Ein Dichter des Wupperthales
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„Nicht ziemt’s dem Sänger, sich im Traum zu wiegen,
Nicht ziemt’s dem Sänger, müßig Tag für Tag
Im weichen Arm der Himmlischen zu liegen.
Fluch solchem Dasein! Bei dem Träumer nicht,
Nicht bei dem Schwächling wird die Muse rasten,
Doch immer gern sie dem die Kränze flicht,
Der muthig trug des Lebens Müh’ und Lasten.“
Es wird bald ein Jahr, am 18. Juli, daß ich zur sonntäglichen Nachmittagsstunde in der überfüllten Tonhalle des Johannisberges bei Bielefeld saß, entgegenharrend dem Beginne des Festes, welches der Gesangverein „Arion“ zu Ehren meines Nachbars Ferdinand Freiligrath in großartigstem Maßstabe veranstaltet hatte. Galt es doch, den aus der Verbannung Heimgekehrten auf der rothen Muttererde zu begrüßen, und war es doch ein Volksfest im eigentlichen und schönsten Sinne, denn das Volk hatte den treuen Sohn sich selber wieder eingeholt und dem Bedrängten es ermöglicht, die lang getragene Bürde schwerster Sorgenlast in der Fremde zurückzulassen. Glänzend hatte das deutsche Volk diesmal die oft wiederholte Anklage entkräftet, daß es nur um seine todten Dichter sich kümmere, und dem Liede eines Dichters war es nächst der warmen Ansprache des Comités gelungen, mit den Herzen auch den strengeren Verschluß der Geldbeutel zu öffnen. Soweit die deutsche Zunge klingt, hatte jener poetische Aufruf gezündet, der durch die Gartenlaube bis in das kleine Blättchen der deutschen Colonie auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung seinen Weg um die Welt gemacht. Dies Alles zog mit innerem Jubel durch meine Seele, während die Klänge der Jubel-Ouvertüre um mich verhallten. Und nun sollte er den selbstgedichteten Prolog sprechen, er, der Freiligrath-Dotation verdienstvoller Förderer, mein langjähriger Freund und Gesinnungsgenosse, den ich trotzdem noch niemals von Angesicht geschaut, Emil Rittershaus aus Barmen.
Da stand er schon, vorschriftsmäßig angethan, eine hohe, kräftige Gestalt, eine westphälische Eiche im Frack, die gesammte Erscheinung vielleicht nicht im Einklange mit dem Bilde, unter welchem jugendliche Schwärmerinnen ihren Lieblingssänger träumen, aber auf den markigen Zügen den Ernst, in dem aufblitzenden Auge das Feuer des echten Mannes und Dichters. Er gewährt so ganz den Eindruck eines selbstgemachten Mannes, kernhaft Alles, auch die volltönende Stimme. Dichtung und Vortrag verfehlten [374] ihre Wirkung nicht, bis zur Begeisterung aber stieg in der gehobenen Stimmung des Bankets der Beifall, als Rittershaus in einem durch Inhalt wie Formvollendung gleich ausgezeichneten Stegreifgedichte den üppigen Damenflor feierte. Dieses augenblickliche Commandiren der Poesie, das Goethe von dem Poeten verlangt, steht Rittershaus in einer Weise zu Gebote, daß er getrosten Muthes darauf reisen könnte, und diese besondere Fertigkeit hat sich in Verbindung mit der allgemeinen dichterischen Anlage schon sehr frühzeitig entwickelt. Als der einstmals renommirte Improvisator Langenschwarz 1844 in Barmen eine seiner Vorstellungen gab, erklärte das zehnjährige Bürschchen keck: „Das kann ich auch,“ verlangte ein Thema und schrieb nach kurzem Besinnen drei achtzeilige Strophen nieder.
Die Leser der Gartenlaube erinnern sich gewiß noch des Artikels von Karl Vogt im vorigen Jahrgange über die neuentdeckte Grüner Höhle bei Iserlohn. Das darin mitgetheilte prachtvolle Gedicht hatte Rittershaus bei dem fröhlichen Mahle der aus der Unterwelt wieder Emporgestiegenen einem Höhlenfahrer in die Feder dictirt. Unter ihnen befand sich auch Wilhelm Auffermann aus New-York, der Stifter und Präsident der amerikanischen Schiller- und Humboldtfeier, der sofort den Dichter beauftragte, für letzteres Fest den Prolog zu schreiben, dessen Manuscript Rittershaus dem gleichfalls unter den Bielefelder Ehrengästen Befindlichen an jenem unvergeßlichen Tage übergab. Wie diese Dichtung, von Fanny Janauschek gesprochen, die Hörer hingerissen, und wie sie, für die neue Welt von Freiligrath’s hochbegabter Tochter, Kätchen Kroeker, englisch übersetzt, für die alte Welt aber in diesem Blatte abgedruckt, die Leser diesseits und jenseits des Oceans entzückt und begeistert, ist noch frisch in Aller Gedächtniß.
Jene staunenswerthe Befähigung der Augenblicksdichtung, mit welcher eine gleiche Herrschaft über die freie Rede Hand in Hand geht, und dazu noch eine große gesellige Liebenswürdigkeit, das Erbtheil der früh verlorenen, von dem Sohne in herzensinnigen Liedern betrauerten und verklärten Mutter, haben Rittershaus in den weitesten Kreisen seiner Heimath zu einer ebenso bekannten wie beliebten und gefeierten Persönlichkeit gemacht, wovon ich mich in Bielefeld auf das Genügendste überzeugen konnte. Daraus erklärt es sich auch, daß seit einer Reihe von Jahren fast in keinen Zeitungsberichte über irgend eine Feierlichkeit am Rhein und in Westphalen der Name Rittershaus fehlt.
Unrecht aber würde man ihm thun, deshalb ihn jenen ausschließlichen Gutheilern, Sangesbrüdern oder Schützenkönigen beizugesellen, die in ihrer eintagsfliegenhaften Begeisterung und mit mehr Durst als Witz unter der inzwischen versunkenen Festsonne ihre Luftsprünge machen. Seine ganze Thätigkeit gehört im besten und ernstesten Sinne der Oeffentlichkeit an; die Gemeinsamkeit Aller, dieses Losungswort der Einsichtigen und Ehrlichen, ist auch sein Bannerspruch. Nachdem schon der Knabe die Gluth für Freiheit und Recht in jener vormärzlich unbestimmten Wortfülle ausgesungen, trat mit der sogenannten neuen Aera der jugendliche Mann in die Reihen der Partei, und hat seitdem der Dichter den Freiheitskampf unseres Volkes unablässig mit seinen Liedern begleitet, deren viele weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus in deutschen Herzen eine bleibende Stätte gefunden. Aber dabei begnügte er sich so wenig wie mit Reden in Volks- und Wahlversammlungen; die bittere Enttäuschung, die jenem kurzen Rausch folgte, öffnete auch ihm die Augen über die Unzulänglichkeit rein politischer Bestrebungen und richtete seine Blicke auf die Erziehung und Bildung, auf die geistige und leibliche Förderung Derer, die ein altverjährter Mißbrauch noch immer „das Volk“ zu nennen beliebt, als das Nächstliegende und Dringlichste. Mit rastloser Selbstaufopferung ist er seit Langem für Gründung und Erhaltung von Spar-, Consum-, Arbeiterbildungs- und ähnlichen Vereinen in rheinischen und westphälischen Städten thätig, wie denn jedes auf das öffentliche Wohl gerichtete Bestreben seiner durchgreifenden Mithülfe sicher sein darf.
Und wie er so die Aufgaben unserer Zeit richtig erfaßt hat, ist er selbst zugleich ein Kind und ein Bild dieser neuen Zeit, welche, mehr und mehr von veralteten Vorurtheilen sich loslösend, nur die auf unmittelbare Ziele gerichtete Thätigkeit anerkennt, und Jeden auf dem Platze für berechtigt gelten läßt, auf dem er Tüchtiges leistet. Ganz abgesehen von den zünftigen Staatsmännern, welche durch uneingeweihte Volksvertreter und Volksredner gar oft eines Besseren sich müssen belehren lassen, greift überhaupt auch auf geistigem Gebiete die Gewerbefreiheit immer mehr Platz. Es ist noch gar nicht so lange her, daß das akademische Triennium, mochte es gleich mehr in der Kneipe und auf dem Fechtboden, als in der Hörsälen absolvirt sein, auch zur Erlangung des Bürger- und Meisterrechtes in der Literatur für unerläßlich galt, und das Aufsehen, welches die ersten Freiligrathschen Lieder machten, erhöhte sich dadurch um ein Bedeutendes, daß der Dichter „ein bloßer Kaufmannsdiener“ war. Und er blieb nicht lange vereinzelt. Im Wupperthale, diesem Sitze der großartigsten Industrie und der protestantischen Strenggläubigkeit, dessen eigenthümliche Verhältnisse schon Goethe gelegentlich seines Besuches bei Jung Stilling eingehend bespricht, erstand bald eine ganze Schule dichtender Kaufleute, die zugleich aus naheliegenden Gründen als Vorkämpfer einer freien Richtung auftraten.
Schon vor 1848 wurde der früh verstorbene Adolf Schults, später hauptsächlich durch seine gemüthvolle Familienpoesie beliebt, wegen radicaler Gedichte in der von Marx und Engels zu Paris herausgegebenen „Deutschen Zeitung“ auf Requisition des preußischen Gesandten aus der französischen Hauptstadt ausgewiesen, während er ruhig daheim als Commis am Schreibpulte saß und von da seine Brandraketen schleuderte, ward ein Heftchen socialistischer Lieder von Gustav Reinhart Neuhaus als Teufelsmachwerk von der Kanzel herab in zelotischen Predigten verflucht. Auch Friedrich Engels, der eigentliche Vater des deutschen wissenschaftlichen Socialismus, ist das Kind einer der angesehensten Familien in Barmen. Ihnen, dem begabten, nicht genug gewürdigten Dramatiker Friedrich Roeber, dem Verfasser des „Appius Claudius“, und dem sinnigen Lieder- und Balladensänger Karl Stelter schlossen sich die jüngeren, Karl Siebel, der leider 1868 in der Maienblüthe des Lebens heimgegangen, und Emil Rittershaus, auf das Innigste an, und in dem stattlichen Kreise wirkte der Maler Richard Seel, der geniale Zeichner des Deutschen Michel, als verneinender Geist, der namentlich die Heine’schen und amaranthisierenden Gelüste der Aufstrebenden mit unerbittlicher Schärfe beschnitt und immer wieder auf den gefundenen Boden der Wirklichkeit hin verwies. Ein Genosse jener Tage war auch der Leipziger Capellmeister Carl Reineke, zu dessen neuester Oper „König Manfred“ bekanntlich Friedrich Roeber den Text gedichtet hat.
Studirt hätte nun Rittershaus gern, und zwar Naturwissenschaften, deren bestimmender Einfluß auf die Umgestaltung der alten Zustände dem Frühgereiften nicht entgangen war, aber die Vermögensverhältnisse des Vaters traten dem Wunsche des einzigen Kindes entgegen. Und der junge Dichter, der in der letzten Zeit mit besonderer Erlaubniß der Lehrer die deutschen Aufsätze häufig in Versen geschrieben, auch bereits in Localblättern wiederholt sich gedruckt gesehen hatte, vertauschte die Schule mit dem Comptoir. Frischer Sinn und innere Tüchtigkeit bewahrten ihn vor weichlichen Träumereien über verfehlten Beruf, und er verstand es sehr bald, Pflicht und Neigung zu wechselseitiger Ergänzung in Einklang zu bringen. In sehr frühen Jahren selbstständig, fand er auch Gelegenheit, den alten Wandertrieb zu befriedigen und auf größeren Reisen durch Deutschland, England, Holland, Belgien und die Schweiz nicht nur für seine geschäftlichen Zwecke, sondern auch durch die Bekanntschaft mit den hervorragendsten literarischen, politischen und künstlerischen Größen für die eigene Ausbildung zu wirken.
Gesammelt erschienen seine Gedichte 1855 bei Badeker in Elberfeld, und obschon vom Publicum und der Kritik auf das Günstigste aufgenommen, gelangten sie doch, eines Verlagswechsels und anderer äußerlicher Umstände halber, erst im vergangenen Winter zur dritten Auflage (Breslau bei Trewendt). Die Jugend des Dichters liegt in diesem Buche abgeschlossen vor, und Alles, was ihn auszeichnet, findet sich hier, wenn auch nicht immer schon in der Vollendung, so doch in seinen festen Grundzügen. Vorzüglich bemerkenswerth, besonders beim Rückblick auf die Zeit, der diese Dichtungen zum allergrößten Theile entstammen, ist die Gesundheit, die frische männliche Kraft und jenes unmittelbare Erfassen der Wirklichkeit, das damals unter der Bezeichnung des Realismus noch vielfach als eine Abirrung der Poesie heftig angegriffen wird, gegenwärtig aber immer siegreicher das Feld erobert, nachdem die Poeten sich selbst und die Andern überzeugt haben, daß sie mit dem Leben rechnen müssen, wenn sie für das [375] Leben schaffen wollen, was doch schließlich Jedermanns Pflicht. Junge Dichter rechnen bekanntlich aber auch gern mit jeder Frau, daher die vielfachen Herzensbrüche, denen sie ausgesetzt sind, und die ihre Bücher zu einer Gallerie weiblicher Schönheiten machen. Davor ward Rittershaus durch seine schon in den ersten Jünglingsjahren erfolgte Verheirathung bewahrt. Hedwig Lucas ist ihm eine treue, aufopfernde Lebensgefährtin und zugleich seine einzige Muse geblieben. Daher der einheitliche Charakter seiner Liebeslieder, die den Verlust an stürmischer Leidenschaft durch eine wohlthuende und überzeugende Innigkeit ersetzen.
Bezeichnend für die Entwicklung der Zeit und des Dichters aber ist, daß gerade die dem öffentlichen Leben gewidmeten Dichtungen jenes Buches an einer Allgemeinheit leiden, die zuweilen auf der einen Seite in unklarer Phrasenschwelgerei verhimmelt und auf der anderen bis zur Nüchternheit dürrer Reflexion herabsteigt. Sie bezeichnen jenen unbestimmten Freiheitsdrang, der noch ziemlich weit über die Märztage hinaus das deutsche Volk erfüllte, bis es endlich zur Klarheit über seine eigentlichen und nächsten Aufgaben gelangte und nun mit ernstem Eifer an die Arbeit ging, die mühsam, aber sicher, auch in ihren Erfolgen, noch immer vorwärts schreitet. Und dieser Arbeit fehlt, nach echter deutscher Sitte, auch der begleitende Gesang nicht, und die wahren Sänger sind zugleich Arbeiter an dem großen gemeinsamen Werke. Kaum dürfte aber ein Zweiter dem Doppelberufe mit solcher Treue obliegen und mit solcher Auszeichnung genügen, wie Rittershaus. Keine Leitartikel in Versen und kein mit leerem Schalle verhallendes Sturmglockenläuten, erfassen die politischen und socialen Lieder seiner zweiten Periode die Fragen des Tages mit concretester Bestimmtheit, während die dichterische Auffassung und Behandlung, das Feuer der Begeisterung und der hinreißende Klang des markigen Verses ihnen zugleich allgemeine und dauernde Bedeutung verleiht. Wohlthuend dringt und klingt bei ihm auch überall das Reinmenschliche durch, vor einseitiger blinder Parteileidenschaft ihn bewahrend. Als im unseligen Kriege von 1866 das „Hie Welf! Hie Waibling!“ auch aus Dichtermunde drohend sich entgegenklang, übertönte den wilden Kampfeslärm sein herzerschütterndes „Zu Hülfe!“ und wandte sich über allen Hader hinweg an die Einmüthigkeit der barmherzigen Liebe. Fast sämmtliche deutsche Blätter der verschiedensten Färbung öffneten sich diesem Aufrufe, der auch die so ergiebige Sammlung der Gartenlaube für die Verwundeten eingeleitet hat. Rittershaus sagt darüber in einem späteren Gedichte:
„In Kampfesmitten schlug ich auf mein Zelt,
Als Heermacht wider Heermacht kämpfend rannte,
Das rothe Kreuz in einem weißen Feld,
Die Fahne war’s, der ich mich zugesellt,
Als wildes Streiten unter Brüdern brannte,
Wo jammernd sich ein Herz in Qualen wand
Und einsam litt, da hat mich's hingetrieben, –
Gern gäb’ auch ich mein Blut für’s Vaterland,
Doch, ach, mein Wahlspruch: ‚Recht und Freiheit‘ stand
Auf keinem Kriegesbanner heut’ geschrieben!“
In diesem Wort liegt zugleich ein Zeugniß dafür, daß er zu den Wenigen gehört, die unverwirrt und unentwegt auch nach jenen verhängnisvollen Ereignissen die alte Fahne hochhalten, und die ein klarer Blick und ein ehrlicher Muth davon zurückgehalten, sich selbst und Andere, bewußt oder unbewußt, zu täuschen. Auch bei ähnlichen Anlässen, so für die Hinterbliebenen Hermann Marggraff’s, die darbenden Ostpreußen, die Cholerawaisen, hat Rittershaus niemals vergeblich an das deutsche Herz appelirt, zu dessen erklärtesten Lieblingen er gehört, auch drüben im freien Amerika. Zahlreiche Beileidsbezeigungen gelangten über das Weltmeer an die vermeintliche Witwe, als vor einigen Jahren, in Folge eines schlechten Scherzes, die Nachricht vom Tode des Dichters die Zeitungen durchlief, und ein amerikanisches Blatt brachte sogar die ganz genaue Beschreibung des Leichenzuges.
Mag sich an dem Todtgeglaubten der alte Aberglaube erfüllen! Noch lebt und wirkt er in der Fülle männlicher Kraft, ungebrochen von aller Noth und Sorge, die ihm nicht erspart geblieben. Gelang es ihm auch, unverschuldete schwere Geschäftsbedrängnisse mit treuer Freundeshülfe zu überwinden und als Generalagent verschiedener Assecuranzgesellschaften eine neue und gesicherte Stellung zu erringen, so lastet doch der tägliche Beruf auf der vollen Entfaltung seines herrlichem Talentes, und nicht selten muß der treue Vater nach einem Blicke auf die emporblühenden sechs Kinder, wenn auch mit tiefem Seufzer, das Drängen des Dichters zurückweisen, um Zahlen statt Verse zu schreiben. Jetzt soll und kann dieser Druck ihm erleichtert werden. Außer einem vor Kurzem bei Findel in Leipzig erschienenen Bändchen „Freimauerische Dichtungen“ (deren Ertrag der Central-Hülfscasse deutscher Freimaurer zufließen soll), gedankenvollen, freiheit- und liebeerfüllten, schöngeformten Gelegenheitsgedichten, die nicht allein den „Bruder“, sondern jeden wahren Menschenfreund erfreuen werden, hat Rittershaus noch keine weitere Sammlung seiner Poesien herausgegeben, obwohl er auch auf anderen Gebieten, als dem des politischen Liedes, thätig gewesen und überall zu gleicher Meisterschaft sich entwickelt hat, wie zahlreiche Proben in Zeitschriften und Künstler-Albums erweisen. Daß aber die besten und gelungensten Schöpfungen seiner zweiten Periode dem deutschen Volke nicht länger vorenthalten bleiben und daß Rittershaus zugleich die wohlverdienten Früchte seines segensreichen Schaffens ernte, dafür will ein Comité Sorge tragen, welches sich aus Freunden und Verehrern des Dichters gebildet hat und in dem Männer, wie Oberbürgermeister Bredt, Franz Duncker, Ferdinand Freiligrath, Friedrich Harkort, Löwe-Calbe, Schulze-Delitzsch, Professor Virchow u. A. vertreten sind. Der ganze Unternehmergewinn der demnächst erscheinenden „Neuen Gedichte“ soll dem Dichter allein zu Gute kommen, er soll allein die Früchte seines fünfzehnjährigen Schaffens ernten.
„Der Zweck dieser Gedichtsammlung ist deshalb vornehmlich auch der, dem Dichter selbst neben der Ehre auch den Gewinn seines Schaffens zu sichern und dazu beizutragen, ihm den Kampf mit den Aeußerlichkeiten des Lebens zu erleichtern,“ sagt der Verleger in seinem Aufrufe „an alle Freunde deutscher Poesie“.
Mag dieser Aufruf reiche Früchte tragen, mag das deutsche Volk auf dem betretenen Wege fortfahren, auch dem Lebenden zu seinem Rechte zu verhelfen, und die Hülfe, die es Freiligrath erst am Abend gewährt hat, Rittershaus mitten am Tage noch leisten, und dereinst mit ihm der Ernte eines Dichters sich zu freuen, der noch am Säen ist.
Als eine Probe und zugleich als Beleg, wie reich und voll das Herz des Poeten, wie schwer es aber auch gar oft um dieses Herz ist, schließe hier:
Die Sonntagspuppe.
Es war an einem Sonntagmorgen –
Ob hell, ob düster, weiß ich nicht,
Ich weiß nur das – ich war in Sorgen,
Und finster war mein Angesicht.
Mir war die Welt voll Gram und Grauen,
Die Lust der Jugend schuf mir Pein. -
Nur helle Menschenaugen schauen
In Gottes Welt den Sonnenschein!
Ich hatte einen Freund gefunden,
Der heil’ge Treu’ mir einst gelobt. –
Nun kamen ernste, schwere Stunden,
Nun ward des Mannes Wort erprobt!
Jetzt hing mein Schiff an schlimmen Riffen!
War nicht der Freund als Retter nah?
Ich hätte gern die Hand ergriffen, –
Die Freundeshand, sie war nicht da!
Mein Aug’ ist schlecht geschickt zur Thräne;
Nicht stand ich muthlos und erschlafft,
Doch brummt’ ich knirschend in die Zähne:
„Nun wohl! Mit Gott und eigner Kraft!“
Und in den Zügen stand geschrieben,
Wie mich geschmerzt der eitle Trug,
Daß einen Namen, einen lieben,
Ich ausstrich aus des Herzens Buch.
Mit seiner Sonntagspuppe spielend,
Mein Töchterlein im Zimmer saß;
Oft sah das Kind, zur Seite schielend,
Wie ich nur fast zum Scheine las,
Wie achtlos durch die Blätter schweifend
Ich doch in schwarzen Träumen blieb,
Und wie ich sinnend, leise pfeifend
Gedankenvoll die Stirne rieb.
Ein närrisch Ding mein kleines Aennchen!
Wie ist das Fräulein sonst empört,
Wenn’s in dem Spiel mit Kaffeekännchen
Und Puppen je der Vater stört!
„Gieb einen Kuss mir!“ – „Nein, ich danke!
So laß’ mich doch in Ruh’, Papa!“
Doch heute von dem Puppenschranke
So oft zu mir die Kleine sah.