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Die deutschen Demagogen-Untersuchungen

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Titel: Die deutschen Demagogen-Untersuchungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, 33, S. 317–320, 518–521
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[317]
Die deutschen Demagogen-Untersuchungen.
I.

Der deutsche Bundestag hat nie den Vorwurf gehört, nach außen hin irgend welche Kraft gezeigt zu haben. Er hat die holländischen Beeinträchtigungen der Rheinschifffahrt mit demselben philosophischen Gleichmuth ertragen, den er später den dänischen Eingriffen in die urkundlichen Rechte deutscher Herzogthümer Jahre lang entgegen gesetzt hat. Dem deutschen Handel und den deutschen Kaufleuten im Auslande Schutz zu gewähren, ist ihm nie in den Sinn gekommen. Ebenso wenig läßt sich behaupten, daß diese angeblich nationale Behörde den nationalen Bedürfnissen der inneren Politik einige Aufmerksamkeit geschenkt habe. Alle die Fortschritte der neuesten Zeit, zu denen der Bundestag hätte die Anregung geben sollen, der Zollverein wie der Post- und Telegraphen-Verein, die immer noch nicht ganz erreichte Einheit der Münzen und des Gewichts wie die deutsche Wechselordnung, sind ohne den Bundestag, im Wege der freien Vereinbarung zu Stande gekommen. Mit dieser Thatenlosigkeit bei großen und nützlichen Dingen steht die rege Thätigkeit, die man in Frankfurt auf dem polizeilichen Gebiet entwickelt hat, im schlagendsten Gegensatze. So oft es sich um wahre deutsche Interessen handelte, ein abgelebter Greis mit völlig abgestumpften Sinnen, hat sich der Bundestag, sowie ihm die Interessen der Reaction an’s Herz gelegt wurden, jedes Mal in einen feurigen Jüngling verwandelt, der im Thatendrange über das Ziel hinausschießt. Würde eine Geschichte der höchsten deutschen Behörde in der Eschenheimer Gasse zu Frankfurt geschrieben, so müßte sie ihre Seiten fast ganz mit Maßregeln der Reaction füllen, und einen ganz besonders breiten Raum hätte sie den Einschreitungen gegen die Hochschulen und ihre sogenannten Demagogen zu widmen.

Daß gleich die erste politische Thätigkeit des deutschen Bundes in Verfolgungen berechtigter Aeußerungen des Volksgeistes bestand, und daß die Anregung, um nicht zu sagen Nöthigung, dazu von außen, von Rußland kam, ist nach zwei Seiten hin sehr bezeichnend. War es würdig, daß der einzige noch übrige Mittelpunkt der Nation sich von vorn herein zum Polizeiinstitute machte, und war es deutsch, daß er Winke des Auslandes dienstbeflissen befolgte? Wie man weiß, gab eine Denkschrift, die ein russischer Diplomat, der Moldauer Stourdza, an seinen Herrn richtete, das Zeichen zu jenem Hagelwetter von Gesetzen des Bundes und der einzelnen Regierungen, von Verordnungen und Maßregeln jeder Art, das aus heiterm Himmel auf die Hochschulen niederschmetterte. [318] Die studirende Jugend nahm die Verleumdungen, mit denen sie überschüttet wurde, nicht ruhig hin. Sie antwortete nach der Weise der Jugend hitzig und etwas grob, es kam sogar ein vereinzelten Verbrechen vor, und sofort setzte der Bund die erste der beiden großen Demagogenhetzen in’s Werk.

Was die Studenten und ihre Lehrer verbrochen hatten, war sehr, sehr wenig. Aus den Freiheitskriegen zurückgekehrt, hatten die Freiwilligen von 1813, 1814 und 1815 von dem schalen und prahlerischen Treiben der alten Studentenwelt sich angewidert gefühlt. Es war ihnen als eine Pflicht erschienen, dem Leben auf den Hochschulen einen tiefern Gehalt zu geben und es so zu gestalten, daß es ein Bild im Kleinen des deutschen Volkslebens sei. Die Trennung nach Landsmannschaften sollte verschwinden und ein einziger Bund, der deshalb die allgemeine Burschenschaft genannt wurde, alle Studenten vereinigen. Jeder Student hatte bei seiner Aufnahme zu geloben, sich sittlich, wissenschaftlich und volksthümlich ausbilden zu wollen. Jeder unsaubere Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht wurde bei Strafe der Ehrlosigkeit verboten und kein Zweikampf erlaubt, bevor ein Ehrengericht ihn genehmigt hatte. Als Abzeichen wählte man die Reichsfarben schwarz, roth und gold. Das waren auch die Farben der Lützower gewesen, und kein geringerer Mann als König Friedrich Wilhelm III. hatte sie für die todesmuthige Freischaar gewählt.

Der Geist dieser ersten Burschenschaft war weit vorwiegend ein nationaler mit stark christlicher Färbung. Das „welsche“ Wesen ganz abzustreifen, auch in den Wörtern und in der Kleidung, deutsch zu denken und deutsch zu fühlen, durch Turnen die Körperkraft der alten Ritter wieder zu erreichen und vorläufig wenigstens in die Ausdrucksweise altdeutsche Markigkeit zu legen, dahin ging das Streben besonders. Um die fromme, häufig mystische Stimmung der Gründer der Burschenschaft zu erkennen, braucht man nur eines der von ihnen geschriebenen Bücher, z. B. Haupt’s „Burschenschaft und Landsmannschaft“, zur Hand zu nehmen. Ob Juden in die Burschenschaft aufgenommen werden dürften, war eine Streitfrage, die nicht überall im Sinne der Duldung und der Menschenliebe beantwortet wurde. Viele Jahre später hat Heubner, der streng kirchliche Lenker des Predigerseminars zu Wittenberg, der verfolgten Verbindung das Zeugniß ausgestellt, „daß Viele durch sie auf Christum hingelenkt worden seien“. Mit der Freisinnigkeit der Burschenschafter war es nicht zum Besten beschaffen. Ihrem ganzen Wesen nach konnten sie mit den modernen Ideen nicht besonders befreundet sein, und überdies versichert Witt von Döring ausdrücklich, manche Landsmannschaft sei viel liberaler gewesen als die Burschenschaft derselben Hochschule. Da er zu den Anklägern, wenn nicht Angebern der Demagogen gehört, so darf man ihm vollen Glauben schenken, wenn er einmal günstig für sie aussagt. Von Geheimbündnerei war die Burschenschaft am weitesten entfernt. Sie hielt ihre Versammlungen öffentlich und trat mit Allem, was sie sagte, schrieb und that, an das vollste Licht heraus.

Am 18. October 1817 veranstalteten die Studenten von Jena und andern Hochschulen auf der Wartburg eine gemeinschaftliche Feier der Leipziger Schlacht und der Reformation. Etwa achthundert Studenten und vier Professoren, Fries, Kiefer, Oken und Schweizer, waren anwesend. Von Jena kam unter andern Heinrich Leo, heute der Liebling der Kreuzzeitung und des Kladderadatsch, damals ein solcher Schwärmer, daß er die Fahne der Jenaer Burschenschaft von Jena bis Eisenach mit entblößtem Haupte trug. Auf der Wartburg wechselten mit Reden Gesänge von Kirchenliedern, und in der Stadt unten wurde ein feierlicher Gottesdienst gehalten. Am Abend zündete man auf dem nahen Wartenberge ein Freudenfeuer an, in das die aufgeregte Jugend einen hessischen Zopf, einen österreichischen Corporalstock, eine Schnürbrust und andere Herrlichkeiten mehr warf. Gegen diesen Studentenspaß richteten sich die wüthendsten Anklagen, und schon jetzt hatte die Reaction den Stab über die Burschenschaft gebrochen. Dann kam Kotzebue’s Ermordung durch Sand. Der Mörder war ein Burschenschafter, und nur dieses Eine sah man. Für uns kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Motive der Unthat mit der liberalen Zeitrichtung keinen Zusammenhang hatten, sondern ganz wo anders lagen. Sand war in erster Linie ein Religionsschwärmer, in zweiter ein Deutschthümler, und er wollte in Kotzebue nicht den Reactionair treffen, sondern den Verleumder des deutschen Volks und den frivolen Dichter, von dem er in den Verhören sagte: „seine Lustspiele hätten ihm das Leben so verbittert, daß er durch sie mehr als einmal geistig getödtet worden sei.“

Die Reaction beeilte sich, Sand’s Verbrechen auszubeuten. Kurze Zeit darauf wurden in Karlsbad Ministerconferenzen abgehalten, welche die Preßfreiheit beschränkten, Maßregeln wider die „Gebrechen“ der Hochschulen, Gymnasien und Schulen trafen, und die Niedersetzung einer Centralcommission zu Mainz für Untersuchung demagogischer Umtriebe und revolutionairer Verbindungen beschlossen. Die Bundesversammlung genehmigte am 20. September 1819 alle Karlsbader Verabredungen, aber nicht alle Regierungen, sondern blos Oesterreich, Preußen, Hannover, Baden, Hessen-Darmstadt und Nassau wählten die Mitglieder der Untersuchungs-Commission. Die Befugnisse derselben wurden weit gesteckt, weiter, als sich mit der Selbstständigkeit der einzelnen Regierungen vertrug. Nicht genug, daß die Regierungen verpflichtet wurden, der Mainzer Commission alle Acten der einschlagenden Untersuchungen schleunigst einzusenden, allen an sie gelangenden Requisitionen vollständigst zu willfahren und mit Verhaftung der Inculpaten vorzuschreiten, wurde der Commission das Recht beigelegt, Verdächtige selbst verhaften und unter sicherer Bedeckung nach Mainz abführen zu lassen.

Es gab nun eine Bundesbehörde, die nicht unter, sondern neben dem Bundestage bestand, und auf deren Mitglieder blos die Regierungen Einfluß übten, welche die Commission gebildet hatten. In einem jüngst erschienenen Werke des Marburger Professors Ilse, Geschichte der politischen Untersuchungen etc., dessen Verfasser Zutritt zu den geheimen Acten hatte, wird der Nachweis geführt, daß mehrere Regierungen das unabhängige, selbst rücksichtslose Auftreten der Commission rügten. Die letztere kümmerte sich nämlich um den Bundestag gar nicht und ließ über ein Jahr verstreichen, ohne daß sie es der Mühe werth hielt, über ihre Thätigkeit zu berichten. Als eine directe Aufforderung ebenfalls nicht die Wirkung, hatte, einen Bericht zu Tage zu fördern, entstand eine Verstimmung, die sich sogar über zwei der bei der Commission betheiligten Regierungen erstreckte und einen energischen Antrag auf die Auflösung der Commission hervorrief (14. März 1822). Für diesen Antrag stimmten die Gesandten von Würtemberg, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, der großherzoglich und herzoglich sächsischen Häuser und beider Mecklenburg. Jetzt schickte die Commission ihren Bericht an den Bundestag ein (1. Mai 1822).

Eine größere Beleidigung, als in diesem Aktenstücke, ist einem Volke nie geboten worden. Alles, was von 1806 bis 1813 zur Hebung des deutschen Geistes geschah, Alles, was von da an bis 1819 unternommen wurde, um das durch die Freiheitskriege geweckte Leben nicht wieder versumpfen zu lassen, wird von dem Bericht der Commission für Demagogie erklärt. Der Tugendbund, den Friedrich Wilhelm III. persönlich ermunterte, erscheint hier als ein revolutionairer Geheimbund gefährlichster Art, und Schill hat 1809 dasselbe Beispiel eigenmächtiger Schilderhebung der bewaffneten Macht gegeben, das die spanischen, neapolitanischen und piemontesischen Soldaten bei ihren Revolutionen von 1820 und 1821 wiederholt haben. Fichte’s Reden an die deutsche Nation, in denen der glühendste Zorn über die Erniedrigung Deutschlands schäumt, verrathen Hinneigung zur Republik; Schleiermacher und Reimer, Gruner, Jahn und Arndt haben Alle zur Weckung des bösen Geistes beigetragen, der, in Lützow’s schwarzer Schaar bedenklich fortgebildet, auf den Hochschulen fortwucherte und eine allgemeine Unzufriedenheit hervorzurufen beflissen war. Auch Stein wurde, wenn auch nicht im Berichte, wohl aber in vertraulichen Eröffnungen mit der „Revolution“ in Verbindung gebracht. Er schreibt darüber an Gagern, er staune „über eine solche viehische Dummheit, oder eine solche teufelische Bosheit, oder einen solchen nichtswürdigen und aus einem durchaus verfaulten Herzen entstehenden Leichtsinn.“ (Pertz, Leben Steins, V. 424).

Wie konnte ein preußischer Staatsmann seinen Namen unter einen Bericht setzen, in dem fast alle die Triebfedern, welche die große Erhebung von 1813 herbeigeführt hatten, als staatsgefährliche und verbrecherische Motive aufgefaßt wurden? Um das zu begreifen, müssen wir uns erinnern, daß die Reaction in Berlin damals den vollständigsten Sieg errungen hatte. Die Wittgenstein und Schuckmann, die Kamptz und Nagler hatten die Macht in den Händen, und in ihren Augen hatten die Kämpfer von der Katzbach und von Großbeeren nicht mehr gethan, „als eine Spritzenmannschaft thut, die zum Feuerlöschen befehligt wird“. [319] Was der Bericht weiter über die liberalen Regungen nach 1813 sagte, hatte den vollständigsten Beifall dieser preußischen Partei.

Gerade in die Zeit unmittelbar nach der Berichterstattung der Untersuchung-Commission fallen die Bemühungen, Preußen für ein Einschreiten des Bundes gegen die süddeutschen Verfassungen zu gewinnen. Baiern und Baden hatten darum angesucht, Metternich war der eifrige Förderer des Plans, wie denn Oesterreich überhaupt auch hier das ewig drängende und treibende Reactionsprincip abgab, und Friedrich Wilhelm III. sollte nun mit der Entdeckung schrecklicher Verschwörungen geängstigt werden. Darum stellte der Bericht Alles zusammen, was sich über den Briefwechsel von Liberalen, über Besprechungen und Pläne von Gleichgesinnten, vorzüglich über Adressen und Bittschriften um landständische Verfassungen ermitteln ließ, und gruppirte das Material so, daß der Anschein entstehen konnte, als seien jene vereinzelten Thatsachen auf einen der Carbonaria nahe verwandten, wahrscheinlich mit ihr in Verbindung stehenden Geheimbund zurückzuführen.

Welche Beweise hatte die Commission für ihre Behauptungen, die eben so viele Verdächtigungen waren? Wie sie selbst gestand, gar keine. Sie urtheilte, wie sie sagt, nach einigen tausend Papieren, die in zum Theil nicht ganz verlässigen Abschriften vorhanden, in ihrer Folge durch Lücken unterbrochen, ihrem wahren Sinne nach größtenteils nicht hinlänglich erklärt waren; sie urtheilte ferner nach einigen Hundert zum Theil noch unvollständigen Vernehmungen, denen nur in den wenigsten Fällen mit Aufrichtigkeit und ohne Rückhalt entsprochen wurde, und gewann durch diese nach ihrem eigenen Geständniß werthlosen Grundlagen das Bild eines politischen Treibens, das sich weniger in bestimmten Thathandlungen, als in Vorbereitungen, Einleitungen und Versuchen ausgesprochen hatte. So lauten die eigenen Worte des Berichts.

Um aus diesen Vorlagen allgemeine Verdächtigungen ableiten zu können, sah sich die Commission genöthigt – wir brauchen abermals ihre eigenen Worte – „den Grad der Gewißheit, der höhern oder geringern Wahrscheinlichkeit der einzelnen Thatsachen nicht nach den in dieser oder jener besondern Gesetzgebung vorgeschriebenen Normen, sondern nach den Grundsätzen des historischen Glaubens, nach ihrer eigenen subjektiven Ueberzeugung zu bemessen. Deutlicher konnte nicht gesagt werden, daß die Commission keine juristischen Beweise bringe, sondern Phantasieen, die in ihrer subjectiven Ueberzeugung den Charakter von mehr oder minder wahrscheinlichen Thatsachen annähmen. Wahrlich, eine Behörde, die ein solches Machwerk von Bericht vorlegte, verdiente auf der Stelle aufgelöst zu werden. Statt diesen Beschluß zu fassen, erkannte der Bundestag an, daß die Commission ihrem Auftrage genügt habe, und einer seiner Redner hob lobend hervor, daß ihr Bericht „ein treues, bis in die kleinsten Züge ausgeführten Gemälde von dem innern Zustande Deutschlands enthalte.“

Die Mainzer Commission würde bald durch Mangel an Stoff genöthigt worden sein, ihre Thätigkeit von selbst einzustellen, wenn ihr nicht ein besonderer Glücksfall die Entdeckung einer wirklichen Verschwörung zugeführt hätte. Das war nun freilich eine Verschwörung, bei der wiederum Alles auf „Vorbereitungen, Einleitungen und Versuche“ hinauslief, doch für eine Behörde, die aus dem Tugendbunde, aus Fichte’s Reden und aus den Abendgesellschaften beim Buchhändler Reimer Anzeichen eines im Dunkeln durch Jahre fortkriechenden hochverräterischen Bundes geschmiedet hatte, war das vollauf genug. Wenn es sich um Stoff zu Verdächtigungen handelt, begnügt sich die Reaction mit Wenigem. Jene Verschwörung war in der That ein winziges Ding. Ein Burschenschafter, v. Sprewitz, hatte auf einer Schweizerreise von einem deutschen Männerbunde gehört, der an die Carbonari der romanischen Länder sich anschließe. Mit dieser Nachricht war er nach Deutschland zurückgekehrt und hatte zur Bildung eines Jünglingsbundes aufgefordert. Die wieder erstandenen Burschenschaften waren in Folge der Aufmerksamkeit der Regierungen, die sich fast ausschließlich auf sie richtete, zu sehr vom Gefühl ihrer Wichtigkeit durchdrungen und zugleich zu unzufrieden geworden, als daß der Sprewitz’sche Bericht hie und da nicht Glauben gefunden hätte. Für den Jünglingsbund fanden sich nach und nach 139 Theilnehmer. Die Geschichte dieses Bundes ist in zwei Worten erzählt. Man suchte den Männerbund, man fand ihn nicht, und Alles war in völliger Auflösung begriffen, als die Gerichte das Spiel, denn weiter war es nichts, nachträglich entdeckten.

Nachdem der Jünglingsbund so lange den Männerbund gesucht hatte, begab sich die Mainzer Commission an dasselbe Geschäft. Sie fand diesen geheimnißvollen, für seine Gesinnungsgenossen unerreichbaren Männerbund, wenigstens behauptete sie es. Was sie wirklich nachwies, bestand in gelegentlichen, immer auf Reisen eingetretenen Berührungen von Burschenschaftern mit älteren Männern. In den letzteren, unter denen ein Müller und ein Artillerieofficier, Beide in Erfurt wohnhaft, besonders hervortreten, wollte die Commission Mitglieder des Männerbundes erkennen. Mit welchem Recht, möge man danach beurtheilen, daß bei einer der Unterredungen, die zwischen angeblichen Abgeordneten des Männerbundes und des Jünglingsbundes stattgefunden hatten, von weiter nichts die Rede gewesen war, als daß man darauf hinwirken müsse, eine Verfassung, Verantwortlichkeit der Minister, öffentliche Rechtspflege, öffentliche Rechnungsablage über Staatseinnahmen und Ausgaben, Gleichheit vor dem Gesetz und Preßfreiheit zu erlangen. Welche Begriffe von dem öffentlichen Rechtszustande in Deutschland mußte die Commission haben, daß sie in Besprechungen über Staatseinrichtungen, die theils urkundlich verbrieft (z. B. durch Artikel 13 der Bundesacte), theils feierlich zugesagt worden waren, ein Anzeichen von Hochverrath erblickte!

Was die Sprewitz’schen Enthüllungen, die einzige Grundlage der Geschichte vom Männerbunde, betrifft, so hatte die Justizkanzlei zu Güstrow von ihnen eine ganz andere Ansicht, als die Mainzer Commission. In einem Urtheil, das über einen Betheiligten gefällt wurde, erklärte dieses mecklenburgische Gericht, „die Aussagen des v. Sprewitz und seiner Genossen hätten überall keinen Werth, einmal wegen Mängel in der Form (Unvollständigkeit der Protokolle), zweitens weil alle diese Aussagen zu wenig auf reine Thatsachen beschränkt seien, vielmehr ein bloßes Urtheil, veranlaßt durch die mit den Betheiligten bei den polizeilichen Verhören angestellten Betrachtungen und Deduktionen, enthielten.“

Der Jünglingsbund, der allerdings existirt hatte, war zur Zeit seiner Entdeckung von seinen wilden Träumen einer gewaltsamen Erhebung längst zurückgekommen. Seine Mitglieder waren zuletzt darüber einig gewesen, „daß sie sich die Ausbildung liberaler Ideen über öffentliche Angelegenheiten unter den Studirenden zum einzigen Ziele setzen müßten,“ oder, wie ein anderer Angeklagter sich ausdrückte, daß der Bund seine Zwecke erfülle, „wenn er seine Ideen auf dem ruhigen Wege der Ueberzeugung verbreite und durch eine Art von Nationalerziehung dahin zu wirken suche, daß die Wünsche für die politische Einheit Deutschlands vorbereitet würden.“ Es war schon schlimm genug, daß Jünglinge, und noch dazu Studenten, die dem realen Leben, dem Philisterthum, wie sie es nennen, ihre Ideale entgegen zu setzen lieben, für Gedanken über politische Neugestaltungen, die nie und nirgends zur That, oder auch nur zu einem festen Plan gereift waren, mit mehrjähriger Haft bestraft wurden. In Frankreich hätte das in der schlimmsten Zeit der Bourbonenherrschaft nun und nimmermehr geschehen können. Noch weit schlimmer aber war, daß die Regierungen die „Umtriebe“ jener wahrlich ungefährlichen „Demagogen“ zum Vorwand brauchten, weshalb sie fortfuhren, ein System despotischen Zwanges auszuüben, die heißesten Volkswünsche und ihre eigenen Versprechungen unerfüllt zu lassen und Alle, die als Lehrer oder als Schriftsteller zur Bildung des Volks beitrugen, kleinlichen Beaufsichtigungen und Beschränkungen zu unterwerfen.

Selbst in die Untersuchung wurden Lehrer verflochten, deren ganzes Leben und Wirken zeigte, daß sie weder Revolutionairs noch Verschwörer sein konnten. Welcker, Arndt und Jahn waren unter ihnen. Welcker war damals schon der gelehrte Doctrinair, der er sein Leben lang geblieben ist, ein Professor der Rechtswissenschaft, der mit Leib und Seele an das Gesetz gekettet und überdies seinem ganzen Wesen nach nicht geeignet war, aufzuregen oder gar zu wühlen. Sein Schicksal gestaltete sich im Vergleich zu Arndt und Jahn noch so ziemlich günstig, da er in Folge einer Berufung an eine fremde Hochschule den Verfolgungen in Preußen sich entziehen konnte. Arndt und Jahn hatten sich um das Vaterland, dessen Leiter plötzlich Landesverräther in ihnen sahen, unvergeßliche Verdienste erworben, Jahn als Begründer der Turnkunst und als der thätigste Werber für die Freiwilligenschaaren von 1813, Arndt als eifriger und begabter Gehülfe der Stein, Hardenberg, Scharnhorst und Gneisenau. Was Jahn allein zur Last fiel, waren gewisse derbe Aeußerungen, während gegen Arndt nicht der Schatten eines Vorwurfs erhoben werden konnte. Man verfolgte in Beiden nichts als die rettenden Ideen von 1813, denen [320] man nach der Rettung ja nicht mehr bedurfte. Jahn wurde in dem Augenblick verhaftet, als er einem Ruf nach Greifswald folgen wollte, Man schleppte ihn von Kerker zu Kerker, erst nach Spandau, dann nah Küstrin, wo man ihn mit Ketten belastete, und endlich in die Stadtvoigtei. Als sich bereits ermittelt hatte, daß ihm kein Staatsverbrechen zur Last falle und daß er höchstens wegen pommerscher Kraftausdrücke gegen die „Schmalzgesellen“, d. h. gegen die Demagogenriecher Schmalz und Genossen, zur Verantwortung gezogen werden könne, wurde er noch Jahre lang in Colberg als Festungsgefangener behandelt. Nach sechsjähriger Haft erhielt er sein Urtheil und wurde völlig freigesprochen. Er war ein gebrochener Mann, aber die Lust, ihn zu martern, hatte sich noch nicht gesättigt. Man verwies ihn nach Freiburg und von da nach Cölleda und unterwarf ihn einer peinlichen Polizeiaufsicht. Jahn zählte zweiundsechszig Jahre, als die Gnade des Königs ihm, dem Unschuldigen, seine Unbescholtenheit zurückgab.

Die Frivolität der Beschuldigungen, die gegen Arndt erhoben wurden, hat in dieser Welt ihres Gleichen nicht. Man ereifert sich gegenwärtig gegen die neapolitanische Polizei, die auf unbestimmten Verdacht hin Männer aus den ersten Familien des Landes über die Grenze schafft. Gegen Arndt wurde Schlimmeres begangen. Er hatte sein Leben von 1806 bis 1813 für König und Vaterland unaufhörlich auf's Spiel gesetzt, sein Antheil am Werk der Befreiung vom fremden Joch war ein hervorragender gewesen, und man dankte ihm damit, daß man ihn ohne alle rechtliche Grundlage des Hochverraths verdächtigte. In seinen weggenommenen Papieren suchte man nach Rechtfertigungen jener Anschuldigungen. Da fand man Briefe – unter andern von Gneisenau und von Eichhorn, dem spätern Cultusminister – in denen von der Nothwendigkeit einer Verfassung für Preußen gesprochen wurde – und folgerte daraus, daß Arndt „Träumen von republikanischer Aufbauung und Wiederherstellung des Vaterlandes“ Vorschub geleistet habe. Da fand man Randbemerkungen des Königs zu dem Entwurf einer Landwehrordnung und wollte darin den Plan einer allgemeinen Volkserhebung gegen den König sehen. Wie bei Jahn, kam das Jahr 1840 heran, ehe die freche Verleumdung genöthigt wurde, ihr Opfer frei zu geben. Da war auch Arndt gebrochen. „Man sieht dem Thurm,“ schreibt er, „so lange er steht, nicht an, wie Sturm, Schnee und Regen seine Fugen und Bänder allmählich gelockert und gelöst haben. Ich habe aber die langsame Zerreibung und Zermürbung meiner besten Kräfte bis in’s Mark hinein zu tief gefühlt.“

Gegen alle die, welche ein wirklicher Verdacht traf, glaubte man jeder Rücksicht enthoben zu sein. Als Beleg diene das Verfahren gegen die Darmstädter Rühl und Hofmann. Sie sollten Mitglieder des Jünglingsbundes gewesen sein und befanden sich in ihrer Heimath in Untersuchung. Da erbat sich das preußische Gericht zu Köpenick Beide, um sie andern Angeklagten gegenüberstellen zu können. Man willfahrte dem Verlangen ohne Arg, aber wie staunte man in Darmstadt, als von Köpenick plötzlich die Erklärung einlief, daß man Rühl und Hofmann dort in Untersuchung nehmen und bestrafen werde. Ausnahmsweise nahm sich ihre Regierung der Verhafteten an, und ihren längern Verwendungen verdankten es Beide, daß sie nach zwei Jahren zurückgeliefert wurden. Noch fünf Jahre verstrichen, und Rühl und Hofmann erhielten ihr Urtheil. Natürlich enthielt es eine strenge Verurtheilung dieser beiden Hauptverbrecher, an denen die preußische Regierung so viel Abscheuliches gefunden hatte, daß sie dieselben mit Verletzung des Bundesrechts behufs nachdrücklicher Bestrafung zurückbehielt? Im Gegentheil; Rühl und Hofmann wurden als unschuldig erkannt und demgemäß völlig freigesprochen. Daß man sie in Preußen schuldig befunden haben würde, lehrt das Schicksal ihrer auf gleicher Stufe stehenden Mitangeklagten, des Müllers Salomo und des Majors Ferentheil aus Erfurt. Gegen diese wurden lange Freiheitsstrafen – in erster Instanz der Tod durch das Beil! – ausgesprochen. Beide entkamen, Ferentheil aus der Citadelle von Magdeburg, Salomo aus einer andern Festung in einem leeren Mehlkasten, in den er unbemerkt gelangte und mit dem er in’s Freie gefahren wurde, wo er den Deckel aufstieß und das Weite suchte.

Es fehlte nicht viel, so wäre die Centralbehörde in Mainz, von der diese und viele, viele andere Dinge ausgingen, ein stehendes Bundesinstitut geworden. Dem österreichischen Staatskanzler war die Entdeckung des Jugendbundes sehr willkommen gewesen. Er wollte sie dazu benutzen, die Mainzer Commission, wenn nicht in Permanenz zu erhalten, doch als ausgiebigstes Werkzeug seiner Politik zu gebrauchen. Er ging so weit, zu klagen, daß sie in ihrer bundesgesetzmäßigen Verpflichtung zurückgeblieben sei, und auf einen Verweis gegen ihren Vorsitzenden, den Preußen v. Kaisersberg, anzutragen. Dieser Verweis wurde von Berlin aus wirklich ertheilt, aber das war auch der letzte Erfolg Metternich’s. Preußen vor Allem und nach ihm die meisten übrigen Staaten waren zu der Einsicht gelangt, daß die Demagogenriecherei ihnen eben so sehr schade, als sie der österreichischen Politik nütze. Selbst daß Metternich die Mitglieder der Commission auf den Johannisberg berief und alle Ueberredungskünste spielen ließ, wollte nicht mehr verfangen. Die Herren mußten sich selbst gestehen, daß ihnen der Stoff ausgegangen sei, und schlossen ihre Thätigkeit mit ihrem Hauptberichte vom 14. December 1827.

[518]
II.

Mitten unter allen Verfolgungen der zwanziger Jahre hatten sich die Burschenschaften auf vielen Hochschulen erhalten, oder es waren neue entstanden. Man konnte sie jetzt insofern geheime Verbindungen nennen, als sie sich aus sehr begreiflichen Gründen vor den Behörden versteckten. In der Studentenwelt waren ihre Mitglieder übrigens alle bekannt, und jeder Pedell, jeder Professor wußte, wer die Leute waren, die mit deutschen Röcken und mit schwarzen Mützen, an deren unterem Rande eine rothe Litze schüchtern hervorblickte, in den Straßen umhergingen. Jedes Kind konnte ihre Versammlungsorte nachweisen, der Burgkeller in Jena hatte als Burschenschaftskneipe sogar einen Ruf in ganz Deutschland. In den Verfassungen der Burschenschaften war eine Aenderung eingetreten, die man bei den spätern Untersuchungen sehr hoch angeschlagen hat. Es gab jetzt eine engere und eine weitere Verbindung. Daraus folgerte man nach dem Inquisitionsprincip, daß die engere Verbindung die fertigen, die weitere Verbindung die angehenden Demagogen enthalten habe. Dieser Schluß war indessen ein grundfalscher. Mit der engeren und weiteren Verbindung ahmte man den Unterschied nach, den die Landsmannschaften aller Hochschulen zwischen „Corpsburschen“ und „Renoncen“ machten.

Eine Spaltung, die nach der Mitte der zwanziger Jahre in der Burschenschaft entstanden war, müssen wir ebenfalls erwähnen, da sie bei der zweiten großen Demagogenhetze eine gewaltige Rolle gespielt hat. Die Burschenschafter theilten sich jetzt in Germanen und Arminen, und beide Parteien haßten sich mit einer Bitterkeit, die so weit ging, daß die Germanen, der Zahl nach der schwächste, aber der geistig regsamste und zugleich schlagfertigste Theil, regelmäßig mit den Landsmannschaften gegen die Arminen zusammenhielten. Jene Spaltung war in Erlangen auf eine seltsame Weise entstanden. Die Erlanger Studenten sind von jeher in der Theologie und im Biertrinken stark gewesen. Nun hatte einer von ihnen gefunden, daß einer der großen oder der kleinen Propheten (Jesaias, wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht) die Burschenschaft vorher verkündigt habe. Er eilte mit der frohen Kunde auf die Verbindungskneipe, aber dort gab es Gegner der Auslegung, aus deren Mitte ein sehr starkes Wort fiel. Die Gläubigen erklärten die Ungläubigen in Verruf, und es erfolgte eine Trennung in zwei Verbindungen, die sich nicht aus religiösen, wohl aber aus studentischen Gründen auf verschiedene Hochschulen übertrug. Die Arminen repräsentirten die alte Burschenschaft namentlich in dem Punkte, daß sie außer sich, da die Burschenschaft die Allgemeinheit der Studentenschaft sei, keine Verbindung anerkannten. Die Germanen ließen diese Anmaßung fallen, um mit den Landsmannschaften auf einem geregelten und anständigen Fuße verkehren zu können. Jeder Theil wußte noch andere Unterschiede hervorzuheben. Der Germane gab seinem feindlichen Bruder anzuhören, daß der Armine ein Mucker und Kopfhänger sei, der Armine antwortete mit dem Vorwurfe, daß der Germane drei Götter neben einander habe: Mars, Bacchus und Venus.

Als die Julirevolution im deutschen Volke und mithin auch auf den Hochschulen eine große Gährung hervorrief, bildete sich in den Burschenschaften eine Art von politischem Leben aus. Man [519] nahm lebhaft an allen Vorgängen Theil, man sammelte für die Polen und belheiligte sich an öffentlichen Versammlungen und Vereinen. Der Gedanke der deutschen Einheit wurde lebhaft aufgegriffen, ohne daß er übrigens eine bestimmte Form annahm. Man dachte wohl an Preußen, aber nicht an Preußen, wie es war, sondern an Preußen, wie es sein konnte und sein sollte. Bei den Unruhen jener Zeit war kein Burschenschafter thätig. Ein äußerst komischer Aufstandsversuch in Jena ging von einigen Bürgern und einem Landsmannschafter aus. Die Burschenschafter griffen zu den Schlägern, um sie für die Regierung zu gebrauchen. Als dann der Göttinger Aufstand kam, waren es wieder Landsmannschafter, welche im Verein mit Bürgern das Signal gaben. Obgleich Jedermann dies wußte, warf die Polizei die Schuld dennoch auf die Burschenschaften, die weiter nichts gethan hatten, als mit allen übrigen Studenten zusammen eine Sicherheitswache zu bilden. Das Verstecken hörte jetzt völlig auf. Wenn Baiern auch der einzige Staat war, wo Arminen und Germanen mit obrigkeitlicher Genehmigung bestanden, so traten die Burschenschaften doch überall so offen auf, daß nur der Unverstand oder die Böswilligkeit sie als geheime Verbindungen bezeichnen konnte.

Das Jahr 1830 hatte die Zahl der konstitutionellen Staaten in Deutschland um Sachsen, Hannover, Kurhessen und Braunschweig vermehrt. Das politische Leben war ein lebhafteres geworden, die Liberalen benutzten die Rednerbühnen der Kammern und die Zeitungen. Es fanden Versammlungen statt, bei denen die schwarzrothgoldene Fahne zum ersten Male sich zeigte, und der Einheitsgedanke begann tief in’s Volk einzudringen. Dieses Alles beunruhigte die Reaction nicht wenig, und namentlich kam Preußen angesichts so vieler konstitutioneller Staaten mit seiner Nichterfüllung des dreizehnten Artikels der Bundesacte stark in’s Gedränge. Da man in Berlin keine Verfassung geben wollte, so hatte Metternich mit seinen gegen das westliche Deutschland gerichteten Einflüsterungen leichtes Spiel. Der Beschluß, das konstitutionelle Leben zu erschlagen, wurde gefaßt und ausgeführt. Die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni, 3. Juli und 5. Juli 1832 erschienen. Sie richteten sich wie gewöhnlich gegen die Hochschulen, insbesondere gegen die Burschenschaft, aber auch gegen das gesammte öffentliche Leben der Nation, gegen die Presse, gegen das Vereinsrecht, gegen die Ständekammern und die Öffentlichkeit ihrer Verhandlungen. Es ist ein sehr mildes Urtheil, wenn Ilse in seiner Geschichte der politischen Untersuchungen über diese Beschlüsse sagt: „Nicht nur das Tadelnswerthe wurde beseitigt, sondern die Mittel zur politischen Entwickelung Deutschlands selbst sollten dem Volke genommen werden.“

Der Gegenschlag war der Frankfurter Aprilaufstand von 1833. Daß die verhaltnißmäßig wenigen Burschenschafter, die daran Theil genommen hatten, Hochverräther waren, unterliegt so wenig einem Zweifel, als daß diejenigen von ihnen, welche einige Monate vorher auf dem Burschentage zu Stuttgart den Anschluß an die Revolution verabredet hatten, dem Gesetz verfielen. Sich auf die Bestrafung dieser Schuldigen zu beschränken, lag nicht im Sinne der Reaction. Sie wollte einen großen Schlag führen, der die ganze liberale Partei treffe und die Burschenschaft bis auf die letzte Wurzel vertilge. Je mehr Leute man in den Riesenproceß, der beabsichtigt wurde, verwickelte, um so mehr hatte man den Schein für sich, wenn man den guten Deutschen vorstellte, wie unzertrennlich der Mißbrauch von der Freiheit und welche üppige Saat von Verbrechen in den beiden Jahren aufgeschossen sei, in denen das Volk der Wohlthat einer durchgreifenden polizeilichen Leitung entbehrt habe.

Da nach einem System gehandelt werden sollte, so empfahl sich die abermalige Einsetzung einer Bundesbehörde, welche alle Fäden in der Hand halte und die Triebfeder der Untersuchungen sei. Am 30. Juni 1833 wurde dieser Beschluß gefaßt und die Regierungen von Oesterreich, Preußen, Baiern, Würtemberg und Hessen-Darmstadt beauftragt, die Mitglieder der Bundescentralbehörde zu wählen. Man gab der letztern nicht blos dieselben Befugnisse, wie der Mainzer Commission, sondern viel weiter gehende. Faßt man alle diesen Gegenstand betreffenden Bundesbeschlüsse zusammen, so erhält man folgendes Resultat: Die Landesregierungen wurden aufgefordert, bestimmte Landesbehörden mit der Untersuchung und Urtheilsfällung zu beauftragen, also Specialgerichte mit völligem Ausschluß der Geschworenen, wo es solche gab, einzusetzen. Diese Gerichte wurden angewiesen, der Centralbehörde des Bundes schleunigst und sorgfältigst Alles, was sich auf die Untersuchungen beziehe und zu ihrer Kenntniß gelange, mitzutheilen und den Requisitionen derselben, welche die Ausmittelung des Thatbestandes, des Ursprungs und der Verzweigungen des Complots betrafen, unverzüglich und vollständig zu genügen. Der Centralbehörde des Bundes wurde die Befuguiß beigelegt, an alle Orte, wo solche Untersuchungen im Gange seien, eines ihrer Mitglieder abzuordnen, um die Acten einzusehen und den Verhören der Angeschuldigten beizuwohnen. Die Centralbehörde sollte endlich Anträge über die Leitung und Beförderung der Untersuchungen stellen, die Thatsachen aufklären, die Urheber und Theilnehmer ermitteln und hiermit Anträge wegen gründlicher Hebung des Uebels verbinden dürfen.

Es ist merkwürdig, daß die empfindliche Eifersucht, mit der die meisten deutschen Regierungen jedes Stückchen ihrer Souverainetät bewachen, bei dieser Gelegenheit in tiefem Schlafe lag. Man gestattete einer Bundesbehörde Eingriffe in den Gang der eigenen Justiz, die sich bis zur persönlichen Ueberwachung der Gerichte steigern durften, ja, man wies die eigenen Behörden an, ehe sie ein Urtheil fällten, die Acten der Centralbehörde einzusenden. Somit verletzten die konstitutionellen Regierungen der genannten Länder ihre Verfassungen in demselben Augenblicke, in dem sie gegen Verfassungsverletzungen, die von Staatsbürgern begangen worden waren, mit äußerster Strenge einzuschreiten sich anschickten.

Die Centralbehörde hat bis zum Jahr 1842 bestanden. In diese neun Jahre fällt eine Demagogenhetze, wie sie in Deutschland noch nicht dagewesen war. Die Zahl der angeklagten Burschenschafter wird auf 1300 angegeben, und die Verfolgung erstreckte sich auf Germanen, wie auf Arminen, auf Studenten, wie auf solche, die, seit Jahren im Amt, dem Staat ihre Kräfte widmeten und oft den Träumen ihrer Jugend längst entsagt hatten. Welches Elend dadurch über Hunderte von Familien gebracht wurde, ist kaum zu schildern. Und welcher Behandlung wurden die Gefangenen unterworfen, deren Verbrechen in den meisten Fällen darin bestand, für eine Ordnung des Rechtszustandes in Deutschland durch Einheit und innere Freiheit geschwärmt zu haben! Kurz vor seinem Ende entfaltete das geheime Gerichtsverfahren noch einmal alle seine Schrecken. Die Verhaftungen wurden der Regel nach in der Nacht vollzogen und der Gefangene im verschlossenen Wagen nach dem Orte gebracht, in dessen Kerker er auf Jahre verschwinden sollte. Dort fand er eine kleine Zelle, deren vergittertes, mit einem Kasten versetztes Fenster ihm die Aussicht auf einen schmalen Streifen Himmel ließ. Bücher, Papier, Feder und Tinte, irgend welche Beschäftigung erhielt er nicht, und die lange Zeit der Dunkelheit mußte er ohne Licht hinbringen – im Winter bis zu siebzehn Stunden! Ob man ihm Licht und Bücher gab, ob man ihm Briefe seiner Eltern und Geschwister, seiner Braut und seiner Freunde zukommen ließ, hing von seinem „guten Betragen“ ab, oder mit andern Worten davon, daß er genau so aussagte, wie der Richter es wollte. Leugnete er ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, so steigerte sich die Härte gegen ihn. Man beschränkte ihn dann Tage lang auf Wasser und Brod, man führte ihn in Dunkelarrest, man belastete ihn mit Ketten, und bei den Verhören mußte er stundenlang stehen. So verfuhr man besonders in Preußen. Laube hat in seinen „Bürgern“ diese Kerkerqualen, die er selbst erleiden mußte, in ergreifender Weise geschildert. Mancher wurde durch sie wahnsinnig, mancher stumpf gemacht. In Hessen-Darmstadt bat ein Gefangener, dem seine Begnadigung angekündigt wurde, daß man ihn in seine Zelle zurückführen möge, denn für die Welt da draußen tauge er ja doch nicht mehr.

Mit den Burschenschaftern warf man viele reifere Männer zusammen, die mit ihnen gleiche Gesinnungen hegten. Behr, Eisenmann, Jordan und Weidig sind die namhaftesten derselben. In Eisenmann verfolgte man den politischen Schriftsteller. Wegen Aufsätzen, wie sie heut zu Tage jede unabhängige Zeitung bringt, zur öffentlichen Abbitte vor dem Bilde des Königs und zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt, mußte er fünfzehn Jahre im Kerker verbringen. Kurz vor der Bewegung von 1848 entlassen, war er der thätigste Agitator Baierns – für die Monarchie. Welch’ ein Verbrecher! Was Behr eigentlich verbrochen hatte, wurde nicht öffentlich bekannt gemacht. Vermuthungsweise finden wir in Schriften aus jener Zeit ausgesprochen, daß er durch Eingaben an die Stände Anstoß erregt habe. Dafür mußte er mit fast zehn Jahren seiner Freiheit büßen. Neben Eisenmann und Behr waren einem dritten Würzburger, Schönlein, dem spätern Leibarzt des [520] Königs von Preußen, Haft und Untersuchung zugedacht. Er entfernte sich noch rechtzeitig in die Schweiz.

Jordan wurde im Frühling von 1839 verhaftet, als die Demagogenuntersuchungen bereits geschlossen waren. Man hatte lange in der Stille Beweise gegen ihn gesammelt, die sich benutzen ließen, ihn für seine Thätigkeit als Marburger Professor und hessischer Abgeordneter zu bestrafen. Zum tiefsten Bedauern Hassenpflugs hatte sich nichts Rechtes zusammentragen lassen, bis endlich ein wegen Todtschlags verhafteter Verbrecher sich zu der Aussage bestimmte, daß Jordan um das Frankfurter Attentat gewußt habe. Mit dieser Handhabe operirte man weiter und erlangte zwei fernere Angaben. Die eine rührte von einem Studenten her, der in dem Ruf eines Spiones stand, die andere von einem unglücklichen Fabrikanten, dessen Geist in der langen Haft, die wegen Hochverraths über ihn verhängt worden war, gelitten hatte. Jordan wurde also verhaftet. Um die kläglichsten Verdachtsgründe zu entkräften, brauchte man bei dem alten Verfahren, und zumal in politischen Fällen, nicht Wochen, sondern Jahre. Am November stellte das Urtheil des höchsten Gerichts denn auch fest, daß Jordan unschuldig sei.

In welche Tiefe menschlichen Elends läßt uns der Selbstmord des Pfarrers Weidig blicken! Er war ein Mann, frei von jeder Selbstsucht, gegen Nothleidende ebenso freigebig, wie gegen sich selbst karg, ein treuer und redlicher Freund, ein musterhafter Gatte und Vater, zugleich aber in seiner politischen Ueberzeugung überspannt, fast fanatisch. Was ihm zur Last fiel, war Mitwisserschaft um den Frankfurter Aufstand und eine Propaganda für revolutionaire Ideen in seinem kleinen Kreise. Im Frühling von 1835 wurde er verhaftet, zwei Jahre später durchschnitt er sich im Gefängnisse die Adern. In der ganzen Zwischenzeit hatte man ihn durch jedes Mittel zum Geständniß zu bringen gesucht, durch Entziehung des Lichts, durch Ketten, durch Prügel. Er wurde nicht gebeugt, aber er verlor den Verstand. Diesem wehrlosen Verrückten stand, mit allen Mitteln der Gewalt ausgerüstet, ein anderer im Geiste Gestörter gegenüber, sein Untersuchungsrichter Georgi. Einzelne in die Oeffentlichkeit gedrungene Andeutungen lassen errathen, wie viel Entsetzliches Weidig von diesem Manne zu erdulden hatte. Als er nach zwei gräßlichen Jahren unterlag und sich die Adern öffnete, da erschien Georgi noch einmal und schloß sich bei dem Verblutenden ein. Erst drittehalb Stunden später führte man die Aerzte zu ihm, deren früheres Erscheinen ihn gerettet haben würde.

Dieser Fall ist der fürchterlichste, der in den Demagogenuntersuchungen vorgekommen ist. Ein Unrecht wurde fast gegen Jeden begangen, der der Behörde verdächtig geworden war. Hunderte, gegen die außer ihrer Theilnahme an der Burschenschaft nicht das Mindeste vorlag, wurden aus ihrer Thätigkeit herausgerissen und Jahre lang in der peinigenden Schwebe einer Untersuchung gehalten. Konnte man sie nicht mit einer Criminalstrafe belegen, so erklärte man sie doch, wie der Bundesbeschluß es vorschrieb, für jedes Amt unfähig, und sie waren um ihr Lebensglück gebracht. Daß die meisten Burschenschaften vom Frankfurter Attentat nichts erfahren, ja daß einige, z. B. die Jenenser Germania, sich aufgelöst hatten, weil sie von einer Revolution nichts wissen wollten, hinderte nicht, daß man ihre Mitglieder als Hochverräther betrachtete. Sie hatten zu einer Burschenschaft gehört – war das nicht genug? Sagen wir es offen heraus, was man in ihren Personen so ingrimmig verfolgte, war der deutsche Einheitsgedanke, und nirgends wüthete man gegen diesen Gedanken heftiger, als in demselben Preußen, das jeder Burschenschafter auch dann mit Liebe und Hoffnung betrachtete, wenn er das System seiner Wittgenstein und Kamptz verdammte.

Der juristische (?) Grundsatz, den man bei den Untersuchungen an die Spitze stellte, war folgender: Burschenschafter haben in Stuttgart eine Revolution beschlossen und an dem Frankfurter Attentat Theil genommen, mithin hatte die Burschenhaft von vorn herein einen revolutionairen Charakter. Eine so schlechte Logik das war, ebenso unwahr und falsch war die Behauptung. Erst nach den Bundesbeschlüssen von 1832, die jede gesetzliche Einwirkung abschnitten, war in Deutschland eine revolutionaire Partei entstanden und hatte einen Theil der Burschenschaft für sich gewonnen. Jene Auffassung war nicht blos bequem, da sie gestattete, eine ganze Reihe von Todesurtheilen wegen Hochverraths zu fällen, sondern auch für eine Partei, welche liberal und revolutionair für identisch hielt, ganz natürlich. In dem Bericht der Centralbehörde von 1839 begegnen wir ganz derselben Beurtheilung der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts, wie in den Vorträgen der Mainzer Commission. Wieder wird der Jugendbund als der Anfang der geheimen politischen Verbindungen dargestellt und ihm ein bedrohlicher Charakter beigelegt. Wieder werden diejenigen, welche die Ertheilung von landständischen Verfassungen forderten, statt ruhig den Zeitpunkt abzuwarten, den die Regierungen als den geeigneten betrachten würden, als Verschwörer bezeichnet. Sand’s That wird abermals benutzt, die Liberalen als Schreckensmänner zu schildern, ja der Bericht entblödet sich nicht, zu sagen, daß die leidenschaftlicheren unter ihnen „durch das geflossene Blut um so mehr erhitzt und gereizt worden seien.“ Auch die alten Märchen vom Männerbunde und von seinen Verbindungen mit dem Auslande werden wieder aufgewärmt. Jede Aeußerung von Unwillen über das herrschende Reactionssystem, jeder noch so schüchterne und unbedeutende Versuch, die Regierungen an ihre in der Bundesacte selbst übernommenen Verpflichtungen zu mahnen, wird im Bericht als Anzeichen einer Verschwörung gedeutet, und die Hochschulen sind die Stätten, wo das umherschleichende Gift sich ansammelt und die Burschenschaft zu seinem Gefäß macht.

Die Einwirkungen der Centralbehörde auf die Gerichte der Einzelstaaten hörten nicht auf. Nicht genug, daß von Frankfurt aus die Personen benannt wurden, die zu verhaften seien, schrieb man den Gerichten bestimmte Maßregeln vor, z. B. Confrontationen im Auslande und Verschärfungen der Haft, wenn ein Angeschuldigter leugnete. Das alte geheime Gerichtsverfahren strebte nach dem Ruhme der Unparteilichkeit und forderte von dem Richter, daß er zugleich Ankläger, Richter und Vertheidiger sei. Die Frankfurter Centralbehörde war ausschließlich Ankläger. Sie ignorirte die vielen hundert Geständnisse von Angeklagten, in denen die Burschenschaft in ihrem wahren Licht dargestellt wurde, aber sowie eine besonders gravirende Aussage gemacht wurde, lief sie, von der Centralbehörde rasch befördert, an alle Gerichte. Wie solche Aussagen, deren es sehr wenige gab, zu Stande kamen, davon könnten die Berliner Gefängnisse Geschichten erzählen. Ebenso machten von den gefällten Urtheilen nur die besonders strengen und harten von Frankfurt aus die Runde. Daß das Dresdener Oberappellationsgericht – unseres Wissens das einzige in einem größern Staat – die sächsischen Burschenschafter von Strafe freisprach, meldete die Centralbehörde den Gerichten nicht.

Auf die Verbindung der Studenten mit älteren Männern und mit dem Auslande wurde scharf inquirirt. So groß war der Eifer in dieser Beziehung, daß die Centralbehörde an Märchen, die ihr aufgebunden wurden, glaubte und sie durch Deutschland beförderte. Ein Doctor Br., der in Homburg in Haft war, hatte die Hälfte der dortigen Soldaten verführt und machte sich vor seiner Flucht den Spaß, dem Untersuchungsrichter von einem Zusammenhange der Burschenschaft mit Verschwörungen in Italien, Frankreich, Belgien, Polen und Rußland vorzufabeln. Daß die Gewährsmänner, die er nannte, lauter Flüchtlinge waren, hätte die Centralbehörde aufmerksam machen sollen. Dies war jedoch so wenig der Fall, daß man sich von seinen Aussagen die größten Aufschlüsse versprach und die Verhafteten mit langen Verhören über Verschwörungen im Auslande plagte, bei deren Entdeckung sie noch bloße Kinder gewesen waren.

Die Thätigkeit, welche die Centralbehörde entfaltete, mußte den vorliegenden Stoff rasch aufzehren. Mit den Burschenschaften und dem Frankfurter Attentat war sie eigentlich schon 1830 fertig, aber nun richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Ausland. Den deutschen Flüchtlingen in der Schweiz und in Frankreich wurde eine Wichtigkeit beigelegt, die wie geflissentliche Uebertreibung aussieht. Sie hatten sich durch ihre Theilnahme am Savoyer Zuge vor den Augen der Welt lächerlich gemacht, und ihre Umtriebe waren Stürme in einem Glase Wasser. Mit diesen Unglücklichen beschäftigte sich die Centralbehörde unausgesetzt. Welchen Zweck sie dabei verfolgte, zeigte sich, als der badische Minister v. Blittersdorf den Gesandten v. Friedrich am 14. März 1836 instruirte, die Verwandlung der Centralbehörde in eine Bundescentralpolizei-Behörde zu beantragen. Der Gedanke kam von Metternich, und Baden wurde deshalb vorgeschoben, weil es zu den constitutionellen Staaten gehörte. Zum Glück stimmte Preußen trotz seiner sonstigen Gefügsamkeit nicht bei, so daß der Plan zu Wasser wurde. Von 1837 an erhoben sich im Bundestage gegen die Centralbehörde selbst Stimmen, und es kam zu mehreren mit [521] Bitterkeit geführten Erörterungen. Drei Jahre später bestieg Friedrich Wilhelm IV. den preußischen Thron, erließ eine Amnestie und forderte die Beseitigung des Bundesgerichts. So viel erreichte Metternich noch, daß die Centralbehörde bis 1842 erhalten und dann nicht aufgelöst, sondern vertagt wurde.

Was die beiden Demagogen-Untersuchungen erreichten, war genau das Gegentheil von dem, was bezweckt wurde. Man hatte bei jenen Hetzen die Burschenschaft genannt, aber die Gedanken der Freiheit und Einheit des Vaterlandes gemeint. Diese hatte man nicht geschwächt, sondern gekräftigt und weiter verbreitet. Ein Verfahren, wie das der Mainzer Commission und der Frankfurter Centralbehörde, legte die schlimmsten Gebrechen des Bundes Jahre lang bloß. Man kann mit Wahrheit sagen, daß jene beiden Behörden an der Bildung des öffentlichen Urtheils, das über den Bund ganz allgemein besteht und sich so lange erhalten wird, bis er einer bessern Form weicht, einen wesentlichen Antheil haben. Wie hätte gar durch ein System der Willkür, wie wir es geschildert haben, Abscheu vor der Freiheit entstehen können?

Noch eine andere wichtige Folge der Demagogen-Untersuchungen ist hervorzuheben. Wir verdanken ihnen den endlichen Sieg des öffentlichen Gerichtsverfahrens. Waren die Mängel des Inquisitionsprocesses schon früher beleuchtet worden, so hatten doch die gebildeten Stände bis auf die Processe gegen Arndt, Jahn und die beiden Welcker, gegen Behr, Eisenmann und mehr als tausend Burschenschafter kein eigenes Interesse an der Frage. Jetzt erhielten sie Beweise, daß auch der unbescholtenste Mann, wenn er den Muth einer eigenen Meinung habe, zum Verbrecher gestempelt werden könne. Was über das Verfahren gegen Weidig, gegen Jordan verlautete, mußte den Ruhigsten empören. Es erhob sich ein Sturm gegen das geheime Verfahren, und dieses erlag.

Zur Wahrheit ist geworden, was die Jenenser Burschen bei der ersten Auflösung ihrer Verbindung unter den Eichen der Wölmse sangen:

Das Haus ist zerfallen,
Was hat’s denn für Noth?
Der Geist lebt in uns Allen,
Und uns’re Burg ist Gott!

Die Burschenschaft ist nicht mehr, höchstens bestehen hier und dort einige Trümmer, aber der Einheitsgedanke, den sie mit unwandelbarer Treue hegte und für den sie litt, lebt kräftig und unbesieglich fort. Die heutige Burschenschaft ist das deutsche Volk, und gegen dieses mögen sich Mainzer Commissionen und Frankfurter Centralbehörden nur versuchen. Sie werden sehen, wer der schwächste und wer der stärkste Theil ist.