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MKL1888:Händel

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Händel“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Händel“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 8 (1887), Seite 7778
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Händel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 77–78. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:H%C3%A4ndel (Version vom 05.03.2025)

[77] Händel, Georg Friedrich, Komponist, geb. 23. Febr. 1685 zu Halle a. S. als Sohn eines Wundarztes, spielte schon als siebenjähriger Knabe ziemlich fertig Klavier und Orgel, wurde jedoch durch seinen Vater, der ihn zum Juristen bestimmte, an der Ausbildung seines Talents gehindert, bis der Herzog von Sachsen-Weißenfels ihn gehört hatte und er auf dessen Veranlassung dem Halleschen Organisten Zachau als Orgel- und Kompositionsschüler übergeben wurde. 1698 kam er nach Berlin, wo er Bononcinis und besonders Attilio Ariostis Unterricht genoß, und sodann nach Hamburg, wo eben (1703) unter Reinhard Keisers Leitung die Oper einen großen Aufschwung genommen hatte. Zuerst trat er hier als Violinist ins Orchester, übernahm dann, als sich Keiser zurückzog, neben Matheson die Direktion der Oper und komponierte seine erste Oper: „Almire“, die 8. Jan. 1705 mit ungeteiltem Beifall zur Aufführung gebracht wurde. Schon im Februar d. J. folgte seine zweite Oper: „Nero“, welche sich gleichfalls einer günstigen Aufnahme erfreute. Ferner entstanden um diese Zeit, während H. nebenbei mit Klavierunterricht beschäftigt war, zahlreiche Klavierkompositionen, Lieder und Kantaten, ein „Laudate“ und das Oratorium „La resurrezione“; auch brachte er 1708 noch zwei Opern: „Florinde“ und „Daphne“, auf die Bühne. Hierauf begab er sich nach Italien und zwar nach Florenz, wo er 1709 seine Oper „Rodrigo“ zur Aufführung brachte; von da nach Venedig, wo seine innerhalb drei Wochen geschriebene Oper „Agrippina“ 27 Abende hintereinander gespielt wurde, und schließlich nach Rom, wo er ebenfalls hohen Ruhm erntete und unter anderm die Kantate „Il trionfo del tempo“ komponierte. In sein Vaterland zurückgekehrt, erhielt er einen Ruf nach Hannover als Kapellmeister und besuchte von da aus 1710 England, wo er bei Hof die ehrenvollste Aufnahme fand. In 14 Tagen komponierte er hier die Oper „Rinaldo“, die mit dem größten Beifall aufgenommen ward. Dann kehrte er zwar wieder nach Hannover zurück, nahm aber Ende 1712 seinen bleibenden Wohnsitz in England. Bald nach seiner Ankunft schrieb er aus Anlaß der Feier des Utrechter Friedens ein „Te Deum“ und „Jubilate“, dem später ein zweites „Te Deum“ auf den Dettinger Sieg und zahlreiche Kirchen- und Kammermusiken folgten. Seine vornehmste Thätigkeit wandte sich aber dem Theater zu, für das er 1712 die Opern: „Theseus“ und „Il pastor fido“ sowie 1715 den „Amadigi“ schrieb. Er lebte damals mehrere Jahre im Haus des Grafen Burlington; dann stellte ihn der Herzog von Chandos an die Spitze seiner Kapelle, für welche H. 20 große „Anthems“ (eine Art geistlicher Kantaten) und das Pastorale „Acis und Galatea“ komponierte. 1720 wurde ihm die Direktion der eben vom hohen Adel errichteten Londoner Oper („königliche Akademie der Musik“) übertragen und zugleich die Mittel zur Verfügung gestellt, die berühmtesten Gesangsvirtuosen Europas für das Unternehmen zu gewinnen. Im folgenden Jahr eröffnete er die neue Akademie im Haymarket-Theater mit der Oper „Radamisto“, welcher er im Lauf seiner Direktionsführung (bis 1728) noch 13 weitere Opern folgen ließ. Im genannten Jahr mußte die Akademie geschlossen werden, weil Händels Gegner, durch seinen unbeugsamen Künstlerstolz und sein häufig schroffes Auftreten verletzt, das Theater an sich zu bringen gewußt hatten und ihm mit einer Konkurrenzoper unter Leitung des Neapolitaners Porpora gegenübertraten. Indessen verlor H. den Mut nicht, eröffnete vielmehr 1729 eine „Neue Opernakademie“ im Coventgarden-Theater, für welche er wiederum persönlich in Italien die besten Gesangskräfte engagiert hatte. Aber auch dieses Unternehmen schlug fehl und mußte schon nach vier Jahren, während welcher H. wiederum sieben neue Opern komponiert hatte, aufgegeben werden; und nicht besser ging es dem Künstler bei einem dritten, 1733 unternommenen Versuch, denn nach siebenjähriger, unermüdlicher Thätigkeit sah er sich gezwungen, den Hindernissen zu weichen, welche ihm der Widerstand der mit seinen italienischen Rivalen, namentlich Hasse und Bononcini, verbündeten Aristokratie einerseits, die Eifersüchteleien der unter seiner Leitung stehenden Sänger anderseits bereiteten. 1740, nach Aufführung seiner 31. Oper, „Deidamia“, verließ er das Theater für immer, nachdem er bei dem letzten Unternehmen sein ganzes, mühsam erworbenes Vermögen eingebüßt hatte.

Inzwischen aber war er bereits 1732 als Oratorienkomponist aufgetreten und hatte durch die Aufführung seiner schon 1720 komponierten „Esther“ die Teilnahme desjenigen Teils der Londoner Kunstfreunde erregt, welcher durch die 1710 gegründete Akademie für alte Musik vertreten war und in Händels Arbeit eine Verwirklichung seiner Pläne zur Erneuerung der antiken Tragödie auf dem Boden der biblischen Geschichte erblickte. In der That bot das Oratorium dem Musiker ein weit geeigneteres Feld, die Würde und Erhabenheit des griechischen Dramas zur Erscheinung zu bringen, als die italienische Oper jener Zeit, besonders nachdem die Frage, ob das Oratorium mit oder ohne Aktion (sichtbare dramatische Zuthaten) darzustellen sei, vom Londoner Bischof Gibson in letzterm Sinn entschieden war; denn nun konnten sich die Tonbilder ungleich freier gestalten als bei dem Zwang, welcher durch die Bedingungen einer szenischen Aufführung dem Komponisten unter allen Umständen auferlegt ist. Namentlich vermochte der Chor die hohe Bedeutung des griechischen Chors weit deutlicher im Oratorium zur Anschauung zu bringen als der Opernchor, und in diesem Sinn darf er auch als der eigentliche Schwerpunkt des Händelschen Oratoriums gelten. Hatte so der Künstler das eigentliche Gebiet seiner reformatorischen Thätigkeit betreten (denn die Oper hat er trotz seiner langjährigen Wirksamkeit am Theater als Kunstgattung nicht gefördert), so war doch das Publikum weit entfernt, seinen Oratorien ein volles Verständnis entgegenzubringen, und selbst als H. sein Meisterwerk, [78] den „Messias“, vollendet hatte, mußte er es für geraten halten, dasselbe nicht in London, sondern in Dublin zum erstenmal öffentlich aufzuführen (1741). Der dortige Erfolg dieses Oratoriums wirkte allerdings belebend auf die Teilnahme der Hauptstadt, welche nunmehr den früher entstandenen Oratorien: „Acis und Galatea“ und „Athalia“ (1733), „Das Alexanderfest“, eine Verherrlichung der Macht der Musik (1736), „Saul“ und „Israel in Ägypten“ (1738), „L’allegro, il pensieroso ed il moderato“ (1740), wie den spätern: „Samson“ (1741), „Semele“ (1743), „Herakles“ und „Belsazar“ (1744), „Judas Makkabäus“ und „Joseph“ (1746), „Josua“ und „Alexander Balus“ (1747), „Susanna“ und „Salomo“ (1748), „Theodora“ (1749) und „Jephtha“ (1751), mehr und mehr ihre Gunst zuwandte. Gleichwohl sah sich H. genötigt, seinen Oratorien-Aufführungen durch eingeflochtene Orgelvorträge, auf welchem Instrument seine Meisterschaft allgemein anerkannt war, größere Anziehungskraft zu verleihen, und diesem Brauch blieb er, selbst nachdem er in den letzten Lebensjahren völlig erblindet war, bis wenige Tage vor seinem Tod getreu. Er starb 14. April 1759 in London und wurde in der Westminsterabtei beigesetzt.

Wie sehr auch der Vokalkomponist bei H. überwog, so hat er doch der Instrumentalmusik ebenfalls die wichtigsten Dienste geleistet. Das Orchester seiner Opern und noch mehr seiner Oratorien zeigt die Ausdrucksfähigkeit der Instrumente durch ihn wesentlich erweitert, und in der Ausmalung einer gegebenen Situation entfaltet er eine wunderbare Stärke und unerschöpflichen Reichtum. Alle Tonwerkzeuge führen, wie Chrysander („Händel“, Bd. 3, S. 184) sagt, die beredteste Sprache, und wesentlich hierdurch erhalten Händels schönste Gesänge ihre bedeutungsvolle, aber durch keine Deutung zu erschöpfende Tiefe. In demselben Maß bereicherte er die reine Instrumentalmusik, obwohl er ihre von seinen italienischen Vorgängern ausgebildeten Formen sowenig zu erweitern trachtete wie die der italienischen Oper. Als glänzende Zeugnisse seiner kontrapunktischen Gewandtheit und nie versiegenden Erfindungskraft sind hierher gehörig zu nennen: die sogen. Wassermusik für Orchester, komponiert 1717 auf Veranlassung einer Wasserfahrt des Hofs auf der Themse; 12 Solosonaten für eine Violine oder Flöte mit Baß für Harpsichord (Klavier); 13 Trios oder zweistimmige Sonaten für zwei Violinen (Oboen oder Flöten) mit Baß, 1733 und 1738; 6 Concerti grossi für Streich- und Blasinstrumente (wegen der bevorzugten Oboenstimme auch „Oboenkonzerte“ genannt), 1733, sowie 5 andre Konzerte ähnlicher Art und 12 Concerti grossi für Streichinstrumente, 1739; vor allem aber seine Orgelkonzerte, deren in der Zeit von 1738 bis 1797 nicht weniger als 20 erschienen sind, sämtlich zugleich für das Klavier bestimmt, welches in seinem Bau wie in seinem Gebrauch zu Händels Zeit der Orgel weit näher stand als jetzt. Speziell für Klavier veröffentlichte er 1720: „Suites de pièces pour le clavecin“, denen bis 1735 noch drei weitere Sammlungen folgten, bekannt unter dem Titel: „Harpsichord lessons“ und nach der Angabe des Musikhistorikers Hawkins „für die Übung der Prinzessin Anna komponiert“. Ein annähernd vollständiges Verzeichnis von Händels sämtlichen außerordentlich zahlreichen Werken findet sich in Fétis’ „Biographie universelle“. Die bis jetzt umfassendste Ausgabe derselben ist die Londoner, von Arnold besorgt; in 40 Foliobänden (1786); sie ist jedoch nicht frei von Fehlern, und Kenner ziehen deshalb die Originalausgabe von Walsh vor. Eine korrekte Ausgabe wird unter Redaktion Chrysanders von der Leipziger Händel-Gesellschaft (gegründet 1856) herausgegeben; bisher (1886) sind davon 84 Lieferungen (25 Jahrgänge) erschienen. Die Londoner Sammlung enthält 21 Oratorien, 5 Tedeums, 12 große und viele kleinere Psalmen, 12 Klavierkonzerte, 12 Oboekonzerte, 18 Orgelkonzerte, 12 Flötensoli, 12 Kammerduette und Kammertrios, mehrere der Opern (darunter eine komische: „Der Alchimist“), Instrumentalsätze unter den Titeln: „Fire-music“ und „Water-music“, Klaviersuiten, Fugen etc. Büsten Händels wurden bereits zu seinen Lebzeiten von Roubillac angefertigt, der dann auch die Statue für sein Grabdenkmal in der Westminsterabtei schuf (1762). Eine wohlgelungene Kolossalstatue (von Heidel) wurde dem Komponisten 1859, 100 Jahre nach seinem Tod, in seiner Vaterstadt Halle errichtet. Vgl. Schölcher, The life of H. (Lond. 1858); Chrysander, G. F. H. (Leipz. 1858 bis 1867, Bd. 1–3); Gervinus, H. und Shakespeare (das. 1868); Reißmann, G. F. H., sein Leben und seine Werke (Berl. 1881); Kretzschmar, G. F. H. (Leipz. 1883); E. David, G. F. H., sa vie, ses travaux et son temps (Par. 1884).