Zum Inhalt springen

Ferienstudien am Seestrande/Kiemenschmarotzer

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Carl Vogt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ferienstudien am Seestrande - 5. Kiemenschmarotzer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 263–266
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[263]
Ferienstudien am Seestrande.
Von Carl Vogt.
5. Kiemenschmarotzer.

In den zwanziger Jahren kam Alexander von Nordmann, ein junger Naturforscher aus Finnland, nach Berlin, um sich dort mit zoologischen Studien zu beschäftigen. Rudolphi, der Vorgänger Johannes Müller’s, hatte damals die Untersuchungen über Eingeweidewürmer in Berlin in Schwung gebracht, und Ehrenberg arbeitete an seinen bahnbrechenden, freilich in der Deutung der Resultate so oft verfehlten mikroskopischen Forschungen über Infusorien. Der scharfe Blick des Finnen sah bald ein neues, erfolgreiches Feld der Thätigkeit in dem Ablaufen der verschiedenen Süßwasserfische, welche der Markt von Berlin in reicher Fülle, wenn auch nicht in vorzüglicher Qualität biete. Möge der Himmel den armen Sündern gnädig sein, welche alljährlich die Producte des Stralauer Fischzuges, trotz ihres Reichthumes an Gräten, hinabschlucken müssen! Zwar behauptete einmal in meiner Gegenwart der Arzt des Rekrutendepôts der Neuchâteler Schützen, ein echtes Berliner Kind, daß ein Spreekarpfen in Biersauce wohl noch vorzüglicher sei, als die herrliche Seeforelle in Weinsauce, an der wir uns eben erquickten – aber das war wohl ein Ausfluß desselben Patriotismus, welcher den Hauptmann desselben Depôts versichern ließ, Friedrich Wilhelm der Dritte würde ein ebenso ausgezeichneter General gewesen sein wie Napoleon, wenn er nur die Gelegenheit gehabt hätte, seine Talente zu entwickeln. Dem Naturforscher kann aber der geringe Preis der in Schlamm und Moder halb erstickten Spreefische sehr zu Statten, denn er konnte sich das Material zu seinen Untersuchungen für weniges Geld in Hülle und Fülle verschaffen, ohne die Verlockung bekämpfen zu müssen, ein schönes Stück zur Tafel zu sparen, und was Ungeziefer betrifft, so findet man dessen bekanntlich in allen großen Städten, selbst an den Kiemen der Fische.

Lernanthropus Kroyeri.
Fig. 1. Rückenansicht des Männchens, dreißigfach vergrößert. – Fig. 2. Das Weibchen, sechsfach vergrößert, im Profil. – Fig. 3. Das Junge, dreihundertfünfzigfach vergrößert, Rückenansicht.

Nordmann verdeutlichte seine Untersuchungen in einem mit schönen Tafeln ausgestatteten Quartanten unter dem Titel: „Mikroskopische Beiträge“, und die wissenschaftliche Welt staunte. Sie wurde zum ersten Male mit einer Menge neuer und höchst seltsamer Formen von Würmern und Krebsthieren bekannt, die, an den Kiemen der Fische festgekrallt, sich nach der wahrscheinlich irrigen Ansicht Vieler von deren Blute nähren. Unter den Würmern lehrte Nordmann jenen seltsamen Doppelwurm kennen, den er Diplozoon paradoxum nannte, dessen Räthsel erst in der jüngsten Zeit dahin aufgelöst wurde, daß es in der That zwei ursprünglich getrennte Individuen sind, welche zu einem einzigen untrennbar zusammenwachsen; unter den Krebsthieren, von welchen einige Arten schon bekannt waren, fand er Formen, welche durch die Reduction der Sinnes- und Bewegungswerkzeuge, sowie durch die Verkümmerung der Männchen eine besondere Stufe in der rückläufigen Entwickelung der Schmarotzer darstellen.

Die Forschungen, zu welchen Nordmann den wesentlichsten Grund legte, sind seitdem in vielfältigster Weise vervollständigt worden. Wir kennen jetzt über zweihundert Arten solcher an den Kiemen der Fische schmarotzender Krebsthierchen und können wohl behaupten, daß Jeder, der einen nicht allzu sehr durchforschten Küstenpunkt besucht, seinen Namen in den Registern der Wissenschaft durch eine neue Art verewigen kann. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß es kaum einen Fisch giebt, der nicht solche Krebsthierchen beherbergte, bei manchen findet man [264] selbst mehrere Arten, was indessen wieder dadurch ausgeglichen wird, daß viele Fische aus verwandten Gattungen, welche eine ähnliche Lebensart besitzen, derselben Krebsart als Ernährer dienen. So wird man auf den Kiemen der verschiedenen Plattfische, Zungen, Schollen, Butte etc., die ja alle im Sande sich eingraben, denselben Knorpelkrebs (Chondracanthus) finden, zu welchem sich dann oft noch Würmer und andere Krebsthiere gesellen.

Wenn es so verhältnißmäßig leicht ist, beim Suchen nach neuen Formen sich zu befriedigen, so hält es um so schwerer, die Metamorphosen der einzelnen Arten von Kiemenschmarotzern in ihren Einzelheiten zu verfolgen. Die herangewachsenen Thiere findet man leicht, indem man die Kiemen mit der Lupe durchmustert. In Roscoff wurden die zum Frühstück oder Mittagessen im Hôtel bestimmten Fische auf einer Steinbank im Hofe abgelegt und dort gesäubert. Ich schnitt anfangs selbst mit einer Scheere die Kiemen heraus; nachdem unser freundlicher Wirth, G. Legad, einmal wußte, was ich suchte, besorgte er dieses Ausschneiden selber, und ich fand beim Eintreten die Kiemen der über Nacht gefangenen Fische in einem Papiere eingewickelt. Das gab dann Nachmittagsarbeit. Die Kiemen wurden mit der Lupe unter Wasser durchsucht, die Thierchen abgestreift oder mit dem Kiemenblättchen, an dem sie festsaßen, abgelöst und in einem Glaswännchen mit frischem Seewasser übergossen. Da leben sie dann oft lange – um so länger, je reiner man das Wasser halten und je leichter man sie von den Kiemenblättchen loslösen kann, welche durch ihre Zersetzung das Wasser verderben. Oft kann man die Eier so lange erhalten, bis die Jungen ausschlüpfen – dann aber ist es meist mit der direkten Beobachtung vorbei. Denn alle diese Jungen sind sehr klein, kaum mit dem bloßen Auge sichtbar; alle gehören dem Typus des Nauplius an, von welchem ich in einem vorigen Artikel sprach; alle schwimmen vortrefflich. Wechselt man das Wasser nicht, so sterben sie; wechselt man es, so entschlüpfen sie nach und nach alle. So fehlen denn auch in meinen Beobachtungsreihen, wie in denen aller früheren Forscher, die Zwischenglieder zwischen der Urform des Nauplius einerseits und der Gestalt des erwachsenen Thieres andererseits.

Wenn gleich gemeinsamer Grundform entstammend und in ihren Formen unendlich auseinandergehend, unterscheiden sich doch diese Kiemenschmarotzer von den Bewohnern der Seescheiden durch ein gemeinsames Merkmal, das sie zugleich den eigentlichen Krebsflöhen (Cyclops) näher rückt. Die Weibchen tragen sämmtlich ihre Eier in zwei mehr oder minder langen Schläuchen, welche an dem Hinterleibe befestigt sind, während die Seescheidenbewohner sie auf dem Rücken innerhalb der Körperhaut selbst mit sich schleppen. Mag auch der Kiemenschmarotzer und die ihm verwandten Arten, welche sich selbst in das Fleisch der Fische Gänge graben, noch so tief mit seinem Körper in das Gewebe eingebohrt sein, die frei hervorhängenden Eierschläuche, die oft weit länger sind, als der Körper des Thieres, verrathen immer das trächtige Weibchen. Diese Eierschläuche werden erst gebildet, wenn die Eier aus dem Körper austreten; bei jungen Weibchen findet sich keine Spur davon, während bei den Seescheiden-Bewohnern der Brutraum stets vorgebildet ist und nur bei der Zunahme der Eier sich weiter ausdehnt. In diesen Eierschläuchen entwickeln sich die Eier bis zu dem Zustande des Nauplius, der dann die Haut des Schlauches durchbricht und ausschwärmt, so daß man bei längerem Halten der Thierchen in stets erneuertem Seewasser immer Aussicht hat, die eben ausgeschlüpften Jungen in der Glaswanne sich tummeln zu sehen.

Nicht alle Kiemenschmarotzer stehen auf gleicher Stufe des Parasitismus, wenn sie erwachsen sind. Die Einen sind noch leicht beschwingte Gesellen; vorn mit Klammerfüßen, hinten mit Schwimmfüßen versehen, verlassen sie zuweilen die Kiemen, hängen sich an dem Kiemendeckel oder sonst wo an und wandern wohl auch von einem Fische zum andern. Von einem großen Turbot hatte ich wohl hundert Stück einer Gattung (Caligus) abgelesen, die alle noch bei vollem Leben waren. Sie schwammen in der Glaswanne mit hurtigen Stößen umher, meist den Bauch nach oben gerichtet, wie die freilebenden Kiefenfüße (Apus), setzten sich mit ihrem breiten, dünngeränderten Kopfschilde an den Wänden und dem Boden fest, sodaß man wohl einsah, wie sie sich in derselben Weise, auch ohne ihre Klammerfüße zu gebrauchen, an einem glatten Fische festsaugen können, und schienen sogar dieses freien Lebens im Wasser durchaus nicht überdrüssig nach längerem Aufenthalte. Hier findet sich also nur die erste Stufe des Schmarotzerlebens ausgebildet und übereinstimmend damit schaut der Caligus mit großem, lebhaft rothem Auge in die Welt hinein und entwickelt zarte, röthliche und gelbe Farben auf seinem durchsichtigen Körper, während die anderen Kiemenschmarotzer entweder schmutzig blutroth oder einfach weiß erscheinen, entsprechend der Flüssigkeit, die sie saugen, oder dem dunklen Aufenthalte, den sie niemals verlassen. Unter diesen aber giebt es die mannigfachsten Stufen der Rückbildung, von welchen ich dem Leser nur zwei vorführen will, die zu den häufigeren Arten gehören, deshalb aber nicht minder seltsam und fremd erscheinen mögen.

Lernanthropus Kroyeri hat van Beneden einen kleinen Schmarotzerkrebs genannt, welcher an den Kiemen des im Ocean und der Nordsee ziemlich häufigen, schmackhaften Bar oder Loup (Labrax lupus) sich findet (Fig. 1, 2 und 3). Das Thier ist nicht ganz leicht zu finden, denn obgleich die Weibchen bis zehn Millimeter, und ihre fadendünnen, braunen Eierschnüre bis zwölf Millimeter lang werden, während das Männchen nur höchstens drei Millimeter Länge erreicht, stimmt doch seine Farbe so gut mit derjenigen der Kiemenfransen überein, daß man es nur schwer unterscheidet, zumal da es diese Fransen eng mit seinen lappenähnlichen Armen umfaßt und mit den Kopfklauen sich fest einhakt.

Der Name Lernanthropus (Lernäen-Mensch) ist vortrefflich gewählt – Lernäen nennt der Zoologe überhaupt die Schmarotzerfamilie, der die Gattung durch ihre Organisation angehört, und eine gewisse Aehnlichkeit mit der Carricatur eines in einen engen Frack gehüllten Culturmenschen läßt sich besonders einer Profilzeichnung des Thieres nicht abstreiten. Beide Geschlechter zeigen außer der Größe bemerkenwerthe Verschiedenheiten. Der Kopf des Weibchens (Fig. 2) ist, von oben oder unten betrachtet, breit herzförmig; die Seitenränder sind nach innen eingebogen; derjenige des Männchens dagegen fast viereckig. Vorn an dem Kopfe stehen auf einer queren Verengung bei beiden Geschlechtern zierlich nach außen geschwungene, kurze Fühlhörner; dahinter auf der Bauchseite zwei gewaltige Hakenglieder, die aber bei dem Männchen weit größer und schärfer gekrümmt sind. Mit der Beschreibung der Mundorgane und einiger gänzlich verkümmerter Schwimmfüße, die auf ein gezahntes Blättchen reducirt sind, will ich den Leser nicht aufhalten; sie sind bei beiden Geschlechtern beinahe gleich. Auf den Kopf folgt ein mittlerer Körpertheil, der vorn schon die verkümmerten Schwimmfüße, nach hinten aber lappenförmige Anhänge trägt. Bei dem Weibchen sind diese kurz, dütenförmig zusammengeschlagen, bei dem Männchen (Fig. 1) dagegen lang, aus einem großen lanzettartigen Blatte mit einem kleinen Anhange an der Wurzel gebildet. Die hintere Körperabtheilung ist verbreitert und auf dem Rücken wie ein modern abgestutzter und zugerundeter Frackflügel emporgehoben; sie trägt auf der Bauchseite jederseits zwei aus einer gemeinsamen Wurzel entspringende, langzugespitzte Blattflügel, die bei dem Männchen verhältnißmäßig länger sind, und nahe der Mittellinie zwei kleine, mit feinen Endborsten besetzte Spitzen. Von Augen läßt sich keine Spur entdecken; der gerade Darm läuft ohne bemerkenswerthe Erweiterung von vorn nach hinten; die übrigen Körperräume sind undurchsichtig durch die Erfüllung des dunkelbraunen, netzartig gebildeten Eierstockes. Gefäßartige Canalräume, mit rother Flüssigkeit gefüllt, ziehen durch den ganzen Körper und die flügelförmigen Anhänge.

Die Thiere sind äußerst unbehülflich; die Weibchen liegen meist ruhig da; die Männchen schleudern ihre Anhänge umher und bewegen sich dadurch, wenn auch langsam, von der Stelle.

In den Zellen der dünnen Eierschläuche liegen die Eier so fest hinter einander gepreßt, daß sie scheibenförmig abgeplattet erscheinen. Die eben ausgeschlüpften Jungen (Fig. 3) haben einen braunen, dichten Dotter, der die ganze Leibhöhle erfüllt, breite Gestalt, die drei Normalglieder des Nauplius, die vorderen wie gewöhnlich einfach, die hinteren beiden Paare mit doppelten Endgliedern und ungemein langen Schwimmborsten; an dem hinteren Ende zwei feine Stacheln. So gleichen sie ganz der gewöhnlichen Nauplius-Form, aber das meist so auffallende rothe Stirnauge ist nur wenig gefärbt und läßt sich nur bei der Ansicht vom [265] Rücken aus erkennen in Gestalt zweier schwach gelblicher Halbmonde.

Tritt uns bei dem Bewohner der Kiemen des Meerbarsches schon einerseits die Umwandlung gewisser Anhänge, welche wohl unstreitig Füße waren, aber ihre Gliederung gänzlich verloren haben, in bandartige Lappen und andererseits die verschiedene Gestaltung und geringere Körperentwickelung des Männchens entgegen, so sehen wir bei dem Knorpelkrebse (Chondracanthus) (Fig. 4 und 5), welcher die Kiemen einiger Plattfische, namentlich aber der Scholle (Plie) und der Kliesche (Limande) bewohnt, diese Verhältnisse fast auf die Spitze getrieben. Die Fühlhörner, so wie die großen Hakenklammern vorn an der Unterseite des Kopfes sind bei dem Weibchen (Fig. 4) geblieben; einige Kauwerkzeuge sind noch unterscheidbar, aber die kleinen, zu gezähnten Plättchen umgewandelten Schwimmfüße sind nun völlig unkenntlich geworden und durch zwei Paare lappenförmiger Anhänge ersetzt, deren jeder aussieht, als bestehe er aus einem Wurzelstück, das in zwei Handschuhfingern endet. Der Körper selbst ist lang ausgezogen, aus zwei Abtheilungen gebildet, welche durch eine Einschnürung geschieden werden, und mit Ausnahme des in der Mitte verlaufenden Darmes gänzlich von dem Eierstocke erfüllt, der bei den jüngeren Weibchen ein weiches Zellengewebe darstellt, während er bei älteren ein dunkles, kaum von einigen hellen Zwischenräumen durchbrochenes Netz bildet. Nach hinten läuft dieser lange Körper in zwei seitliche Zipfel aus, an deren Innenseite die langen und dicken, mit Eiern vollgepfropften Eierschläuche befestigt sind. Der Mitteltheil des Hinterkörpers bildet einen kurzen Zapfen.

Fig. 4. Fig. 5.
Chondracanthus cornutus.
Fig. 4. Das Weibchen (Bauchansicht) mit dem anhängenden Männchen a., zehnfach vergrößert. Die Eierschläuche sind ebenso lang als der Körper. – Fig. 5. Das Männchen im Profil, fünfzigfach vergrößert.

Damit hätte sich ein früherer, nur mit der Lupe beobachtender Forscher vielleicht begnügt; jetzt, wo man Nordmann’s und seiner Nachfolger Arbeiten kennt, heißt es schärfer aufpassen. Scheint der mittlere Endzapfen nicht doppelt? Hat er nicht ein anderes Ansehen von der Bauchseite als von der Rückenseite? Sieht er nicht von der Unterseite her wie eine Birne aus, welche gegen den Stiel hin einige Querringel zeigt? Glänzt es nicht wie ein rother und schwarzer Punkt auf dem breiten Theile der Birne? (Fig. 4 a.) Man dreht und wendet, sucht selbst mit einem feinen Pinsel oder einer Nadel den räthselhaften Anhang loszulösen. Aber es geht nicht – er ist festgewachsen – er bildet wirklich einen integrirenden Bestandtheil des Thieres. Und doch, hat er sich nicht eben selbstständig bewegt? So arbeitet man hin und her; man legt ein Deckplättchen auf von dünnstem Glase, welches einen geringen Druck ausübt, man schiebt dasselbe nach rechts, nach links und endlich wird es klar: es ist ein kleines, buckliges, an dem Brusttheile seltsam aufgewulstetes Männchen, welches hier an seinem gigantischem Weibchen festsitzt, in unmittelbarer Nähe der mit einem harten Hornringe umgebenen Oeffnungen, durch welche die Eier nach außen treten. Nur äußerste Gewalt kann diese Verbindung lösen – selbst an den in Weingeist aufbewahrten Exemplaren der Weibchen hält das Männchen noch fest. Nie habe ich mehr als ein Männchen gefunden – ich habe aber auch kein noch so junges Weibchen gesehen, an dem nicht schon ein Männchen befestigt gewesen wäre.

Welcher Unterschied in der Größe! Das Weibchen wird bis zu zehn Millimeter lang, das Männchen mißt keinen halben Millimeter – das Weibchen ist also wenigstens zwanzigmal größer.

Wie groß aber auch der Unterschied in der Form und Gestaltung! Wer die beiden Wesen getrennt sähe, würde niemals glauben, daß sie zusammen gehören, daß sie aus denselben Eiern hervorgegangen, aus derselben Grundgestalt heraus entwickelt wären.

An dem unförmig dicken und breiten, nach oben und unten buckligen Vordertheile des Männchens (Fig. 5) stehen auf einem kurzen, wulstartigen Vorsprunge zwei kurze, mit feinen Endborsten besetzte Fühler und unmittelbar darunter zwei nach innen gebogene scharfe und spitze Hakenklammern, mit denen es sich an der Haut des Weibchens festbeißt. Das einfache Auge, welches dem Weibchen gänzlich abgeht, steht mitten auf dem buckligen Vordertheile. Hinter ihm sieht man den Darm und die übrigen Organe durch den Körper durchschimmern. Dieser endet mit einem dünnen, runden, aus mehreren deutlichen Gliedern zusammengesetzten Endtheile, an dem zwei kurze Spitzen ansitzen. Da, wo dieser geringelte Hinterleib an die bucklige Kopfbrust sich ansetzt, stehen zwei Paar kurzer, fußförmiger Anhänge hervor. Bearbeitet man dieses Pygmäen-Männchen mit der Nadel, so schnellt es zuweilen mit dem Hinterleibe, wie vor Ungeduld, oder wirft sich herum auf die andere Seite, aber niemals öffnet es die Hakenzangen, mit welchen es festgekrallt ist.

So ist also hier, wie bei manchen andern verwandten Gattungen und Arten, das Männchen gewissermaßen der Schmarotzer des selbst schmarotzenden Weibchens geworden. Ersteres, riesig groß im Verhältniß zu seinem ihm angeschweißten Gatten, ist ein für allemal an den Kiemenblatte festgehakt, an welchem es sich zuerst festsetzte – es hat keine Bewegungsorgane mehr; die Gelenke seiner Füße sind abhanden gekommen; es hat nur noch Lappen und Haken, mit denen es sich festhält, Fühler, aber keine Augen. Und an diesem unbehülflichen Wesen, das fast nur Eierschlauch ist, dessen einzige Aufgabe ist, Hunderttausende von Eiern zu erzeugen, ist wieder das zwerghafte Männchen festgehakt, welches zwar in seinem Auge und seinen gänzlich verkümmerten Füßen noch eine Reminiscenz an frühere Zustände besitzt, damit auch um einen Grad höher in der allgemeinen Organisation steht, immerhin aber doch fast ebenso unbehülflich und nicht minder an den einmal gewählten Platz gebunden ist, wie das Weibchen.

Kann man sich, solchen Thatsachen gegenüber, noch wundern, wenn es Schmarotzerkrebse giebt, bei welchen die Reduction der gegliederten Anhänge noch weiter geht, die Fühler und Klammerorgane gänzlich verschwinden oder in einen Schopf von Fäden und blattähnlichen Fortsätzen sich umwandeln, sodaß schließlich kein weiteres Anzeichen der Organisation eines Krustenthieres übrig bleibt, als die Eierschläuche, die an dem Hintertheile des wurmförmigen Körpers befestigt sind? Sie existiren, diese Wesen, und sie sind von den Naturforschern so lange für Würmer gehalten worden, bis man ihre Fortpflanzungsweise entdeckte, bis man fand, daß aus ihren Eiern eben solche Nauplius-Gestalten hervorgehen, wie aus den Eiern der übrigen niederen Krustenthiere, sodaß sie demnach nur die Endglieder einer Reihe darstellen, die mit frei umherschwimmenden Thieren beginnt und mit Schmarotzern endet, die sich gänzlich in den Körper ihres Wirthes eingebohrt haben.

Faßt man aber das seltsame Verhältniß der beiden Geschlechter in das Auge, so darf es schließlich auch nicht Wunder nehmen, wenn endlich das gänzlich an das Weibchen gefesselte Männchen in dem Körper desselben gewissermaßen aufgeht; wenn der Gegensatz der Geschlechter und ihre Vertheilung auf zwei getrennte Individuen gänzlich aufhört und Zwittergeschöpfe gebildet werden, welche Männchen und Weibchen zugleich sind und sich selbst zur Erzeugung von Jungen genügen. Wir kennen Beispiele genug aus der niederen Thierwelt, vor welchen wir zweifelnd stehen und uns fragen müssen: hast du es hiermit einem unvollständig getrennten Individuum oder mit einem zur Individualität herausgebildeten Organ zu thun? Ich kann nicht einsehen, warum nicht der entgegengesetzte Proceß stattfinden und das Individuum nicht zum Organ herabsinken könnte.

Aber dies ist nicht Alles. Wie ist es möglich, dem Grundgedanken der Entwickelungstheorie Darwin’s entgegenzutreten und ihn zu verneinen, wenn wir aus den Eiern derselben Mutter, aus demselben Bildungsstoffe, welchen der Eierstock eines einzigen Individuums liefert, so durchaus verschiedene Wesen hervorgehen sehen, wie Männchen und Weibchen einer Lausassel, von welcher [266] ich in einem vorigen Aufsatze sprach, oder gar Männchen und Weibchen eines Chondracanthus, deren Zusammengehörigkeit oder auch nur entfernte Verwandtschaft man niemals hätte ahnen können, wenn man sie nicht täglich constatiren könnte? Die Thatsachen lassen sich nicht leugnen, nicht wegdeuteln – aus zwei Eiern desselben Thieres, aus zwei vollkommen gleichen Nauplius, Geschwistern desselben Wurfes, entstehen zwei grundverschiedene Wesen. Und wer will behaupten, daß zwei einander nahe stehende Arten, die sich durch hundertfach geringere Unterschiede abgrenzen, als diese Geschwister verschiedenen Geschlechtes, nicht von derselben Stammform abgeleitet werden können, nur deshalb, weil man diese Ableitung nicht wirklich gesehen hat? Wahrlich, es ist kein Ernst in diesen Ableugnungen, und sie müssen Jedem verwerflich; ja selbst albern vorkommen, der die Thatsachen belauscht hat, wie sie sich zeigen, und die Umwandlungen, wie sie sich abspielen. Hätte man Männchen und Weibchen von Chondracanthus in verschiedenen Tümpeln gefunden, wie Damhirsch und Edelhirsch in verschiedenen Wäldern, so würde man von den beiden Formen des Chondracanthus ebenso bestimmt behaupten, sie könnten nicht von einem gemeinsamen Stamme abgeleitet werden. Und doch stammen sie von derselben Mutter, doch entwickeln sie sich aus derselben Grundgestalt.