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Die Gartenlaube (1881)/Heft 32

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1881
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[521]

No. 32.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Novelle von A. Godin.
(Fortsetzung.)


Es konnte nicht ausbleiben, daß sich die Gespräche, welche Fügen mit Jana zu führen pflegte, manchmal auf Genoveva richteten; ganz abgesehen von den stillen Betrachtungen, die er über seine Schloßherrin in sich ausspann, machte es ihm auch immer Freude, Jana’s ruhig-heiteres Wesen zur Lebendigkeit erhöht zu sehen, und das geschah leicht, sobald sie von ihrer Dame sprach, welche sie zu vergöttern schien. Auch das Verhältniß dieser beiden Frauen zu einander interessirte Fügen. Zwischen Frau von Riedegg und dem jungen Mädchen bestand eine feine Grenzlinie; mochte dieselbe im Willen der Herrin oder im natürlichen Tactgefühle der Untergebenen beruhen, genug, sie wurde nie überschritten und schloß Vertraulichkeit ein- für allemal aus. Daß aber Jana das Vertrauen Genoveva’s im höheren Sinne besaß, ersah Fügen daraus, daß in die Hände des Mädchens die ganze Gestaltung des äußeren Lebens unbeschränkt gelegt war; auch blieb ihm kein Zweifel darüber, daß Jana in Dinge eingeweiht sein mußte, welche den Kern jenes Rätselhaften ausmachten, das er ahnte, wenn auch nicht sah. Sie war eine zu einfache Natur, um sich zu verbergen; sie konnte nur schweigen. In unüberwindlicher Verwirrung brach sie stets ab, wenn auf das erste Jahr ihres Zusammenlebens mit Frau von Riedegg die Rede kam. Fügen wußte nur, daß Jana derselben als Wärterin des Kindes gefolgt war, nachdem die Unglücksbotschaft, daß sie Wittwe geworden, sie erreicht. Wo und wie die zunächst daraus folgende Zeit hingebracht worden, erfuhr er nicht, und hier mußte der Knoten von Genoveva’s Schicksal liegen; denn an dieses Jahr zu rühren, erregte Jana offenbar Pein, und so vermied er dies denn auf das Aengstlichste.

Gab es doch übrigens des Stoffes genug! Von sich selbst zu sprechen, was Details des eigenen Lebens und Treibens betraf, war Fügen nie zuvor eingefallen; dies wird nur einem ganz sympathischen, persönlich interessieren Zweiten gegenüber zum Reiz und Vergnügen. Mit Jana aber sprach er von jedem Zeitpunkte seines Lebens – er that es mit einem ihm nur halbbewußten inneren Behagen; in solchen Momenten besann er sich bis auf die halbvergessenen, unter mütterlichem Flügel verlebten Kinderjahre zurück und gewann plötzlich an seinem eigenen Dasein ein naives Interesse, wenn es ihm so Bild nach Bild aus der Erinnerung aus die Lippen trat. Wie verstand Jana das aber auch hervorzulocken, wie folgte sie ihm verständnißinnig auf jedem Wege, den er sie mit sich wandern ließ, oft recht in die Kreuz und die Quere! Sie selbst gab sich keine Rechenschaft über ihre Hingabe, war sich derselben in keiner anderen Weise bewußt, als durch ein innerliches Wohlsein, das ihr ganzes Wesen erfüllte. Unmerklich fanden in ihrem Herzen zwei Götter neben einander Platz – Fügen neben Genoveva; denn wie ihre Herrin, so sah sie auch ihn hoch über sich. Seines Gleichen war ihr zuvor nie begegnet; das Träumerische und doch zugleich Thatkräftige seines Geistes, den sie trotz ihrer Einfachheit verstand, weil Alles in ihm auf Wahrheit beruhte, erhob ihn vor ihr; seine Fähigkeit, durch alles Schöne, durch dessen geringste Annehmlichkeiten beglückt zu werden, brachte ihn ihr ganz nahe; denn auch ihr, dem schlichten Landmädchen, war es in die Wiege gelegt worden, Alles schön zu sehen und selbst zu verschönen. Das kam ihm jetzt zu Gute; Jana war es, die persönlich für des Burggastes Behagen sorgte, und wie sorgte! Sympathisch errieth sie Alles, was dem Alltäglichen Anmuth verleiht, und wußte im Stillen das Hausleben, so weit es ihn berührte, nach seinem Behagen zu gestalten.

„Guter Hausgeist!“ hatte sein Gedanke sie schon am Tage seines Einzuges genannt; jetzt gab er ihr den Namen laut. Aber auch ein anderer Name, den sie früher getragen, gefiel ihm sehr, und er ward allabendlich an denselben erinnert.

Die „Kränzewinderin“ übte zu dieser Stunde ihre alte Kunstfertigkeit; denn wenn die an schweren Ketten hängende Ampel ihr Licht über den Tisch ausgoß und Fügen mit der Hausfrau über mancherlei tiefsinnige Dinge oder gar über Welthändel sprach, dann waren neben ihnen Jana’s schlanke Mädchenhände eifrig bemüht, grüne Blätter aus Taffet oder Battist zierlich an einander zu fügen oder hier ein paar auf Draht gezogene Wachsperlen, dort ein leichtes Büschel von Silberlahn zwischen das Grün zu flechten; sie that es immer mit sicherem Geschmack und wies jedem die Stelle an, wo es am besten wirken mußte; so entstand denn manch ein Hutsträußchen für den Hochzeiter oder ein Feiertags-, ein Brautkranz – wohl auch ein Todtenkranz. Das auf großem Theebrette ausgebreitete Geflimmer war auch eine nie erschöpfte Verlockung für die Kinder, namentlich für Maxi, die oft herangelaufen kam und, auf ihre Zehen erhoben, etwas von all dem Glänzenden fortzustibitzen versuchte. Die Thür zum Kinderzimmer stand Abends immer offen, und das kleine Paar trieb sein Wesen unbeschränkt bald dort, bald um die Großen her bis zur Schlafenszeit. Darnach wurde von den drei Hausgenossen das leichte Nachtmahl eingenommen, nach welchem sie sich häufig hinauf in das Musikzimmer begaben Jana hatte zu den Kirchensängerinnen gehört, war als solche fest im Tact und vertraut mit den Note gewesen, ehe sie in das Haus Genoveva’s eintrat. Sie besaß eine nicht besonders [522] starke, aber herzbewegende Stimme und hatte aus Veranlassung ihrer Herrin während des Aufenthaltes in der Hauptstadt einige Zeit über guten Unterricht genossen, der sie zur Liedersängerin heranbildete. Doch verstand sie nicht, sich zu begleiten. Nun erklang die sympathische Altstimme bei der Begleitung des Capellmeisters zu Aller Freude. Schon in der Residenz hatte Jana einzelne Lieder Fügen’s mit Vorliebe gesungen; ihm war es große Freude, als er fand, wie richtig ihr feiner Instinct den musikalischen Gedanken zu erfassen und wiederzugeben wußte. Wenn er dann selbst spielte, wehte ein wunderbarer Geist über Alle hin. Besonders nach solchen Tagen, wo ihm das Componiren recht nach Wunsch gelungen, strömte es wie elektrisches Feuer aus seinen Fingerspitzen über die Tasten; gab er der alten Meister Schöpfungen wieder, so klang das wie Befreiung und Erlösung von aller Erdennoth; ergoß er sich in freien Phantasien, dann brauste sein individuelles, ausdrucksmächtiges Spiel in einer Kraft dahin, welche über ihn selbst hinauszuwachsen schien.

Das wirkte seltsamer Weise auf Genoveva stets verdüsternd, und wenn es verklungen war, pflegte sie mit stummem Gruß hinabzugehen und mit Keinem mehr zu sprechen. Empfand Fügen gleich an der ganzen Art ihrer Haltung gegen ihn, wie der Mensch, der Künstler in ihrer Schätzung wuchs, so konnte ihn das doch nicht abhalten, ihr Gebahren wunderlich zu finden. Ihm blühte gerade dann die heiterste Stimmung auf, wenn er sich zuvor auf dem Instrument so recht ausgetönt hatte. Sogar eine gewisse Schalkhaftigkeit regte sich dann leicht in ihm und würzte die kurzen Wechselreden, welche er noch mit Jana tauschte, während der Flügel geschlossen, die Lichter gelöscht wurden.

Jana aber ging wie beschwingt in ihr Schlafzimmer, erhellt und gestärkt im Gemüth.




9.

Die Weihnachtskerzen, welche aus der Moosburg von einer Riesentanne gestrahlt hatten, waren erloschen. Nachdem die Kinder in Aufregung und Glückseligkeit weit über die gewohnte Zeit wach geblieben, lagen sie nun friedlich schlummernd in ihren Bettchen. Es war bereits spät; noch saßen aber die Großen im Gespräch, in Erwartung der Mitternacht. Sie hielten sich nicht im gewohnten Raume aus, sondern hatten sich im wohldurchwärmten Terrassenzimmer, wo der Kinder Bescheerung aufgebaut worden und das noch ganz mit Harzgeruch und Wachsdüften angefüllt war, vor dem großen, dreiteiligen Fenster niedergelassen, welches den Ausblick in das Innthal bot.

Es war eine Vollmondnacht; der in großen Massen gefallene Schnee flimmerte weit und breit wie Silber; träumerisch stand das im Lichte des Tages so majestätische Gebirge; seine scharfen Spitzen und Kanten hatten sich unter dem weichen, weißen Flaume gesänftigt, und zwischen beglänzten Kuppen zeichneten sich bläuliche Schluchten, an deren Rande stolze Tannen silbern aufragten. Die Welt erschien so still in der Einsamkeit der weiten, weiten Schneegefilde; der Inn allein durchrauschte als ein Lebendiges das Thal; alle seine Quellen und Nebenflüsse lagen gefesselt unter starrer Eisfläche. Gleich dunklen Adern liefen schmale Wege thalwärts, und auf diesen Pfaden begann es sich zu regen, als die Mitternachtsstunde näher kam. Hat es in der Christnacht zwölf geschlagen, dann wird in allen Tiroler Kirchen feierliche Mette gehalten; jeder Bauernhof entsendet dann einen Theil seiner Insassen, um vor dem neugeborenen Heiland das Knie zu beugen.

Seltsam war es, von dieser hohen Warte aus auf die Wallfahrer niederzublicken; denn von hier aus erschienen ihre Gestalten nur wie dunkle Pünktchen; wie Funken erglänzten die Kienfackeln, welche sie trotz des Mondlichtes in den Händen trugen, während sie hier von den Höhen niederstiegen, dort das Thal durchzogen Alle dem gleichen Ziele zupilgernd, wenn auch nach verschiedenen Richtungen. Scharf zeichneten sich gegen den sternhellen Himmel die schlanken dunkeln Thürme der zahlreicheren Kirchen und Capellen ab, welche in der Thalbucht zerstreut oder von einzelnen Hügelvorsprüngen aufragten Die hohen Kirchenfenster schimmerten allerwärts in blassem Goldglanze; fast in einem und demselben Augenblicke schwang sich vielstimmiges Glockengeläute empor. Diese hallenden, schwellenden Töne verliehen der feierlich stillen Schneelandschaft etwas Prächtiges und entführten die Geister, welche ihnen lauschten, in weltentfremdete Regionen.

Lange schon waren die Glocken verhallt, als Fügen das Schweigen brach:

„Wie stimmt diese schneeweiße Welt doch so schön mit dem Christkindgedanken! Der Heiland sollte inmitten einer Schneelandschaft geboren sein – so rein ist nicht einmal ein Frühlingsmorgen.“

„An einem Frühlingsmorgen ward er dann gekreuzigt,“ sagte Genoveva.

Fügen wandte jäh den Kopf und sah sie fragend an. Die langsam gesprochenen Worte hatten ihn herbe berührt – nun begegnete er einem gleich herben Zug um die gewölbten Lippen. Ihre Meinung war ihm räthselhaft, und er brütete dem Sinne der eben gehörten Worte schweigend nach. Seltsam! all das Lichte, wovon seine Seele eben noch erfüllt gewesen, löschte auf einmal vor ihm aus.

„Sie sprechen gläubig vom Heiland,“ fuhr Genoveva fort, indem ihre unergründlichen Augen fest auf ihm hafteten. „Glauben Sie auch an einen Gott, an den Gott, meine ich, welchem in all diesen Kirchen und Capellen täglich so viel irdische Angelegenheiten vorgetragen werden, in der zuversichtlichen Erwartung, daß er sich darein mischen und sie schlichten werde?“

Fügen zögerte einen Moment.

„Habe ich nicht mißverstanden, so fragen Sie mich, ob ich an einen Gott der Gerechtigkeit glaube?“ sagte er nachdrücklich. „Ja! Aussaat und Ernte folgen sich aus Erden.“

„Vorausgesetzt, daß der Lauf der Welt eine Ernte reifen läßt,“ entgegnete die schöne Frau bitter. „Gerechtigkeit! Wo sind Sie der begegnet? Etwa dort, als Sie selbst mit Feuer und Schwert für die Sache der Unterdrückten eintreten wollten? Gottes Gerechtigkeit! In sie sollte das Recht des Schwachen sein und menschliche Gewalt ist es, die Alles regelt.“

Er schüttelte energisch den Kopf.

„Keiner darf die Gottheit anklagen. Was ist uns denn der Himmel schuldig? Es ist wahrhaftig kein Wahn beschränkter Seelen, an die Einmischung einer höheren Macht in unsere Angelegenheiten zu glauben. Mir wenigstens zeigte bis heute jede Existenz, deren intimer Gang mir bekannt geworden, meine eigene mit eingerechnet, einen geheimnißvollen Zusammenhang, der die entferntesten Fäden immer wieder rückwärts spinnt und verknüpft. Es ist mit dem Leben nicht anders wie mit einer Ouvertüre; kein Motiv, das einmal aufgeklungen, verhallt zusammenhangslos. Wie oft wird der Ton, den man in der Jugend angeschlagen, erst im Alter zum Accord; in das, was wir gewollt, mischt sich Unberechenbares und giebt ihm veränderte Gestalt; das, wonach wir streben, wird uns nicht – das Köstlichste fällt uns aber oft ungesucht in den Schooß. In allen Dem erkenne ich einen Plan, dessen durchlaufende Linie sich nur von einem Punkte aus überschauen läßt. Dieser Punkt existirt. Und für Jeden tagt der Moment, wo er einmal dort stehen wird, sollte es damit auch währen bis zu seiner letzten Stunde. Eins aber müssen wir Alle schon auf halbem Wege begreifen, daß aus jeder Verschuldung ganz unmittelbar die Buße aufkeimt.“

„Für Jeden? Wahrlich nicht! Haben Sie so wenig Menschenkenntniß oder sind Sie so optimistisch, um nicht zu sehen, wie das Schicksal, dem Sie einen Lenker zuerkennen, gar viele Schuldige straflos hindurchschlüpfen läßt, ohne Buße, ohne Selbstkritik sogar? Einer büßt dann für diese Alle, und vielleicht war gerade dieser Eine weitaus der Bessere unter ihnen, dessen inneres Sein kerngesund blieb, auch wo er getaumelt. Dennoch – wer sich mit Schuld beladen, mehr oder minder, möge die Folgen tragen! Wenn Ihr Gott aber müßig zusieht, wie dem Unschuldigen Gewalt gegen Recht geschieht, daß er wehrlos schreiende Unbill erleiden muß, welches Wort erfinden Sie dann statt des tönenden Wortes: Gerechtigkeit? – ‚Schicksal‘! werden Sie sagen, und so stoßen wir wieder zusammen“

Er sah betroffen in ihre flammenden Augen. „Sie vergessen das heilige Richteramt der Zeit,“ sagte er in tiefem Ernst; „diese Macht geht mitunter langsam, aber sie kommt – –“

„Wenn man Zeit behält auf die Zeit zu warten, vielleicht. Ich kenne nur Eines, dem sich Jeder unterwerfen muß, ohne Kampf und Murren, weil es die Welt beherrscht – das ist der Tod. Allem Anderen gegenüber heißt es: hilf dir selber, und kannst du’s nicht, so geh zu Grunde!“

Sie brach ab und erhob sich, als wolle sie Weiteres weder hören noch äußern. Die Arme leicht in einander verschlungen ging sie in der Tiefe des großen schwach beleuchteten Saales auf [523] und nieder. In dem schwarzen Tuchkleide, eine Spitzenhülle leicht über den Kopf geworfen, glich sie einem Schatten, dunkel und geräuschlos.

Fügen’s Augen und Gedanken folgten ihr nach; so oft sie während ihres Wanderns in den Bereich der einzigen Lampe trat, die noch brannte, erschien ihm die herrliche Gestalt imposanter als je; zu keiner Stunde hatte ihre dunkle Schönheit einen so übermächtigen Eindruck auf ihn geübt, während ihn zugleich der scharfe Gegensatz überschauerte, der sich zwischen ihrem Denken und Empfinden und dem seinigen fühlbar machte. Eine Fluth widersprechender Gedanken quoll in ihm auf; all das Ungesagte lag schwer wie eine Bürde aus seinem beunruhigten Geiste. Während er so stumm saß, dem Fenster abgekehrt, erinnerte ihn eine leichte Berührung seines Armes an die vergessene Nähe Jana’s, welche sich die ganze Zeit über schweigend verhalten hatte. Auch jetzt sprach sie nichts, sondern deutete nur hinab.

Die hellen Kirchenfenster erloschen hier und dort; dafür sammelten sich dicht neben den Gotteshäusern eine Menge zitternder Lichtfunken, schwebten eine Weile auf und nieder wie Glühwürmchen um Johanni und bewegten sich dann, gleich goldenen Linien, vorwärts. Die Fackeln waren auf den Kirchhöfen neu entzündet worden, und nun zogen die vereinzelt Gekommenen in Processionen nach Hause. Wandernde Wolken verhüllten den Mond, doch blieb die Nacht durchsichtig – jeder einzelne der funkelnden Sterne schien zu beben. Eindringlicher noch als zuvor ergriff die keusche Ruhe dieser klaren Winternacht Fügen’s Gemüth; gleich allen Musikern hatte er instinctives Landschaftsgefühl, welches sich leicht seiner Stimmung, nicht selten seinen Compositionen einprägte. Die eben empfundene Dissonanz zerfloß vollends in Harmonie, als Jana mit ihrer sanften, innigen Stimme halblaut sagte:

„Ich danke Ihnen.“

„Wofür?“ fragte er ohne Erstaunen im liebreichsten Ton.

„Für Ihre Worte vorhin! Es ist so wahr, daß der Himmel tausendmal mehr schenkt, als er Einem schuldig wäre, und – es macht mich so froh, daß Sie, klug und gelehrt, doch auch getreu an Gottes Walten glauben. Sie haben Religion – wie viel lieb ist das!“

Jana hatte sich, während sie sprach, ein wenig vorgebeugt; ihr feines Gesicht sah im blassen Sternenlicht wie von Freude durchgeistigt aus. Er nahm ihre Hand in die seine und sagte etwas hastig, wenn auch in gleich gedämpftem Tone:

„Wer weiß, ob Sie mit mir zufrieden bleiben, wenn wir einmal mehr hierüber sprechen! Eins aber ist wahr: gewiß, gewiß, ich habe Religion. Und so, wie ich sie verstehe, ist sie mir, was dem Menschen sein Vaterland, dem Kinde seine Wärterin. Man kann sich davon zeitweise entfernen, dann aber sehnt man sich danach.“ Er brach ab und wandte den Kopf der Tiefe des Saales zu. „Sie geht in die Fremde,“ sagte er. „Ob sie sich aber sehnt? Mir scheint eher, sie will noch weiter fort.“

„Sie ist nur verschiedenen Glaubens,“ sagte Jana traurig. „Ich kenne davon nicht viel, aber es giebt dabei Manches, was anders ist als bei uns und nicht so tröstlich. Seit ich mit ihr lebe, weiß ich ja, daß es nichts Schlimmes ist um die Protestanten, aber sie dauern mich. Denken Sie nur Eins – sie kennen es nicht, daß man für seine Todten betet, was doch Christenpflicht ist. Da mein’ ich, müßt es sich noch viel bitterlicher weinen, weil man gar nichts mehr thun kann, als eben weinen.“

„Haben Sie denn für einen lieben Todten zu beten, Jana, weil Sie das so gut wissen?“ fragte er treuherzig.

Sie fuhr zusammen und löste ihre Hand plötzlich aus der seinen. Ohne zu antworten, stand auch sie nun auf, drückte einen Moment ihre Stirn gegen die kalten Scheiben, ging dann mit ihrem gewohnten leisen Schritt nach dem Tische, wo etliche Leuchter standen, und zündete die Kerzen an. Eben schlug es auf der alten Stutzuhr Eins.

Genoveva, von dem Klang und zugleich vom helleren Lichte berührt, näherte sich.

„Gute Nacht,“ sagte sie im gewohnten melodischen Ton. Jede Spur der leidenschaftlichen Regung, welche zuvor in ihren Zügen aufgeloht, war daraus verschwunden. Als sie Fügen die Hand bot und ihr Auge seinem ernst forschenden Blicke begegnete, irrte ein Lächeln um ihre Lippen. Es schien ihm ironisch – das verdroß ihn. Er wandte sich etwas rasch ab, und war im Begriff, während Genoveva vorausging, noch ein Wort an Jana zu richten. Als er aber aus ihrer Hand den Leuchter nahm, sah er große Tropfen an ihren gesenkten Wimpern hängen. Nun blieb er einen Moment vor ihr stehen, sagte aber nur. „Gute Nacht!“ und ging nach seinem Zimmer, ohne sich weiter umzuschauen.

„Wer mag aus Frauen klug werden!“ dachte er und sann sich erst spät in den Schlaf hinein.




10.

Die Tage wurden länger, und schon lockten einzelne milde Stunden in’s Freie. Weiden und Erlen blühten als Verkünder des nahen Frühlings; zwar schlüpfte noch kein grüner Keim aus dem Boden, aber dennoch begann es sich im Schooß der Erde zu regen. Im Thale quollen allerwärts lang gefesselte Wasser dem Inn entgegen, und wenn andere ihres Gleichen auch in der Klamm, den Schluchten der Berge noch seufzten verrieth schwaches Glucksen doch schon, wie bald auch sie den Schnee überwältigt haben würden, der sie bändigte; schon tropfte es leise von Stein zu Stein.

Fügen weilte noch immer auf der Moosburg. Seit er die Composition eines großen Musikwerkes begonnen, galt es als selbstverständlich, daß diese Aufgabe hier vollendet werde. Er ward längst nicht mehr als Gast, sondern als zum Hause gehörig betrachtet; man hatte sich nicht nur in einander eingelebt; es waren auch allerlei Beziehungen und Aufgaben entstanden.

Fügen’s Erbieten, den unterbrochenen Clavierunterricht Jana’s seinerseits wieder aufzunehmen, wurde von Dieser mit heimlicher Freude, von Genoveva mit aufrichtiger Dankbarkeit ergriffen. Niemand hätte gewagt, an den Meister selbst solches Ansinnen zu stellen da es aber von ihm ausging, wurde die erfreuliche Gelegenheit, Jana so weit vorwärts zu bringen, daß sie künftig ihre Lieder sich selbst begleiten könnte, als große Annehmlichkeit geschätzt. Fügen brachte damit kein Opfer, weil Jana ihm nicht nur sympathisch, sondern auch durch und durch musikalisch war. Bestimmte Stunden wurden festgesetzt und pünktlich eingehalten.

Im Verlaufe der Zeit nahm der Meister noch einen zweiten Schüler an. Jana’s jüngster Bruder Lois kam jeden Sonntag Nachmittags sie zu besuchen – nicht blos der Schwester, sondern auch der Kinder wegen, welche dem schweigsamen Knaben sehr anhingen, und denen er ein unermüdlicher Spielgefährte war. Von Maxi ließ er sich sogar tyrannisiren. Sein ernstes, nachdenkliches Gesicht war Fügen schon beim ersten Zusammentreffen an der Mühle aufgefallen und im Laufe der Zeit, als Lois seine Scheu etwas überwunden hatte, ward der Mann durch die künstlerischen Instincte des Knaben wiederholt frappirt. Als ihn Fügen einmal des Sonntags, nachdem Jana’s Uebungsstunde beendet war, vor dem Flügel ertappte, wo Lois sich ein eben gehörtes Mozart’sches Thema mit merkwürdigem Gedächtniß auf den Tasten zusammensuchte, warf er die Frage hin, ob er wohl auch Lust hätte, Clavierspielen zu lernen? Ein leidenschaftlicher Freudenblitz, der aus des Knaben meist so dämmernden Augen brach, war Antwort genug.

Seitdem besaß der Meister einen regelmäßigen Sonntagsschüler. Nicht die Lernenden waren es aber, denen sein höchstes Künstlerinteresse zugehörte – dies galt einem kaum erst erwachenden Ohre. Sobald der Flügel erklang, ließ Fügen’s Liebling, der kleine Siegmund, vom liebsten Spiele, schlich sich in das Musikzimmer und blieb dort regungslos in einer Ecke sitzen, bis er plötzlich, gleichsam überwältigt, hinweglief oder gar in Schluchzen ausbrach; das geschah ihm namentlich bei großer Musik. Jana strebte das Kind fern zu halten; seine Mutter war anderer Meinung. Sie that ihm niemals Zwang an, diesen Nervenreiz zu überwinden, verbot aber, ihn zurückzuhalten, wenn er in stets wiederkehrendem Drange den Tönen zustrebte, welche ihn doch zu foltern schienen, sobald sie ausdrucksmächtig wurden. In diesem Punkte stimmte Fügen mit ihr überein, was sonst nicht oft der Fall war, wenn es sich um Siegmund handelte. Zu Allem, was er an Frau voll Riedegg ungewöhnlich fand, gehörte auch ihr Verhalten dem kleinen Sohne gegenüber. Mit welcher Leidenschaft sie ihn liebte, verrieth jeder unbewachte Augenblick; er war offenbar der Mittelpunkt, der Brennpunkt ihres Daseins. Diese Liebe war aber von einer Strenge durchwoben, welche bei Siegmund’s zartem Alter fast übermäßig erschien. Unverkennbar strebte Genoveva, ihn auf alle Weise körperlich und geistig zu stählen. Nie gab sie ihm gegenüber einem Impulse nach; nie [524] duldete sie dies von Andern, und doch war kaum je ein Kind so geschaffen, Impulse hervorzurufen. Keine Welle konnte beweglicher sein. Eben noch sprühend vor Lust, nach Sonnenstrahlen haschend, in deren Gefunkel er tanzte, war Siegmund im Stande, schon im nächsten Augenblicke mit kummervollem Vorwurfe in den großen Augen zum Himmel aufzusehen, weil dort eine Wolke zerfloß, die er gebeten hatte, zu verweilen. Dann wieder sah man ihn mit dem Wildfange Maxi um die Wette toben; jubelnd vor Uebermuth rannten die Kinder einander nach, bis ihnen der Athem ausging, schauten sich bis in den Grund der Augen, wenn Eins das Andere erhascht hatte, und brachen dann in unauslöschliches Gelächter aus, ohne zu wissen worüber. Mitten in der glühendsten Spielfreude genügte aber stets ein Ruf der Mutter, um das Kind augenblicklich an ihrer Seite zu haben.

Fügen, der den Knaben insgeheim vergötterte, war stets entrüstet, wenn dieser irgendwie in seiner Freiheit beschränkt wurde. „Wäre der Bub’ ein Prinz und die gnädige Frau seine Aja, dann ließe ich mir solches Einschränken gefallen,“ sagte er mitunter im Unmuthe zu Jana, wenn er eben Zeuge gewesen war, wie dem Kleinen schon so früh Selbstüberwindung in jeder Form auferlegt wurde. „Solch ein armes, stets auf hoher Warte sichtbares Fürstenkind muß freilich bei Zeiten dahin abgerichtet werden, überall Schranken zu sehen, sei’s nun für die Andern oder für sich selbst. Auch für Alltagsnaturen möcht’ es gelten, weil Die geborene Subalterne sind. Ist aber unter Hunderttausenden einmal eine Natur wie diese aus dem Ei geschlüpft, wozu sie einengen? Gewähren lassen ist Alles bei den Kleinen wie bei den Großen. Laßt doch das Kind frei sein! Es wird schon von selber ausfindig machen, was ihm nützlich ist; es findet überhaupt Alles von selbst aus durch den Engelsinstinct. Laßt ihn doch nach Gefallen lärmen oder auch in sich hineinsinnen! Wenn er so dasteht, wie ein verzückter Heiliger, und seine Sternaugen das ganze Gesicht erhellen, dann weiß und sieht er mehr als wir Alle – das dürft Ihr mir glauben. Jetzt schon weiß das kleine Gemüth sich unsere Stimmungen von unserer Stirn abzulesen, und auf seinem Gesichtchen spielt unser Leid und unsere Freud’ wieder, wie Sonnenlicht und Schatten auf dem Laub. Trotz alledem – nun, mein Trost ist, daß noch Keiner aus einem Sonntagskinde eine Alltagsfigur zurechtgemodelt hat – sonst könnte Einem angst und bange werden.“

Jana lachte zu solchen Ausfällen, machte wohl auch einen schwachen Versuch ihrer Herrin straffe Zucht zu vertheidigen, doch merkte Fügen bald genug, daß sie heimlich seiner Meinung sei. Sie war überhaupt immer seiner Meinung, nicht weil sie ihn damit unbewußt hätte bestechen wollen, sondern weil Alles, was er sprach und that, ihr als das Beste vorkam. Es konnte ihm nicht verborgen bleiben, wie so ganz das liebe Mädchen in ihm aufging, und ebenso wenig verhehlte er sich, wie sehr ihn das beglückte. Gedanken, die er früher nie gehegt, oder als nicht gemäß für sich und seine Ziele abgewiesen hacke, klopften jetzt oft und öfter bei ihm an. Die Vorstellung, später von hier fort zu müssen, all das Behagen zu entbehren, das ihm nicht mehr neu, aber noch ebenso köstlich erschien, wie zu Anfang, war ihm überhaupt sehr unerfreulich; ein Zukunftsbild ungemütlicher Häuslichkeit vielmehr des Mangels jeder wirklichen Häuslichkeit, wobei er früher seine Tage hingebracht, erschien ihm Grau in Grau. Ewig konnte er nicht aus der Moosburg bleiben. Warum nicht thun gleich Andern, sich ein Heim gründen, das ihm eigen blieb, er mochte sich nun aufhalten, wo immer? Der gute Hausgeist für solches Heim war ja gefunden.

(Fortsetzung folgt.)





Skizzen aus deutschen Parlamentssälen.

4. Die deutsche Fortschrittspartei.‘‘‘[1]

„Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter (Hagen).“

Und wenn das „hohe Haus“ auch matt und müde oder – durch die vorhergehenden Redner der Aufmerksamkeit entwöhnt – in lebhafte Privatgespräche vertieft ist, so ist es doch schnell wieder bei der Sache; die Flüchtlinge kehren aus Foyer und Restauration zurück; die Commissarien des Bundesrathes nähern sich der linken Seite, und auf der Rechten schließen sich die Reihen, wie zum Carré, das mit gefälltem Bajonnet den feindlichen Ansturm kampfesfroh erwartet. Zuweilen bleibt es bei einem kurzen raschen Vorstoß, einigen scharfen Hieben, einem flüchtigen Plänkeln – nicht selten aber erfolgt ein mehrstündiger Vormarsch nach allen Regeln der Strategie, mit angezeichneter Munition und tiraillirendem Ausschwärmen nach allen Seiten; genau markiren sich die Punkte, wo es eingeschlagen, überall lebhaftes Feldgeschrei für und wider, und das Gefecht entbrennt auf der ganzen Linie. Nur klein ist das Häuflein, das um den muthigen Führer sich schaart, zur Hälfte mindestens alte Garde, darunter ehrwürdige Veteranen, die treu und beständig das Banner der deutschen Fortschrittspartei hochgehalten in allem Wechsel der Ereignisse und der Meinungen, das Banner der ältesten unserer parlamentarischen Parteien.

Als im October 1858 der Prinz von Preußen die Regentschaft übernommen und seine Ansprache mit ihrer vernichtenden Verurteilung der Heuchelei und Scheinheiligkeit, „alles Kirchenwesens als Mittel zu egoistischen Zwecken“, veröffentlicht hatte, begann das Volk endlich wieder freier zu athmen und glaubte die lange Nacht der Reaction gewichen Die „Landrathskammer“ wurde bei den Wahlen gesprengt, und im neuen Abgeordnetenhause gebot das liberale Ministerium über eine gewaltige Mehrheit. Der italienische Krieg und der Friede von Villafranca im nächsten Jahre zeigten mit einem Male wieder den Jammer deutscher Zerrissenheit in grellster Beleuchtung, Oesterreich und die Mittelstaaten in erbitterter Feindschaft gegen Preußen, alle alten Gegensätze – zwischen Norden und Süden, Katholiken und Protestanten, Demokraten und Constitutionellen – jäh geweckt und neu verstärkt. Aufgerüttelt durch des Vaterlandes Noth, fanden sich in Eisenach und Hannover patriotische Männer zusammen und beriefen eine größere Versammlung Gleichgesinnter auf den 15. und 16. September 1859 nach Frankfurt am Main. Das Mißtrauen gegen Preußen verhinderte die Einigung über ein bestimmtes Programm, aber statt dessen ward auf den mit einer begeisterten Rede begründeten Vorschlag von Schulze-Delitzsch das Statut eines programmlosen Vereins angenommen, der es sich zur Aufgabe stellte, „zum Zwecke der Einigung und einheitlichen Entwickelung des großen gemeinsamen Vaterlandes“ mit allen gesetzlichen Mitteln zu wirken. So entstand der „deutsche Nationalverein“, der die Bewegung rasch in Fluß brachte und unter großer Theilnahme des Volkes überall eine rührige Agitation entwickelte.

Das Ministerium der „neuen Aera“ in Preußen erwies sich in der deutschen Frage sehr bald unentschieden und ohne Muth, nach innen, gegenüber dem vollständig conservirten Beamtenbestand der Reactionsperiode, kraft- und machtlos, und die Mehrheit des Abgeordnetenhauses drängte es nicht vorwärts, sondern stimmte, um die „liberale“ Regierung nicht zu gefährden, sich selbst immer mehr herab. Das preußische Volk gab nicht mißzuverstehende Zeichen seines wachsenden Unmutes: bei drei Nachwahlen wählte es den alten Kammergerichtsrath Taddel, den mannhaften Präsidenten des abscheulichen Waldeck’schen Hochverrathsprocesses, Waldeck selbst und Schulze-Delitzsch, die bis dahin mit den andern demokratischen Führern eine weise Zurückhaltung beobachtet hatten. Auch innerhalb der maßgebenden, 150 Mitglieder zählenden parlamentarischen Fraction Vincke steigerte sich die Unzufriedenheit mit dem stets herrischer sich geberdenden, nach rechts treibenden Führer, und es erstand in

[525]

Die Führer der Fortschrittspartei.
Nach Photographien auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.
Ludwig Loewe. Rudolf Virchow. Albert Hänel.
Albert Traeger. Eugen Richter.

[526] ihr eine Linke, an ihrer Spitze der oftpreußische Freiherr Leopold von Hoverbeck, dessen schneidige Entschiedenheit dem westfälischen Baron sehr bald eine widerwillige Achtung abzwang.

Am 7. Februar 1881 kam es zum Bruch. Bei der Adreßdebatte wurde ein von Hoverbeck dahin gestelltes Amendement, daß dem Könige die Führung des deutschen Heeres übertragen und Preußen die ihm gebührende Stellung „an der Spitze des deutschen Bundesstaates“ eingeräumt werde, von der Mehrheit der Fraction verworfen, und es schied nun eine Anzahl Mitglieder, darunter auch von Forckenbeck, aus. Sie traten mit Taddel, Waldeck und einigen anderen „Wilden“ vorläufig zu einem parlamentarischen Verein zusammen, der aus neunzehn Abgeordneten bestand und den ihm von Vincke augehängten Spottnamen „Junglitthauen“ selbst acceptirte.

Angesichts der Neuwahlen galt es nun, eine Vereinigung aller entschiedenen Liberalen, wie sie im Nationalverein für das Volk sich vollzogen hatte, auch im Parlamente herzustellen. Sie glückte. In einer Versammlung zu Berlin am 8. Juni 1881 unter dem Vorsitze des Professor Virchow wurde das Programm einstimmig festgestellt, das dann die Zeitungen vom 9. Juni 1881 veröffentlichten. Unterzeichnet war es von den bekannten Parlamentariern und fünfzehn Berlinern, darunter von späteren Abgeordneten die Professoren Mommsen und Virchow, Dr. Langerhans, Franz Duncker, von Unruh, sowie die Redacteure der „Vossischen Zeitung“, der „Volkszeitung“ und der „Nationalzeitung“.

An diesem Programm hält die deutsche Fortschrittspartei noch heute fest; es ist unter dem 24. März 1877 nur neu formuliert und auf Grund der veränderten Verhältnisse hier und da bestimmter gefaßt und erweitert worden. Bemerkenswerthe Sätze sind insbesondere folgende:

„Wir sind einig in der Treue für den König und in der festen Ueberzeugung, daß die Verfassung das unlösbare Band ist, welches Fürst und Volk zusammenhält.

Für unsere inneren Einrichtungen verlangen wir eine feste liberale Regierung, welche ihre Stärke in der Achtung der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger sieht und es versteht, ihren Grundsätzen in allen Schichten der Beamtenwelt unnachsichtlich Geltung zu verschaffen.

In der Gesetzgehung scheint uns die strenge und consequente Verwirklichung des verfassungsmäßigen Rechtsstaats eine erste und unbedingte Nothwendigkeit.

Für die Ehre und die Machtstellung unseres Vaterlandes, wenn diese Güter durch einen Krieg gewahrt oder erlangt werden müssen, wird uns niemals ein Opfer zu groß sein; im Interesse einer nachhaltigen Kriegführung aber erscheint uns die größte Sparsamkeit für den Militär-Etat im Frieden geboten.“

Die neue Partei, welche zuerst den Muth hatte, in dem Parlamente eines Einzelstaates die Einigung Deutschlands auf ihr Banner zu schreiben, und als deutsche Fortschrittspartei in das preußische Abgeordnetenhalls zu einer Zeit einzog, wo die Reichsfreundlichkeit durchaus noch nicht unbedingt populär und nach oben zweifellos nicht „opportun“ war, errang um Wahltage, dem 8. December 1881, trotz aller gegnerischen Anstrengungen einen glänzenden Sieg. Doppelt und dreifach wurden die namhaftesten Fortschrifttsmänner gewählt, durunter der durch sein Duell mit dem General von Manteuffel schnell berühmt gewordene Berliner Stadtrichter Karl Twesten; zweiundachtzig Mitglieder zählte die offizielle, zwanzig die sogenannte „stille Fortschrittspartei“ in dem am 14. Januar 1862 zusammentretenden Abgeordnetenhaus, das schon am 11. März aus Grund des Hagen’schen Antrages wieder ausgelöst wurde. Das neue Haus zählte hunderteinundvierzig Fortschrittsmänner. Es befand sich einem streng conservativen Ministerium gegenüber; die „neue Aera“ hatte abgewirthschaftet, der Kriegsminister von Roon die Armeereorganisation durchgeführt, ohne die erforderlichen Mittel bewilligen zu lassen. Am 18. September 1862 ward der erste Autrag der Budgetcommission auf Sonderung und Streichung der Kosten für die ungesetzlichen Maßnahmen angenommen, und drei Tage später traf Herr von Bismarck-Schönhausen aus Paris ein, um seinen Botschafterposten mit dem des Ministerpräsidenten zu vertauschen. Er hatte sich in den Anfängen des preußischen Parlamentarismus 1847 und 1848 als einen der schneidigsten rnd rücksichtslosesten Vorfechter der äußersten Rechten bemerklich gemacht, war beim Bundestag nicht minder streitbar gegen das österreichische Uebergewicht aufgetreten und alsdann in Petersburg, zuletzt am französischen Hofe gewesen, wo er den Kaiser Napoleon und den Cäsarismus aus das Schärfste beobachtet und eingehend studirt hatte. Mit seiner Berufung erreichte der Militärconflict sofort den Höhepunkt. Nicht um die Sache, um die Form handelte es sich, und der Kampf wurde geführt um die grundlegenden verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung.

Die Regierung scheute kein Mittel; denn es erfolgten Auflösung über Auflösung, Maßregelung der liberalen Beamten, Knebelung der Presse durch die berüchtigten Ordonnanzen, Eingriffe in das Versammlungsrecht, sogar in die Redefreiheit der Abgeordneten. Fest und unerschütterlich stand das Parlament und treu zu ihm das Volk, das, durch nichts eutmuthigt oder irregeführt, immer wieder die tapfern Streiter für Recht und Verfassung wählte.

Ein neuer Feind war dem liberalen Bürgerthum erstanden: Ferdinand Lassalle hatte die Socialdemokratie begründet und drohte den „Bourgeois“ mit dem aus der Ferne tönenden Schritt der heranziehenden Arbeiterbataillone. Herr von Bismarck schien eine zeitlang an die Möglichkeit einer Bundesgenossenschaft zu glauben; er hatte Berührungen mit dem genialen Agitator und ermöglichte durch königliche Unterstützung den sehr bald kläglich gescheiterten Versuch einer Fabrik auf socialistischer Grundlage. Die Liberalen dagegen nahmen sofort den Kampf auf, und bis heute noch giebt es keine unversöhnlicheren Gegensätze und Gegner, als Fortschrittspartei und Socialdemokratie, die Partei des aus Selbsthülfe und Selbstverantwortlichkeit beruhenden Rechtsstaates und die Anhänger einer jeden Einzelwillen und alle Selbstbestimmung vernichtenden Staatsallmacht.

Nur in einem Punkte hatte das Ministerium Bismarck der unbedingten Unterstützung der Abgeordnetehausmehrheit sich erfreut, bei Verfolgung der gesunden preußischen Freihandelspolitik, welche den durch die Mittelstaaten abgelehnten französischen Handelsvertrag wieder zu Stande brachte und selbst Oesterrreich zu einer liberalen Tarifreform nöthigte.

Inzwischen – nach siegreicher Beendigung des dänischen Krieges – waren die eroberten Herzogtümer an die beiden deutschen Großmächte abgetreten; der Nationalverein protestirte gegen die Annexion und agitirte auf das Lebhafteste für das Selbstbestimmungsrecht der Schleswig-Holsteiner und die Einsetzung des Augustenburgers. Das preußische Abgeordnetenhaus schwieg in dieser Frage, und dadurch wurde das Mißtrauen der mittel- und süddeutschen Liberalen wieder rege. Der vierjährige Conflict mit seinen vielfachen Rechts- und Versassungsverletzungen und dem budgetlosen Regiment hatte Preußen um alles Vertrauen und jede Zuneigung gebracht, und als es plötzlich am 9. April 1866 bei dem Bundestage einen constitutionellen Antrag stellte, erklärte der Ausschuß des deutschen Nationalvereins unter lauter Zustimmung, das deutsche Volk werde niemals an eine ihm von Preußen in Aussicht gestellte Verfassung glauben, „so lange die preußische Verfassung ein todter Buchstabe ist“.

Der schon im Februar entlassene Landtag ward im Mai aufgelöst, als der Krieg Deutscher gegen Deutsche unvermeidlich geworden. Das Budget war wiederum nicht zu Stande gekommen; Gelder zur Kriegsführung hatte die Regierung, welche das Bewilligungsrecht des Abgeordnetenhauses grundsätzlich bestritt, gar nicht verlangt, das Parlament daher niemals in der Möglichkeit sich befunden, durch Gewährung oder Versagung der Mittel seine Stimmung auszudrücken. Die deutsche Fortschrittspartei erklärte in ihrem Wahlaufruf vom 20. Juni, daß nach Lage der Dinge und Mangels jedes Einflusses der Volksvertretung der nun einmal entstandene Krieg geführt werden müsse, sein Ziel aber kein anderes sein könne und dürfe, „als die Wiederherstellung Deutschlands, geeinigt auf dem Boden der Freiheit und des Volkswohls durch eine Verfassung“.

Wenn die Partei im norddeutschen Reichstage mit vierunddreißig anderen Abgeordneten gegen die Bundesverfassung stimmte und im preußischen Landtage gleichfalls die Ablehhnung votirte, so geschah dies nicht aus Widerstreben gegen die deutsche Einheit, sondern wegen ungenügender Ausdehnung und Sicherstellung der Volksrechte in dem vorgelegten Entwurf. Waldeck betonte nachdrücklich, daß Bündniß wie Einheit an sich vollständig feststehen und durch die Ablehnung dieser Verfassung die Sache, für welche die Partei einstehe, nicht im mindeste gefährdet sei, sondern nur gewinnen könne.

Im preußischen Volke hatte während des Krieges eine rückläufige Bewegung begonnen, und bei den um Schlachttage von Königgrätz stattfindenden Wahlen verloren Fortschrittspartei und [527] linkes Centrum fast die Hälfte ihrer Mitglieder. Dagegen ward der früheren Conflicts-Mehrheit die nachträgliche Genugthuung, daß die siegreich aus dem Kampfe heimkehrende Regierung sofort Indemnität bei dem Abgeordnetenhause nachsuchte und so dessen verfassungsmäßige Rechte anerkannte.

Am 15. October wurde das Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes und am 12. November noch ein gemeinschaftlicher Wahlaufruf der Fortschrittspartei und des linken Centrums veröffentlicht. Allein schon in den nächsten Tagen veranlaßten heftige Debatten in den Fractionssitzungen den Austritt verschiedener Mitglieder – darunter namentlich Lasker, Twesten und von Forckenbeck – und die Bildung der „nationalliberalen“ Partei, die bald einen entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung und Entwickelung unserer inneren Verhältnisse gewann und geraume Zeit behielt. Grund der Meinungsverschiedenheit war das größere oder geringere Vertrauen zu dem leitenden Staatsmanne. Die Wahlen am 12. Februar 1867 ergaben in den alten preußischen Provinzen einen glänzenden Sieg der conservativen Regierungspartei, während in den neuen die Nationalliberalen, welche neunundsiebenzig Sitze errangen, überwogen. Zu Folge des allgemeinen Stimmrechts erschienen auch die Socialdemokraten zum ersten Mal geschlossen auf dem Plane und gaben in Elberfeld bei der engeren Wahl den Ausschlag für Bismarck gegen Forckenbeck. Nordhausen wählte Eugen Richter und eröffnete so dem Achtundzwanzigjährigen die parlamentarische Laufbahn.

Drei Jahre vorher war der zum Bürgermeister von Neuwied gewählte Regierungsassessor wegen notorischer Freisinnigkeit nicht bestätigt worden, hatte den Staatsdienst aufgegeben und in Berlin als politischer und volkswirthschaftlicher Schriftsteller sich niedergelassen Er zählt zu den hervorragendsten Parlamentariern unserer Zeit und führt seit des großen Waldeck und des unvergeßlichen Hoverbeck Tode die Partei. Staunenswerth, wie seine Arbeitslust, ist die Fülle des Materials, das er aus allen Gebieten, insbesondere dem finanziellen und militärischem bis in das kleinste Detail beherrscht und stets im rechten Augenblick zu verwenden weiß. Auch als Redner steht er jetzt auf der Höhe und wirkt durch die Form nicht weniger, wie durch die Sache, während eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die zuweilen verletzte, jetzt der Ruhe des reiferen Alters zu weichen beginnt. Dem Vielbewunderten und Vielgehaßten hören die Gegner fast noch aufmerksamer zu, als die Freunde.

Die nächsten Wahlen fielen für die Fortschrittspartei etwas günstiger aus. Berlin blieb ihr treu, ließ für den Reichstag Lasker fallen und beseitigte im Landtage diejenigen fünf seiner neun Abgeordneten, welche nationalliberal geworden waren. In drei parlamentarischen Körperschaften, im Reichstage, im Zollparlament und im preußischen Abgeordnetenhause, hat die Partei während der nächsten Jahre auf das Eifrigste an der Gesetzgebung mitgearbeitet, deren Fortschritte in wirtschaftlichen Fragen, dank dem einsichtsvollen Minister Delbrück und dem einmüthigen Zusammenhalten aller Liberalen, verhältnismäßig bedeutende und bahnbrechende waren. Auch wo es sich um politische Freiheit handelte, blieb die Mehrheit der nationalliberalen Partei den alten Grundsätzen noch treu, während die Mitglieder aus Hannover und Hessen zumeist der Regierung zum Siege verhalfen. Am 19. Juli 1870 bewilligte der Reichstag in außerordentlicher Sitzung einstimmig die zur Kriegführung gegen Frankreich verlangten Geldmittel, und am 24. November ward er zum letzten Mal eröffnet. Niemand grämte sich darob.

Alle Liberalen hatten die norddeutsche Bundesverfassung von vornherein nur als einen mangelhaften Anfang, einen traurigen Notbehelf betrachtet und selbst die Nationalliberalen stets erklärt, bei erster Gelegenheit, namentlich beim Hinzutritt der süddeutschen Staaten, die Mängel beseitigen zu wollen. Alle Liberalen hofften von Beginn des Krieges an auf ein einiges deutsches Reich und eine freiheitliche Reichsverfassung. Das Werk von Versailles sollte sie bitter enttäuschen – particularistisch verschüchtert freiheitlich nicht verbessert war es im Wesentlichen die norddeutsche Bundesverfassung geblieben unter der nun das Reich geeinigt ward. In dem Wahlaufrufe vom 21. Januar 1871 erklärte die deutsche Fortschrittspartei, ihr an der Spitze des Programms vom 9. Juni 1861 ausgesprochenes und in der Verfassung des deutschen Reiches nur teilweise erreichtes Ziel sei „nach wie vor die Freiheit im geeinigten Deutschland“.

Im ersten deutschen Reichstage erschien sie sechsundvierzig Mann stark, darunter sechs Baiern und fünf Schleswigholsteiner. Diese, in den früheren Parlamenten als „Landespartei“ durch Augustenburgische Tendenzen vereinigt, traten jetzt in die Fortschrittspartei ein, voran Albert Hänel, Prozessor in Kiel, der feingebildete Stiefsohn Heinrich Laube’s. Seine Bedeutung sicherte ihm schnell eine maßgebende Stellung in der Partei wie im Parlamente; er ist Vicepräsident des deutschen Reichstages und des preußischen Abgeordnetenhauses gewesen, als die Liberalen über diesen Platz verfügten. Eine Autorität auf dem Gebiete des Staatsrechtes, tiefsittlichen Ernstes und bei aller Entschiedenheit der Gesinnung voll Ruhe und Mäßigung, wirkt er vor Allem durch seine edle Erscheinung und das überzeugende Pathos seiner formvollendeten Beredsamkeit; er genießt besonderer vertrauensvoller Beliebtheit bei den Mittelparteien.

Am 3. März, dem Tage der Friedensverkündigung, inmitten des allgemeinen Festjubels und Freudenrausches, wurde gewählt. Die beiden liberalen Parteien bildeten zusammen noch nicht die Mehrheit, diese war vielmehr wechselnd und von Fall zu Fall den verschiedensten Umständen und besonderen Verhältnissen, nicht selten bloßer Zufälligkeiten unterworfen, wie sie es bis auf den heutigen Tag geblieben ist. Unter Führung des früheren hannöver’schen Staatsministers Windthorst hatte sich zunächst im preußischen Abgeordnetenhause eine besondere Partei für die Interessen der katholischen Kirche gebildet, welche nun auch im Reichstage auftrat und durch ihre Mitgliederzahl wie durch die Geschicklichkeit ihrer Leitung immer mehr in den Vordergrund rückte. Lange Zeit in erbittertem Kampfe mit der Regierung, bildete sie die schärfste Opposition und verhielt sich in allen politischen Fragen entschieden liberal, seit aber der kirchliche Streit friedlicher Beilegung immer näher gerückt, hat sich das „Centrum“ zu einer gewissen Regierungsfreundlichkeit bekehrt und nicht selten mit den Conservativen gegen die Liberalen vereinigt. Die Fortschrittspartei ist überall für die berechtigten Ansprüche des Staates gegenüber der Kirche voll und ganz eingetreten und hat den Cultusminister Falk, welcher die damalige Richtung der Staatsregierung vertrat, mit aller Kraft unterstützt. Führer der Partei im „Culturkampfe“ ist Virchow, dem auch dieses jetzt allgemein gebräuchliche Wort entstammt. Der berühmte Professor und Gelehrte, dessen Name in der ganzen gebildeten Welt bekannt und gefeiert, gehört zu den Begründern der Fortschrittspartei und zu ihren stolzesten Zierden; ein Bahnbrecher auch in der Wissenschaft, ist er für die geistige und sittliche Befreiung des Volkes nicht minder thätig, als für die politische.

Der Reichstag eröffnete am 5. Februar 1874 seine zweite Legislaturperiode unter scheinbar günstigeren Anzeichen für die Liberalen, welche zusammen fünf Stimmen über die absolute Mehrheit hatten. Er begann mit der Berathung des Reichsmilitärgesetzes, dessen erster Paragraph den brennenden Punkt langer Zwistigkeiten zwischen Regierung und Volksvertretung bezeichnete. Wiederum ward dauernde Feststellung der Friedenspräsenzstärke des Heeres durch das Gesetz verlangt, während die Liberalen, nach dem Muster aller übrigen Verfassungsstaaten, auf der budgetmäßiger Bewilligung von jeher bestanden. Noch im constituirenden Reichstage von 1867 hatten die nationalliberalen Führer, vor Allen Forckenbeck, Lasker und Twesten, unumwunden ausgesprochen, daß hier die Frage zur Entscheidung stehe, ob fürder die constitutionelle Staatsform in Deutschland aufrecht erhalten oder der Absolutismus wiederhergestellt werden solle. Man hatte damals aber den Austrag vermieden und einen vorübergehenden Zustand geschaffen, der noch für die ersten drei Jahre nach Gründung des deutschen Reiches verlängert wurde.

Jetzt schien ein ferneres Ausweichen unmöglich, und in der vorbereitenden Commission, deren Vorsitzender von Bennigsen, deren bedeutendstes, seiner militärwissenschaftlichen Kenntnisse wegen selbst von den ersten Fachautoritäten bewundertes Mitglied Eugen Richter war, fiel der bestrittene Paragraph, während im Uebrigen Annahme des Gesetzes beantragt wurde. Unter dem Feldgeschrei, es gelte die Wehrlosmachung des deutschen Reiches zu verhüten, wurde das Volk aufgeboten und ein Sturm entfesselt, vor dem die meisten der liberaler Abgeordneten zurückwichen. Ein neuer Ausgleich auf sieben Jahre, das sogenannte „Septennat“, kam mit dem Gesetze zu Stande. Er brachte die Nationalliberalen der Fortschrittspartei ferner, sie selbst aber verlor elf Mitglieder, welche der [528] zu Tage gekommenen Meinungsverschiedenheiten wegen austraten. Dieser Erfolg der Regierung und die Art, wie sie ihn erreicht, wurde verhängnißvoll Zwar suchte sich Bismarck zu Anfang des Winters in vertraulichen Gesprächen mit angesehenen Abgeordneten der Fortschrittspartei wieder zu nähern, als aber anläßlich der Verhaftung des Reichstagsabgeordneten Majunke der Reichstag auf Antrag Hoverbeck’s dafür Sorge zu tragen beschloß, daß ohne seine Genehmigung während der Sitzungsperiode kein Abgeordneter verhaftet werde, reichte Bismarck seine Entlassung ein. Er zog sie zwar schleunigst wieder zurück, aber der Vorgang hatte auf die Nationalliberalen einen so tiefen Eindruck gemacht, daß sie den gelegentlich wiederkehrenden Rücktritts-Androhungen des Reichskanzlers gegenüber zu vergleichsweiser Beilegung von Streitpunkten immer geneigter sich erwiesen.


Ungarin aus dem Banat.
Nach den „Oesterreichisch-Ungarischen Nationaltrachten“ (R. Lechner’s Verlag, Wien)
auf Holz übertragen

Mit dem Compromiß im Militärgesetz hatte der Reichstag drei Jahre zuvor begonnen; mit dem Compromiß über die Justizgesetze schloß er. Die deutsche Fortschrittspartei hatte sich diesen Abmachungen auf das Entschiedenste widersetzt und rechtfertigte sich in ihrem Wahlaufrufe vom 23. December 1876 vor allem Volke.

Im Wahlkampf selbst ward sie von sämmtlichen Parteien auf das Heftigste angegriffen und galt schon für vernichtet, als am 10. Januar nur 15 Mitglieder endgültig gewählt waren, siegte aber bei den Stichwahlen achtzehnmal und gewann so die alte Stärke wieder, während die Nationalliberalen einen beträchtlichen Verlust erlitten. Die Fortschrittspartei verhielt sich während der nächsten Zeit vorwiegend abwartend und bemühte sich, gewisse im Abgeordnetenhause und Reichstage immer deutlicher hervortretende Pläne des Fürsten Bismarck zu enthüllen und schon in den ersten sichtbaren Anfängen zu bekämpfen, während die Nationalliberalen noch vertrauensselig genug waren, an ein liberales Regiment unter dem Fürsten Bismarck zu glauben. Nach dem Hödel’schen Attentat und der Ablehnung des Socialistengesetzes wurde der Reichstag geschlossen, und als der zweite fluchwürdige Mordversuch auf den greisen Herrscher das ganze deutsche Volk in schmerzliche Aufregung und tiefe Trauer versetzt, am 13. Juni 1878 aufgelöst. Jetzt schien der Augenblick gekommen, die Nationalliberalen. „an die Wand zu drücken“ und eine große, dem Reichskanzler unbedingt ergebene Partei zu schaffen. Schon zwei Jahre vorher hatten die Conservativen die „Vereinigung der Steuer- und Wirthschaftsreformer“ in’s Leben gerufen, bei der sich auch die früheren „Kreuzzeitungsdeclaranten“ zahlreich betheiligten. Sie hatten ihre Furcht vor dem Bismarck’schen Liberalismus überwunden und drängten sich zur Unterstützung des früher so grimmig Befehdeten und mit seiner Hülfe wieder in die Parlamente. Bei dem letzten Reichstage hat der Reichskanzler seine wirthschaftlichen, in der Vermehrung der Steuern und Zölle gipfelnden Projecte durchgesetzt; sein früherer treuer Mitarbeiter Delbrück, der sich um die Anfänge des Deutschen Reiches unsterbliche Verdienste erworben, hat unmittelbar vom Regierungstische aus Platz auf den Bänken der parlamentarischen Opposition genommen. Für andere mit der beabsichtigten Volksbeglückung und Unterstützung des „armen Mannes“ zusammenhängende Versuche hat sich eine Mehrheit noch nicht gefunden. Die Fortschrittspartei, welche von ihrem alten Standpunkt und Programm auf diesen Neuerungen auf das Hartnäckigste entgegen getreten, hat den erbitterten Haß des unerbittlichen Machthabers sich zugezogen, der sie überall und mit allen Waffen bekämpft und immer neue, zum Theil recht absonderliche Bundesgenossen findet. Im letzten Reichstage zählte sie 28 Mitglieder, darunter viele allbekannte Männer mit klangvollen Namen: Schulze-Delitzsch, der Begründer der Genossenschaften, ein wahrer Freund und Wohltäter des Volks, für das er Großes und Dauerndes geschaffen, Klotz, ein altpreussischer Richter von echtem Schrot und Korn, Moritz Wiggers, der bewährte Kämpfer und Dulder, dem das mecklenburgische Zuchthaus die kindliche Offenheit und Liebenswürdigkeit nicht zu verbittern vermacht, von Saucken-Tarputschen, der Landesdirector der Provinz Preußen, kein Junker, sondern ein wahrer Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle, Albert Traeger, der gemütvolle Dichter, bekannte Verteidiger und hinreißende Volksredner, und Ludwig Loewe, ein selbstgemachter Mann, der, seit seinem fünfundzwanzigsten Jahr Stadtverordneter von Berlin, in der Reichshauptstadt unbegrenzter Beliebtheit und Volkstümlichkeit sich erfreut, und dessen schlagfertige Schärfe nicht minder groß, wie die Verbindlichkeit seines Wesens. Rastlos sind diese Männer und ihre Freunde tätig im Dienste ihrer Partei, der an Organisation und Agitation keine andere gleichkommt. Erst vor Kurzem eroberte sie bei Nachwahlen vier Sitze, die sie noch niemals innegehabt, wie im Sturme. Eigennützige Bestrebungen zu verfolgen, gewährt sie ihren Anhängern keinen Raum, wohl aber verlangt sie von ihnen unbedingte Hingebung und Opferfreudigkeit. Mag man darum ihre Ansichten und Bestrebungen, teilen oder bekämpfen, diejenige Anerkennung wird man den Männern der Fortschrittspartei nicht versagen dürfen, welche Ueberzeugungstreue und Beständigkeit von jedem Billigdenkenden zu fordern berechtigt sind.



[529]

Der Humor in der Musik.

Wie verhält es sich mit dem Humor in der Musik?

Ist überhaupt anzunehmen, daß er in der Tonkunst sich geltend machen könne, oder widerstreitet er dem Wesen dieser letztern?

Die Musik ist eine eigenthümliche Sprache, die eines eingehenden Studiums bedarf, will sie als solche erkannt, verstanden und gelernt werden. Wie die Erfahrung beweist, steht sie an Ausdrucksfähigkeit hinter keiner der großen Literatursprachen zurück – und an der Hand des (gesungenen) Wortes kann sie sogar mit der allergrößten, unzweifelhaftesten Deutlichkeit sich vernehmen lassen. Für keinen Gemüthsaffect fehlt ihr der Ausdruck; sollte er ihr nur für den Humor versagt sein? Gewiß nicht – dies um so weniger, als der Humor dem Gemüthe weit näher steht, als der Witz oder die Satire.

Wer übrigens glauben sollte, zur Erzielung von allgemein verständlichen humoristischen Wirkungen sei das gesungene Wort unerläßlich, der würde einem schweren Irrthume verfallen; denn bekanntermaßen müssen die großen Instrumentalisten Haydn und Beethoven unter die glücklichsten Vertreter des Humors in der Tonkunst gerechnet werden.

Daß dem Humor in der Gesangsmusik und speciell in der Oper eine prächtige Entfaltung beschieden war, erscheint bei alledem selbstverständlich, aber ungeachtet der dichterischen Beihülfe ist es nicht etwa die Poesie, welche uns den humoristischen Effect vermittelt, sondern die Musik selbst, da die betreffenden Wirkungen fast immer durch rein musikalische Mittel hervorgebracht werden.

Als einen der größten Humoristen auf dem Gebiete des musikalischen Dramas haben wir den so staunenswerth vielseitigen, in Bezug auf Charakterisirungskunst bis jetzt unerreichten Mozart vor Allem zu nennen.

Man vergleiche nur den dicken faulen, aber fanatischen Osmin mit einem Leporello, Papageno, Figaro! Man denke an Blondchen, Zerline, Susanne, Despina mit ihren grundverschiedenen Schelmengesichtern!

Gailthalerin aus Kärnten.
Nach den „Oesterreichisch-Ungarischen Nationaltrachten“ (R. Lechner's Verlag, Wien)
auf Holz übertragen.

Es versteht sich, daß ein alter fauler Türke, der aber, wie recht und billig, verliebt ist, seine Gefühle in einer andern Weise vernehmen läßt, als ein mit allen Wassern gewaschenes Sevillaner Factotum. Aber solch trauriges Lied mit solch unendlich behäbigem Trallala als Refrain zu erfinden, wie das bekannte
„Wer ein Liebchen hat gefunden“ –
wäre vielleicht keinem andern großen Meister geglückt.

Und wie hält Mozart die Charakterzeichnung fest! Der fanatische Türke in seiner Tobwuth verleugnet doch nicht den behaglich auf dem Baume sitzenden trällernden Faulpelz. Das „Erst gespießt und dann gehangen“, so fanatisch durchglüht es erscheint, das „Vivat Bacchus, Bacchus lebe“, so übermüthig lustig es hervorsprudelt – zeigt uns trotz alledem den schwerfälligen Türken des Anfangs und würde keinem Leporello oder Papageno zu Gesicht stehen.

Im Allgemeinen hat außer Mozart nur die spätere italienische Schule (Rossini und Donizetti), sowie in Frankreich Auber die eigenthümliche Gestaltung des Gesanges selbst zur Erzielung humoristischer Effecte verwendet, während bei den Deutschen sich der Humor mehr auf die Instrumentalmusik warf und in der Oper nur noch vereinzelte Blüthen zeitigte.

Des ergötzlichen Geplappers in den bekannten Finales vom „Barbier“ und der „Celnerentola“ müssen wir gleichwohl mit einigen Worten gedenken. Wie ein Feuerwerk erscheint uns diese blitzschnelle Folge von Noten, die auf uns bedächtige Deutsche fast den Eindruck eines Geschnatters hervorruft, ihres fremdartigen Charakters halber aber nur um so komischer und lachreizender wirkt. Meisterwerke dieser Schnellzüngigkeit erkennen wir in der weltbekannten Hauptarie des „Figaro“ von Rossini, in der Marktscene aus der „Stummen“ und in Auber’s unvergleichlichem Zank-Duett aus „Maurer und Schlosser“.

Auch Mozart hat sich dieser Schnellzüngigkeit als eines wirksamer Mittels bedient und läßt Leporello wie Papageno (in dem berühmten Duette mit Papagena) hiervon den glücklichsten Gebrauch machen. Aber beide kostbaren komischen Figuren werden doch vielfach auch in anderer Weise und nicht weniger ergötzlich charakterisirt.

„Ach, zur Strafe meiner Sünden“ – diese klägliche Melodie wirkt durch die Wahrheit des Ausdrucks so zwingend, daß bei guter Darstellung der erheiternde Effect nie ausbleiben wird. Und wie komisch erscheint (ein Gegenspiel aller Schnellzüngigkeit) der mit dem Verbote des Plauderns bedrohte, schließlich gar mit einem Maulkorb bestrafte Papageno!

Humoristisch berühren uns oftmals die Gesangstimmen, insofern sie in beträchtlicher Höhe oder Tiefe vom Componisten verwendet werden. Wer kennt nicht Lortzing’s „Bürgermeister von Saardam“? Wer erinnert sich nicht der köstlichen Stelle, an welcher der abgeschmackte Hohlkopf mit salbungsvoll prahlerischer Gemächlichkeit immer weiter abwärts singt, bis ihm die Stimme versagt und ein mitleidiger [530] Fagottist den Schlußton erschallen läßt? – In Dittersdorfs mit Unrecht fast vergessenem „Doctor und Apotheker“ bietet das zornige Herausstoßen einer sehr hohen Note von Seiten einer würdigen alten Dame, der man so hohe Töne nicht zugetraut hätte und die sich wohl auch nur im höchsten Aerger solchen Luxus gestatten durfte, ein ergötzliches Gegenstück zu dem oben erwähnten tiefen Ton des edlen Bürgermeisters.

Von sehr erheiternder Wirkung können sich ferner geschickt angebrachte Coloraturen erweisen. Die Tabulatur in den „Meistersingern“ und das Ständchen des Beckmesser sollen, als allgemein bekannt, hier nur kurz angeführt werden. Sehr amüsant wirkt bei letzterem bekanntlich der Umstand, daß Vocale oder Diphthonge, die bei langem Hinausziehen einen lächerlichen Effect hervorbringen müssen, wie u-u-u-u, au-au-au-au, zu diesem Behufe am jedesmaligen Ende einer Strophe angebracht sind.

Ueberhaupt ist die Verspottung des Zopfstiles nicht selten mit Glück versucht worden. Am bekanntesten wird sich unseren Lesern wohl die Cantate des „Bürgermeisters von Saardam“ erweisen: „Heil sei dem Tag, an welchem du bei uns erschienen!“

Uebrigens ist der Contrapunkt, da er, mit dem freien Satze verglichen, besonders in der Opernmusik immer einen leicht-pedantisch angehauchten Charakter bekunden wird, an und für sich, und ohne zu Stilverspottungszwecken verwandt zu werden, als ein sehr brauchbares humoristisches Effectmittel zu bezeichnen. Leider haben die Componisten nicht den Nutzen daraus gezogen, welcher sich ihnen dargeboten, und zwar, weil die meisten der auf diesem Gebiete arbeitenden Künstler der contrapunktistischen Technik in zu geringem Grade Herr waren.

Darum wollen wir noch einer rasch verschollenen Oper des ehemaligen Leipziger Concertmeisters Ferdinand David gedenken, „Hans Wacht“ betitelt, in der eine höchst ergötzliche Scene dem Contrapunkt ihre charmante Wirkung verdankt. Eine Stadt wird während des Dreißigjährigen Krieges vom Feinde bedroht und die Rathsherren, welche singen sollen „Wir deliberiren hin und her“, stimmen natürlich eine Fuge an, die zu der steifen mittelalterlichen Tracht vortrefflich paßt und in der That durch keine anders geartete Musik besser hätte ersetzt werden können.

Zu Zeiten Mozart’s, auf den wir hiermit noch einmal zurückkommen müssen, nahm man den Contrapunkt noch sehr ernst, und so erklärt sich, daß der große Meister zur Erzielung scherzhafter Wirkungen sich seiner nur selten bedient hat.

Was Mozart speciell eigenthümlich ist, das sind die gehäuften Wiederholungen gewisser Phrasen. Für gewöhnlich soll, musikalischen Gesetzen zufolge, eine solche thunlichst vermieden und, wenn aus gewissen Gründen beliebt, nicht mehr als drei Mal zur Anwendung gebracht werden. In der großen Leporello-Arie, welche Don Juan’s würdigem Diener Gelegenheit giebt, sich über die unverbesserliche Lasterhaftigkeit seines Herrn in redseligster Weise zu vergessen, findet sich Mozart jedoch bewogen, eine an mehreren Punkten des Musikstückes benutzte Phrase bei jedesmaligem Auftreten fünf Mal zu wiederholen. Der lasterhafte Ritter ist eben nicht zu bekehren; er treibt sein Spiel, wie er’s getrieben, und wird es so treiben bis an’s Ende seiner Tage – dies der Inhalt des zu Grunde liegenden Textes.

Rossini macht dagegen sehr glücklichen Gebrauch von dem überraschenden Wiedereintritt eines Motives. So im zweiten Finale des „Barbier“. Drastischer dagegen gestaltet sich der Effect, wenn eine ganz unerwartete Harmonie oder ein plötzliches Fortissimo vom Componisten zur Erzielung seiner Absicht aufgeboten wird. Das glänzendste Beispiel findet sich hier ebenfalls im „Barbier“, und zwar in der Verleumdungs-Arie des Don Basilio. Der plötzliche Eintritt der neuen Tonart mit gewaltigem Tutti des Orchesters bezeichnet in so genialer Weise das plötzliche Großwerden der Verleumdung, daß wir nur bedauern müssen, daß der Meister durch mehrfache Wiederholung desselben Mittels dieses später in seiner Wirkung wesentlich geschwächt hat.

Auch der charakteristischen Verwendung einzelner Instrumente möge kurz gedacht werden. Als sehr komisch wirkend hat sich von jeher, besonders wenn es ganz isolirt auftritt, das Fagott erwiesen. Von den Hörnern, die an einer gewissen Stelle im „Figaro“, eine höchst komische Rolle spielen, wollen wir nicht weiter reden, auch des bekannten Nachtwächterhornes aus den „Meistersingern“, das nach dem F der Gesänge in Fis einsetzt, weil „noch nie ein Nachtwächterhorn richtig gestimmt gewesen“,[2] nur im Vorbeigehen gedenken und schließlich an den hübschen Effect erinnern, den das Zusammentreffen der beiden Nachtwächterhörner in Mendelssohn’s Liederspiel „Die Heimkehr aus der Fremde“ hervorruft.

Derselbe Meister erzielt eine reizende, durchaus originelle Wirkung in seiner „Sommernachtstraum“-Musik durch Hoboen, welche, Trompeten ersetzend, kleine Fanfaren zu blasen haben, und mit ihrem spitzen, sozusagen durchsichtigen Ton den Elfencharakter in höchst drastischer Weise zur Anschauung bringen.

Allerliebst wirkt auch in der prachtvollen Arie Boieldieu’s „O welche Lust, Soldat zu sein!“ ein kleines Flötensolo, welches sich ganz discret, aber bezeichnend vernehmen läßt, als der liebenswürdige Lieutenant zu den Worten gekommen ist: „Aber eine Liebste hatte ich, wo ist sie?“ Diese Antwort aus dem Orchester heraus, dieses unzweifelhafte Bedenken, „die Liebste sei flöten gegangen“, verdient als ein ebenso feiner wie origineller Zug eine auszeichnende Erwähnung.

Sehr günstig zu komischen Zwecken erweist sich die Tuba, die mit ihrem stierstimmigen Klange in der ernsten Musik gar oft brutal wirkt, vom Humor in Dienst genommen aber höchst brauchbare Eigenschaften entwickelt. Wir erinnern nur an den Mittelsatz der „Sommernachtstraum“-Ouvertüre, in welchem dem elfenhaften Violingeschwirr allerhand tiefe, langsam ausklingende Töne beigemischt werden, die, ursprünglich für das Serpent bestimmt, aber jetzt der Tuba überlassen, an die in den Elfenwald verirrten Tölpel gemahnen.

Früher schon haben die Pauken sich einer liebevollen Berücksichtigung zu erfreuen gehabt. Insbesondere fallen uns hier Beispiele aus Beethoven’schen Symphonien ein, die ihres drastischen Charakters halber wohl in allgemeinster Erinnerung leben werden.

Mit der Erwähnung von Beethoven sind wir auf das Gebiet der Instrumentalmusik gelangt, in welcher, wie schon früher erwähnt, dem Humor keine geringere Entfaltung vergönnt gewesen ist, als in der Oper. Als Großmeister ist hier vor Allem neben Beethoven auch Haydn zu nennen, während Mozart in Sonaten und Symphonien eher geistreich und vornehm, als speciell humoristisch sich zu zeigen pflegt.

Haydn ist bekanntlich vorzugsweise naiv. Während Witz und Satire ihm fremd sind, steckt er doch voll Schalkhaftigkeit und weiß so köstlich und mit so einfachen Mitteln zu amüsiren, wie kaum ein Anderer. Seine Themen selbst sind oft so glücklich humoristisch erfunden, daß es weiterer Zuthaten gar nicht bedarf, um den gewünschten Eindruck hervorzuzaubern. Wer hätte sich nicht vergnügt an dem köstlichen Finale der B-dur Symphonie!

Auch wirkt er oft ganz überraschend durch den Rhythmus. Unvermuthet wird in die symmetrische Periodenfolge ein einzelner überzähliger Tact hineingeworfen, der, obwohl verblüffend, doch in Folge des Vorausgegangenen logisch berechtigt erscheint. Oder eine Fermate, hereingeschneit, man weiß nicht wie, gebietet plötzlich Halt, um nachher desto übermüthiger den Lauf wieder aufnehmen zu lassen. Ein plötzliches Tutti schlägt in die lieblichen Töne der Flöten und Hoboen wie ein Gewitter herein und droht den Satz in’s Tragische zu verkehren, aber es war blos ein Spaß des jovialen Meisters, und das Hauptthema lächelt uns unversehens wieder entgegen.

Bei Beethoven können wir oft nicht anders als uns zu der Annahme bequemen, er habe drollige Vorgänge aus dem alltäglichen Leben in Musik gesetzt, wenn er gleich, und mit sehr viel Recht, im Großen und Ganzen die Programme bis auf die Ueberschriften verschmähte. Am allgemeinsten bekannt ist die Deutung des Hauptthemas aus dem Finale der achten Symphonie, welchem die Worte zu Grunde liegen sollen: „Komm zu Beneke, Beneke, Beneke“ mit der darauf folgenden Antwort: „Gott bewahre, Gott bewahre“ (von der Clarinette geblasen), durch welche Antwort Beethoven sich der verführenden Freunde erwehren wollte. Mag es sich so verhalten oder nicht, gewiß ist, daß, wer die Worte kennt, von der Naturwahrheit der Declamation und Instrumentation dermaßen gepackt wird, daß er sich ihrer nolens volens beim jedesmaligen Anhören wieder erinnern muß. Auch die Deutung des zweiten Satzes, in welchem ein häuslicher Zwist zwischen dem Meister und seiner Zimmerwirthin dargestellt sein soll, will mir äußerst acceptabel erscheinen; so naturgetreu ist das Trippeln der Matrone, ihr Ueberredungseifer und das wüthende Dazwischenfahren des gestörten Meisters dargestellt.

[531] Es ist ein eigenthümliches Studium, was Beethoven, den Instrumentalisten, wie Mozart, den Dramatiker, befähigte, zu solch unmittelbar packenden Wirkungen zu kommen, ein Studium, von dem in der allgemeinen Musiklehre bisher kaum noch die Rede gewesen, das den werdenden Kunstjüngern kaum noch an’s Herz gelegt worden und dem doch alle großen Meister, in neuerer Zeit insbesondere Wagner, ihre bedeutendsten Erfolge verdanken.

Auch der Musiker kann nämlich, wenn es ihm auch nicht zur Pflicht gemacht worden wie dem bildenden Künstler, dem Romanschriftsteller und dem dramatischen Dichter, des Naturstudiums, der liebevollen Beobachtung des um ihn treibenden Lebens und Webens nicht entrathen, will er realistisch lebendige Kunstwerke erzeugen und nicht der Phrase verfallen. Vollends ist ein Humorist gar nicht zu denken ohne eine solche Beobachtungsgabe, ein solches Ablauschungsvermögen, da er ja auf realem Grunde stehe und die Realität demgemäß vollständig in sich aufgenommen haben muß.

Eine andere Eigenschaft befähigte außerdem Beethoven, sowie in gleicher Weise Haydn, humoristisch zu wirken, eine Eigenschaft, die auch bei Fritz Reuter auf’s Ausgesprochenste sich bemerkbar macht und deren Vorhandensein ganz vorzüglich dazu befähigt, den Humor gesund und rein zu erhalten und vor einer Berührung mit Witz und Satire zu bewahren: In den Werken dieser drei Genannten spricht sich eine angeborene Herzensgüte so unverkennbar aus, daß sie durch deren realistisch komische, wie ideal pathetische Aeußerungen hindurchleuchtet und bei Beethoven oft eine ergreifende Aehnlichkeit mit Jean Paul aufdeckt, der ja auch „unter Thränen zu lächeln“ weiß.

Uebrigens haben wir mehrere Arten des Humors bei Beethoven zu unterscheiden. Herrscht in der achten Symphonie der von Haydn gepflegte naive vor, so lehrt uns das Finale der siebenten den bacchantischen Humor kennen, der vor Beethoven in der Musik noch keinen Ausdruck gefunden und in seinen Wirkungen nicht selten an die Tragik streift. Im Scherzo der neunten sehen wir endlich den dämonischen oder mephistophelischen Humor zur Herrschaft gelangen. Ihre glanzvollste Documentation hat diese Art von Humor wohl in Liszt's genialem Mephistosatze seiner „Faust“-Symphonie gefunden.

Weber und Marschner pflegen vorzugsweise den naiven Humor, während bei Schubert auch von diesem kaum viel zu bemerken, eigentlich mehr eine überquellende, echt Wienerische Lustigkeit zu constatiren ist. Mendelssohn’s gedachten wir schon bei Gelegenheit der „Sommernachtstraum“-Musik und haben hier noch seiner Scherzi zu erwähnen, die allerdings ihrer Zeit durch originelle Gestaltung auffielen, sich aber alle etwas gleichen und ihrem eigentlichen Wesen nach auf den Eisenspuk im „Sommernachtstraum“ zurückführen lassen.

Schumann hat dagegen, besonders in seinen ersten Clavierwerken, eine neue Art des Humors entfaltet, die nicht wenig an E. T. A. Hoffmann gemahnt, durch ein unvermitteltes Nebeneinandersetzen starker Contraste zu reizen weiß und vielleicht mit dem Namen des Phantastischen am treffendsten zu bezeichnen ist. Uebrigens wollen wir nicht verschweigen, daß Schumann in der Charakteristik Treffliches geleistet hat und Bilder aus seinem „Carneval“, z. B. Pierrot, Harlequin etc., ihrer naturgetreuen Zeichnung halber mit Auszeichnung zu nennen sind. Berlioz’ Humor berührt uns Deutsche mehr oder minder grotesk und schlägt nicht selten, wie in der „Symphonie fantastique“, sogar in’s Fratzenhafte um. Doch finden sich in seiner prächtigen Oper „Benvenuto Cellini“ höchst originell wirkende humoristische Effecte.

Da von Wagner’s „Meistersingern“ bereits mehrfach die Rede gewesen, so soll hier noch bemerkt werden, das auch im Siegfried, besonders in den beiden ersten Acten desselben, reizende humoristische Züge verborgen liegen.

Im Uebrigen können wir aber nicht verhehlen, daß von der Masse der heutigen Componisten der Humor wenig gepflegt wird, und daß auch die Empfänglichkeit für seine Wirkungen durch ein gewisses Streben nach langweiliger Wohlanständigkeit in bedrohlicher Weise gefährdet scheint – Humoristische Verwendungen einzelner Instrumente werden oft von allzu vorsichtigen Dirigenten durch Abschwächung um ihre drastische Wirkung gebracht; Rohheit wird gewittert, wo wir nur einen gesunden kräftigen Realismus erkennen können, und ein dem Humor verderbliches Streben nach Glätte und Abgeschliffenheit nicht allein der Form, sondern auch der Empfindung, macht sich mehr und mehr geltend.

So ist es mir denn eine Freude, hier schließlich auf einen neueren Componisten hinweisen zu können, der von Berlioz seine Anregung empfangen, aber nichtsdestoweniger als fertiger und selbstständiger Künstler uns entgegentritt – ich meine den leider zu früh verstorbenen Peter Cornelius. Seine dem deutschen Publicum noch nicht genügend bekannte komische Oper „Der Barbier von Bagdad“ birgt eine Fülle des feinsten Humors in sich und wird bei gewissenhafter Einstudirung und entsprechender Ausführung ganz sicher zu allgemeiner Anerkennung gelangen.

Möge sie viele Nachfolger finden und die Pflege des Humors für die Componisten unserer Zeit als angenehme Pflicht sich ausweisen!

F. D.




Großstädtische Fernsprechnetze.

Von Franz Mehring.

Pessimistische Philosophen und Socialpolitiker haben sich vielfach mit der Frage beschäftigt, ob die glänzenden Erfindungen des gegenwärtigen Zeitalters wirklich gleich glänzende geistige und sittliche Fortschritte der Menschheit bewirkt und ihr Gedeihen und Wohlbehagen in irgend nennenswerter Weise erhöht haben. Sie sind dabei häufig zu dem Ergebnisse gelangt, daß das lebende Geschlecht im Großen und Ganzen nicht ein größeres, sondern vielmehr ein weit geringeres Maß von irdischem Glücke besäße, als seine Väter und Vorväter besessen haben. Die Frage an sich ist ebenso schwierig wie weitläufig und soll hier nicht näher untersucht werden; nur auf einen Umstand mag hingewiesen werden, welcher es wenigstens erklärt, weshalb im Kopfe von klugen Leuten so düstere Sonderlingsmeinungen entstehen können; es ist die undankbare Geringschätzung, mit welcher die lebenden Menschen heute schon vergessen, welch ungeheueren Fortschritt sie erst gestern in ihrem geschäftlichen Verkehre, in ihrer häuslichen Bequemlichkeit gemacht haben. Wir, denen aus selbsterlebten Tagen noch die langsam rädernde Folter der Postschnecke in den Gliedern liegen sollte, klagen bitterlich über die Langeweile der Eisenbahnfahrten, und wenn sich eine über hunderte von Meilen entsandte Depesche ebenso viele Stunde verspätet, wie sie vor fünfzig Jahren Wochen gebrauchte, um an ihr Ziel zu gelangen, so sind wir untröstlich über einen unersetzlichen Verlust an Zeit. Aber auch in diesem „Uebel wohnt ein Geist des Guten“; der schnelle Ueberdruß an den allen Erfolgen erzeugt eine unersättliche Gier nach neuen, und aus ihr entspringen unaufhörlich die großen Entdeckungen und Erfindungen.

Die noch so junge Geschichte des Telephons (vergl. über die Entwickelung des Fernsprechers „Gartenlaube“ 1877, Nr. 47) bietet dafür schlagende Beweise. Es sind erst fünf Jahre verflossen, seitdem der Professor Graham Bell aus Boston auf der Weltausstellung in Philadelphia die ersten Versuche mit seinem Fernsprecher öffentlich anstellte; damals sah eine halb staunende, halb ungläubige Welt in der Entdeckung, sich auf viele Meilen von Mund zu Mund zu verständigen, fast mehr eine geistreich theoretische Spielerei, als eine praktische Erfindung von unabsehbarer Tragweite; heute ist schon das Telephon ein unentbehrliches Verkehrsmittel in der gesammten Culturwelt geworden. In gleichem Maße dient es öffentlichen, wie privaten Zwecken. Einerseits wird es benutzt, das „weltkugelumspinnende“ Telegraphennetz durch feinere und schmälere Adern fester zu schürzen - allein im deutschen Reiche sind durch Fernsprecher weit über tausend Ortschaften, die wegen der ungleich kostspieligeren Herstellung und Bedienung eigentlicher Telegraphen sonst noch lange abseits des allgemeinen Verkehrs geblieben wäre, an die großen Drahtleitungen gekettet – andererseits vermittelt der Fernsprecher in großen Geschäftsbetrieben und Haushaltungen den mündlichen Verkehr vom Comptoir zum Fabriksaale, vom Boudoir zur Küche, von Flügel zu Flügel, von Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer. Eine dritte, weittragende Benutzung des Telephons, die in eigentümlicher Weise den öffentlichen und privaten Verkehr verbindet, sind die großstädtischen Fernsprechnetze, die in der nordamerikanischen Union, in England, Frankreich, Belgien, Holland zahlreich bestehen, auch im

[532] deutschen Reiche schon eingerichtet sind, wie in Berlin, Hamburg, Mühlhausen im Elsaß, oder in nächster Zukunft eingerichtet werden sollen, wie in Breslau, Köln, Frankfurt, Bremen, Leipzig etc.

Der Nutzen und Zweck dieses neuen Verkehrsmittels bedarf keiner langen Begründung. Dasselbe ist nichts Anderes, als eine neue, siegreich vorgeschobene Etappe in dem glänzenden Kampfe des Menschengeistes gegen die so lange für unüberwindlich gehaltenen Mächte des Raumes und der Zeit. Soviel durch Stadtpost, Stadtbahnen Stadttelegraphen gethan worden ist, um die Unbequemlichkeiten und Weitläufigkeiten zu beseitigen, die den Bewohnern einer großen Stadt durch die weiten Entfernungen im täglichen Verkehre erwachsen – immer blieb ein „Rest, zu tragen peinlich“, eine nutzlose Vergeudung von kostbarer Kraft und Zeit übrig; sie zu beseitigen, den Blutumlauf des großstädtischen Verkehrs dichter schneller und damit fruchtbarer zu machen, dazu sind und werden die allgemeinen Fernsprecheinrichtungen geschaffen. Wer sich diesen millionenfältigen Verkehr lebhaft vergegenwärtigt, wird ohne Weiteres ihre weittragende Bedeutung erkennen; es mag deshalb genügen, diese nur an einigen welligen Beispielen praktisch zu veranschaulichen.

Großstädtische Fernsprechnetze befähigen einen Fabrikanten jeden Augenblick aus dem Schooße seiner Familie heraus mit seiner vielleicht meilenweit entlegenen Fabrik in Verbindung zu treten ohne jeden Verzug eilige Mittheilungen über außergewöhnliche Vorkommnisse, unaufschiebbare Geschäfte etc. anzuhören, sofort, ohne sich vom Platze rühren zu müssen, die nöthigen Anordnungen zu erlassen und sich zugleich ihrer alsbaldigen Ausführung zu versichern. Sie ermöglichen Geschäftsleuten jeder Art, dringende Angelegenheiten zwischen ihren Haupt- und Zweiggeschäften augenblicklich mündlich zu erledigen, Aufträge von ihren Kunden entgegenzunehmen und sie zugleich rascher zu besorgen, als sonst irgend möglich ist. Sie erleichtern in unberechenbarer Weise den Verkehr zwischen den einzelnen Bankhäusern und der Börse, den Bahnhöfen und den Speditionsgeschäften, den Druckereien und den Redactionen der Zeitungen. Ja, in letztgedachter Beziehung mögen sie fast eine kleine Revolution in dem großstädtischen Preßwesen hervorrufen

Es ist bei geeigneten Einrichtungen leicht thunlich, Reden in öffentlichen Versammlungen sofort mittelst Fernsprechers den Zeitungsdruckereien zu übermitteln; werden, wie es beispielsweise bei den Zeitungen „Times“ und „Indépendance belge“ schon geschehen ist, die Arbeitsräume der parlamentarischen Berichterstatter mit den Setzerräumen durch telephonische Leitungen verbunden, so kann der Bericht über eine Parlamentssitzung fast unmittelbar nach ihrem Schlusse schon dem Setzer übergeben werden.

Genug der Beispiele! Man könnte sie noch bogenlang weiter aufführen ohne entfernt alle Möglichkeiten zu erschöpfen in denen der Fernsprecher im großstädtischen Verkehr eine unabsehbare Masse voll Kraft und Zeit sparen kann. Einer allgemeinen Verbreitung dieses wohlthätigen Verkehrsmittels scheint sich mm aber insofern ein Hinderniß entgegen zu stellen als zwar wohl der einzelne große Fabrikbesitzer von seiner Villa zu seiner Fabrik die einzelne große Zeitung von ihren Setzersälen zu der parlamentarischen Journalistentribüne eine besondere Leitung in nutzbringender Weise herstellen kann, aber unmöglich jedes einzelne Geschäft sich mit jedem einzelnen Kunden oder auch nur mit jedem andern Geschäft, mit dem es verkehrt, zu verbinden vermag, ohne durch die Höhe der Kosten den Gewinn der Kraft und Zeitersparniß wieder aufzuheben abgesehen von den technischen Schwierigkeiten, welche die Legung solcher Unzahl von Drähten verursachen würde.

Indeß dieses Hinderniß wird beseitigt durch die Centralisation des großstädtischen Fernsprechverkehrs. Solche Centralisation aber wird in der Weise hergestellt, daß von einer Centralstelle aus die einzelnen Leitungen sich strahlenförmig nach den Häusern der Personen verbreiten, welche sich an der allgemeinen Fernsprechanlage zu beteiligen wünschen. Jeder Theilnehmer erhält eine numerirte Liste der mit der Centralstelle verbundenen Personen; wünscht er mit einer von dieser zu sprechen, so benachrichtigt er mittelst des Fernsprechers die Centralstelle, welche an einem ebenso einfach wie zweckmäßig eingerichteten Umschalter die unmittelbare Verbindung zwischen beiden bewirkt.

Solche Centralstellen (Central Offices) entstanden zuerst in den Vereinigten Staaten durch Actienunternehmungen, denen die Ausbeutung dieses Verkehrs auch bis heute verblieben ist. Die europäischer Staaten haben dagegen an ihrem Anspruche auf Vereinigung des allgemeinen Nachrichtenwesens in ihrer Hand oder mindestens seiner Beaufsichtigung festgehalten; ein Versuch mehrerer englischer Actiengesellschaften, sich des großstädtischen Fernsprechverkehrs auf eigene Faust zu bemächtigen, ist in einem Processe, den das General-Postoffice von London gegen sie angestrengt hat, gerichtlich vereitelt worden. In Frankreich haben ähnliche Gesellschaften von selbst um die staatliche Concession angehalten und sie auch gegen Zahlung einer Abgabe erhalten. Deutschland endlich hat von vornherein die ganze Einrichtung von Reichswegen betrieben. Die Vortheile des Staatsbetriebs sind in der That klar; die Bevorzugung einzelner Personen ist ausgeschlossen; die Bediensteten der Centralstellen sind Beamte, welche der Staat in Eid und Pflicht nimmt, wodurch die denkbar stärkste Bürgschaft gegen etwaige Mißbräuche gegeben wird, und endlich ist in diesen Falle der Staatsbetrieb entgegen weit verbreiteten Vorurtheilen auch billiger. Während der Jahresabonnementspreis für jeden einzelnen Anschluß und für die geringste Entfernung in England 20 Pfund Sterling, in Frankreich 500 bis 600 Franken beträgt, beläuft er sich im deutschen Reiche nur auf 200 Mark; bei Leitungen, die länger als zwei Kilometer sind, erhöht sich die Gebühr für jeden Kilometer oder einen Theil desselben um 50 Mark.

Die technische Einrichtung der großstädtischen Fernsprechnetze ist verhältnißmäßig einfach und leicht verständlich, wenn man, wie die Leser der „Gartenlaube“, über das Telephon selbst unterrichtet ist. Die Führung der Drähte erfolgt an eisernen Tragestangen über die Dächer der Häuser hinweg. Kabelleitungen, bei denen mehrere Drähte in ein Bündel vereinigt sind, können bei den bisher bekannten Fernsprechapparaten nicht angewandt werden, weil die Inductionsströme, die bei dem Gebrauche einer Leitung in dem Nachbardrahte entstehen, dem Besitzer des letzteren gleichfalls die geschehene Mittheilung zugänglich machen, also das Telephongeheimniß ausheben würden. Auch würden unterirdische Leitungen verhältnißmäßig zu theuer werden, nicht zum wenigsten durch das Aufreißen des Pflasters bei den natürlich unausbleiblichen Erweiterungen des ursprünglichen Leitungsnetzes.

Bisher hat die Leitung über die Dächer hinweg keine erheblichen Hindernisse gefunden; die Hausbesitzer sind der Reichspostverwaltung bereitwillig entgegengekommen, nicht nur aus Einsicht und Gemeinsinn, sondern auch im eigenen wohlverstandenen Interesse; denn der Werth der Grundstücke wird nicht unwesentlich dadurch erhöht, daß die Wohnungen solcher Häuser, über welche Telephonlinien geführt sind, sofort an das Fernsprechnetz angeschlossen werden können. Die Behauptung, daß die Drähte leicht den Blitz herabzögen, ist eine von dem hämischen Neide getäuschter Speculanten erfundene Unwahrheit; wissenschaftlich ist vielmehr im Gegentheil nachgewiesen daß sie eher als Blitzableiter dienen; die starken Gewitter, die sich in diesem Sommer über Berlin entluden, haben nicht die geringste Einwirkung auf die ganze Anlage ausgeübt.

Jeder Theilnehmer an der Einrichtung erhält zwei Fernsprechapparate, einen zum Geben und einen zum Hören, sowie zwei Weckvorrichtungen, von deren die eine (Taste) ihm ermöglicht, die Centralstelle anzurufen, während durch die andere (Klingelwecker) er selbst angerufen wird. Ein Druck auf die Taste setzt einen Elektromagneten in Bewegung, der, ähnlich wie bei der allgemein bekannten Hoteleinrichtung, an der Centralstelle eine Klappe mit der Nummer fallen läßt, welche der Anrufer im Register der Abonnenten führt. Der dienstthuende Beamte setzt eines seiner Fernsprechsysteme mit der betreffenden Leitung in Verbindung und ruft: „Hier Amt - was beliebt?“ Worauf etwa die Antwort kommt: „Wünsche mit Nummer siebenundzwanzig zu sprechen.“ Ist die entsprechende Leitung frei, so giebt der Beamte zurück: „Bitte rufen,“ stellt die gewünschte Verbindung her und schließt die herabgefallene Klappe wieder. Ist der angerufene Theilnehmer bereits anderweitig beansprucht, so ruft der Beamte: „Schon besetzt, werde melden, wenn frei“ und handelt demgemäß. Sobald die Verbindung hergestellt ist, unterhalten sich die beiden Theilnehmer, indem jeder den einen Sprechapparat zum Hören, den andern zum Geben benutzt, so deutlich, glatt und schnell, wie bei örtlichem Zusammensein. Nach Schluß der Unterredung meldet der Anrufer der Centralstelle durch einen neuen Druck auf die Taste, daß die gewöhnliche Verbindung seiner Leitung mit den Apparaten der Centralstelle wieder hergestellt werden könne. Gestattet ist die Benutzung den Theilnehmern im Sommer von sieben Uhr, im

[533]

Vogeldiebe im Verhör.
Nach dem Gemälde von C. H. Böker.

[534] Winter von acht Uhr Vormittags an bis Abends neun Uhr. Ob und unter welchen Bedingungen die Möglichkeit des Verkehrs auch während der Nacht gewährt werden soll, darüber hat sich das Reichspostamt spätere Bestimmungen vorbehalten.

Da die großstädtischen Fernsprechnetze des deutschen Reichs sich noch in vollem Flusse der ersten Entwickelung befinden, so würden statistische Angaben über ihren augenblicklichen Umfang verfrüht sein und keinerlei zuverlässigen Maßstab für ihre Bedeutung bieten. Es mag deshalb schließlich nur noch darauf hingewiesen werden, daß sie nicht nur den geschäftlichen Verkehr der Großstadt zu erleichtern, sondern auch ihr gesellschaftliches Leben ungemein zu schmücken und zu verschönern geeignet sind. Wenn hier vorzugsweise der erstere Gesichtspunkt berücksichtigt wurde, so geschah es aus dem einfachen Grunde, weil der verhältnißmäßig hohe Abonnementspreis einstweilen nur sehr reichen Leuten gestattet, auch in letzterer Beziehung die neue Einrichtung zu verwerthen. Indessen kann es keinem ernstlichen Zweifel unterliegen, daß weitere Verbesserungen des großstädtischen Fernsprechbetriebes ihn auch billiger machen und damit auch größeren Kreisen den Genuß seiner Vortheile zuwenden werden. In der vielleicht letzten Arbeit, welche der allzu früh verewigte und vielbeklagte Max Maria von Weber durch deutsche Blätter veröffentlichte, schilderte er mit liebenswürdiger Laune eine Scene aus dem Leben einer amerikanischen Hausfrau, die, früh morgens in ihrem Boudoir durch einen lieben Besuch überrascht, sofort telephonisch ihren abwesenden Gatten benachrichtigt, Mittagsgäste einladet, beim Fleischer, Gärtner, Conditor, Weinhändler ein leckeres Mahl bestellt, für einen Nachmittagsausflug einen Dampfer miethet, dem Verwalter ihrer ländlichen Villa für ein abendliches Gartenfest die nöthigen Befehle ertheilt, kurzum innerhalb einer halben Stunde nicht nur ein glänzendes Festprogramm entwirft, sondern sich auch durch sofortige Rückantworten seiner pünktlichen Ausführung versichert. Es kann ruhig dahingestellt bleiben, ob der geniale Techniker hierbei schon wirkliche Zustände schilderte oder nur mit lebhafter Phantasie ein buntes Gewebe entwarf, dessen besten Theil erst die Zukunft spinnen wird; soviel ist sicher, daß er keine unmögliche Utopie schilderte. Die Zeit wird kommen in welcher zum Comfort jedes großstädtischen Hauses ebenso die Telephonleitung gehört, wie jetzt die Gas- und Wasserleitung; dafür bürgt, wenn nichts anderes, so doch der rast- und ruhelos vorwärts stürmende Entdecker- und Erfindergeist des modernen Menschen, von welchem im Eingange dieser Zeilen gesprochen wurde.




Frauen als Entdeckungsreisende und Geographen.

III.[3]
Lady Barker, Leben einer Hausfrau in Südafrika.

Lady Barker gehört zu der großen Zahl jener englischen Damen, welche, in Folge der amtlichen Stellung ihrer Männer, Gelegenheit haben, die außereuropäischen Besitzungen Englands aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Sie ist ein Urbild einer kosmopolitischen Engländerin in des Wortes bestem Sinne. Sie hat als Kind sich in den Wäldern und Fluren Jamaicas herumgetummelt, später am Fuß des Himalaja gewohnt, über ihr liebes Neuseeland ein sehr beifällig aufgenommenes Buch („Stationsleben in Neuseeland“) verfaßt und plaudert mit so viel Offenheit und herzlicher Lust von ihrem „Zigeunerleben“, ihrem fleißigen Schaffen in Küche und Kinderstube wie von den wunderbaren Eindrücken des noch so wenig bekannten fremden Landes, daß man ihr gern lauscht. Wohin sie kam, schaute Lady Barker offenen Auges um sich, beurtheilte die fremdartigen Eindrücke sehr sachgemäß und gab dieselben in anschaulichster Weise wieder.

In ihrem letzten Werke „Ein Jahr aus dem Leben einer Hausfrau in Südafrika“ gewährt die echt englische Hausfrau oft sehr ergötzliche Einblicke in das Haus-, Gesellschafts- und Naturleben des „schönen Natal“.

Die Schilderungen der Lady bieten ein eigenartiges Bild von dem sonst stillen Lande, das seit wenigen Jahren von blutigen Kriegen bald mit Zulus, bald mit Basutos, bald mit Boers heimgesucht wird.

Nach schwieriger Landung bei furchtbar brandender See betritt Lady Barker mit ihren beiden Knaben, deren einer noch ein ganz kleines Baby ist, Natal. Es ist November, in jenem Lande ein herrlicher Frühlingsmonat nach entsetzlich trockenem Winter voll unendlichen rothen Staubes. Die Natur prangt in Blüthenschmelz, im Saftgrün der hochgrasigen Matten, die sich über sanftwelliges Gelände hinziehen. Nur Eins vermißt man, ehe man die fernen Drakensberge, das heißt die hohen Felsstirnen der westlichen Hochlandmasse des afrikanischen Innern, berührt – den Wald. Einzig die aus Australien eingeführten, schnell aufschießenden, aber schmächtig und prosaisch sich ausnehmenden Blaugummibäume sieht man in häufigen Gruppen gepflanzt, ferner wohl noch einige niedrige Eschen wie in ihrem Schutz und an den Flußufern tief herniederhängende Trauerweiden. Die im Binnenlande auf mäßiger Hochstufe gelegene Hauptstadt Maritzburg macht den Eindruck einer (bis auf die auctionsartig abgehaltenen Wochenmärkte) geschäftsstillen Kleinstadt.

Ein ziemlich ärmlicher Haufen von Häusern, jetzt etwas über vierzig Jahre alt, besteht sie aus wenigen breiten, geraden, mit Gras bewachsenen Straßen, die nur aus der Entfernung und weil sie an beiden Seiten von Bäumen beschattet sind, sich malerisch ausnehmen. Maritzburg hat nicht ein einziges hübsches Gebäude, aber die fast öden, wie im Halbdunkel liegenden Straßen gewinnen dennoch ein gewisses eigenthümliches Interesse und ein belebtes Ansehen durch die vielen Gruppen von Kaffern und Lastwagen, welche auf Fracht nach dem Innern des Landes warten. Im Winter ist dieser Verkehr beinahe ganz unterbrochen; denn man hat kein Gras für die Ochsen; jetzt sind die knarrenden Wagen wieder da, gewichtige Fortbewegungsmaschinen, von je zwanzig Ochsen gezogen, deren Magerkeit es räthselhaft erscheinen läßt, wie sie im Stande sind, ihre weitgeschwungenen Hörner aufrecht zu tragen, und deren Halsstarrigkeit und Stupidität in der Naturgeschichte des Hornviehs nicht ihresgleichen hat. Vor ihnen her geht der Kaffer, der sogenannte „Vorläufer“.

Die Kaffern machen den Eindruck eines schönen Menschenschlags. Sie gehen mit aufrecht getragenem Körper und leichten Schritten, aber in der trägen, bequemen Weise der Wilden „Ich habe die Schwarzen,“ erzählt Lady Barker, „in vier verschiedenen Welttheilen gesehen, habe aber nicht ein einziges Individuum gefunden, das sich aus eigenem freiem Antriebe schnell bewegt hätte. Indessen darf man nicht aus den Augen lassen, daß es für den Kaffer ein ganz neuer und zugleich revolutionärer Gedanke ist, überhaupt irgend eine Arbeit verrichten zu sollen. Die Arbeit ist für die Frauen – für den Mann nur der Krieg oder das Nichtsthun. Demgemäß geht sein ganzes Bestreben dahin, so wenig wie möglich zu arbeiten, und keinem Kaffer fällt es ein, nur noch die Hand zu rühren, sobald er Geld genug verdient hat, die nöthige Anzahl von menschlichen Lastthieren, von Frauen, zu kaufen, die für ihn arbeiten. Ein Kaffernweib ist stolz darauf, wenn es viel gekostet hat, und denkt in dieser Beziehung mit einem gewissen geringschätzenden Bedauern an seine weißen Schwestern, die oft nur mittelst reicher Mitgift Männer bekommen.“

Lady Barker, welche mit zwei noch sehr kleinen Kindern nach Maritzburg kam, hatte nur eine französische Köchin und einen französischen Diener mitgebracht. Alle andern Arbeiten mußten von Kaffern verrichtet werden; daher trugen Kutscher und Stallknecht, Küchenjunge, Jungfer und der sogenannte nurse-boy, das männliche Kindermädchen, die „schattige Livrée der heißen Sonne“. Es war nicht leicht diese dienstbaren Geister zu beherrschen. Die gutmüthigen Menschen waren alle langsam, träge und ungeschickt, und oft klagten sie: „O, warum ist die Inkosa-Casa (die Frau des Herrn) mit ihren beiden Picanninies (Kindern) und ihrem Gefolge in unser Land gekommen!“

Der Kobold und böse Geist des Hauswesens der Lady Barker war indeß das männliche Kindermädchen, der nurse-boy Tom. Diesen hergelaufenen Kaffernjüngling, der zu jedem Unfug bereit war, durfte Lady Barker nie aus den Augen lassen, wenn sie ihm ihr Baby anvertraute. Tom schnupfte und rauchte mit großer [535] Leidenschaft und bemühte sich, seinem zarten Pfleglinge dasselbe Vergnügen zu bereiten. Seine mit starken Einschnitten versehenen Ohrläppchen dienten als Taschen für die zolllange blecherne Tabaksdose, und Baby ruhte nicht, bis es die Dose erhascht hatte und nieste, bis es Krämpfe bekam.

Eines Abends fuhr das männliche Kindermädchen den Kleinen im Garten umher. In banger Ahnung, daß Tom einen dummen Streich ausführen werde, eilte Frau Barker dem Wagen nach, und siehe da, der schwarze Unhold war auf einen Baum geklettert, hatte ein junges Vögelchen aus dem Neste genommen und es dem Kinde in die Hand gegeben. Dieses hatte das zappelnde Thierchen denn auch sofort in den Mund gesteckt und war eben im Begriff, es mit seinen spitzen Zähnen übel zuzurichten, als Lady Barker herbeikam und der Scene ein Ende machte.

Nach langem Suchen ward endlich eine passende Stellvertreterin für Tom gefunden. Malia, das ist Maria (die Kaffern können das „r“ nicht aussprechen), wird als ein wißbegieriges Wesen geschildert. Sie sprach und las Englisch, Holländisch und Kaffrisch ziemlich geläufig, obwohl ihr manche Buchstaben die Aussprache sehr erschwerten. Auch benutzte sie jeden freien Augenblick, um zu schreiben. „Das arme Ding ist so eifrig, etwas zu lernen, daß sie jede Gelegenheit dazu ergreift. Während ich sitze und mir die Haare kämme oder mir die Stiefel zuschnüre, kniet sie neben mir nieder, zieht ihr Buch aus der Tasche und fragt im schmeichelndsten Tone: ‚Darf ich Inkosa-Casa etwas vorlesen?‘ Wer sollte das Herz haben, Nein zu sagen!“

Malia war Christin und strahlte vor Freude, wenn sie Sonntags im turbanartigen himmelblauem Kopftuche, sauberer weißer Schürze und recht kurzem und weitem blaßrothem Kattunkleide nach Maritzburg zur Kirche gehen durfte.

Lady Barker äußert sich unter Anderen über die Zulus wie folgt:

„Je mehr ich die Kaffern kennen lerne, je mehr schätze und liebe ich sie. Man nennt sie unzuverlässig, aber ich finde sie nur heiter, gutwillig, folgsam und höflich. Jeder Kuhhirt auf der Weide wünscht mir einen ‚sako bono‘ (‚Guten Morgen‘), wenn er mir bei meinen Streifzügen nach Farrnkräutern oder Grassamenrispen am frühen Morgen begegnet, und aus der Küche und vom Stalle herauf höre ich unaufhörliches Lachen. Freilich hält man dieses Lachen für Faulheit, aber ich gewinne es nicht über mich, immer hinzugehen und die Leute an ihre Pflicht zu erinnern, wie ich vielleicht sollte. Uebrigens ist ihre Fröhlichkeit ganz anderer Art, als die meiner alten Freunde, der westindischen Neger, die fortwährend schwatzen und lachen. Die Kaffern tragen öffentlich die größte Ernsthaftigkeit zur Schau und sind nicht leicht zu einer Aeußerung des Erstaunens oder der Freude zu bringen; in ihren Häusern, den Kraals, dagegen sind sie ein lustiges, geselliges Völkchen.“

Unsere Lady schildert verschiedene dieser Kraals. Besuchen wir in ihrer Gesellschaft einen solchen!

„Viel zu sehen gab es nicht. Er bestand aus etwa zwanzig großen bequemen, bienenkorbartigen Hütten, die halbmondförmig aufgestellt waren. Die größte, die in der Mitte stand, gehörte Mazimbulu, dem Häuptling, und vor ihr hockte auf den Fersen seine neueste Frau und schnitt Kürbisse in kleine Stücke, um eine Art Suppe, „Scoff“ genannt, daraus zu kochen. „Ich glaube, diese junge Madame Mazimbulu war die hübscheste und zugleich unfreundlichste Kaffernfrau, die mir je vorgekommen,“ berichtet Lady Barker, „sie trug schöne Ketten und andern Tand; ihre Frisur war kunstvoll geordnet und roth gefärbt; ihre Decke, sowie ihr Rock waren bunt, neu und warm, und doch sah sie aus wie das leibhaftige Bild schlechter Laune.“

Auf der äußersten Spitze von Mazimbulu’s Hütte befand sich ein vollständiges Raritätenlager von Gegenständen, die als Zaubermittel zur Abwehr des Blitzes gelten: alte Wurfspießspitzen, Muscheln, der zerbrochene Henkel eines Porcellankruges, ein bunt angestrichenes Stückchen von einem Kinderspielzeug etc. Alles, was den Kaffern unbekannt ist oder geheimnißvoll vorkommt, muß ein Wetterzauber sein. Blitzableiter würden sie unter keiner Bedingung brauchen; denn sie erklärten triumphirend, daß unsere Häuser, trotz aller Feuerdrähte, viel öfter vom Blitz getroffen würden, als ihre Hütten.

Ein Zufall ließ unsere Lady zwei Kaffern-Hochzeiten kurz nach einander beobachten. Die Extreme roher Barbarei und der Flitter der Civilisation begegneten sich.

„Es war an einem sonnigen, hellen Wintermorgen, als die Hochzeitsgesellschaft aus der Kirche kam; sie ordnete sich paarweise und zog in Procession die sehr staubige Straße hinab. Das Brautpaar war von einer Menge theilnehmender und einer noch größeren Menge mehr oder weniger spottlustiger Zuschauer begleitet – aber nichts konnte die ernste Würde der Braut und des Bräutigams stören, die mit glückstrahlenden Gesichtern an der Spitze des Zuges einherschritten. Uniformen waren streng ausgeschlossen. Der Bräutigam und seine Freunde – offenbar stolz darauf, ihre verschiedenartigen rothen Militärröcke bei Seite gelegt zu haben – waren in fertig gekaufte Anzüge von grauem Sommerstoff gekleidet, in dem sie unbeschreiblich komisch aussahen. Zu ihrer größten Unbequemlichkeit hatten sie sogar Stiefel an. Auf ihren kunstvoll gekämmten Wollschädeln trugen sie, mehr oder minder unternehmend, weiße, weiche Filzhüte.

Die Braut schritt mit kaffrischem Anstand und Grazie in ihrem weißen Kleide dahin, dessen Schleppe sie im Staube nachzog. Ein Tüllschleier, den sie über einem Kranze von Orangenblüthen trug, hing bis zur Erde. Es hielt schwer, zu glauben, daß wahrscheinlich vor Kurzem noch ein Sack oder ein grobes Stück Zeug ihre einzige Bekleidung gewesen. Sie trug ihren Anzug, der schneeweiß und nach der neuesten Mode gemacht war, als sei sie ihr Leben lang nicht anders als in langen Kleidern gegangen, und hielt ihren Kopf, als wäre er nie mit rother Erde oder mit einem schweren Korbe voll Mealies in Berührung gekommen. Ihre Züge konnte ich nicht deutlich erkennen, aber Gesicht, Hals und Arme waren schwarz wie Ebenholz, was von den weißen Mousselingarnirungen und Falbeln noch mehr hervorgehoben wurde. Hinter dem Brautpaare folgte ein halbes Dutzend ebenfalls weiß gekleideter Jungfrauen, die mit vielen prachtvollen blauen Schleifen geschmückt waren. Jedes dieser Mädchen wurde von einem Brautführer geleitet. Die Nachhut, die aus geladenen Gästen bestand, war in bunten Kattun und farbige Röcke gekleidet. – Jeder und Jede von der Gesellschaft schien aber ganz außerordentlich zufrieden mit sich selber. Ich verlor den Zug in den Staubwolken, die er aufwirbelte, bald aus dem Gesichte.“

Diese erste civilisirte Hochzeit machte unter den Kaffern in Maritzburg großes Aufsehen. Aber noch lebhafteres Interesse nahm Lady Barker an einer echten Kaffernhochzeit.

Da kamen sie – voran ein Trupp robuster Krieger, in Thierfelle gekleidet und mit ungeheuren Federbüschen auf dem Kopfe. Ihre geschmeidigen, sehnigen Körper glänzten wie Ebenholz, als sie schnell vorübereilten, nicht so schnell indessen, daß sie sich nicht zu der Höflichkeit eines Grußes Zeit genommen hätten. „Inkosi!“ riefen sie, indem sie Schild und Speer erhoben. Dies war die Avantgarde, die Blüthe der Kaffern-Cavaliere, welche die Tochter eines Häuptlings nach dem Kraal jenseits der Berge begleitete, der ihre neue Heimath werden soll. Sie betrachten es als einen Ehrenpunkt, so schnell wie möglich zu laufen; denn sie geben dadurch für die ganze Procession den Tact an. Nach ihnen kamen die männlichen Verwandten der Braut; ein buntscheckiger Haufen, der sehr zahlreich war, aber in stolzer Haltung weit hinter den Kriegern zurückblieb. Auch ihr Anzug war ein elendes Gemisch, ein Mittelding zwischen Kleidern und Nacktheit. Aber Alle trugen Schnupftabaksdosen aus jedem erdenklichen Material in den Ohren.

Dann folgte ein größerer und würdiger aussehender Trupp von Männern, welche sämmtlich Ringe, das Zeichen der Wohlhabenheit, auf dem Kopfe trugen. Sie hatten Alle nackte Beine, um den Oberkörper aber bunte wollene Decken geschlagen. Die Braut war ein hübsches großes Mädchen und ihr Gesichtsausdruck, trotz ihres ermüdeten und abgehetzten Aussehens, ein angenehmer. Bekleidet war sie nur mit einem Streifen groben braunen Zeuges, den sie anmuthig und decent um den Leib geschlagen hatte, der aber ihre schlanken, schön geformten Beine zum Laufen frei ließ. Ihr Gesicht war an Stirn und Wangen mit rother Erde bemalt und ihr Haar roth gefärbt.

Die Liebe hat bei den Kaffern mit der ehelichen Verbindung selten etwas zu thun. Wir wissen, daß in Südafrika das Loos der Frauen nur ein schweres Joch ehelicher Sclaverei ist. Aber nicht alle Kaffernfrauen haben es zu tragen. Die Isniyangas oder Hexensucherinnen nehmen eine Ausnahmestellung ein. Sie sind die Priesterinnen des Aberglaubens, die Aerzte der Kaffern und besitzen alle Rechte der Männer; sie tragen Waffen, gehen auf die Jagd und [536] schmücken sich mit den Trophäen ihres Sieges: Schlangenhäuten, Leopardenfellen, Sakabutafedern etc. In den englischen Besitzungen ist zwar von der Regierung Alles geschehen, um ihre Autorität aufzuheben, allein nichtsdestoweniger stehen sie bei ihren Landsleuten, nach wie vor, in hohem Ansehen und werden, so lange noch der Glaube an Hexen und Zauberer im Volke mächtig ist, ihren Platz behaupten. Man schreibt ihnen eine prophetische Kraft und die Fähigkeit zu, alle verborgenen Missethaten an’s Licht zu ziehen. Auf Anstiften der Hexensucherinnen ist in früheren Zeiten gar manches Blutbad angerichtet; es ist sogar vorgekommen, daß auf ihre Veranlassung ein ganzer Kraal ausgerottet worden ist. Das Capitel, in welchem Lady Barker dieses Thema behandelt und von den verschiedensten Seiten beleuchtet, ist äußerst interessant.

Wie diese, sind auch die übrigen Capitel des Buches ungemein fesselnd. Lady Barker hat die Zeit ihres Aufenthaltes in Südafrika fleißig ausgenutzt, um Land und Leute kennen zu lernen. Sie hat verschiedene Ausflüge in die Umgegend von Maritzburg unternommen und Schulen und Missionsanstalten besucht. Die Station Edendale, wo sie lebte, zählte 4 Schulen mit 200 Schülern und außerdem 3 Sonntagsschulen mit 280 Kindern. Das Alles haben allein die Eingeborenen aufzubringen gewußt, deren Zahl im Orte selbst nur 800 beträgt.




Blätter und Blüthen.

Oesterreichisch-ungarische Nationaltrachten. (Abbildungen S. 528 und 529.) Wenn es heute, wo die Mode ihr allgewaltiges Scepter schwingt, wo alles Altüberlieferte mehr und mehr schwindet, noch ein Ländergebiet giebt, auf dem die Volkstrachten sich in einigermaßen bunter Mannigfaltigkeit erhalten haben, so ist es gewiß Oesterreich-Ungarn.

Hier, zwischen Deutschland und dem Orient, ist der jahrtausendalte Grund, auf dem sich die Reste aller Nationalitäten versammelt, gerettet oder bewahrt haben. Aus diesem reichen Schatze läßt sich noch Vieles heben, und ein dem malerischen Sinne unserer Zeit entgegenkommendes Bilderwerk ist der Wirkung auf die weitesten Kreise sicher. Ein solches Werk liegt uns in der ohen genannten artistischen Publication der R. Lechner’schen Universitätsbuchhandlung in Wien vor. Es ist ein photographisches Werk oder vielmehr Album, das auf einzelnen Blättern, entweder im einfachen Lichtdrucke oder mittelst Handcolorites auf dem Lichtdrucke reizende weibliche Gestalten im typischen Nationalgewande zur Anschauung bringt. Das Arrangement der Figuren hat der Costümmaler der Wiener Hofoper, Herr F. Gaul übernommen; die Photographien liefert Herr Hofphotograph Löwy in Wien, dessen Anstalt auch die Lichtdrucke besorgt. Drei Lieferungen des vorläufig auf sechs berechneten Werkes sind erschienen, und aus ihnen wählen wir zwei Gestalten, die Gailthalerin aus Kärnten und die Ungarin aus dem Banat, welche darthun, daß hier eine vortreffliche Schönheitengallerie beabsichtigt und reizend verwirklicht worden ist.

Das Gailthal liegt am Ausgange der Villacher Ebene, und die steil abfallenden Wände des Rigi von Kärnten, der wegen ihrer prachtvollen Aussicht bekannten Villacher Alpe, bilden eine Seite der Eingangsthore. Es ist von 7- bis 8- und 9000 Fuß hohen Alpen umstellt und wird in ein Ober- und Untergailthal getheilt; die Slovenen bilden einen großen Theil der Bevölkerung neben der deutschen. Die dargestellte Schöne ist eine Slovenin, doch glaube man ja nicht ein Muster aller Mädchen im Lande, sondern nur der dortigen Bräute; einzig eine solche trägt die faltenreiche weiße Haube aus Leinen oder Musselin über dem Kopftuche, das gebunden wird, wie es die Mädchen in Oesterreich, Steiermark und Tirol alltäglich tragen. Beachtenswerth ist der Brustschmuck, welchen man leicht für ein Mieder halten könnte, der aber nur ein geschickt im Dreieck zusammengelegtes buntes Tüchlein ist, dessen breiteste Basis um die Hüfte gelegt und dessen mittlere Spitze oben an dem Hemde befestigt wird, und zwar mittelst einer Nadel oder Brosche, im Volksmunde „Brefele“ oder „Brevele“ geheißen.

Mit dem kurzen dunklen Rocke, welcher einen hellfarbigen Saum hat, der um so wirksamer von den weißen, plastisch gemusterten Ringelstrümpfen absticht, und jenen Zierlichkeiten, zu welchen noch bauschige weiße Aermel gehören, erscheint die Dorfschöne am Sonntage unter der Linde, unter welcher getanzt wird. Alte mächtige Linden sind in den Dörfern häufig; vor dem Tanz wird – eine eigenthümliche Sitte! – ein kurzes Gebet gesprochen, und die Lustbarkeit geht los. Mit solcher Zier geht auch die Braut an der Seite des Bräutigams und hinter dem vorantretenden „Hochzeitslader“ von Haus zu Haus, um die Gäste zur Hochzeit zu bitten. Kurz es erfüllt sich mit der Schönen, die zu einem wesentlich Alpenwirthschaft und Pferdezucht betreibenden Völklein gehört, all das, was uns die Poeten des Volkslebens in neuerer Zeit so lebhaft vorgestellt, und wer beim nächsten Besuche im Gailthale die Braut von Reitern umritten auf einem Wagen sieht, der wundere sich nicht!

Die Magyarin aus dem Banat macht ein ernsteres Gesicht; ihr Stamm ist nicht so heiter; sie kann nicht so leichtfüßig über den steinigen Grund hinwegschreiten, und der dichte Humus, welcher meilenweit üppig daliegt und in welchen selbst das Wagenrad tief einschneidet, bedarf als stärkeres Gegenmittel den hochreichenden Stiefel. Aber ihre Augengluth, ihr üppiges Schwarzhaar, selbst ihr Ohrenschmuck zeigen nach dem Oriente; die sehr nahen Türken haben mit ihren Großvätern und Urgroßvätern noch gerauft, und die Mütter entstammten vielleicht einer mohamedanischen Verwandtschaft. Jene trüben Zeiten haben das düstere Lied gepflegt, dessen Molltöne noch heute die Lustbarkeit der Magyaren bilden und das nur zum Schlusse in einem raschen lustigen Aufschlagen endet. Der Gürtel mit seinen bunten wechselnden Farben und das Käppchen, welches noch an den Fez gemahnt, haben etwas Orientalisches, aber der lederne pelzverbrämte Koller über dem dunklen Rocke ist total ländlich-sittlich. Hier kann man die Brust nur kurze Zeit den weichen linden Lüften preisgeben; denn die hohen Ausläufer der Karpathen haben frühen Schnee und lassen eisige Winde durch die Thäler wehen. Das matte Gelbweiß des Lederkollers ist aber verschönt von großen Blumen, in buntesten Farben aus Wolle und Seide gestickt; auch Buntleder findet sich dazwischen mit einer Verschlingung der Stengel oder Arabesken, welche eifrige Sucher nach „charakteristischen“ und „historischen“ Gewebemustern in Erstaunen setzen. Und trotz aller scheinbaren Düsterheit – wenn die Zigeuner auf das Cymbal klopfen, die Geige streichen … kurz da sind Magyaren und Deutsche einig … und wir darüber, daß es aus Anlaß solcher Schönheitsbilder noch viel zu sagen gäbe. S.




Vogeldiebe im Verhör. (Zur Abbildung, S. 533.) Eine Episode aus dem Kinderleben, die uns heute der Maler mit dem Tacte eines feinen Naturbeobachters vorführt! Große Freude gab es wohl in der Gesellschaft der Kleinen, als sie im niedrigen Buschwerk ein Nest mit jungen Vögeln fanden. Sofort machte der älteste Knabe von dem Recht des Stärkeren Gebrauch, und ohne Rücksicht auf das klagende Geschrei des aufgescheuchten Elternpaares ließen sich die kleinen Räuber auf dem umgestürzten Baumstamm nieder, um gar interessante Naturstudien zu machen. Aber keine Schuld auf Erden bleibt ungesühnt, und „das Verhängniß schreitet schnell“. Noch waren sie in die Betrachtung der nackthalsigen Geschöpfe vertieft, als der Herr Jäger mit seinen grimmigen Hunden, die bald nach den Kindern, bald nach dem Neste schnoberten, zornmüthig daherkam, und was da weiter erfolgte, das lehrt uns das wohlgelungene Bild Böker’s: Das Vogelnest wurde an seinen ursprünglichen Ort gebracht, und die gemaßregelten Kinder trabten eiligst nach Hause, mit dem festen Vorsatz, das Familienglück der befiederten Sänger nie wieder zu stören. So wird seltsamer Weise der Jäger, der Erzfeind der Thiere, oft zu ihrem Beschützer.


Kleiner Briefkasten.

S. M. in W. Sie wünschten, daß auch die „Gartenlaube“ wie andere Journale eine stehende Rubrik der neuen „Erfindungen und Entdeckungen“ in der Wissenschaft und auf gewerblichem Gebiete brächte? Geehrter Herr, in unserer Zeit der Laboratorien und Patentbureaus wird zu jeder Tages- und Nachtstunde so viel entdeckt und erfunden, daß Sie in den Tageszeitungen, die auch das Ephemere registriren müssen, jeden Tag von einer neuen und meist „epochemachenden Erfindung“ lesen können, sodaß es ein Leichtes wäre, davon eine Wochenübersicht zu geben. Wenn Sie aber wüßten, wie viele als höchst unpraktisch erkannte hundertjährige „Jubilare“, ganz überflüssige und längst bekannte Dinge, dazu ganz unsinnige und unmögliche Projecte in diesen Curiositäten-Sammlungen figuriren, wie wenig endlich von dem wirklich Neuen sich bewährt, dann würden Sie unsere Praxis, nur das offenbar Werthvolle und nicht blos für den Fachmann, sondern für alle Leserkreise Interessante zu berücksichtigen, als die bei unseren Raumverhältnissen einzig mögliche und zweckmäßige anerkennen.

E. K. Photographien von Hameln sind im Verlage von Schmidt und Suckert in Hameln in Cabinet à 75 Pfennig und Visites à 40 Pfennig erschienen. Das auch von uns (in Nr. 23) abgebildete Rattenfängerhaus, der Lachsfang etc. sind auf diesen Photographien naturgetreu wiedergegeben, und können wir Ihnen dieselben aus eigener Anschauung empfehlen. Schmidt und Suckert senden Ihnen auch gern auf Verlangen eine Auswahl zur Ansicht.

L. L. in R. Warum denn nicht? Ein Besuch der Württembergischen Hauptstadt ist gerade heute sehr lohnend. Die Schwaben, die einst das Reichsbanner dem Kaiser vortrugen, sie halten es wieder hoch auf dem Felde der Arbeit – das zeigt ihre Landes-Industrie-Ausstellung zu Stuttgart. Als Glanzpunkte derselben erweisen sich die Abtheilungen, welche sich mit dem inneren Ausbaue des Hauses und der Zimmereinrichtung beschäftigen. Hier zeigt sich im Anschluß an München und Nürnberg eine Innigkeit und Sinnigkeit in Form und Farbe, die oft geradezu bestrickend wirkt. Aber auch auf anderen Gebieten der Industrie, wenngleich nicht auf allen, leistet Württemberg Vorzügliches; wir wollen da nur noch einer Messing- und Metallwaarenfabrik Erwähnung thun, die, ohne Beeinträchtigung des einzelnen Gegenstandes, die übergroße Menge ihrer Erzeugnisse zu einem überraschenden Tableau aufbaut. Aber genug davon! Machen Sie sich auf, und sehen Sie mit eigenen Augen!

R. A. in Hannover. Militärisches Auskunftsbureau des Premierlieutenants a. D. G. Pavel in Leipzig.

G. B. in Olmütz. Der Verfasser des Artikels „Karoline Bauer als Gräfin Plater“ (vergl. Nr. 27) ist Herr F. Emil Leo Pierre in Wien.

Olga Br. in L. Kammerforst. Pfrdrf. Provinz Sachsen, Regierungsbezirk Erfurt.


  1. Nicht ohne Absicht bringen wir gerade jetzt, in dem kritischen Momente des beginnenden Wahlkampfes, mit obigem Artikel unsere objectiven Würdigungen der drei liberalen Hauptparteien des deutschen Reichstags (vergl. Nr. 48, Jahrg. 1880 und Nr. 14 d. J.) zum Abschlusse. Bald werden die Wähler aufs Neue an die Urne herantreten, aus welcher das Schicksal der inneren Lage Deutschlands für die nächste Legislaturperiode hervorgehen wird. Das ist ein Moment, der uns Alle an die Pflichten mahnt, die wir dem Vaterlande, seiner freien Entwickelung nach innen, seiner Sicherung nach außen hin schuldig sind. Angesichts der immer mehr erstarkenden Reaction ist das Zusammengehen aller Liberalen ein zwingendes Gebot, und im Hinblick auf die bevorstehenden Neuwahlen rufen wir unsern Lesern zu. Jeder freie Mann thue seine Pflicht – und wähle liberal!
    D. Red.
  2. Wagner’s eigene Worte.
  3. Vergl. Nr. 10 und Nr. 16, Jahrgang 1880.