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MKL1888:Handel Deutschlands

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Handel Deutschlands“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 392394
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Handel Deutschlands. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 392–394. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Handel_Deutschlands (Version vom 14.03.2025)

[392] Handel Deutschlands. Der unverkennbare Aufschwung, den Deutschlands Handel seit der deutschen Wirtschaftsreform im J. 1879 genommen hat, hat bis zur Gegenwart (Anfang 1891) angehalten. Ist derselbe in jüngster Zeit auch schwieriger geworden, ist insbesondere in vielen Zweigen der Umsatz nur mit allen Kräften bei niedrigen Preisen und geringerm Nutzen zu erzielen gewesen, so ist doch das Gesamtbild ein freundliches. Wie aus der gegenüberstehenden, den „Monatsheften zur Statistik des Deutschen Reichs“ entnommenen Tabelle über die Handelsbewegung in den Jahren 1886–89 ersichtlich ist, zeigt die Einfuhr eine stete Steigerung, in geringerm Maße (abgesehen vom Jahre 1889) auch die Ausfuhr. Der Hauptanteil der Steigerung der Einfuhr fällt auf Rohstoffe, Nahrungsmittel und Halbfabrikate; unter Berücksichtigung dieses und andrer erläuternder Umstände ergibt sich eine Steigerung der Kaufkraft Deutschlands. Durch dieselbe erklärt sich auch zu einem Teile die nicht in demselben Verhältnis wachsende Zunahme der Ausfuhr, wiewohl nicht verkannt werden darf, daß in den letzten Jahren eine Vernachlässigung des ausländischen Marktes durch die deutsche Industrie in die Erscheinung getreten ist.

Für die Zahlengruppierung speziell des Jahres 1889, in welcher sich eine Unterbilanz (d. h. Überwiegen der Einfuhr über die Ausfuhr) von 830,639,000 Mk. ergibt (seit der Wirtschaftsreform wurden 6 Überbilanzen und nur in den Jahren 1884, 1885 und 1888: 3 verhältnismäßig sehr kleine Unterbilanzen erzielt, während die zurückliegenden Jahre vor jener nur, und zwar ganz bedeutende Unterbilanzen darboten), ist zu berücksichtigen, daß am 15. Okt. 1888 Hamburg und Bremen sowie einige preußische und oldenburgische Gebietsteile mit einer höchst konsumfähigen Bevölkerung von rund 800,000 Köpfen dem deutschen Zollgebiet angeschlossen worden sind. Speziell in der Ausfuhr beeinflußte diese Territorialveränderung des Zollgebiets den Warenverkehr desselben. Auf der andern Seite kamen mit den vormaligen Zollausschlüssen große Mengen zollpflichtiger Waren ins Zollgebiet.

[393] [Hier folgt in der Vorlage die Tabelle, siehe unten.]

Außerhalb des deutschen Zollgebiets befinden sich nur noch kleine Teile der badischen Kreise Konstanz und Waldshut, das Freihafengebiet zu Hamburg, die Hafenanlagen zu Bremerhaven und Geestemünde, zu Kuxhaven und neuerdings (seit Sommer 1890) das an Deutschland abgetretene Helgoland.

Im Vergleich mit andern Handelsstaaten erscheint Deutschland, wenn man vom Jahre 1889 absieht, günstiger situiert; für 1889 zeigen allerdings die andern Staaten Überbilanzen (England 284, Frankreich 89, Belgien 198, die Schweiz 39 Mill. Mk.).

In der Ausfuhr nehmen dem Werte nach von den Industrieartikeln die Textilfabrikate bei weitem die wichtigste Stelle ein; Hauptabnehmer (die Zollausschlüsse, insbesondere Hamburg und Bremen, welche seiner Zeit noch vorhanden waren, sind nicht als Hauptabnehmer mitgenannt worden) sind Großbritannien, Vereinigte Staaten, Niederlande, Frankreich, Schweiz, Skandinavien etc. Es folgen Gegenstände der Metallindustrie (unter Ausschluß von Roheisen und Edelmetallen), insbesondere Draht, welchen die Vereinigten Staaten, die englischen Kolonien, Argentinien abnehmen. An dritter Stelle erscheint die chemische Industrie, welche ihren Hauptabsatz nach England, den Vereinigten Staaten, Holland, Rußland und Österreich findet; hiernächst die Leder- und Rauchwarenindustrie mit England, Holland und den Vereinigten Staaten als Hauptabsatzgebieten; dann die Gruppe Kurzwaren und Schmuck, welche nach England, Österreich, Frankreich, Schweiz, Italien, Rußland, Brasilien, Argentinien sowie den Vereinigten Staaten vorzugsweise absetzt. Außer diesen fünf hat kein (einheitlicher) Industriezweig seit 1872 den Jahresausfuhrwert von 100 Mill. Mk. überschritten. Hauptsächlich zwei Gebiete haben in den Jahren 1880–87 deutschen Industrieprodukten vermehrten Absatz gebracht: die Vereinigten Staaten und England; ein drittes Gebiet bildet Südamerika (La Plata-Staaten). Dagegen ging die Ausfuhr zurück nach Rußland, Österreich und Frankreich. An der Zunahme hatten wesentlichen Anteil: wollene und halbseidene Zeugwaren, baumwollene und wollene Wirkwaren, baumwollene Spitzen und Stickereien und baumwollene Posamente, Kleider; Zink, Eisendraht und Drahtstifte, Eisen- und Stahlwaren und Waren aus andern Metallen als Eisen; Pianofortes und andre musikalische Instrumente; Palm- und Kokosnußöl, Gelatine und Leim, Stärkegummi, Produkte der Sodaindustrie, Schwefelsäure und schwefelsaures Natron, [394] Alaun, Teerfarben, bis 1885 Schießpulver u. Sprengstoffe; Lederhandschuhe und andre feine Lederwaren; feine Holzwaren, ungepolsterte Möbel, Bürstenbinderwaren; gemeines Hohlglas, Fensterglas, Porzellan; Holzstoff, Papier, Tapeten, Papier- und Pappwaren; Bücher etc. Rückgang oder Stillstand zeigt sich nur bei leinenen Zeugwaren, wollenen und seidenen Posamenten; Kupfer, Blei, Zinn, Brucheisen, Eisenbahnschienen, Maschinen (seit 1883); Rüböl, Seifen, Ultramarin, Alizarin; Sohlleder; Tischler-, Böttcher- etc. Waren; Korkwaren; Wachstuch. In den Jahren 1888 und 1889 hat sich das Bild etwas verschoben. Mit Hilfe der obigen Tabelle ist eine Orientierung nicht schwer. In der neuesten Zeit sind energische Bestrebungen, Australien als Absatzgebiet zu gewinnen, bemerkbar (vgl. M. F. Bahse, Der deutsche Geschäftsverkehr mit Australien, Leipz. 1890). Als wirksames Förderungsmittel des deutschen Verkehrs mit Ostasien und Australien haben sich die vom Reiche subventionierten Postdampfer bewährt.

Nachstehend geben wir eine Übersicht über die zollpolitischen Beziehungen Deutschlands zum Ausland („Deutsches Handelsarchiv“ 1890, S. 1):

I. Staaten mit Vertragszolltarifen, auf deren Anwendung Deutschland Anspruch hat, sind: Ägypten, Belgien, Bulgarien, China, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Japan, Korea, Niederlande, Österreich-Ungarn, Ostrumelien, Portugal, Rumänien, Schweden und Norwegen, Schweiz, Serbien, Siam, Spanien, Südafrikanische Republik, Türkei und Sansibar.

II. Staaten ohne Vertragstarife, in welchen Deutschland ein Recht auf Meistbegünstigung hat, sind: Argentinische Republik, Chile, Costarica, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Hawai, Honduras, Congo, Liberia, Madagaskar, Marokko, Mexiko, Paraguay, Persien, Salvador, Samoa und Vereinigte Staaten von Nordamerika.

III. Staaten (d. h. nur die wichtigern), in welchen Deutschland ein Recht auf Meistbegünstigung nicht hat, sind: Finnland, Rußland, Brasilien, Bolivia, Kolumbien, Haïti, Nicaragua, Peru, Uruguay und Venezuela.

IV. Staaten, welche in Deutschland die Rechte der Meistbegünstigung, also den Vertragszolltarif (welcher auf den Verträgen Deutschlands mit der Schweiz, Italien, Spanien und Griechenland beruht) genießen, sind: Chile, Costarica, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Griechenland, Großbritannien nebst Kolonien und auswärtigen Besitzungen, Guatemala, Hawai, Honduras, Italien, Korea, Liberia, Madagaskar, Mexiko, Niederlande nebst Kolonien, Rumänien, Salvador, Schweden und Norwegen, Sansibar, Schweiz, Serbien, Spanien nebst Kolonien, Südafrikanische Republik, Türkei, Vereinigte Staaten von Nordamerika.

Vgl. Diezmann, Deutschlands Warenhandel mit dem Ausland in den Jahren 1872–87 (Berl. 1888); „Die wirtschaftliche Bewegung von Handel und Industrie in Deutschland im Zeitraum von 1884–88“ (hrsg. vom Generalsekretariat des deutschen Handelstags; Berl. 1890, Bd. 1 u. 2).

[393]

Wert der Ein- und Ausfuhr Deutschlands 1886–89 (in 1000 Mark):
Warengattung Einfuhr Ausfuhr
1886 1887 1888 1889 1886 1887 1888 1889
01) Abfälle 34957 35747 47922 47617 11576 14732 17381 14929
02) Baumwolle und Baumwollwaren 289184 293903 282867 351266 221266 247021 229682 213295
03) Blei etc. 1307 2618 2767 3073 13897 13178 13485 12427
04) Bürstenbinderwaren etc. 1071 1151 2528 2644 3703 3705 10339 14005
05) Droguerie-, Apotheker-, Farbwaren 179039 188754 217183 242561 191268 205059 214901 235398
06) Eisen und Eisenwaren 23729 25398 29326 46949 198127 225362 235855 254248
07) Erden, Erze, edle Metalle etc. 140472 169642 267081 202829 104077 95845 193985 137010
08) Flachs etc. 70273 88316 96563 105468 33870 43382 48321 44597
09) Getreide etc. 286896 352741 338264 527700 61385 45742 60036 52962
10) Glas und Glaswaren 8075 9669 7827 8439 33794 37503 40704 36658
11) Haare von Pferden etc. 39596 39513 44979 44578 34338 29924 28692 25686
12) Häute und Felle 135393 120229 122086 135897 64805 52798 51732 65160
13) Holz etc. 118586 143048 162983 206120 103229 107609 107199 103903
14) Hopfen 3664 4632 5929 5126 31721 31503 33365 23022
15) Instrumente etc. 25790 28311 33147 38651 101003 107827 114282 124527
16) Kalender 78 82 112 109 134 134 150 157
17) Kautschuk etc. 22219 25377 28080 34118 23918 22695 23811 27767
18) Kleider etc. 8221 8090 8116 9018 107798 113199 115431 134246
19) Kupfer etc. 17973 20613 26456 46029 47710 50581 58833 51524
20) Kurze Waren etc. 21710 26081 29321 41267 85144 74703 77834 84176
21) Leder und Lederwaren 37364 42444 43151 45968 175793 188011 180719 168316
22) Leinengarne etc. 31906 27079 28142 30325 35841 31008 31005 33875
23) Lichte 475 449 271 253 1606 1466 1339 798
24) Litterarische Kunstgegenstände 23892 23842 26172 24663 61606 73362 71981 78718
25) Materialwaren etc. 402514 461291 450791 541200 314625 352115 325977 321860
26) Öl etc. 91074 91925 99226 133260 18272 19508 22975 19723
27) Papier und Pappwaren 7957 7209 7681 7673 80210 92894 91326 85915
28) Pelzwerk etc. 604 659 781 982 3893 4177 3603 3489
29) Petroleum 61664 67650 92404 90397 639 572 805 704
30) Seide und Seidenwaren 186456 178362 172390 208199 223089 237666 227251 244551
31) Seife und Parfümerien 2001 1992 1916 2216 7551 7979 7537 8922
32) Spielkarten 6 6 7 7 362 359 265 222
33) Steine und Steinwaren 30586 31801 36808 42626 19898 21309 22583 23183
34) Steinkohlen etc. 46709 49311 68364 92319 90180 92002 110674 112436
35) Stroh- und Bastwaren 6392 7228 8418 10496 5995 6728 7378 5252
36) Teer, Pech etc. 12243 13482 16675 19575 4477 4534 5500 7345
37) Tiere etc. 44953 58207 54548 65453 9494 9863 8781 5735
38) Thonwaren 3148 3991 5701 7129 32122 33973 35443 27667
39) Vieh 163449 153084 145985 170238 99781 88943 93769 30488
40) Wachstuch etc. 1620 1661 1311 1146 857 852 1064 933
41) Wolle und Wollwaren 386719 365163 400450 472022 357440 357074 382708 374460
42) Zink etc. 1492 1461 2321 3335 27054 29433 30640 33740
43) Zinn etc. 13873 16586 18827 18119 3987 4187 3874 3584
Generalsumme (einschließlich Anhang): 2944854 3188798 3435877 4087060 3051371 3190147 3352602 3256421


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 423425
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[423] Handel Deutschlands. Der deutsche Ausfuhrhandel hatte in den letzten Jahren mit sehr ungünstigen Verhältnissen zu kämpfen. Durch die 6. Okt. 1890 in den Vereinigten Staaten von Nordamerika in Kraft getretene Mac Kinley-Bill sollte unter dem Deckmantel einer zum Schutze der nationalen Arbeit ergriffenen, durch die Verhältnisse angeblich gebotenen wirtschaftlichen Maßnahme thatsächlich doch bloß eine Abschlagszahlung geleistet werden an jene Interessenkreise der Industriellen, welche das Zustandekommen der Windom-Bill ermöglicht und damit den sogen. Silberkönigen, den Besitzern der Silberminen, einen unschätzbaren Dienst geleistet hatten. Nachdem der Plan eines panamerikanischen Zollvereins vorläufig an dem Widerstande der südamerikanischen Regierungen Anfang 1890 gescheitert war, sollte mit der Mac Kinley-Bill doch wenigstens eine möglichst vollständige wirtschaftliche Abschließung der Unionsstaaten durch Ausschluß aller fremden Fabrikate von den dortigen Märkten erreicht werden. Zunächst wurde die deutsche Textilindustrie bedroht, deren wichtigstes Absatzgebiet Nordamerika bildet. Auf diesem wie auf allen geschäftlichen Gebieten entwickelte sich sofort eine fieberhafte Thätigkeit, um die bis zum Inkrafttreten der Bill noch übrigbleibende kurze Frist möglichst auszunutzen und gewaltige Massen aller Industrie-Erzeugnisse auf den amerikanischen Markt zu werfen. Die Folgen der genannten Bill haben sich schon jetzt sehr empfindlich fühlbar gemacht. Vielen deutschen Industrie-Erzeugnissen wird durch die hohen Zölle für längere Zeit der Eintritt in die Union gänzlich verwehrt sein, andre Waren werden durch schlechtere amerikanische ersetzt werden, diejenigen aber, welche nach wie vor wegen ungenügender Entwickelung der nordamerikanischen Industrie aus Europa bezogen werden müssen, werden infolge der Verteurung durch die hohen Zölle auf einen kleinern Kreis von Abnehmern als früher beschränkt bleiben. Erst allmählich können die Lücken sich finden lassen, durch welche deutsche Industriespezialitäten in größern Mengen eingeführt werden können. Auch der günstigste Erfolg der bevorstehenden Weltausstellung in Chicago dürfte an diesem Ergebnis nichts Wesentliches ändern. Und wenn auch in nächster Zeit eine Reihe bedeutender Fabriken in Amerika entstehen wird, um Artikel, welche bisher vom Ausland bezogen werden mußten, nunmehr im Lande selbst zu fabrizieren, so ist das Resultat der im November 1890 vollzogenen Wahlen doch wenig geeignet, die Unternehmungslust der Amerikaner in Bezug auf Anlage von größern Kapitalien in neuen Fabriken zu steigern. Zudem fängt man bereits an, mit der Wahrscheinlichkeit der Aufhebung der Mac Kinley-Bill zu rechnen, was die Errichtung industrieller Etablissements wenig begünstigt. Der Rückgang in unserm Verkehr nur der nordamerikanischen Union ist gegenwärtig unleugbar. Während noch für 1890 die beiden amerikanischen Generalkonsulate, für Norddeutschland in Berlin, für Süddeutschland in Frankfurt a. M., eine Zunahme der Ausfuhr nach der Union nachweisen konnten (nur in einigen Konsulardistrikten, insbesondere in Chemnitz, war eine Abnahme zu konstatieren), ist der Rückgang 1891 ein sehr beträchtlicher, wenngleich kein allgemeiner gewesen. So betrug die Ausfuhr aus den beiden genannten Generalkonsulatsbezirken:

  1890 1891 1891 weniger
Berlin 58808080 51245107 7562973 Doll.
Frankfurt a. M. 43133637 37386587 5747050
Zusammen: 101941717 88631694 13310023 Doll.

Mit Britisch-Nordamerika ist der Handel nicht unbeträchtlich; 1890 betrug die deutsche Einfuhr in Kanada 776,505, in Neufundland 3206 Pfd. Sterl., die Ausfuhr von dort nach Deutschland 204,207, bez. 6983 Pfd. Sterl. Verhältnismäßig günstig gestalteten sich die Märkte von Zentralamerika. Der Kredit Mexikos ist infolge der mehrjährigen Ruhe, welche das Land genießt, seitdem Porfirio Diaz das Staatsruder führt, beträchtlich gestiegen, und seine großen Reichtümer werden allmählich gewinnbringend erschlossen. Die politischen Verhältnisse in den übrigen zentralamerikanischen Staaten, Guatemala, Costarica u. a., sind zwar keineswegs erfreulich, aber doch nicht so bedenklich, um ihren wirtschaftlichen Ruin zu bewirken. Hamburg, das den Verkehr mit diesen Ländern von alters her gepflegt hat, berechnete seine Handelsverbindung 1890 wie folgt:

  Einfuhr Ausfuhr
Mexiko 12467570 Mk. 19743710 Mk.
Guatemala 23928410 6582020
Honduras 81960 449000
Salvador 6105910 2283300
Costarica 2617490 2808030
Nicaragua 3990340 2194230
Britisch-Honduras 23190 123850
Sankt Thomas 48280 1076690
Puerto Rico 8943950 6516310
Haïti 10993900 5724370
Dominikanische Republik 6106090 1814180
Cuba 11422790 4320210
Jamaica 1441380 427460
Trinidad 493040 478770

Dagegen ist Südamerika einer der unsichersten Abnehmer europäischer Industrieartikel auf der ganzen Erde. In Niederländisch-Guayana beherrschen die Negeraufstände und deren Wirkungen die Gesamtheit der politischen und wirtschaftlichen Zustände. Bolivia scheint sich in neuerer Zeit in einem gewissen Stadium der wirtschaftlichen Ruhe zu befinden, indessen ist seine Abhängigkeit von den in den umgebenden Staaten sich abspielenden Vorgängen zu groß, als daß auf längere Zeit hinaus Europa ihm größere Kredite ohne ausreichende reale Grundlagen einzuräumen im stande wäre. Dasselbe gilt von Venezuela und Kolumbien; im letztern Lande haben Engländer wie Franzosen sehr üble Erfahrungen gemacht. Dagegen eröffnet sich in Peru unter Leitung englischen Kapitals eine aussichtsreiche Zukunft, die freilich zunächst der englischen Industrie zu gute kommen wird. Doch stehen die in Angriff genommenen Unternehmungen erst in den Anfangsstadien. Die Ausfuhr nach Chile ist durch die dortigen kriegerischen [424] Unruhen, die nach Argentinien durch den finanziellen Ruin dieses Landes beträchtlich gesunken. Brasilien endlich liefert zwar nach wie vor reiche Kaffee-Ernten, doch haben die dortigen politischen Vorgänge sowie der selbst für junge Kolonialstaaten außergewöhnliche Gründungsschwindel die mit Europa unterhaltenen Handelsbeziehungen arg geschädigt und deren gedeihliche Entwickelung gehemmt. Für mehrere der südamerikanischen Staaten hat die infolge der politischen Wirren sich schlechter gestaltende wirtschaftliche Lage sich bereits deutlich bemerkbar gemacht, denn es betrug die Ausfuhr Hamburgs dorthin:

  1889 1890
Brasilien 65012440 Mk. 66029040 Mk.
Uruguay 15486100 10344400
Paraguay 193980 77820
Argentinien 61641000 29336740
Chile 35332340 37793340
Peru 8242120 9422060
Ecuador 2933730 2369330
Bolivia 707070 1259390
Kolumbien 6678110 7787580
Guayana 418210 324480
Venezuela 17410040 16881600

Die Ausfuhrziffern zeigen demnach für Brasilien, Chile u. a. noch eine aufsteigende Tendenz, allein dies gilt in den meisten Fällen nur für die erste Hälfte des Jahres 1890, in der zweiten Hälfte war die Ausfuhr unter dem Einfluß ungünstiger Verhältnisse thatsächlich eine sehr geringe. Für 1891 wird die Einwirkung der politischen und wirtschaftlichen Krise und der durch dieselbe bedingten niedrigen Kurse sich sicherlich in durchgreifender Weise bemerkbar machen. Ein ganz ähnliches Ergebnis zeigt die Ausfuhr Bremens in denselben Jahren. Es ist wenig tröstlich, daß andre Länder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. So hat die Abnahme der Ausfuhr nach Argentinien aus England 48, aus Frankreich 65, aus Belgien 56, aus Deutschland 60 Proz. betragen, und diese rückläufige Bewegung dürfte vorerst nicht zum Stillstand kommen. Die Hauptartikel der Einfuhr aus Mexiko sind Silbererze, Blauholz und Spinnstoffe; Zentralamerika liefert hauptsächlich Kaffee und Farbhölzer, Westindien Tabak und Kaffee, Brasilien vornehmlich Rindshäute und Kaffee, sodann Wolle, Kakao und wertvolle Hölzer, ähnlich sind die Exportartikel von Venezuela, Ecuador und Kolumbien, während aus dem Süden besonders Wolle, Salpeter, Silbererz und Mais bezogen werden. Unter den Artikeln der Ausfuhr nach Mittel- und Südamerika nehmen Baumwollwaren, Wollstoffe, Strumpfwaren, Leinengewebe, fertige Damenkleider, Posamentierwaren u. dgl. den ersten Platz ein.

In Afrika haben sich besonders die Handelsbeziehungen Deutschlands zu Marokko in den letzten Jahren außerordentlich entwickelt. Während noch 1886 die Einfuhr Hamburgs von dort 66, die Ausfuhr dahin 4209 Doppelzentner betrug, importierte Hamburg 1890 aus Marokko 16,452 Doppelztr. im Werte von 1,332,010 Mark und führte dorthin aus 15,310 Doppelztr. im Werte von 1,886,210 Mk. Überhaupt nehmen die afrikanischen Nordstaaten fortgesetzt an Bedeutung für die europäische Industrie zu, doch sind gerade in jüngster Zeit ihre Exportfähigkeit und damit auch ihre Kaufkraft sehr geschmälert worden. Denselben lähmenden Einfluß hat in Südafrika die in den dortigen Minendistrikten ausgebrochene Krisis ausgeübt. Die Konsumtionskraft des äquatorialen Afrika ist noch zu unbedeutend, um nach der einen oder der andern Richtung bestimmend auf unser Wirtschaftsleben einzuwirken. Immerhin ist der Handelsverkehr mit ihm im Steigen. Nach Deutschland wurden 1890 eingeführt aus Deutsch-Westafrika für 5,189,000, aus Deutsch-Ostafrika für 489,000 Mk. Waren, aus Sansibar, das in Betracht gezogen werden muß, da ein großer Teil der Produkte des deutschen Festlandes durch die Hände der auf der Insel ansässigen Firmen geht, für 2,218,000 Mk. Waren. Von Deutschland wurden ausgeführt nach Deutsch-Westafrika für 3,243,000, nach Deutsch-Ostafrika für 320,000, nach Sansibar für 2,484,670 Mk. Waren. Mit den englischen Kolonien gestaltete sich Deutschlands Verkehr 1890 wie folgt:

  Einfuhr   Ausfuhr  
Kapland 98189 Pfd. Sterl. 164938 Pfd. Sterl.
Lagos 248459 130569
Goldküste 70221 62420
Sierra Leone 25813 29685

Asien ist für den deutschen Handel von immer größerer Bedeutung geworden, doch sind auch hier neuerdings beträchtliche Störungen eingetreten. Ganz außerordentlich hat der Verkehr mit Britisch-Indien zugenommen, das mit seiner nahe an 290 Mill. zählenden, leider wenig kaufkräftigen Bevölkerung ein immer besserer Abnehmer deutscher Industrieprodukte wird.

  Einfuhr   Ausfuhr  
1889/90: 27646574 Rupien 5639118 Rupien
1890/91: 43874820 16916486

Für die Straits Settlements sind für 1890 eine Ausfuhr von 342,442, eine Einfuhr von 578,333 Pfd. Sterl. zu verzeichnen. China ist leider in allerneuester Zeit infolge der dort ausgebrochenen Christenverfolgungen und Unruhen in seiner Bedeutung für den europäischen Export sehr zurückgegangen, was um so bedauerlicher erscheint, als durch die Einrichtung der vom Reiche subventionierten Dampferlinien unser Handel mit diesem Lande sehr bedeutend zugenommen hatte. Hamburgs Ausfuhr nach China betrug 1889: 14,762,640 und 1890 15,903,910 Mk. Auch Japan, obwohl dem europäischen Einflusse sich mehr erschließend, sucht durch Hebung der eignen Industrie sich der europäischen Einfuhr gegenüber mehr und mehr unabhängig zu machen. Dennoch war unsre Ausfuhr dorthin bislang im Steigen; 1889 führte Hamburg dorthin für 14,072,360, dagegen 1890 für 15,488,190 Mk. Waren aus. In ähnlicher Weise stieg die Ausfuhr von Bremen nach diesen beiden Ländern. Auch Hinterindien und der Malaiische Archipel haben an Bedeutung für die europäische Exportindustrie zugenommen und versprechen von fortgesetzt steigendem Werte für die europäische Ausfuhrindustrie zu werden, wobei Deutschland freilich durch den überwiegenden handelspolitischen Einfluß der Engländer, Holländer und Franzosen zurückgedrängt wird. Die in der Levante wie in der Türkei überhaupt herrschende Rechtsunsicherheit und wirtschaftliche Schwäche haben in Verbindung mit der daselbst sich geltend machenden religiösen und politischen Spannung unsern Handel, wie den aller andern Völker, immer mehr eingeengt.

In Australien haben Überproduktion und Streiks einen Zustand wirtschaftlicher Erschlaffung erzeugt, welcher bei geringern Woll- und Weizenernten zu einer Einschränkung des Handels führte; 1890 führte Hamburg für 25,314,820, Bremen für 6,434,790 Mk. Waren ein, was gegen das Vorjahr einen Ausfall von 2,054,092 Mk. bedeutet. Nach der englischen Statistik betrug 1890 die deutsche Einfuhr in Neusüdwales 639,475, in Viktoria 682,166 Pfd. Sterl., die Ausfuhr von dort nach Deutschland 404,280, bez. 240,008 Pfd. Sterl.

[425] Was endlich Europa selber anlangt, so haben die Schutzzollpolitik der einzelnen Staaten, die Ungewißheit über die nach Ablauf der noch bestehenden Handelsverträge sich gestaltenden Zollverhältnisse, die teilweise schlechten Ernten, verkehrte Finanzwirtschaft und Verschuldung in einzelnen Staaten die Kaufkraft verringert und eine Zurückhaltung gegenüber großen Unternehmungen erzeugt, welche nicht verfehlen konnten, lähmend auf unsre Ausfuhrindustrie einzuwirken.

Der Spezialhandel Deutschlands.
(In Tausenden Mark.)
  Einfuhr Ausfuhr
1889 1890 1889 1890
Vieh und andre Tiere 196896 248014 31904 29845
Sämereien 36647 40560 21437 26797
Düngemittel etc. 95328 103748 19778 22069
Brennstoffe 95029 101529 116757 146509
Nahrungs- und Genußmittel:        
 1) Rohstoffe 841209 952648 85960 106055
 2) Fabrikate 204717 214925 283433 334991
Industrie der Fette und Öle:        
 1) Rohstoffe 101366 105172 7605 8949
 2) Fabrikate 136697 130878 18159 18605
Chem. Industrie u. Pharmazie:        
 1) Rohstoffe 160831 149938 32417 32582
 2) Fabrikate 106620 111936 226786 242110
Industrie von Asbest, Stein, Tau und Glas:        
 1) Rohstoffe 41505 44526 31099 37320
 2) Fabrikate 17645 17631 71604 80689
Metallindustrie (ohne Maschinen etc.):        
 1) Erze 73374 77826 14463 9702
 2) Rohmetalle 83102 96703 58082 65728
 3) Einfach bearbeitete Gegenstände 9264 11270 87455 80187
 4) Fabrikate 22340 24877 181091 192045
Holz-, Schnitz- u. Flechtindustrie:        
 1) Rohstoffe 99365 104388 34043 37948
 2) Einfach bearbeitete Gegenstände 87832 86754 12025 11624
 3) Fabrikate 30323 26848 70263 70482
Papierindustrie:        
 1) Rohstoffe und Halbzeuge 8970 10258 20508 16204
 2) Fabrikate 4871 5209 68549 73675
Leder, Wachstuch u. Rauchwaren:        
 1) Rohstoffe 89486 94325 33445 42620
 2) Fabrikate 94499 95919 203730 194534
Textil-, Filz- und Bekleidungsindustrie:        
 1) Rohstoffe 757250 709180 170616 162657
 2) Fabrikate 453913 409860 914217 909479
Kautschukindustrie:        
 1) Rohstoffe 28076 31114 5112 7291
 2) Fabrikate 6468 8543 21555 22844
Eisenbahnfahrzeuge, gepolsterte Wagen und Möbel 713 1488 6576 3786
Maschinen, Instrumente, Apparate 65527 91395 150118 160604
Kurzwaren, Schmuck, Spielzeug 28339 28694 85081 88312
Litteratur und bildende Kunst 24779 27820 79097 88682

Seit einer langen Reihe von Jahren sind sowohl Einfuhr als Ausfuhr mit seltenen Unterbrechungen beständig gestiegen, die erstere freilich in weit schnellerm Maße als die letztere. In dem zehnjährigen Zeitraum von 1881–90 stieg die Einfuhr von 2,990,251,000 auf 4,272,910,000, die Ausfuhr dagegen von 3,040,196,000 nur auf 3,409,584,000 Mk. Während früher der Wert der Ausfuhr den der Einfuhr nicht unerheblich überstieg, hat in den letzten Jahren das umgekehrte Verhältnis Platz gegriffen. Und wenn auch das Jahr 1890 für die deutsche Ausfuhr die höchsten bis jetzt dagewesenen Ziffern aufweist, so ist es doch keinesfalls das lohnendste Ausfuhrjahr gewesen. Nach der Statistik des Deutschen Reiches betrug 1890 die Einfuhr 4,272,910,900 Mk., wovon 4,162,120 Mk. auf Waren und 110,790,000 Mk. auf Edelmetalle entfielen, die Ausfuhr dagegen 3,409,584,000 Mk. (3,328,148,000 Mk. Waren, 81,436,000 Mk. Edelmetalle). Davon entfielen auf Rohstoffe mit Einschluß einfach bearbeiteter Gegenstände bei der Einfuhr 2,949,525,000, bei der Ausfuhr 844,087,000, auf Fabrikate bei der Einfuhr 1,196,023,000, bei der Ausfuhr 2,482,455,000 Mk., woraus die Bedeutung Deutschlands als Industriestaat und sein Bedürfnis ausländischer Absatzgebiete deutlich hervortritt. Die Hauptposten waren (in Millionen Mark):

Einfuhr:
Getreide 387,4
Baumwolle 290,1
Wolle 273,5
Drogen und Farben 238,0
Kaffee 219,9
Vieh 212,9
Rohseide 159,6
Holz 147,7
Häute und Felle 135,7
Kohle 98,8
Wollgarn 92,8
Petroleum 83,9
Ausfuhr:
Wollwaren 252,1
Drogen und Farben 249,1
Zucker 216,1
Seidenwaren 189,7
Baumwollwaren 168,0
Eisenwaren 157,5
Kohle 142,3
Instrumente und Maschinen 133,0
Lederwaren 116,0
Kleider 112,6
Eisen 100,4

Nach einer auf dem internationalen statistischen Kongreß in Wien von dem Generalsekretär im rumänischen Finanzministerium, Olanescu, mitgeteilten Handelsstatistik für die bedeutendsten Staaten Europas nimmt Deutschland unter diesen hinsichtlich des Kopfanteils seiner Bevölkerung die vierte Stelle ein.

  Bevölkerung Handels­bewegung Kopfanteil
Mill. Mark Mark
Schweiz 2934057 1132 453
Großbritannien 38583955 14868 386
Frankreich 38218908 8098 172
Deutschland 46857707 7344 155
Rumänien 5376000 514 87
Österreich-Ungarn 41345329 2800 70
Spanien 17550246 1184 67
Italien 30947306 1957 63
Russisches Reich 112934006 2887 26