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ADB:Reimer, Georg Andreas

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Artikel „Reimer, Georg Andreas“ von Fritz Jonas in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 709–712, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reimer,_Georg_Andreas&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:53 Uhr UTC)
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Reimer: Georg Andreas R., Buchhändler, geboren am 27. August 1776 zu Greifswald, † am 26. April 1842 zu Berlin. Früh verlor er seinen Vater, der, einst ein Schiffer, zur Zeit der Geburt des Sohnes Kaufhandel und Brauerei in Greifswald trieb. Von ihm hatte er Verstand, Muth und Kühnheit, sowie altpommersche Schlichtheit und Redlichkeit ererbt, wie von der Mutter die reinen Sitten und jene fruchtbare Frömmigkeit, welche ihm bei aller Unruhe seines Lebens im Innern den Frieden des Gewissens bewahrte, und welche nach außen hin sich besonders in der Freudigkeit kennzeichnete, den Bedrängten zu helfen. Mit vierzehn Jahren trat er als Lehrling in die Stralsunder Filiale der Lange’schen Buchhandlung und blieb in derselben auch nach überstandener Lehrzeit noch länger als Gehülfe, bis er als Geschäftsführer der Lange’schen Buchhandlung nach Berlin berufen wurde. R. muß diese Zeit eifrig zu seiner Fortbildung benutzt haben; denn als er bald darauf sich selbständig machte, zeigte er nicht nur ein hervorragendes kaufmännisches Geschick, sondern auch im Verkehr mit bedeutenden Männern eine solche Zuverlässigkeit im Charakter und eine so große geistige Lebendigkeit und Klarheit im Denken, daß jene ihn bald als ebenbürtigen Genossen und Freund anerkannten. Als R. sich Ende 1800 nach Magdeburg begab, um sich dort am 28. December mit der erst sechzehnjährigen Jungfrau Wilhelmine Reinhardt zu vermählen, gab ihm einer seiner Gönner, der Buchhändler Sander in Berlin, ein Empfehlungsschreiben an den Magdeburger Bürgermeister Funk mit, in dem es heißt, daß er R. als einen sehr edlen jungen Mann von vielem Verstande und reiner Moralität herzlich liebe. Seine Frau nenne ihn eine seltene Blume, oder auch den jungen Weisen. „Gewiß“, so fährt der Empfehlende fort, „wenn ich der reichste Mann, und wenn meine Tochter erwachsen wäre, diesem Jünglinge gäbe ich sie mit Freuden.“ Im Juni 1800 hatte er die Leitung der Realschulbuchhandlung in Berlin übernommen, welche Hecker (s. A. D. B. XI, 208) 1749 gegründet hatte. Dieselbe hatte in den Jahren 1784–96 unter der Verwaltung eines der Lehrer nur eine Gesammteinnahme von 57 897 Thalern erzielt, und dagegen eine Ausgabe von 56 013 Thalern verursacht. R. übernahm die Handlung in einem Erbpachtsvertrage vom 1. Januar 1801 gegen eine jährliche Pacht von 500 Thalern, die nach den Rechnungen der Schule bis zum Jahre 1823 gezahlt wurde. Ein Verzeichniß der von ihm übernommenen Verlagswerke befindet sich in Joh. Heinr. Schulz’ Geschichte der königlichen Real- und Elisabethschule zu Berlin, Berlin 1857. Noch 1800 bot ihm Schleiermacher einen Band Predigten an, und 1801 erschienen die berühmten Monologe in Reimer’s Verlag. Bald schlossen sich andere berühmte Autoren an R. an. wie die Gebrüder Schlegel[WS 1], Fichte, Steffens, Tieck, Novalis, Kleist, Arndt, Fouqué, Schenkendorf, Jean Paul, Niebuhr, die Gebrüder Grimm, de Wette, Humboldt, Böckh, Immanuel Bekker, Lachmann, Ritter und mehrere. Auch der Kunstverlag wurde gepflegt: in lithographischem Farbendruck erschienen die Zahn’schen Wandgemälde aus Pompeji, und in Kupferstich die Cornelius’schen Entwürfe zu Goethe’s Faust und den Nibelungen. Zugleich vermehrte der unternehmende Mann seinen Verlag durch Ankauf ganzer Verlagshandlungen (Himburg, Lange) oder doch eines Theils fremden Verlages (Breitkopf, Matzdorf, Pauli, Quiem, Unger, Schöne, Beygang), [710] so daß beim Tode Reimer’s seine Fachgenossen in einem Nachruf ihm nachrühmen konnten, daß er durch eigene Kraft von kleinen Anfängen sich bis zum Besitzer einer Verlagshandlung heraufgearbeitet habe, die an Werth und Umfang höchstens einer, an Ehrenhaftigkeit und Gediegenheit des Verlages keiner weiche. Und dabei ist nicht eingerechnet der Verlag der großen Weidmannschen Buchhandlung, die R. 1822 erworben, aber seinem ältesten Sohne Karl und seinem Schwiegersohne Salomon Hirzel zu eigener Verwaltung übergeben hatte. Im J. 1815 kaufte R. das stattliche Sacken’sche Palais in der Wilhelmstraße Nr. 73 (in welchem sich jetzt das königliche Hausministerium befindet), verlegte im folgenden Jahre die Buchhandlung in dieses Haus, eröffnete daneben die eigene Firma G. Reimer und richtete dort auch eine eigene Druckerei ein. Aber wie eifrig und thätig R. auch in seinem Geschäfte war, er mochte dem engen Kreise allein seine Bildung nicht danken; Vaterland und Welt mußte er auf sich wirken lassen, streitend seine Kräfte üben, um sich ein Mann und freier Bürger zu fühlen. Kaum hatte er sein Geschäft begründet, als der große Corse die Welt beunruhigte und bald auch unser Vaterland unterjochte. Berlin wurde eingenommen von den Feinden und den Bürgern die Waffen abgefordert. Ob R. auch viele Waffen im Hause hatte, er lieferte sie nicht aus und soll, wie Fouqué berichtet, den warnenden Freunden trotzig entgegnet haben: „Laßt sie suchen bei mir; ich kann ihnen nicht wehren. Und wenn sie was finden, laßt sie mich erschießen, wenn sie wollen und können. Ich überliefere mich nicht freiwillig, wehrlos in ihre Gewalt; die Wehr bedingt den Mann, kein Mann ohne Wehr.“ Und entsprechend diesen Worten war sein ganzes Verhalten und Thun. Sein Haus wurde der Sammelplatz für alle, welche an der Wiederbefreiung des Vaterlandes im stillen arbeiteten, auch für diejenigen unter ihnen, die vom Eroberer geächtet und verfolgt, nur unter großer Gefahr beherbergt werden konnten. Und als dann der von ihm und allen Patrioten heiß ersehnte Befreiungskampf endlich vom Könige gewagt wurde, da stellte sich der Sechsunddreißigjährige freiwillig mit Hintansetzung seiner geschäftlichen Interessen und mit Zurücklassung seines Weibes und seiner damals sechs lebenden Kinder zur Landwehr. Schon seit Jahren hatte er auf den Schieß- und Turnplätzen sich zum Kampfe vorbereitet, so daß er jetzt für tüchtig befunden wurde, als Hauptmann eine Compagnie zu führen. Am 1. Juni war er noch einmal wieder auf einen Tag in Berlin, des gleichen im August während des Waffenstillstandes auf wenige Tage, wo er am 10. August seiner Frau zur Führung aller seiner Geschäfte eine unbedingte Vollmacht ausstellen ließ; dann aber eilte er wiederum ins Feld und half bereits am 27. August unter Hirschfeld bei Hagelsberg einen Sieg miterfechten. Im nächsten Monat starb ihm ein kleiner, fast dreijähriger Sohn, und dieser Verlust sowie eine verhältnißmäßig unbewegte Zeit in seinem Dienste, die dem von ihm gebrachten Opfer nicht recht zu entsprechen schien, beugten den kräftigen Mann tief. Bald aber tröstete ihn der Gedanke, Gott werde mehr auf die Absichten als den Erfolg sehen, und so fühlte er, je mehr er die Größe des Opfers empfand, um so mehr doch auch wieder sich zur Ausdauer verpflichtet, trotz der Ansicht mancher Freunde, daß, nachdem namentlich durch die Völkerschlacht bei Leipzig die Hauptgefahr beseitigt erschiene, er nun als Hausvater mit gutem Gewissen wieder nach Hause ziehen könne. R. blieb bei der Armee und zog im Jahr 1814 wenigstens noch mit an den Rhein, und erst am Abend des 19. Juni 1814 traf er wieder in seinem Hause ein. Anders stellte er sich im Jahre 1815, als er durch eine Verfügung vom 29. März wiederum zum Eintritt in sein Regiment aufgefordert wurde. Er erwiderte, daß er jetzt ohne Gefahr für den Umsturz seiner bürgerlichen Verhältnisse und ohne Besorgniß für eine zahlreiche, völlig unversorgte Familie sich nicht entfernen dürfe. Seit drei [711] Jahren habe er die Messe nicht besuchen können, und zur Ordnung seiner Verhältnisse brauche er Zeit bis mindestens Mitte Juni. „Sobald diese Hindernisse beseitigt sind,“ so schrieb er nach einem erhaltenen Concept der Antwort wörtlich weiter, „werde ich ungesäumt meine Dienste dem Vaterlande anbieten. Da mir die Charge, in welcher ich eintrete, gleichgültig ist und ich allenfalls auch bereitwillig und stark genug bin, um das Gewehr zu tragen, so hoffe ich immer noch zeitig genug zu kommen. Daher bitte ich Ew. Excellenz, die mir bisher anvertraute und wieder zugedachte Stelle anderweitig zu besetzen. Sollte übrigens wider Erwarten die Gefahr schleunig hereinbrechen, so gibt es keine Verhältnisse in der Welt, welche mich hindern könnten, Gefahr und Sieg oder Tod mit den Vertheidigern des Vaterlandes und der Freiheit zu theilen.“ Das rasche Vordringen der Alliirten überhob R. der Pflicht, noch einmal ins Feld zu ziehen. Mit der Schlacht bei Belle Alliance war der Friede gesichert. Jetzt griff der tüchtige Geschäftsmann, um mit Arndt zu sprechen, mit Muth und Thätigkeit in die fliegenden Räder des Glückes ein, und es gelang ihm, sich unversehrt mit ihnen fortzuschwingen. Nach Verlauf weniger Jahre konnte er seine bürgerliche Existenz als gesichert betrachten, sein Wohlstand stieg rasch bis zum Reichthum, und sein Name gewann allgemeine Achtung. Aber weder Reichthum noch Ehre blähte ihn auf, und sein Hauswesen, wie prächtig er auch wohnte, blieb bürgerlich einfach. Wie ein Patriarch herrschte er in seinem kinderreichen und geselligen Hause. Der weite Garten bot den Kindern, die nach der Derbheit des Vaters ohne Verweichlichung erzogen wurden, einen herrlichen Tummelplatz zu frischen Spielen, an denen bisweilen der Vater und seine Freunde wohl selber theilnahmen, und des Sonntags wurden im geselligen Kreise nach Tische bei einem Glase guten Rheinweins mit Vorliebe vaterländische Lieder von alt und jung im trauten Vereine angestimmt. Und dem Vater zur Seite stand seine treffliche Gattin, ein Muster einer deutschen Hausfrau, gütig und hilfreich nach außen fast ohne Grenzen, rüstig und thätig im Hause, die Mutter der Kinder, offen, treu und wahr in der Freundschaft und dabei so rührend anspruchslos, still und bescheiden, als ahne sie gar nicht, daß sie neben ihrem Gatten auch eigenen Werth habe. Klein und zart von Gestalt, hatte sie sechzehn Kinder geboren, von denen elf den Vater, und sieben sie selbst überlebten, die hochbetagt erst im Jahre 1864 starb. In den Jahren 1813 und 1814 hatte sie sich dem Lazarethdienst zur Pflege verwundeter Soldaten mit großer Hingebung gewidmet, wofür ihr nach dem Kriege der Luisenorden verliehen wurde. R. entging nicht dem Schicksal, das damals gerade die besten Patrioten traf, von der Regierung beargwöhnt und als Demagoge verdächtigt zu werden. Man hielt Haussuchung bei ihm und beschlagnahmte seine Papiere und seine vertrauten Briefe. Aber trotz alledem und trotz aller Befragung hin und her fand man keinerlei Anhalt zu einem gerichtlichen Einschreiten gegen ihn, und er hat seinen Kindern und Enkeln einen reinen, guten Namen hinterlassen. Wohl hatten, nach Arndt’s treffenden Worten, die Feurigkeit seines Herzens und der Ungestüm seines Muthes ihn zuweilen aus dem Geleise geschnellt, daß er in diesem Ungestüm selbst den Freunden als der Hartnäckige und Eigensinnige erschien; aber „die Wurzel selbst dieser Fehler war doch die schönste, sie trieb aus dem Edlen und Wahren.“ Zweimal wurde R. von seinen Mitbürgern zum Stadtverordneten von Berlin auf je drei Jahre gewählt, und vom Jahre 1831 ab bis zu seinem Tode versah er das Ehrenamt eines unbesoldeten Stadtrathes. Und auch in diesen Stellungen hat er sich als thatkräftiger, gemeinnütziger Bürger bewährt. Seine geräumige Wohnung in dem stattlichen Hause der Wilhelmstraße 73 hatte R., dem ein reger Kunstsinn eigen war, mit einer großen Fülle werthvoller Gemälde geschmückt. Selbst ganze Sammlungen von bedeutendem Umfange, wie namentlich [712] die des Freiherrn von Hutten in Würzburg, hatte der unternehmungslustige und sammeleifrige Mann angekauft, wenn es ihm auch nur um einzelne darin befindliche Kunstwerke zu thun war und die übrigen einstweilen auf seinem Boden aufgehäuft wurden. So hinterließ er bei seinem Tode eine Anzahl von mehr als 2000 Gemälden, von denen bei der 1843 erfolgten Versteigerung mehrere für die Sammlung des Berliner Museums erworben wurden. Die in seinem Besitz befindlichen Originalzeichnungen seines Freundes Cornelius zu den Nibelungen sind später an das Städel’sche Institut zu Frankfurt a. M. übergegangen. R. starb nach kurzem Kränkeln in voller Lebenskraft am 26. April 1842. Seine Leiche ist beigesetzt in einem Familienbegräbnisse auf dem Kirchhof der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin, nahe der Begräbnißstätte seines berühmten Freundes Schleiermacher, welcher die letzten siebzehn Jahre seines Lebens im Reimer’schen Hause gewohnt hatte. Ernst Moritz Arndt schrieb ihm einen herrlichen Nachruf, den er mit den Worten schloß: „Reimer war ein Mann und war ein ganzer Mann. Erwecke Gott dem Vaterlande viele solche fromme und tapfere Geister, und es wird in unvergänglichen Ehren und Siegen blühen. Amen!“ Auch die Buchhändlerschaft ehrte ihn durch einen warmen Nachruf und beschloß auf Antrag von F. Brockhaus in der Hauptversammlung des Buchhändlerbörsenvereins am 14. Mai 1844 einstimmig, die Bildnisse von Reimer und Perthes im Börsensaale in Leipzig zu ihrem dauernden Gedächtnisse aufzuhängen.

Quellen: Handschriftliches. – Arndt’s Nachruf, Grabrede von L. Jonas. – Kreyenberg, Deutsche Buchhändlerakademie II, 432 ff. – Preußische Jahrbücher XXXIV, 589 ff. und XXXVIII, 172 ff. – Fouqué im Gesellschafter 1842. – Ernst Förster, Aus der Jugendzeit 207 ff.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gebrüder Schlegel: August Wilhelm und Friedrich