Im Stammhause des Reichskanzlers (II)
Von Moritz Busch.
II.
Nachdem das Innere des Hauses in Augenschein genommen war, brachte mein Führer mich in den Garten, der, wie bemerkt, in zwei Hälften, eine höher und eine tiefer gelegene, zerfällt, von welchen jene Obstbäume und Gemüsebeete enthält, während diese in einem Parke nach altfranzösischer Anlage besteht. Zwischen beiden zieht sich – wenn wir unter dem Doppelwappen über der Thür des Herrenhauses hinaustreten, links – eine Allee breitwipfeliger alter Linden hin, die rechts eine Strecke von einer Fachwerkmauer, der Hinterwand des linken Flügels der Wirthschaftsgebäude, links von einem offenen Raume begrenzt ist. In den Balken jener Wand sieht man zahlreiche Spuren von Schrotschüssen, die nach der Mittheilung des Inspectors, der mich auf sie aufmerksam machte, von Schießübungen des Reichskanzlers in der Zeit herrühren, als er noch der kleine Junker Bismarck war. Der offene Rasenplatz auf der anderen Seite der Linden erinnert durch die hier aufgefahrenen französischen Geschütze an das, was aus dem kleinen Schützen zu unserem Heile in späterer Zeit geworden, an den Befreier Deutschlands von Jahrhunderte langer Bedrohung durch den Erbfeind im Westen. Es sind vier Kanonen, zwei kleinere neue und zwei sehr große alte. Die beiden letzteren sind schön verziert und mit hellgrüner Patina bedeckt. Die Namen derselben – man weiß, daß die Franzosen ihre Geschütze taufen – sind: L’Autorité, Le Navarin, Le Ravissant und Le Champion.
Steigen wir auf der moosbewachsenen Treppe vor uns in den Park hinab, so befinden wir uns bald zwischen hohen Weißbuchenhecken in schmalen geradlinigen Gängen, bald im Schatten der Wipfel von Lindenalleen, die ebenfalls gerade fortlaufen. An der tiefsten Stelle liegt, von einem Graben oder einem kleinen Teiche umgeben, von Bäumen überragt, ein Lusthaus. Hier und da steht eine Bildsäule von Sandstein, eine alte griechische oder römische Gottheit, welche die Zeit mit gelben Flechten bekleidet oder – vielleicht thaten es hier die bösen Franzosen, welche den erwähnten Stammbaum gemißhandelt – um einen Kopf kürzer gemacht hat. Am Ende des Parkes, wo ein Holzbrückchen über einen schilfigen Graben in’s sonnige Feld hinausführt, begegnen wir der Statue eines Hercules, der die rechte Hand auf’s Kreuz drückt, als ob es ihm da wehthäte. Die Schönhausener nennen ihn, weil er die Tracht der Menschheit vor dem Sündenfalle trägt, „den Adam“, und ein witziger Kopf unter ihnen hat die Sage aufgebracht, er halte die Hand auf die Stelle, weil ihn der Schuß noch schmerze, den Junker Bismarck einst auf dieselbe abgefeuert. Ob aus Verdruß darüber, daß er diese Kehrseite den die Brücke vom Felde her Passirenden in nicht recht höflicher Weise zuwendet, weiß ich nicht, ich kann nur bezeugen, daß Spuren eines Schrotschusses noch deutlich zu sehen sind.
Alles ist jetzt still hier. Nur die Stimmen von Vögeln beleben die Büsche im Frühling. Aus den Mauern zur Seite und auf den Treppenwangen sproßt Unkraut und Gesträuch, und längst hat die Zeit an den einst glattgeschorenen Wänden der Weißbuchenhecken die Kunst des Gärtners mit dem Zopfe verdrängt und der Natur wieder zu ihrem Rechte verholfen. Die Sonne des Nachmittags aber leuchtet an wolkenlosen Tagen so schön wie einst vor den Ausgängen der schattigen Alleen und durch das grüne Gezweig der Bosquets dieser Wipfelinsel im weiten baumlosen Gefilde.
Der Park stimmt im Herbste, wo ich ihn sah, durch seinen Verfall etwas schwermüthig, auch wenn man die Kreuze der beiden Gräber nicht sieht, die er enthält, und in denen ein jung verstorbener Bruder und ein Vetter des Fürsten gebettet liegen. Auch der Obst- und Gemüsegarten ist nicht mehr, was er früher wohl gewesen ist. Die Blumen- und Gemüsebeete sind meist mit Luzerne bestanden. Der kleine Teich in der Mitte, der eine Insel mit einer vom Fürsten gepflanzten Birke umgiebt, ist fast ohne Wasser. Das Gewächshaus dient als Stall, in welchem fremdländische Hühner gezüchtet werden. Der Wein, welcher an der hohen Umfassungsmauer in Menge wächst, war in diesem Herbste nicht zur Reife gelangt, und seine edlen Trauben hingen ungenießbar zwischen den vergilbten Blättern der Reben. Einer schöngewachsenen Linde an der Nordseite der Mauer drohte der Untergang. Die Telegraphenverwaltung hat – wohl aus Pietät gegen den Kanzler – den Wipfel des Baumes mit ihrer Leitung umgangen. Jetzt aber wird leider von einer anderen Behörde, wie mein Begleiter erzählte, auf Antrag des Chausseeinspectors verlangt, daß der Draht dicht am Baume hinführen soll, ein Verlangen, welches eine Verstümmelung desselben durch Wegnahme eines Theils des Wipfels einschließt. Ob das nöthig ist? Ich schlage meine Notizenherbarien nach und finde folgende Ergebnisse der Studien, welche der französische Physiker Moucel in Betreff der Bäume als Leiter der Elektricität angestellt hat:
„Die Bäume sind durchaus mehr oder minder Leiter, und ihr Leitungsvermögen hängt von der Menge von Flüssigkeit ab, welche sie enthalten. Die Widerstandsziffer, die von den Blättern eines Baumes ausgeht, vorausgesetzt, daß nur einige derselben mit der Leitung in Berührung gebracht worden sind, variirt, rund gerechnet, zwischen 200,000 und 400,000 Kilometer [261] Telegraphendraht, das heißt: der elektrische Strom findet in einem Baume den nämlichen Widerstand, den er beim Durchlaufen eines Telegraphendrahts von circa 26,000 bis 52,000 Meilen Länge zu überwinden hätte. Der Widerstand im Stamme überschreitet in einen Höhe von 7 bis 8 Metern, wenn der Erdboden als Zwischenmittel benutzt wird, bei stärkeren Bäumen nicht 7000 Kilometer und variirt bei Einschaltung kleiner metallischer Elektroden zwischen 2000 und 7000 Kilometer. Man hat hiernach keine Ursache, sich zu sehr vor der Berührung der Blätter der Bäume mit den Drähten der Telegraphen zu fürchten, denn die aus diesen Linien angewendeten Isolatoren besitzen, sobald sie vom Rauche geschwärzt sind, ebenfalls keine größere Widerstandsfähigkeit. Der Leitungswiderstand gewöhnlicher Häuser ist sechszehn- bis zwanzigmal größer, als jener der Bäume.“
Ich muß es Fachmännern überlassen, zu entscheiden, ob hieraus Schlüsse aus unseren Fall gezogen werden können, und welche.
Nächst dem Hause, in welchem der Reichskanzler geboren worden, in dem er von 1845 an bis 1851 meist lebte und auch in den Jahren von da an bis 1867 wiederholt für längere Zeit seinen Aufenthalt nahm, nächst diesem Hause und den alten Bäumen im Parke und Garten, welche Zeugen seiner ersten Kinderspiele, dann seines gährenden und überschäumenden Jugendhumors, endlich seines Heranreifens zum Politiker waren, müssen wir auch der Kirche einen kurzen Besuch abstatten, in der er getauft worden ist. Denn der Fürst ist – man lasse sich durch seinen Kampf mit den Schwarzen vom geraden und krummen Horne nicht beirren! – ein streng religiöser Mann, und die alte romanische Kirche von Schönhausen ist in der That sehenswerth. Nicht viele Dörfer Norddeutschlands werden ein so altes Gotteshaus aufzuweisen haben, das so wohl erhalten ist, und das sich namentlich seinem Aeußeren nach so stattlich präsentirt.
Die Kirche liegt auf derselben Bodenerhebung wie das Herrenhaus, doch ein wenig höher, und stammt aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts (1202), also aus einer Zeit, wo das Heidenthum dieser Gegend noch nicht lange vor dem Christenthume gewichen war. Von Ziegeln erbaut, mit zwei Reihen kleiner Rundbogenfenster versehen, macht sie mit ihren dicken Wänden und ihrem breitschulterigen Thurme den Eindruck, als ob sie dem umwohnenden Landvolke in alter Zeit bei feindlichen Einfällen zugleich als Burg und Zuflucht hätte dienen sollen. Der Form nach ist sie eine Basilika mit drei Schiffen in welche Emporkirchen hineingebaut sind. Das Innere gehört nach seiner Ausschmückung verschiedenen Stilen an. Noch von mittelalterlicher Kunst geschaffen ist ein großes weiß übertünchtes Crucifix, das rechter Hand vom Eingange an der Wand befestigt ist. Gleichfalls sehr alt scheinen einige der Gruftplatten von Sandstein zu sein, welche, mit jetzt großenteils abgetretenen Bildern und Inschriften versehen, den Fußboden bedecken. Schon aus der Periode der Renaissance ist der Grabstein des Ritters Jobst von Bismarck, der unter einem emporkirchenartigen Betstuhle neben der Kanzel in die Wand eingefügt ist und die Jahreszahl 1589 trägt. Die Kanzel, der Altar, den Fahnen schmücken, der herrschaftliche Chorstuhl, welcher, von braunem Eichenholze gezimmert und mit hübschen Ornamenten verziert, der Kanzel gegenüber auf der dort sich hinziehenden Emporkirche hervortritt, gehören ihrem Stile nach in die zweite Hälfte des 17. und in die erste des vorigen Jahrhunderts, aus welcher Zeit auch die an der Kanzelseite befindlichen Gedächtnißtafeln stammen. Eine derselben stellt den Landrath August von Bismarck vor, dessen Namen wir auf dem Wappen über der Hauptthür des von ihm wieder hergestellten Herrenhauses begegneten. Ein anderes, sehr groß und reich geschmückt, zeigt die ovalen Oelbilder der Eltern desselben, des kurbrandenburgischen Obersten August von Bismarck und seiner Gemahlin Friederike Sophie, geborenen von Möllendorf, von denen Ersterer im Jahre 1670 gestorben ist. Nicht weit davon erinnert eine einfache Gedächtnißtafel an die Mutter des Reichskanzlers, und ihr schräg gegenüber hängt ein Oelgemälde, welches einen der letzten Pfarrer der Kirche darstellt. An der schmalen Westseite der letzteren, dem Altare gegenüber, befindet sich eine stattliche Orgel, die vor Kurzem durch freiwillige Beiträge der Ortsangehörigen – es kamen gegen tausend Thaler zusammen – reparirt worden ist. An der Brüstung vor ihr liest man auf Tafeln die Namen der in den letzten Kriegen Preußens für das Vaterland gefallenen Schönhausener, unter denen wir auch einen Oheim des Fürsten finden, der als Husarenmajor in der Schlacht bei Leipzig tödtlich verwundet wurde. Unten in der Ecke rechts vom Eingange zu der Treppe, die in den Thurm hinaufführt, liegt, durch eine Thür mit großem Schlosse abgesperrt, die Familiengruft der Bismarcks. Herr Kohnert erzählte mir hier: „Die Bauern von Schönhausen sahen sich genöthigt, auf einen neuen Kirchhof Bedacht zu nehmen, und wählten dazu einen Platz, der die hohe Wurth heißt. Man fragte den Fürsten, ob er dort auch ein Erbbegräbniß haben wolle. Er antwortete freundlich und mit schönem Danke für die Anfrage, die Stelle hätte ohne Zweifel ihre Vorzüge, sie wäre ihm aber zu windig’.“ –
Begeben wir uns nun von Schönhausen über Stendal und Wittenberge nach einer vom Fürsten neuerdings erworbenen Besitzung, dem mächtigen Complex von Waldgrundstücken im Lauenburgischen, welcher in den Oertchen Friedrichsruhe seinen Mittelpunkt hat. Er besteht in dem sogenannten Sachsenwalde, der sich, etwa zwei Meilen südlich von Hamburg beginnend und an einigen Stellen bis zur Elbe hinabreichend, zu beiden Seiten der Hamburg-Berliner Eisenbahn hinzieht. Dieser Besitz war ursprünglich Domäne und wurde dem Reichskanzler 1871 vom Kaiser als Herzog von Lauenburg zum Zeichen der Anerkennung seiner Verdienste überwiesen. Feldbesitz von Bedeutung war ursprüglich nicht damit verbunden. Auch befand sich hier kein Schloß oder Herrenhaus. Neuerdings hat der Fürst die Güter Silk und Schönau dazu gekauft, in welchem letztere ein großer Wirthschaftshof ist, von dessen geräumiger und elegant eingerichteter Inspectorwohnung man einen Theil der Gutsfelder und des Sachsenwaldes übersieht. Der Viehstand ist hier erheblich kleiner als in Schönhausen; wenn ich mich recht erinnere, sprach die freundliche Frau Inspectorin, die meine Führer und mich in Abwesenheit ihres Mannes durch Haus und Stall begleitete, von fünfzig Stück Rindvieh. Auch der Boden ist nicht so gut, wie der zum Stammhause des Kanzlers gehörige. Herrlich dagegen ist der Wald, in dessen Mitte im tiefsten Thale der Aue das Oertchen Friedrichsruhe liegt.
Letzteres ist neueren Ursprungs und besteht aus einem Stationsgebäude der Eisenbahn, einem kleinen Posthause, der netten Wohnung des Oberförsters, in welcher der Fürst bisher abstieg, wenn er sich hier einige Tage aufhielt, einer Mühle, einem Gasthause, vier oder fünf hübsch im Grünen gelegenen Villen, in welchen wohlhabende Hamburger ihre Sommerfrische abhalten, und einem ziemlich großen Logirhause mit einem Anflug von Schweizerstil, welches vor Kurzem vom Reichskanzler angekauft worden ist und jetzt für ihn umgebaut wird. Da die Verhältnisse hier einfach lagen und keine Erinnerungen von Bedeutung aufzusuchen waren, auch die Zeit drängte – sonst hätte ich gern noch mehr von dem schönen Walde gesehen – so war mein Besuch hier nur ein kurzer. Er genügte indeß, mich über den Charakter des Ganzen zu orientiren und mich in Oberförster Lange, an den ich empfohlen war, einen liebenswürdigen, wohlunterrichteten Mann kennen lernen zu lassen. Ich besah mit ihm zunächst das Haus, das gegenwärtig für den Fürsten eingerichtet wird und in welchem er, da es für unwillkommenen Besuch allerdings nicht so schwer erreichbar als das ferne Varzin, für willkommene aber leichter zu erreichen ist, später vermuthlich länger seinen Aufenthalt für Urlaubszeiten nehmen wird. Dasselbe ist ein schon auf der Bahnstation ziemlich in die Augen fallendes Gebäude, das in seinen drei Stockwerken reichlich Raum für einen vornehmen Haushalt, aber weder hohe noch geräumige Säle noch andere Einrichtungen hat, die den Eindruck besonderer Eleganz machen. Mehr scheint der Fürst auf die Umgebung verwenden zu wollen. Hinter der Terrasse neben dem Hause, die bei meiner Anwesenheit in der Vollendung begriffen war, bahnte man durch die dort stehende herrlichen Gruppen hochstämmiger Buchen und Fichten Schlangenwege nach verschiedenen Punkten, die eine anmuthige Aussicht auf den Lauf der vielgewundenen Aue bieten. Andere Arbeiter waren mit Schaufel und Schubkarren beschäftigt, diesen Wasserlauf malerischer zu gestalten und den Teich bei der Mühle, in dem sich der Bach sammelt, zu schlämmen. Alle Neubauten wurden mit schönen rothen Backsteinen aufgeführt, welche man selbst erzeugte.
Später zeigte mir der Oberförster, indem er Pächter Peters [262] seine Braunen anspannen ließ, eine gute Strecke des seiner Pflege und Obhut befohlenen Waldes. Der Weg führte uns dabei zunächst unmittelbar hinter dem Orte und dann wohl eine kleine Viertelmeile seitwärts an prachtvollen Buchenständen mit geraden starken Stämmen hin, wie man sie so schön hier oben wohl nur noch in Holstein sieht. Weniger imponirten die Eichen, die uns zur Linken blieben, da hier für diese Baumgattung kein geeigneter Boden ist, weshalb sie Herr Lange – beiläufig ein Rheinländer, der vor seinem Eintritt in die Dienste des Fürsten als Oberförster die wildreichen Staatsforsten bei Zehdenik verwaltet hat – allmählich durch Buchen verdrängen will. An Holz wird bei den jetzigen gedrückten Preisen verhältnißmäßig wenig verkauft. Etwas davon consumirt die große Pulverfabrik, welche ein Württemberger an einer an der Elbe gelegenen Stelle der hiesigen Bismarck’schen Besitzungen angelegt hat. „Wenn sich die Holzpreise für den Verkäufer besser gestalten,“ äußerte mein Begleiter, „so getraue ich mir ohne Schaden für den Forst jährlich aus diesen Wäldern Holz im Bruttowerthe von hunderttausend Mark herauszuschlagen.“ Ich weiß nicht, was für einen Nettowerth das ergiebt. Aus guter Quelle aber weiß ich, daß die 1872 vielverbreitete Annahme, die lauenburgische Dotation gewähre dem Fürsten einen Jahresertrag von vierzigtausend Thalern, der beim Ablauf der Pachtverträge auf das Dreifache gebracht werden könnte, eine starke Ueberschätzung war. Die Wahrheit war, daß die bezeichneten Domänen damals vierunddreißigtausendundsechszehn Thaler das Jahr eintrugen, welche Summe dreitausendfünfhundert Thaler Pacht für die Jagden und über zweitausend Thaler Pacht für künftig wegfallende Zwangs- und Bannrechte einschloß. Diese letztere abgezogen, dagegen die vom Pulvermüller jährlich gezahlte Pacht hinzugerechnet, wird der gegenwärtige Ertrag der Besitzung hunderttausend Mark kaum erreichen. Es kann nicht oft genug betont werden, daß man den Fürsten Bismarck vielfach wie für gesünder und einflußreicher, so auch für wohlhabender hält, als er in Wirklichkeit ist.
Der weitere Weg führte uns bei einer Mühle aus dem Walde heraus und hinauf nach Schönau, von wo wir auf anderer Straße, die klare, wasser- und forellenreiche Bille überschreitend, wieder durch herrlichen Buchenwald nach der gastlichen Oberförsterei von Friedrichsruhe zurückkehrten. Ich bemerke noch, daß der dem Fürsten gehörige Sachsenwald, der in einigen seiner Reviere auch aus Nadelholz besteht, die erhebliche Fläche von achtundzwanzigtausend Morgen bedeckt, daß er außer dem Oberförster noch sieben Förster zu Pflegern hat, und daß die Jagd in ihm noch auf mehrere Jahre an Hamburger verpachtet worden ist. Wenn das letztgenannte Verhältniß dem lebhaften Waidmannsgemüth Herrn Lange’s nicht recht gefallen sollte, so tröstet ihn wohl einmal eine Jagd mit dem Fürsten oder dessen Söhnen in dem Parke jenseits der Bahn, den man sich reservirt hat, und der ganz achtbare Hirsche aufweisen soll. –
Zum Schlusse dieses Abschnitts mögen noch zwei andere Güter kurz erwähnt werden, von denen das eine zuerst, das andere zuletzt von allen in den Besitz Bismarcks gelangte: Kniephof, welches seine wilde Uebergangszeit vom Jünglinge zum Manne mit ihren hundert tollen Streichen, und Reinfeld, welches in Johanna von Putkammer seine Lebensgefährtin aufwachsen und sie am 28. Juli 1847 mit ihm die Ringe wechseln und Hochzeit halten sah. Beide Güter liegen in der Provinz Pommern, das erstgenannte etwa sieben Kilometer östlich von Naugard in anmuthiger Gegend mit Wald und Wiesen nicht fern vom Flüßchen Zampel, das andere dicht am linken Ufer der Stolpe, nicht weit von da, wo sie sich in die Ostsee ergießt, und ebenfalls in freundlicher Landschaft.
In Kniephof verlebte der Reichskanzler, da seine Eltern schon 1816 von Schönhausen hierher übersiedelten, den größten Theil seiner ersten sechs Lebensjahre, und hier zog er, nachdem ihm sein Vater diese Besitzung abgetreten, in seinem dreiundzwanzigsten Jahre als selbstständiger Gutsherr ein. Das alte Fachwerkhaus neben dem schönen Garten dieses Gutes hat, seit letzteres in den Besitz eines Neffen des Fürsten übergegangen ist, einem stattlicheren Raum machen müssen. Als es noch stand, wußte es allerhand Wunderdinge zu erzählen, die, von der Mythe weiter ausgebildet, die Edelsitze und Dörfer zehn Meilen in der Runde mit dem Rufe des „tollen Junkers“, der hier hauste, erfüllten. Schaudernd hörten junge Fräulein und deren Tanten und Mütter, kopfschüttelnd und ein schreckliches Ende weissagend deren Väter von wüsten Gelagen, bei denen Fluthen von Champagner und Porter vertilgt worden, von Ritten, als ob der wilde Jäger daherkäme, von Pistolenschüssen, mit denen mitten in der Nacht die Gäste des Hauses geweckt worden, von kecker Verspottung des Herkommens durch allerlei Unfug und Uebermuth. Daß Vieles hiervon Wahrheit, konnte das alle Haus bezeugen, daß Manches wenigstens zur Hälfte Dichtung der Nachbarn konnte es gleichfalls darthun, und das Unheil, das gesetzte Leute aus dem Unfug prophezeiten, ist ebenfalls Phantasie geblieben. Der gährende Most setzte sich trotz seines Brausens zu seiner Zeit wie in anderen Fällen, und was daraus geworden, weiß die Welt.
Wenn in jenen Tagen voll Sturm und Drang es einmal hieß: „Er geht nach Indien,“ so war darin nur das Körnchen Wahrheit, daß der Junker von „Kneiphof“ – so hatte der Witz guter Freunde oder verdrießlicher Zuschauer dieses Treibens den Schauplatz desselben getauft – sich einmal mit dem Gedanken trug, auszuwandern, aber das Ziel, das ihm vorschwebte, war nicht Italien oder gar das Gangesland, sondern ein beliebiger Punkt in den polnischen Wäldern, wo er ein Farmer- und Jägerleben zu beginnen gedachte.
Wenn man ihm allerhand Dinge, welche die hergebrachte Manier und Convenienz auf den Kopf stellten, nachsagte, so mögen Geschichtchen wie das folgende dazu beigetragen haben. Einst hatte der Junker einen Husarenlieutenant bei sich, der im Begriffe stand, einen Verwandten in der Nachbarschaft zu besuchen, welcher viel auf Etiquette und wohlabgezirkelte Sitte hielt und bei dem sich Gäste ähnlicher Art zu einer großen Festlichkeit versammelten. Bismarck beredete in der Nacht vorher den Lieutenant zu scharfem Zechen und brachte ihm so viel gute Getränke bei, daß er beträchtlich mehr als genug hatte. Dann ließ er am Morgen einen Wagen ohne Federn anspannen, aus dem er mit seinem Gaste nach dem Schlosse jenes Onkels fuhr. Die Wege waren entsetzlich, sodaß beide übel bespritzt am Ziele ankamen, der Lieutenant aber überdies in seekranker Verfassung. Die Gesellschaft, die sie dort versammelt fanden – die Damen in großer Toilette, die Herren in Frack und weißer Binde – sah sie mit Blicken, die halb Staunen, halb Grausen waren, eintreten, und der Husar wurde bald nachher unsichtbar. Bismarck aber setzte sich trotz des Abscheues der guten Leute gelassen mit ihnen zu Tische und that, als ob an ihm nichts auszusetzen. Man sagte dann, es wäre doch merkwürdig, daß er gar nicht gemerkt habe, wie er unangenehm aufgefallen sei.
Diese Anekdote ist gut verbürgt. Dagegen war es nichts als die Mythe in eigenster Person, die sich im October vorigen Jahres auf einer hinterpommerschen Bahnstation in Gestalt eines derben naiven Landmanns zu mir in’s Coupé setzte und unter anderen hübschen Historien auch die erzählte, daß Bismarck in Kniephof ein altes gebrechliches, windschiefes Gebäude, statt es abtragen zu lassen, mit einer Kanone zusammengeschossen habe. „Woher er nur die Kanone dazu bekommen haben mag?“ fragt man mit Recht. Ich antworte mit der Gegenfrage: ob mein wackerer Bauer nicht am Ende läuten, aber nicht anschlagen gehört, ob die aus ihm redende Volksmythe nicht im dunkeln Drange ihres Schaffens den Minister Bismarck mit dem Junker Bismarck verwechselt hat? Wir Alle wohnten einst in einem alten gebrechlichen, windschiefen Hause – im deutschen Bunde, und den hat er allerdings mit Kanonen zusammengeschossen.
Schließlich sei hervorgehoben, daß Kniephof im Leben des Reichskanzlers nicht blos „Kneiphof“ gewesen ist. Es hat auch etwas Anderes zu bedeuten. Zwischen Stunden voll Hitz und Hatz, voll Saus und Brauns gab es hier auch Tage ernsten Studirens für ihn, das sich namentlich auf geschichtliche, aber auch auf philosophische Werke erstreckte, wie er sich denn hier allen Ernstes mit keinem Geringeren als Spinoza beschäftigt hat. Mit dem Besuch, den er bekam, discutirte er politische Fragen oft bis tief in die Nacht hinein, und zwar vertrat er dabei ziemlich freisinnige Anschaungen. Der „tolle Junker“ war eine Zeit lang Kreisdeputirter, dann Abgeordneter im pommerschen Provinziallandtage, und zuletzt hätte er sich sogar zum Landrath wählen lassen können, da ernste und kluge Leute trotz alledem und alledem von seinem Wesen Tüchtiges erwarteten. Endlich aber hat er, in doppelter Weise mit Nutzen, schaffend und sich [263] bildend, die Schule des praktischen Landwirths durchgemacht. Er hat ein durch Vernachlässigung heruntergekommenes Gut wieder emporgebracht und dabei seine Begabung zu entwickeln begonnen, heruntergekommene große Güter, Staaten, wieder emporzubringen.
Die Landwirthschaft schärft, wie wenige andere Beschäftigungen, den Blick für die natürlichen Verhältnisse; sie lehrt Mögliches rasch von Unmöglichem unterscheiden und in Folge dessen die Dinge praktisch anfassen; sie lehrt verwalten und regieren. Es wäre darum meines Erachtens gut, wenn unsere Politiker in größerer Anzahl in diese Schule gegangen wären.