielle Erziehung, und mit der Gründung des Zollvereins (s. d.) wurde die Grundlage der in der neuesten Zeit erfolgten großartigen Entwickelung der Schiffahrts- und Handelsverhältnisse gelegt. Hamburg und Bremen, deren H. noch zu Ende des 18. Jahrh. einen ausschließlich europäischen Charakter hatte, schwangen sich zu Welthandelsplätzen empor; auch die übrigen Häfen der Nord- und Ostsee wurden allmählich in spezielle Richtungen des überseeischen Verkehrs einbezogen. Österreich litt in der ganzen Periode des Friedens unter den nachteiligen Folgen einer prohibitiven Handelspolitik und der Abschließung gegen die geistigen und wirtschaftlichen Strömungen der Westmächte; erst in der zweiten Hälfte der 50er Jahre beginnt sein Anteil am H. überhaupt eine Beachtung zu verdienen. Auf die übrigen Länder werden wir im folgenden Abschnitt zurückkommen.
Um den jetzigen Zustand des Welthandels und den Anteil der einzelnen Länder an demselben richtig zu würdigen, bringen wir einige statistische Daten. Dieselben bieten freilich nicht volle Genauigkeit, sie geben nur grobe Umrisse des Verlaufs der Erscheinungen; bei mehrjährigen Vergleichen wird aber ein Teil der Fehlerquellen getilgt, und die Gesamtziffern lassen immerhin ein richtiges Urteil über den Gang des Welthandels im großen und ganzen zu. Nach ältern Zusammenstellungen (von Kolb) sollen die Gesamtumsätze aller Länder der Erde, d. h. Einfuhr und Ausfuhr zusammengerechnet, um 1860 etwa 30,000 Mill. Mk. und um 1866: 36,600 Mill. Mk. betragen haben. Nach neuern, auf offiziellen Quellen beruhenden Vergleichen (von Neumann-Spallart) nahmen die Gesamtumsätze in nachstehender Progression zu:
Einfuhr: | Ausfuhr: | Gesamter Außenhandel: | |||||||
1867–68: | 23314 | Mill. | Mk. | 20900 | Mill. | Mk. | 44214 | Mill. | Mk. |
1869–70: | 24326 | „ | „ | 22014 | „ | „ | 46340 | „ | „ |
1872–73: | 31088 | „ | „ | 26677 | „ | „ | 57765 | „ | „ |
1874–75: | 29006 | „ | „ | 25793 | „ | „ | 54799 | „ | „ |
1876: | 29868 | „ | „ | 25939 | „ | „ | 55807 | „ | „ |
1877: | 29457 | „ | „ | 27108 | „ | „ | 56565 | „ | „ |
1878: | 30173 | „ | „ | 27188 | „ | „ | 57361 | „ | „ |
1879: | 31425 | „ | „ | 27099 | „ | „ | 58524 | „ | „ |
1880: | 34262 | „ | „ | 29561 | „ | „ | 63823 | „ | „ |
1881: | 34178 | „ | „ | 30214 | „ | „ | 64392 | „ | „ |
1882: | 35933 | „ | „ | 31193 | „ | „ | 67127 | „ | „ |
1883: | 36232 | „ | „ | 31565 | „ | „ | 67797 | „ | „ |
1884: | 34539 | „ | „ | 30434 | „ | „ | 64973 | „ | „ |
Zwar sind diese Summen auf den Spezialhandel basiert, soweit derselbe aus den Handelsausweisen ersichtlich ist; sie vermeiden also den Irrtum wiederholter Einrechnungen der Warenumsätze, wie sie im eigentlichen Zwischenhandel und bloßen Transit bewerkstelligt werden. Trotzdem ist es unvermeidlich, daß die nämliche Ware in den verschiedenen Staaten mehrmals als Handelsgut aufgeführt wird. Abgesehen davon, hat man die Gesamtsummen der Welthandelswerte mindestens auf die Hälfte zu reduzieren, um den wirklichen Wert der nachweisbar in den Außenhandel gelangten Warenmenge annähernd zu kennen, weil eine und dieselbe Ware in diesen Übersichten mindestens zweimal angerechnet wird: in der Ausfuhr des einen und in der Einfuhr des andern Landes. Immerhin bleibt doch die Thatsache erweisbar, daß die Welthandelsumsätze seit 20 Jahren um mehr als 80 Proz. und seit 10 Jahren um nahezu 25 Proz. zugenommen haben. Die größte sprungweise Zunahme [74] fällt in die fünf Jahre 1869–73; sie hängt mit der 1871 und 1872 fast bei allen Massengütern erfolgten Überproduktion und der enormen gleichzeitigen Hebung der meisten Güterpreise auf dem Weltmarkt zusammen und war eine der Ursachen der 1873er Krise. Die nachher eingetretenen Schwankungen hängen zumeist mit der Erniedrigung der Preise der wichtigsten Waren zusammen, beweisen aber, daß seit 1880 wieder ein regeres Leben in der Weltwirtschaft herrscht. Die Zunahme der Umsätze, welche durch das Sinken der Preise teilweise verschleiert wird, ist besonders in den Jahren 1880–83 eine sehr namhafte gewesen; erst die beiden letzten Jahre, 1884 und 1885 (für letzteres liegen heute noch keine umfassenden statistischen Nachweise aus allen Ländern vor), bekunden einen abermaligen bedeutenden Rückschlag.
Um die Gesamtsumme unsrer Aufstellung für die letzte Zeit zu erklären, geben wir folgende Übersicht, in welche nur der Warenhandel eingesetzt, jener mit Edelmetallen aber bloß dort mitgerechnet wurde, wo Gold und Silber in der Ausfuhr den Charakter eines Landesprodukts haben. Dabei ist die Umrechnung in die deutsche Goldwährung unter Annahme der Valutaparität (also z. B. 1 Gulden österreich. Währ. = 2 Mk., 1 Doll. = 4,20 Mk. etc.) vorgenommen worden.
Länder | Einfuhr | Ausfuhr | Gesamter Außenhandel |
I. Europa. | Mill. Mk. | Mill. Mk. | Mill. Mk. |
England | 7800,4 | 4660,5 | 12460,9 |
Deutschland | 3260,1 | 3203,5 | 6463,6 |
Frankreich | 3474,8 | 2584,6 | 6059,4 |
Rußland | 1719,2 | 1866,0 | 3585,2 |
Niederlande | 1918,4 | 1430,1 | 3348,5 |
Österreich-Ungarn | 1225,2 | 1383,0 | 2608,2 |
Belgien | 1140,6 | 1070,0 | 2210,6 |
Italien | 1054,9 | 852,4 | 1907,3 |
Schweiz | 595,4 | 556,2 | 1151,6 |
Spanien | 623,7 | 495,3 | 1119,0 |
Schweden | 363,3 | 268,4 | 631,7 |
Türkei | 355,6 | 223,0 | 578,6 |
Dänemark | 308,6 | 200,7 | 509,3 |
Rumänien | 236,0 | 147,3 | 383,3 |
Norwegen | 178,7 | 126,2 | 304,9 |
Portugal | 146,4 | 117,0 | 263,4 |
Finnland (1882) | 133,6 | 95,9 | 229,5 |
Griechenland (1883) | 109,0 | 74,2 | 183,2 |
Bulgarien | 37,1 | 39,1 | 76,2 |
Serbien | 40,9 | 31,0 | 71,9 |
Zusammen: | 24721,9 | 19424,4 | 44146,3 |
II. Amerika. | |||
Vereinigte Staaten | 2642,8 | 3147,1 | 5789,9 |
Britisch-Nordamerika | 502,9 | 394,0 | 896,9 |
Brasilien | 437,0 | 455,4 | 892,4 |
Argentinische Republik | 380,9 | 275,5 | 656,4 |
Cuba (1878) | 193,7 | 355,0 | 548,7 |
Chile | 211,6 | 272,2 | 483,8 |
Mexiko | 142,8 | 196,1 | 338,9 |
Peru (1878) | 117,6 | 188,0 | 305,6 |
Britisch-Westindien | 113,1 | 108,3 | 221,4 |
Uruguay | 103,3 | 104,2 | 207,5 |
Venezuela (1883) | 69,0 | 78,9 | 147,9 |
Zentralamerika | 58,8 | 86,8 | 145,6 |
Puerto Rico (1883) | 56,9 | 50,5 | 107,4 |
Kolumbien (1883) | 46,0 | 59,4 | 105,4 |
Französisch-Westindien | 37,2 | 50,5 | 87,7 |
Britisch-Guayana | 37,2 | 46,3 | 83,5 |
Bolivia ca. |
24,6 | 37,5 | 62,1 |
Französisch-Guayana (1883) | 25,7 | 27,6 | 53,3 |
Haïti (1883) | 17,0 | 29,4 | 46,4 |
Ecuador ca. |
25,0 | 19,7 | 44,7 |
St.-Pierre et Miquelon (1883) | 9,2 | 24,6 | 33,8 |
San Domingo | 10,4 | 10,9 | 21,3 |
Niederländisch-Westindien | 9,0 | 6,2 | 15,2 |
Paraguay | 5,3 | 6,6 | 11,9 |
Britisch-Honduras | 4,7 | 5,7 | 10,4 |
Bermudas | 5,7 | 1,8 | 7,5 |
Zusammen: | 5287,4 | 6038,2 | 11325,6 |
III. Asien. | |||
Britisch-Indien | 1062,9 | 1662,3 | 2725,2 |
China | 422,0 | 389,4 | 811,4 |
Straits Settlements | 339,1 | 289,9 | 629,0 |
Niederländ.-Ostindien (1883) | 235,6 | 343,0 | 578,6 |
Japan | 121,0 | 138,6 | 259,6 |
Persien | 100,0 | 58,0 | 158,0 |
Philippinen | 71,5 | 74,1 | 145,6 |
Ceylon | 81,5 | 62,8 | 144,3 |
Kochinchina | 50,4 | 56,9 | 107,3 |
Siam | 26,2 | 47,0 | 73,2 |
Französisch-Indien (1883) | 5,1 | 16,4 | 21,5 |
Labuan | 1,7 | 1,7 | 3,4 |
Zusammen: | 2517,0 | 3140,1 | 5657,1 |
IV. Australien. | |||
Neusüdwales | 456,5 | 365,0 | 821,5 |
Victoria | 384,0 | 321,0 | 705,0 |
Neuseeland | 153,3 | 141,8 | 295,1 |
Südaustralien | 115,0 | 132,5 | 247,5 |
Queensland | 127,6 | 93,5 | 221,1 |
Tasmania | 33,1 | 29,5 | 62,6 |
Hawai | 19,5 | 34,4 | 53,9 |
Westaustralien | 10,4 | 8,1 | 18,5 |
Fidschiinseln | 8,7 | 6,9 | 15,6 |
Neukaledonien (1883) | 6,9 | 3,2 | 10,1 |
Tahiti | 3,3 | 3,0 | 6,3 |
Samoainseln | 1,3 | 1,0 | 2,3 |
Zusammen: | 1319,6 | 1139,9 | 2459,5 |
V. Afrika. | |||
Ägypten | 185,1 | 262,4 | 447,5 |
Algerien | 173,8 | 123,2 | 297,0 |
Kapland | 105,0 | 82,8 | 187,8 |
Mauritius | 55,2 | 77,0 | 132,2 |
Natal | 33,5 | 18,8 | 52,3 |
Tunis | 23,6 | 15,7 | 39,3 |
Marokko | 18,3 | 17,4 | 35,7 |
Réunion (1883) | 19,4 | 12,6 | 32,0 |
Französisch-Senegal (1883) | 14,0 | 17,5 | 31,5 |
Sansibar (1883) | 14,2 | 17,4 | 31,6 |
Lagos (Guinea) | 10,0 | 13,4 | 23,4 |
Goldküste | 9,2 | 7,9 | 17,1 |
Tripolis | 9,4 | 6,2 | 15,6 |
Sierra Leone | 8,6 | 6,8 | 15,4 |
Portugiesische Kolonien (1882) | 6,7 | 4,8 | 11,5 |
Gambia | 4,0 | 3,7 | 7,7 |
Mayotte und Nossi Bé (1883) | 2,5 | 3,7 | 6,2 |
Zusammen: | 692,5 | 691,3 | 1383,8 |
Welthandel im ganzen: | 34538,7 | 30433,9 | 64972,6 |
Man sieht aus diesen Zahlen zugleich das ungeheure Übergewicht Europas gegenüber den andern Erdteilen, sodann innerhalb Europas wieder die wirtschaftliche Machtstellung von Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Rußland, Österreich, Holland, Belgien und Italien.
In erster Linie ist Großbritannien zu nennen. Die Gesamtumsätze haben 1863 bereits 445,9 Mill. Pfd. Sterl. betragen, sind bis 1873 auf 682,3 Mill. Pfd. Sterl. gestiegen, seither allerdings in den Jahren 1878 und 1879 bis 614, resp. 612 Mill. Pfd. Sterl. zurückgegangen, haben aber in den Jahren 1882 und 1883 den Höhepunkt von 719,7, resp. 732,3 Mill. Pfd. [75] Sterl. erreicht. Die Erniedrigung der Warenpreise und der allgemeine Rückgang des Welthandels sowie die Einschränkung der Handelsthätigkeit Englands durch seine Rivalen in Europa und Amerika haben eine Verminderung des Wertes der Gesamtumsätze in den Jahren 1884 (686 Mill. Pfd. Sterl.) und 1885 (645 Mill. Pfd. Sterl.) veranlaßt. Der H. Großbritanniens erstreckt sich über den ganzen Erdball; den lebhaftesten Verkehr aber pflegt es mit den Vereinigten Staaten von Amerika, mit seinen Kolonien, besonders in Ostindien und Australien, dann mit Frankreich, Deutschland, Holland, Belgien, Rußland und endlich mit den ostasiatischen Ländern. Die Charakteristik der britischen Handelsbilanz liegt einerseits in der enormen Zufuhr von Nahrungs- und Genußmitteln aller Art, für welche das Land in manchen Jahren bis 180 Mill. Pfd. Sterl. ausgeben muß, ferner der Rohstoffe für seine Großindustrien: Baumwolle, Wolle, Seide, Holz und Metalle, und anderseits in der Ausfuhr von Fabrikaten der Textilindustrien, Eisen, Kohle, Maschinen und Chemikalien. Mit diesen Manufakten, unter denen die Textilerzeugnisse und jene der Eisen- und Stahlindustrie allein freilich in dem letzten Jahrzehnt immer 140–150 Mill. Pfd. Sterl. im Export bewerteten, muß der größte Teil des Defizits der Ernährungsbilanz gedeckt werden. Es ist daher die Besorgnis wohlbegründet, mit welcher die britischen Volkswirte jeder weitern Vermehrung der Nahrungsmittelzufuhr und jeder Stockung des Fabrikatenabsatzes, welcher durch den industriellen Aufschwung der Vereinigten Staaten von Nordamerika bedroht wird, entgegensehen. Ein Ersatz muß mit der Zeit in Ostasien und Afrika gesucht werden.
Für das Deutsche Reich lassen sich strenge Vergleiche der Handelswerte nicht hinter das Jahr 1872 zurückführen; die sorgfältigen statistischen Nachweise der abgelaufenen 14 Jahre zeigen, daß der Wert des besondern Warenverkehrs von 5957 Mill. Mk. im J. 1872 auf 6720 Mill. Mk. im J. 1873 gestiegen war, unter dem Einfluß der Krise eine wesentliche Einbuße erlitt, im J. 1883 mit 6626 Mill. Mk. wieder einen Höhepunkt erreicht hat und wegen der sinkenden Preise im J. 1885 neuerdings auf 5905 Mill. Mk. zurückging. Dagegen haben die Mengen der ein- und ausgeführten Waren in demselben Zeitraum stetig und rasch zugenommen; die Menge der Waren betrug im J. 1872 im Spezialhandel, Ein- und Ausfuhr zusammengerechnet, nur 23,4 Mill. Ton., im J. 1885 aber bereits 36,7 Mill. T.; noch größer ist die Zunahme im Generalhandel, welcher von 25,3 Mill. T. im J. 1872 auf 42,7 Mill. T. im J. 1884 gestiegen ist, woraus die große Beteiligung Deutschlands am Zwischenhandel zu entnehmen ist. Die lebhaftesten Verkehrsbeziehungen unterhält es mit Österreich-Ungarn (nahezu 25 Proz. der Gesamtumsätze), den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Rußland; der überseeische H. ist nur zum geringsten Teil direkt nachgewiesen, indem er sich meist über die Zollausschlüsse bewegt. Die wichtigsten Gegenstände der Einfuhr sind: Getreide und Mahlfabrikate, Tiere und Genußmittel, Textilstoffe, Bau- und Nutzholz, Häute und Felle, Harze, Fette, Öle etc., jene der Ausfuhr: Textilwaren, Droguen und Chemikalien, Kohlen, Zucker, Glas- und Thonwaren, Lederwaren, Eisen- u. Stahlwaren, Maschinen, Papier etc.
Auch der Außenhandel von Frankreich hat seit dem Krieg trotz der Schmälerung des Territorialbesitzes, der Einwirkungen der europäischen Krisis von 1873 und der lokalen Börsenkrisis von 1882 bedeutend zugenommen. Die Gesamtumsätze (Einfuhr und Ausfuhr des Spezialhandels) stiegen von 6228 Mill. Frank in 1869 auf 7409 Mill. Fr. in 1875; dann folgte ein kleiner Rückschlag, die Totalsumme von 1878 war wieder 7356 Mill. Fr., also um mehr als eine Milliarde höher als vor zehn Jahren, und in dem günstigsten Jahr, 1881, erreichte sie sogar 8425 Mill. Fr.; sie erniedrigte sich neuestens (1885) wegen der Preissenkung wieder auf 7400 Mill. Fr. Die intensivsten Verkehrsbeziehungen bestehen, wie es die geographische Lage der beiden Staaten mit sich bringt, zwischen Frankreich und England; auf diesen Verkehr entfallen rund 20 Proz. des gesamten Handels; nach England folgen: Belgien, Deutschland, Italien, Spanien, die Vereinigten Staaten, Algerien, Britisch-Indien und Rußland. Auch Frankreich ist in seiner Ernährungsbilanz auf die Deckung eines Defizits durch den Außenhandel angewiesen und hat ebenso eine bedeutende Zufuhr von Roh- und Hilfsstoffen der Industrie notwendig; dagegen stehen seine Großindustrien und Kunstgewerbe auf einem Höhepunkt, auf welchem der stete Mehrexport von Fabrikaten zur Bezahlung dieser Differenz gesichert ist. Infolgedessen sind in der Einfuhr die wichtigsten Waren: Getreide und Mehl, Rohwolle, Seide, Tiere und Fleisch, Baumwolle, Häute und Felle und Steinkohle; in der Ausfuhr folgen der Reihe nach: Wollenstoffe, Seidenstoffe, Wein, Lederwaren, Holzgalanterie- und Drechslerwaren, Seide und raffinierter Zucker.
Unter den übrigen Staaten hat Rußland in den beiden letzten Jahrzehnten eine große Erweiterung der Handelsthätigkeit durch die Entwickelung seiner Verkehrsanstalten erreicht; der H. mit Europa charakterisiert sich vornehmlich durch die Ausfuhr von Massengütern der Urproduktion: Getreide, Holz, Vieh, Pelzwerk, andre animalische Produkte, Eisen, Kupfer, der H. mit Asien durch die Einfuhr von Thee, Seide und Erzeugnissen der Hausindustrien. Die Pflege des Seehandels am Schwarzen und Asowschen Meer und die Herstellung von Überlandwegen nach Persien, Indien und China charakterisieren den Anteil Rußlands am Welthandel mehr als sein westeuropäischer Landverkehr oder die Thätigkeit der Ostseehäfen.
In Österreich-Ungarn hat ebenfalls infolge der Entwickelung von Verkehr, Landwirtschaft und Industrie der Außenhandel seit 1865 einen erfreulichen Aufschwung genommen. Von 1863 bis 1882 hat sich der Gesamthandel von 545,4 Mill. Gulden auf 1436,2 Mill. Guld. gehoben und trotz sinkender Preise sich auch im J. 1884 auf der Höhe von 1304 Mill. Guld. erhalten. Den hauptsächlichsten Anteil an den steigenden Mehrausfuhren nehmen die Erzeugnisse der Bodenproduktion und Viehzucht, aus deren Erlös Österreich-Ungarn seinen Bedarf an den im Land selbst noch nicht genügend erzeugten Genußmitteln und Fabrikaten deckt. Die wichtigsten Artikel der Ausfuhr bilden: Cerealien, Mehl und Mahlfabrikate, gewisse Webwaren, Holz, Tiere, Instrumente, Galanteriewaren, Leder, Glas und Thonwaren; die wichtigsten Artikel der Einfuhr: Web- und Wirkstoffe, Web- und Wirkwaren, Kolonialwaren und Südfrüchte, chemische Produkte und Garne.
An den folgenden Stellen unter den europäischen Staaten stehen mit Bezug auf die Höhe der Wertumsätze: die Niederlande, Belgien und Italien. Der niederländische H. geht seit 20 Jahren stetig, obgleich nicht rasch, in der Entwickelung vorwärts; sein Hauptstützpunkt liegt in den ostindischen Kolonien, für deren Produkte die holländischen Hafenplätze ein natürliches und durch die Verwaltungspolitik geschütztes Monopol besitzen; ebenso nimmt Belgien, [76] dessen wirtschaftliche Macht eigentlich in Bergbau und Industrie ruht, einen wachsenden Anteil am Welthandel, der durch Antwerpen vermittelt wird; kein zweiter europäischer Hafen hat einen so raschen Aufschwung genommen wie dieser. Italien endlich hat seit seiner politischen Einigung die erfolgreichsten Anstrengungen gemacht, um sich auch auf materiellem Gebiet zu kräftigen, und hat durch die Pflege seiner Handelsmarine und Hafenplätze seine Teilnahme am Welthandel wesentlich erhöht; von 1557 Mill. Lire im J. 1864 stieg der Gesamtumsatz auf 2709 Mill. Lire im J. 1885. (Von den übrigen europäischen Staaten ist in den betreffenden Artikeln das Wesentlichste zu finden.)
Wenngleich nahezu zwei Dritteile sämtlicher Umsätze des Welthandels auf Europa allein entfallen, so wächst doch zusehends die Macht der übrigen Kontinente. Die größte Bedeutung für den Welthandel haben neuestens die Vereinigten Staaten von Amerika gewonnen. Zwar ist der Außenhandel noch zumeist in den Händen der europäischen Staaten, deren Schiffe und deren Unternehmer denselben leiten; allein schon beginnt der kommerzielle Geist, welcher die großartigsten Einrichtungen für den Verkehr und H. im Innern geschaffen hat, sich desselben zu bemächtigen. Die rasche Entwickelung der Bodenkultur und Viehzucht, vieler metallurgischer und Textilindustrien hat die Handelsumsätze seit 20 Jahren erstaunlich gehoben; der Anteil, welchen die Union an der Lebensmittelversorgung Europas in dieser Periode errungen hat, die regelmäßige Zufuhr von Rohstoffen der Weltindustrien, von Genußmitteln (besonders Tabak) haben es bewirkt, daß die Gesamtumsätze, welche im J. 1865 nur 404,8 Mill. Doll. betrugen, im J. 1883 auf 1547 Mill. Doll. angelangt waren. Die Union hat die lebhaftesten Handelsbeziehungen mit den europäischen Staaten und zwar hier wieder mit Großbritannien, dann Deutschland, Frankreich und Belgien; auf dem amerikanischen Kontinent selbst steht die Union mit Kanada, Brasilien, Cuba, Mexiko und den westindischen Inseln im regsten Gütertausch; ihr H. mit Asien und Australien endlich hat in den direkten Verkehrslinien nach China, Japan, Hawai, Britisch-Ostindien und den britischen Kolonien in Australien eine nicht geringe Wichtigkeit. Die wichtigsten Ausfuhrgegenstände sind: Baumwolle, Weizen, Mais und Mehl, Vieh und Fleisch, Tabak, Petroleum, Holzwaren, Eisen- und Stahlwaren u. andre Industrieprodukte. Die größten, übrigens an spezifischer Bedeutung abnehmenden Artikel der Einfuhr bilden: Zucker, Wolle, Seide, Kaffee, Eisen- und Stahlwaren, Chemikalien, Baumwollfabrikate. Neben den Vereinigten Staaten haben im Norden Kanada, im Süden Brasilien und die Argentinische Republik die größte kommerzielle Zukunft; auch die westindischen Inseln, vor allen Cuba, erscheinen mit großen Beträgen im Welthandel; die kommerzielle Thätigkeit liegt jedoch ganz in den Händen der Europäer.
In Asien nahm der H. von Britisch-Ostindien den gewaltigsten Aufschwung. Dieser, früher Monopol der Englisch-Ostindischen Kompanie, ist heute allen Nationen freigegeben. Es siedelten sich an den Hauptplätzen zahlreiche Kommanditen europäischer Häuser an; europäische Flaggen fingen an, in den ostindischen Gewässern zu dominieren. Der Verkehr bewegt sich zwar zur Zeit noch vorwiegend auf dem ozeanischen Weg; jedoch hat der kürzere Weg durch den Suezkanal in den letzten Jahren eine so große Beachtung gefunden, daß schon alle wertvollern Warenkategorien auf demselben nach Europa gelangen. Der lebhafteste H. mit Ostindien wird natürlich von Großbritannien selbst betrieben, indessen wächst jetzt zusehends der Anteil des Verkehrs mit Frankreich, Italien, Belgien, Österreich, den Vereinigten Staaten und in Asien selbst mit China. Ebenso ist China durch die Vertragshäfen dem europäischen H., vornehmlich demjenigen von Großbritannien, in den drei letzten Dezennien mehr zugänglich geworden, als es in frühern Jahrhunderten gelungen war, und es ist die Zeit wahrscheinlich nicht mehr fern, in welcher auf diesem kolossalen Gebiet mit seinen gewaltigen Volksmassen die Verkehrsmittel des Abendlandes eingeführt werden und die Erschließung des Innern gelingen wird. Japan, dessen H. bis zum Jahr 1868 unbedeutend war, ist infolge der innern politischen Reformen rasch in den Welthandel eingetreten und hat aktiv an den internationalen wirtschaftlichen Beziehungen Anteil zu nehmen begonnen.
Afrikas Handelszustände haben sich in der Gegenwart wenig geändert, obwohl die Keime eines künftigen Umschwunges in der großen Energie der Durchforschung dieses Erdteils und der Kolonisation der Küstengebiete gelegt wurden. Der ganze ägyptische H. ruht in den Händen des Vizekönigs, der sich bemüht, unter Heranziehung der europäischen Intelligenz sowie teilweise unter internationaler Kontrolle die Hilfsquellen seines Landes aufzuschließen und die große Schuldenlast des Landes zu verzinsen. Die Hoffnung, welche Algerien als französische Kolonie anregte, ist bisher nicht in Erfüllung gegangen. Der H. zwischen der ganzen afrikanischen Nordküste ist unbedeutend und reicht nicht über die Gestade des Mittelmeers und des Bosporus hinaus. An der westlichen Küste sind zu den Etablissements der Engländer, Franzosen, Portugiesen, Holländer, Dänen und Amerikaner neuerdings jene der Deutschen hinzugekommen, und im Süden besitzt die englische Kapkolonie zwar nicht mehr die frühere Bedeutung für den Zwischenhandel mit Ostindien und Europa, erweitert jedoch ihre Produktion und dadurch ihre Ausfuhr.
In Australien endlich nehmen unter den britischen Kolonien außer Victoria in neuerer Zeit Neusüdwales und Neuseeland einen wachsenden Anteil am Welthandel, indem der reiche Viehstapel dieser Kolonien zu großem Austausch von tierischen Produkten, besonders Wolle und Fleisch, führt; von den übrigen polynesischen Inseln sind Hawai und die Fidschiinseln durch die Zuckerproduktion in engern Verkehr mit Amerika und Europa gebracht worden.
Die Richtung, in welcher man die Äußerungen der Welthandelsmacht in fernerer Zukunft zu suchen hat, dürfte nach allen Symptomen an den vom Atlantischen Ozean beherrschten Erdräumen des nordwestlichen Europa und des östlichen Amerika liegen. Wie das Gravitationszentrum des Welthandels nach der auf den vorigen Seiten gegebenen geschichtlichen Darstellung von den Phönikern auf Griechenland und Karthago, von dort auf die Araber und die italienischen Republiken, dann auf die Hansa, die Niederländer und schließlich auf Großbritannien übertragen wurde, so wird es auch hier nicht stillstehen, sondern scheint bereits in merklicher Verschiebung begriffen.
[Litteratur.] Über die Geschichte des Handels vgl. Heeren, Ideen über die Politik, den Verkehr und H. der vornehmsten Völker der Alten Welt (4. Aufl., Götting. 1824–26, 6 Bde.); Hüllmann, Handelsgeschichte der Griechen (Bonn 1839); Richter, H. und Verkehr der wichtigsten Völker des Mittelmeers im Altertum (Leipz. 1886); Joh. Falke, Geschichte des deutschen Handels (das. 1859–60, 2 Bde.); Kiesselbach, Der Gang des Welthandels etc. im Mittelalter [77] (Stuttg. 1860); Scherer, Allgemeine Geschichte des Welthandels (Leipz. 1852–53, 2 Bde.); Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelalter (Stuttg. 1879, 2 Bde.); Mc. Cullagh, Industrial history of free nations (Lond. 1846, 2 Bde.); Ad. Beer, Allgemeine Geschichte des Welthandels (Wien 1860–84, 5 Bde.); Leone Levi, History of British commerce (Lond. 1872, 2. Aufl. 1880). Über Geographie und Statistik des Handels vgl. Karl Andree, Geographie des Welthandels (Stuttg. 1877–79, 3 Bde.); v. Neumann-Spallart, Übersichten der Weltwirtschaft (das. 1878–86, jährlich); v. Scherzer, Das wirtschaftliche Leben der Völker (Leipz. 1885). Fortlaufende Nachweise im „Gothaischen genealogischen Taschenbuch“, „Annuaire de l’économie politique et de la statistique“, „The statesman’s yearbook“; dann im offiziellen „Deutschen Handelsarchiv“, den Konsularberichten der verschiedenen Staaten, den „Statistical abstracts“. Den Interessen des Welthandels dient auch die Wochenschrift „Export“, Organ des Zentralvereins für Handelsgeographie (Berl., seit 1878).
[391] Handel, vor- und frühgeschichtlicher. Schon während der ältern Steinzeit haben die Bewohner verschiedener Länder miteinander Handelsbeziehungen unterhalten, wobei das zur Herstellung der Steingeräte dienende Material sowie gewisse als Schmuck beliebte Gegenstände (Muscheln, Bergkristall, Korallen etc.) das Handels-, bez. Tauschobjekt bildeten. Die in den Pfahlbauten der Schweiz aufgefundene rote Koralle des Mittelmeers und die daselbst nachgewiesenen Reste der Silene cretica (eines heutzutage [392] in der Schweiz nicht vorkommenden südeuropäischen Unkrauts) deuten auf einen zwischen der Schweiz und Südeuropa bestehenden uralten Handelsverkehr. Daß durch den vorgeschichtlichen H. Europa mit den Gebieten des Orients in Verbindung getreten ist, wird dadurch bezeugt, daß in einem vorgeschichtlichen Grabe bei Rügenwalde (Pommern) die Kaurimuschel des Indischen Ozeans aufgefunden wurde. Zur Herstellung ausgedehnter Handelsbeziehungen hat in der jüngern Steinzeit das seltene Vorkommen gewisser durch Zweckmäßigkeit oder Schönheit sich auszeichnender, zur Herstellung der neolithischen Geräte dienender Materialien, wie z. B. des Obsidians, Nephrits und Jadeïts, eine besondere Veranlassung gegeben. Ein überaus wichtiges Zentrum für den vorgeschichtlichen Handel bildeten auch jene Werkstätten von Feuersteingeräten, wie sie z. B. auf der Insel Rügen in beträchtlicher Zahl existiert haben. An die Stelle des Handels mit Steingeräten tritt später der H. mit den Erzeugnissen der Metall-, insbesondere der Bronzeindustrie, die zuerst von den asiatischen Kulturzentren den europäischen Mittelmeerländern und später von letztern aus dem Norden Europas zugeführt wurden. Von vielen Gelehrten wird angenommen, daß die Bronze außerdem noch auf einer zweiten, nördlich vom Schwarzen Meere nach Westen führenden Handelsstraße von Asien nach Mittel- und Nordeuropa gelangt sei. Während bei dem zwischen den Euphratländern, Kleinasien, Syrien und Ägypten in vor- und frühgeschichtlicher Zeit unterhaltenen H. die Hethiter (Cheta) wahrscheinlich eine wichtige Rolle gespielt haben, befand sich der zwischen Westasien und Ägypten einerseits und den europäischen Mittelmeerländern anderseits betriebene H. Jahrhunderte hindurch in den Händen der Phöniker. Während die in Cornwallis (England) geschürften Zinnerze, bez. das aus denselben gewonnene Metall ursprünglich wohl auf dem Landweg von der vorgeschichtlichen Bevölkerung Galliens nach den Mündungen des Rhodanus (Rhône) und des Eridanus (Po) transportiert und dort von phönikischen Händlern in Empfang genommen wurde, gelang es den Phönikern später, vom Mittelmeer aus die Zinninseln (Britischen Inseln) auf dem Seeweg zu erreichen und somit den Zinnhandel in neue Bahnen zu lenken. Erst infolge des Verfalles Phönikiens und der phönikischen Kolonien ging dieser H. allmählich in die Hände der Griechen, zunächst jener phokäischen Griechen, die an der Rhônemündung Massilia (Marseille) gegründet hatten, über. Eine wichtige Rolle hat im vor- und frühgeschichtlichen H. auch der Bernstein gespielt, der von den auf dem Landweg bis an die Ostseeküste vordringenden griechischen und römischen Händlern gegen die Erzeugnisse der südeuropäischen Metallindustrie eingetauscht wurde. Bezüglich der Phöniker lassen die Forschungen Müllenhoffs es zweifelhaft erscheinen, ob dieselben jemals an die Ostseeküste gelangt sind. Dagegen ist von jenen Kolonien, welche kleinasiatische Griechen aus Miletos um 600 v. Chr. an den Nordufern des Schwarzen Meeres gegründet hatten, ein lebhafter Verkehr mit dem Norden unterhalten worden. Münzfunde deuten darauf hin, daß in jener Zeit die Verkehrsstraße westlich von Klausenburg in das Theißgebiet und sodann in die Gegend von Ofen führte, um von hier nördlich über die Tatra in das Weichselgebiet überzugehen. Daß schon vor der Gründung der griechischen Kolonien am Pontus Euxinus Handelsbeziehungen zwischen den Ländern am Schwarzen Meere, bez. Kleinasien und den baltischen Gebieten bestanden haben, wird wahrscheinlich gemacht durch die Übereinstimmung, welche die pomerellischen Gesichtsurnen mit gewissen von Schliemann in Hissarlyk ausgegrabenen Urnen aufweisen. Die von Italien, bez. den Mittelmeerländern nach den baltischen Küsten und speziell zum bernsteinreichen Samland führende vorgeschichtliche Handelsstraße hat nach Virchow von Griechenland oder Italien her durch das spätere Noricum (Steiermark) und Carnuntum (Kärnten) nach der Oder und durch das Oderthal bis zur Ostsee geführt. Auch beweisen arabische und kufische Münzen, die auf einer Anhöhe unweit dem ehemals durch seinen H. hochberühmten Wollin (Julin) aufgefunden wurden, daß im ersten nachchristlichen Jahrtausend aus dem östlich vom Kaspischen Meere gelegenen Ländern Handelsartikel nach den Ostseeküsten gelangten, und ebenso bezeugt der berühmte Goldfund von Vettersfelde, daß gelegentlich auch Kunsterzeugnisse vom Schwarzen Meere nach den besagten Gebieten gelangten. Der vor- und frühgeschichtliche H. ist vorwiegend ein Tauschhandel gewesen, doch wurden in den ältern Abschnitten der Prähistorie wohl auch Muscheln, in der spätern vorgeschichtlichen sowie in frühgeschichtlicher Zeit vielfach die unter dem Namen der „Regenbogenschüsselein“ bekannten Goldmünzen sowie das „Hacksilber“ (s. Silberfunde, Bd. 14) als Zahlungsmittel benutzt. Vgl. auch den geschichtlichen Artikel Straßen.