Die Gartenlaube (1857)/Heft 27
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No. 27. | 1857. |
Es war im Frühling des Jahres 1843 oder 1844 – genau weiß ich die Jahreszahl nicht mehr – als eines Nachmittags in der Kaffeestube der Cranzler’schen Conditorei unter den Linden zu Berlin ein fremder junger Mann die Aufmerksamkeit der Habitués des Kaffee auf sich zog. Er war ein hübscher Mensch, mit einem offenen Gesichte, lebhaften Augen, raschem und entschlossenem Wesen und feinen Manieren. Seine Kleidung war nach der neuesten Mode. An seinen Fingern glänzten ein paar Brillanten von seltener Größe und von dem reinsten Wasser. Er fiel schon gleich bei seinem Eintreten in das Zimmer auf. Die Linden „unter den Linden“ zu Berlin blüheten zwar schon in ihrer grauen und verkümmerten Berliner Weise; aber es war den paar warmen Tagen, welche diese Blüthen aus den schon vor dem Aufknospen ergrauten Knospen hervorgetrieben hatten, ein kalter, regnigter Tag gefolgt; die Gardelieutenants hatten deshalb auf ihr Privilegium, vor dem Cranzler’schen Hause auf dem Trottoir ihren Kaffee zu verzehren und dabei mit der nur ihnen eigenthümlichen Grazie ihre Füße über Stuhllehnen baumeln zu lassen, für heute verzichten müssen und dadurch ihren Tanten, Schwestern und Cousinen manche Freude geraubt, dem Berliner Philister aber auch manchen Aerger erspart. Sie saßen in dem Hause, in dem abgeschlossenen Zimmer, und weil dort kein Mensch die Heldenthat des Baumelns der Füße sah und bewunderte, so saßen sie beinahe so ordentlich, wie andere ordentliche Leute. Sie lärmten und lachten auch nicht laut; manche von ihnen gähnten aber darum desto lauter. Da trat der junge Fremde in das Zimmer. Sie hatten, wie gewöhnlich, den Eingang schon gleich vorn an der Thüre dicht besetzt. Jeder Andere, der eintrat, mußte einen Umweg nehmen und hinter ihren Stühlen her an der Wand sich vorbeidrängen. Der Fremde that nicht so. Er sah sich, während er die Thür noch in der Hand hielt, die Gruppe der Herren mit den bunten Röcken, langen Schnurrbärten und langen Schleppsäbeln, zwar nicht verwundert, im Gegentheile so an, als wenn er sagen wollte: er finde Alles gerade so, wie er es sich gedacht, dabei aber mit einem fein und herausfordernd lächelnden Blicke. Dann machte er ruhig die Thür hinter sich zu, und schob darauf ohne Weiteres, mit einer Leichtigkeit, als wenn er einen Hut aufnehme, den ersten Stuhl, der ihm im Wege stand, mit dem darauf sitzenden Dragonerlieutenant, sammt dessen langem Schnurrbarte und langem Schleppsäbel auf die Seite.
„Erlauben Sie, mein Herr,“ sagte er kurz, in einem etwas fremd klingenden Dialekt.
Die Officiere waren es jetzt, die verwundert aufsahen.
„Unverschämt! Verdammt!“ glitt über einige Lippen.
Der Fremde bekümmerte sich nicht darum. Er schritt, ohne sich umzusehen, an den Tisch, hinter welchem die hübschen Aufwärterinnen des Cranzler’schen Kaffeehauses standen. – Damals herrschte in den Kaffeehäusern, Restaurants und Wein- und Bierstuben Berlins noch soviel Sitte, daß weibliche Aufwartung darin keine Gefahr brachte und keine Gefahr lief; seit einigen Jahren soll es anders geworden sein, und die Regierung deshalb für ausschließlich männliche Aufwartung haben sorgen müssen.
„Kaffee,“ rief der junge Mann leicht einer der Aufwärterinnen zu.
Mit schnellem Blick hatte er die hübscheste von ihnen getroffen. Er setzte sich an einen der kleinen Marmortische, die zunächst bei der Gruppe der Officiere standen. Und, was diese in dem Zimmer nicht thaten, das that er jetzt. Er zog einen zweiten Stuhl heran und hing über dessen Lehne seine Beine, mit vollkommen so viel Leichtigkeit und Gewandtheit, als wenn er seit Jahren Officier in der Garde gewesen und seinen Kaffee bei Cranzler unter den Linden getrunken habe. Die Officiere sahen sich nicht mehr verwundert, aber etwas verdutzt an; einige strichen ingrimmig die Schnurrbärte.
„Teufel! Camerad! – Was meint Ihr! Es ist arg!“
„Es amüsirt mich.“
„Aber, zum Teufel –!“
Eine Aufwärterin brachte dem Fremden den Kaffee. Aber es war nicht die, bei der er ihn bestellt hatte.
„Habe ich bei Ihnen bestellt?“ fragte der Fremde.
„Nein, mein Herr, aber –“
„Ich will meinen Kaffee von der, bei der ich ihn bestellt habe.“
Das Mädchen mußte zurückkehren. Jene hübsche, der er zugerufen, brachte ihm den Kaffee. Er legte ihr einen ungarischen Ducaten auf die Platte. Sie nahm Geld aus ihrer Tasche, zählte drei Thaler und zwei Groschen ab, um sie ihm herauszugeben. Jetzt sah auch er verwundert auf.
„Was soll das?“
„Der Kaffee kostet drei Groschen.“
„Nun ja!“
„Sie haben mir einen Ducaten gegeben.“
„Nun ja!“
„Sie bekommen also drei Thaler zwei Groschen zurück.“
„Ich bekomme nichts zurück; es ist für Sie.“
Das hübsche Mädchen wurde feuerroth. Sie wollte noch etwas sagen; aber er hatte rasch seinen Kaffee ausgetrunken, [366] stand auf und entfernte sich, wieder mitten durch die Gruppe der Officiere. Sie hatten seinen so schnellen Aufbruch wohl nicht erwartet; Keiner hielt ihn auf; sie sahen ihm nur überrascht nach.
„Was ist das für ein Kerl?“
„Gott weiß es.“
„Hat ihn noch Keiner gesehen?“
„Keiner.“
„Ein frecher Bursch.“
„Er weiß vielleicht, daß er es hier sein darf.“
„Was soll das heißen?“
„Daß er hier nur hinausgeworfen werden kann, und das mag ihm schon oft passirt sein.“
„De basse extraction, meinen Sie, Graf?“
„Irgend ein entlaufener Kellner oder Croupier.“
„Der Mensch hatte Manieren.“
„Die hat er den Leuten abgesehen, von denen er Trinkgeld erhielt.“
„Habt Ihr die kostbaren Brillanten gesehen, die er an den Fingern trug?“
„Böhmische Steine.“
„Und,“ versicherte wichtig ein Lieutenant, der kürzlich von einer Reise aus Frankreich zurückgekehrt war, „seine Kleidung kommt direct aus Paris; ich kenne den Schnitt.“
„Aus Paris kann mancher Narr mit einem neuen Rock kommen,“ sagte ein nicht mehr ganz junger Rittmeister von den Kürassieren.
„Aber, meine Herren, ein Abenteurer, ein Industrieritter schenkt keinen Ducaten fort.“
„Jeannette, hat er Ihnen wirklich einen Ducaten gegeben?“
„Einen ganz nagelneuen, Herr Lieutenant,“ rief die hocherfreute Aufwärterin; „von diesem Jahre. Sehen Sie nur, wie er glänzt!“
„In der That. Auf Ehre!“
„Pah, auch Rechenpfennige glänzen.“
„Lassen Sie einmal sehen, Camerad; in Paris habe ich gelernt –“
„Ei, zum Teufel,“ entschied grob der Rittmeister, „man braucht nicht nach Paris zu reisen, um einen falschen Ducaten von einem echten zu unterscheiden. Der Ducaten ist echt.“
Der Rittmeister verstand sich darauf; er war ein guter Haushalter; Niemand widersprach ihm. Dagegen erhob sich jetzt ein anderes Bedenken.
„Es wäre ärgerlich, wenn er kein Aventurier wäre. Er war keck, herausfordernd; man hätte ihm das nicht dürfen hingehen lassen.“
„Es kann ja ein reicher Kaufmannssohn sein.“
„Die haben keine Manieren.“
„Und sind geizig in Kleinigkeiten.“
Der Rittmeister von den Kürassieren entschied auch hier.
„Ist etwas an ihm, so wird er morgen schon wiederkommen. Ihr könnt ihm dann auf den Zahn fühlen.“
Der Fremde kam wirklich am folgenden Tage wieder. Es war wieder schlechtes Wetter; die Herren saßen im Zimmer und warteten auf ihn. Einige sahen sogar erwartend durch das Fenster auf die Straße hinaus.
„Da kommt er! Aber, pah, in einer Droschke!“
„In einer alten, ordinären Straßendroschke? Ich sagte es ja, ein entlaufener Kellner oder ein Croupier, der falsch spielen kann.“
„Aber, zum Teufel, seht, er gibt dem Kutscher einen Thaler; der Kerl will ihm herausgeben. Er stößt beinahe mit Abscheu die Hand zurück, als wenn sie ihm zu schmierig sei oder nach Pferdemist röche. Ein verdammter Kerl!“
„So fühlt ihm auf den Zahn,“ sagte der Rittmeister.
Der Officier, der am gestrigen Tage von dem Fremden wie eine Feder auf die Seite geschoben worden war, setzte sich unmittelbar vor die Thür. Diese, mit einem Glasfenster versehen, durch das man von außen in das Zimmer sehen kann, flog rasch und kräftig auf; der Officier lag mit seinem Stuhle und seinem langen Säbel am Boden. In der Thür stand der Fremde. Der Officier sprang auf.
„Mein Herr –!“
„Was beliebt?“
„Werden Sie mir Satisfaclion geben?“
„Gewiß.“
„Können Sie mir Satisfaction geben?“ sagte der Officier, das erste Wort mißtrauisch betonend.
Der Fremde zog statt der Antwort eine Karte hervor, die er dem Officier überreichte.
„Graf Zilly?“
„Wie Sie sehen.“
„Aus Tyrol?“
„Aus dem italienischen Tyrol.“
„Sie wohnen?“
„Ich stehe Ihnen sogleich hier zu Befehl, wenn Sie mir nur erlauben wollen –“
„Ha, eine Bedingung –“
„Vorher meinen Kaffee zu trinken.“
„Kaffee,“ rief er der hübschen Aufwärterin von gestern zu, die etwas verlegen nicht gewußt hatte, ob sie sich vordrängen oder zurückziehen solle. Dann setzte er sich wieder an den kleinen Marmortisch, und die hübsche Aufwärterin, keine andere brachte ihm den Kaffee. Er legte wiederum einen Ducaten auf die Platte.
Das Mädchen sah ihn erröthend fragend an.
„Für Sie, mein Kind.“
„Aber, mein Herr –“
„Für Sie.“
Er trank seinen Kaffee aus und trat zu dem Officier, dem er seine Karte gegeben hatte.
„Ich bin zu Ihren Befehlen, mein Herr!“ Zugleich wandte er sich an die übrigen Officiere. „Ich bin hier fremd, meine Herren, und erst seit gestern hier. Wäre Einer von Ihnen so gütig, mein Secundant zu sein?“
Die jüngeren Officiere blickten unentschlossen ihren Cameraden an.
„Ich werde mir ein Vergnügen daraus machen,“ sagte der Rittmeister von den Kürassieren.
„Ich bin Ihnen dankbar, mein Herr. Sie werden Alles arrangiren?“
„Hätten Sie hinsichtlich der Waffen einen Wunsch?“ fragte der Rittmeister.
„Mir ist jede Waffe gleich.“
Die Officiere beriethen sich ein paar Minuten miteinander; darauf trat der Rittmeister zu dem Grafen Zilly zurück.
„Sie nehmen Pistolen an?“
„Gewiß.“
„Zehn Schritt Barriere?“
„Einverstanden.“
„Wir können sogleich hinausfahren?“
„Auf der Stelle.“
Ein Fähndrich mußte bei dem Fuhrherrn Schultze in Nr. 15. unter den Linden die erforderlichen Wagen bestellen. In einer Viertelstunde waren diese da, und man fuhr – zur Hasenheide.
Die Hasenheide bei Berlin, jene unendliche Heide, bestehend aus dem reinsten märkischen Sande und den verkrüppeltesten preußischen Fichten, zu der man aus der großen Friedrichsstraße, an der Victoria auf dem Belleallianceplatze vorbei, hingelangt, jene Heide mit dem ominösen Namen ist der Schauplatz der Revuen, Manöver und anderen militärischen Uebungen der preußischen Garden, der Selbstmorde der Berliner Bummler und der Duelle der Officiere.
Dorthin fuhren die Herren. Hinter einem Haufen grauer Fichten, nicht weit von dem Schießstande der Artillerie, wurde der Kampfplatz ausgewählt und abgemessen. Die Pistolen, von den Officieren mitgebracht, wurden geladen und den Duellanten übergeben. Die Duellanten stellten sich auf die Mensur. Die Secundanten commandirten: Los! Sie schossen ein Tempo, fast mit Hand und Auge, und standen Beide noch fest, nachdem sie geschossen hatten. Wie hätten sie auch wanken sollen? Dem Grafen Zilly war nur der Brustlatz seines Rockes durchgeschossen, und dem Officier war nur die Mütze durchbohrt und eine Handvoll Haare auf dem Kopfe versengt.
„Teufel, das waren ein paar magnifique Schüsse!“
„Ich denke, damit könnten die Herren zufrieden sein,“ erklärte der Rittmeister.
„Ich meinerseits gern,“ sagte der Graf.
„Dann auch Du, Bruder!“ riefen dem Officier seine Cameraden zu.
„Wenn Ihr meint, daß ich darf.“
„Du darfst, Du mußt; reicht Euch die Hände.“
Alle reichten einander die Hände.
„Ah, meine Herren, und nun eine Bitte,“ sagte der Graf [367] Zilly. „Der heutige Zug darf uns nicht mehr getrennt sehen. Ihr bester Traiteur ist ja wohl Jagor unter den Linden. Er hat auch den besten Lafitte und den feinsten Champagner. Erzeigen Sie mir das Vergnügen?“
„Zu Jagor! zu Jagor!“ riefen Alle.
Man fuhr zu Jagor unter den Linden. Erst lange nach Mitternacht trennten sie sich.
„Ein capitaler Kerl, dieser Graf Zilly!“
„Delicate Weine!“
„Alles deliciös, Herr Bruder! Weine, Essen, Alles. Und großartig, verschwenderisch!“
„Der Kerl muß Geld wie Heu haben.“
„Und er hat sich brav geschossen,“ setzte der Rittmeister noch hinzu.
„Ja, ja, die Zilly’s müssen von einem guten, alten Hause sein,“ bemerkte ein Lieutenant, der selbst aus einem guten, alten westphälischen Hause war, und manchmal mit souveräner Verachtung auf seine Cameraden von dem jungen und zweifelhaften preußischen Officiersadel herabsah.
Der Graf Zilly kam von nun an alle Tage zu Cranzler, bezahlte seine Droschke mit einem Thaler und seinen Kaffee an die hübsche Kellnerin mit einem Ducaten, und verkehrte mit den Gardeofficieren, also mit der Crême der guten jüngeren Gesellschaft Berlins, die sich immer mehr überzeugten, daß er nicht nur sehr reich, sondern auch von gutem, altem Adel sei, denn er that es ihnen fast Allen zuvor im Fechten, Reiten, Fahren, Trinken und ähnlichen Dingen, und er konnte auch, indem es unterdeß besseres Wetter geworden war, auf dem Trottoir unter der Marquise vor dem Cranzler’schen Hause seine Beine über der Stuhllehne eben so graziös hin- und herbaumeln, wie nur je ein Officier von der Garde.
Auf der Polizei in Berlin schien man jedoch über den Grafen Zilly aus dem welschen Tyrol nicht ganz dieselben Ansichten zu haben, wie die jungen Gardeofficiere bei Cranzler sie hatten. Zu dem Polizeidirector von Berlin, dem Chef der dortigen Criminal- und dahin einschlagenden Sicherheitspolizei, kam eines Tages ein Kammergerichtsreferendarius, ein junger Mann, welcher hoffte, im Polizeifache eine bessere Carriere zu machen, als in der Justizpartie, und der sich daher zu seiner Ausbildung an das Polizeipräsidium in Berlin hatte versetzen lassen. Der junge Mann hatte, wie jeder Referendarius, der eine Carrière machen will, einen großen Diensteifer.
„Herr Polizeidirector, haben Sie schon von einem Individuum Notiz genommen, das sich Graf Zilly aus Tyrol nennt?“
„Ja, mein lieber Referendarius.“
„Kein Mensch weiß, wovon er lebt.“
„Ich denke, von seinem Gelde.“
„Gewiß! aber woher hat er es? das ist die Frage.“
„Ich denke, von seinen Gütern.“
„Wissen Sie das gewiß?“
„Ich habe mich nicht darum bekümmert. So lange die Leute hier nicht morden, stehlen oder betrügen, gehen sie mich nichts an.“
„Aber er gibt viel Geld aus.“
„Ein Zeichen, daß er viel hat.“
„Und dabei logirt er nicht einmal in einem Hotel, sondern wohnt obscur chambre garnie da hinten in der Jüdenstraße.“
„Er hat die Freiheit, zu wohnen, wo er will.“
„Und dann thut er hier nichts.“
„Sie sagen ja selbst, daß er viel Geld ausgibt?“
„Dagegen drängt er sich an die jungen Officiere von der Garde, und verleitet sie zu Ausgaben –“
„Die er meist selbst bestreitet.“
„Und das Auffallendste ist, daß er jeden Tag bei Cranzler in einer Droschke vorfährt und dem Kutscher einen Thaler gibt, und dann seinen Kaffee mit einem Ducaten bezahlt. Sie müssen zugeben, daß das sehr verdächtig erscheint.“
„Finden Sie das?“
„Gewiß, und wenn Sie nichts dagegen hätten, so möchte ich ihm wohl strenge aufpassen.“
„Ich habe nichts dagegen.“
„Ich habe vollkommene Vollmacht?“
„Vollkommen, jedoch nur, vergessen Sie das nicht, lieber Referendarius, nur sich selber, nicht aber die Polizei zu compromittiren. Ich erhalte wohl Nachricht von Ihnen.“
Der junge Referendarius ging zufrieden. Er erkundigte sich bei der österreichischen Gesandtschaft, ob man einen Grafen Zilly aus dem welschen Tyrol kenne. Die Familie war bekannt, angesehen und weitverzweigt; aber persönlich kannte man die einzelnen Mitglieder nicht. Auch den in Berlin weilenden angeblichen Grafen Zilly nicht; er hatte sich nicht präsentirt, nicht einmal seinen Paß vorzeigen lassen. Das war allerdings bedenklich. Der Referendarius erkundigte sich auf der Post. Er ließ alle Register der angekommenen Briefe und Pakete nachschlagen. Kein Brief, kein Paket, also auch kein Geld war für einen Grafen Zilly angekommen; das war nicht minder bedenklich. Er erkundigte sich nun auch in dem Hause, in welchem der Graf wohnte. Er bewohnte dort, hinten in der dunklen, schmutzigen Jüdenstraße eine Stube mit Alkoven, nichts mehr und Beide klein und bescheiden möblirt, und daher für einen bescheidenen Miethzins, den er vorausbezahlt hatte. Dabei hatte er keinen Bedienten, die Magd im Hause besorgte ihm die Aufwartung. Auch das war Alles sehr auffallend, gegenüber seinen großen Ausgaben außer dem Hause. Freilich war er andererseits nie bei Tage und auch nicht einmal immer des Nachts zu Hause, und niemals hatte man einen Fremden oder sonst Besuch bei ihm gesehen; aber auch diese Umstände schien der nachforschende Referendarius bei der ganzen zwecklosen herumtreiberischen Lebensweise des angeblichen jungen Grafen als eben so viele Verdachtsgründe ansehen zu müssen. Indeß reichte Alles, war er erfahren hatte, zu einem weiteren, unmittelbaren Verfahren gegen den Fremden nicht aus. Gleichwohl hatte der Referendarius eine nicht zu beseitigende Ahnung – er meinte manchmal: Ueberzeugung –, daß er es mit einem Industrieritter zu thun habe. Er setzte deshalb seine Nachforschungen unverdrossen und nur mit vermehrtem Eifer fort. Dieser sollte nicht ohne Erfolg bleiben.
Bei Tage konnte er dem Fremden nicht folgen. Dieser war dann nur in der Gesellschaft von Gardeofficieren und von anderen mit diesen verkehrenden jungen Leuten aus der ersten Gesellschaft. Die aber waren überall, wo es, und auf Wegen, die viel Geld kosteten, mehr als der arme Referendarius besaß; er riskirte also, wenn er ihnen folgen und aufpassen wollte, einen leeren Beutel und gar Ohrfeigen. Er hielt sich daher des Nachts in der Nähe der Wohnung des fremden Grafen auf. Nicht lange vergeblich. Schon in der vierten oder fünften Nacht sah er aus seinem Versteck einen Menschen, der von dem Jüdenhofe her leise bis in die Gegend des Hauses schlich, sorgfältig den Schein der Gaslaternen vermied, vor dem Hause stehen blieb, nach den Fenstern des Grafen hinaufblickte und sich dann hinter dem Kellerhalse des gegenüberliegenden Hauses versteckte. Der Mann wartete lange; der Referendarius wartete ebenfalls lange. Endlich, gegen ein Uhr, ließen sich Schritte von der Königsstraße her vernehmen. Es waren gleichfalls leise Schritte; der Referendarius dachte schon an einen Dieb, der in der Geisterstunde seine neuen Nachschlüssel probiren wollte; aber er erkannte den Grafen Zilly.
Was schleicht der Mensch heute? er tritt doch sonst laut und brüsk genug auf, wenn er des Nachts durch die Straße geht; das hat etwas zu bedeuten.
Vor seiner Wohnung blieb der Graf auf der Straße stehen. Er sah sich, wie der Referendarius im Scheine der Gaslaternen gewahren konnte, sorgsam nach allen Seiten um. Gleich darauf kam der Mann, der sich drüben hinter dem Kellerhalse verborgen hatte, aus seinem Versteck hervor. Der Referendarius erkannte jetzt in dem Lichte der Laternen eine kleine gedrungene Gestalt.
„Hast Du mitgebracht?“ fragte hastig der junge Graf.
„Wieder so spät! Jede Nacht solche Wirthschaft!“ erwiderte der Mensch.
„Zum Teufel, antworte, oder besser, gib her.“
„Hier, aber es ist das letzte.“
„Du bist ein Narr.“
Der Referendarius sah, wie der Kleine dem Grafen etwas übergab. Er konnte es für eine große schwere Börse halten. Er glaubte auch einen feinen, leisen Klang, wie von Gold oder Silber zu hören.
„Gute Nacht!“ sagte darauf der Graf.
„Ich habe noch etwas beizufügen.“
„Viel? Ich bin schläfrig.“
[368] „Ich sprach eben in vollem Ernst. Bei Gott, dies war das Letzte. Der Alte macht Schwierigkeiten.“
„Das thut er immer. Hast Du sonst etwas?“
„Er ist wüthend, und sprach von der Polizei. Er wollte der Geschichte endlich ein Ende machen.“
„Er ist ein Narr, wie Du. In drei Tagen erwarte ich Dich wieder. Gute Nacht!“
Er ging zu seiner Wohnung. Den Hausschlüssel mußte er bei sich führen. Er hatte schon die HausthÜr aufgeschlossen, und war in dem Innern des Hauses verschwunden.
Der Referendarius hatte seinen Plan gemacht. Dem Grafen hatte er nicht zu folgen. In dessen Wohnung durfte er auf nichts Verdächtigendes oder Ueberführendes rechnen; an dessen Körper konnte er nur das an sich unverdächtige Geld finden. Aber der kleine, fremde Mensch, warum schlich er um Mitternacht, warum verbarg er sich, warum verkehrte er heimlich auf der Straße mit dem jungen Manne? Wer war er nur? In welcher Verbindung stand er mit dem Grafen? Bei ihm mußte er verdächtige und auffallende Sachen finden, und wenn er nichts fand, schon die Person des Menschen war eine Aufklärung für den Referendarius.
Der Mensch war langsam und dem Anscheine nach unbefangen in der Richtung zum Jüdenhofe fortgegangen. Wie ein Blitz, eben so schnell und eben so unhörbar, fuhr der Referendarius aus seinem Verstecke hervor, hinter ihm her. Er hatte ihn schon beinahe erreicht; aber auch die Polizei kann fallen. Der Referendarius fiel, und als er wieder aufstand, war der Mensch mit unglaublicher Schnelligkeit verschwunden. Constabler gab es zu jener Zeit in Berlin noch nicht, und die Nachtwächter schliefen gern. Indessen hatten die Polizeibeamten in Berlin damals desto bessere Augen und desto mehr Glück. Von dem Polizeidirector waren Thatsachen bekannt, die an das Unglaubliche grenzten, wie er Personen, die er kaum mit einem halben Blicke gesehen, nach Jahren wieder erkannt hatte, und wie andererseits Verbrecher, deren Ergreifung man in das Reich der Unmöglichkeit versetzt, ihm plötzlich, manchmal schon in der nächsten Stunde, wie durch ein Wunder in die Arme gelaufen waren. Auch der Referendarius wußte das, und indem er Carriere machen wollte, durfte er seinem Vorgesetzten nicht nachstehen. Während er fiel, hatte sich der Verfolgte nach ihm umgesehen, kaum mit einem halben Blicke. Eben so flüchtig nur hatte der Referendarius das sich umwendende, gerade von einem Laternenstrahl getroffene Gesicht gesehen. Allein das war ihm genug. Am folgenden Morgen stellte der Referendarius sich am Ende der Mulaksgasse auf, welche Gasse täglich von einigen Tausend bestrafter und unbestrafter Diebe, entlassener oder entwichener Sträflinge, Polizeiobservaten, liederlicher Dirnen und ähnlicher Individuen betreten wird. Er musterte Alles, was die Straße passirte. Er hatte noch nicht lange gestanden, als aus einem verdächtig genug aussehenden Hause ein kleiner, gedrungener Kerl mit einem vollständig listigen Spitzbubengesichte heraustrat, vorsichtig in der Straße umherspähete, sichtlich erschrak, als er den Referendarius erblickte, und schnell in das Haus zurücktreten wollte. Aber er war dem scharfen Auge des Polizeibeamten nicht entgangen.
„Halt da!“ donnerte ihm der Referendarius zu.
Der Mensch stand zitternd. Der Referendarius trat an ihn heran und musterte ihn.
„Bei Gott, dasselbe Gesicht! – Wie heißt Du?“
„Lude Stähler, Herr Referendarius,“ antwortete eine heisere Zuchthausstimme.
„Auch die Stimme! – Mensch, woher kennst Du mich?“
„Der Herr Referendarius sind ja bei der Criminalpolizei.“
„Wo bist Du heute Nacht gewesen?“
„Heute Nacht, mein Herr Referendarius? Sprechen Sie von heute Nacht?“
„Ja, Bursch, und ich verlange schnelle Antwort; Du willst Zeit gewinnen, um mich zu belügen.“
Der Mensch war ängstlich geworden; er schien in der That sich auf Lügen vorzubereiten.
„Gott bewahre mich, Herr Referendarius, ich belüge meine hohe Obrigkeit nie. Ich weiß wohl, daß das dem beschränkten Unterthanenverstande verboten ist; ich kenne die Gesetze.“
„Schurke, wirst Du antworten!“
„Mein Herr Referendarius, ich bin ein ehrlicher Mensch, und mit Ihrer Erlaubniß war ich heute Nacht ruhig in meiner Schlafstelle hier in dem Hause, vor welchem wir stehen, auf dem Hofe rechts, drei Treppen nach hinten; Sie können dort fragen.“
„Und um welche Stunde bist Du nach Hause gekommen?“
„Das kann so nach Mitternacht gewesen sein.“
„Ha, und wo warst Du so lange gewesen?“
„Wo ich gewesen war, mein hochgeehrter Herr Referendarius, das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Ich war spazieren gegangen vor dem Landsberger und Prenzlauer Thor, in dem Friedrichshain, Sie wissen, der noch erst ein Hain werden soll. Der Abend war schön, und man hört dort Nachtigallen –.“
„Erzähle ordentlich, Mensch. Auf welchem Wege kehrtest Du in die Stadt und zu Deiner Wohnung zurück?“
„Wohnung, Herr Referendarius? Diesen Artikel führe ich nicht. Ich erfreue mich nur einer Schlafstelle. In diese kehrte ich zurück, indem ich durch das Prenzlauer Thor wieder in die Stadt ging, die Prenzlauer Straße durchschritt, in die Alexanderstraße kam, dann auf den Alexanderplatz, dann in die Königsstraße –“
„Mensch, Du belügst mich. Um in Deine Schlafstelle zu gelangen, müßtest Du gerade die entgegengesetzte Richtung von dem Alexanderplatz einschlagen, und in die Königsstraße konntest Du gar nicht kommen.“
„Sehr wahr bemerkt, Herr Referendarius, aber die Nacht war warm, und am Alexanderplatz und in der Königsstraße halten die reichen Herrschaften in Prachtkäfigen Nachtigallen, und ich wollte vergleichen, welche besser schlügen, diese in den goldenen Käfigen oder jene in dem nackten Friedrichshain.“
„Schon gut. Wohin gingst Du aus der Königsstraße.?“
„In die Jüdenstraße, geehrter Herr Referendarius.“
„Ha, in die Jüdenstraße!“
Die Augen des Referendarius leuchteten. Die listigen Augen des Menschen sahen es; seine Aengstlichkeit verlor sich.
„Wie ich die Ehre habe, Ihnen zu sagen.“
„Was wolltest Du da?“
„Nach Hause, nach meiner Schlafstelle gehen.“
„Durch die Jüdenstraße?“
„Allerdings, von da durch die Spandauerstraßr, über den Haakschen Markt –“
„Hast Du Dich in der Jüdenstraße aufgehalten?“
„Ich habe bloß nach Nachtigallen gehorcht.“
„Hast Du dort Jemanden gesprochen?“
„Keinen Menschen.“
„Bursch, Du lügst. Ich sah Dich dort.“
„Ich erinnere mich der Ehre nicht.“
„Du hieltest Dich eine Zeit lang versteckt, dann sprachest Du mit einem jungen Menschen.“
„Es muß ein erhabener Irrthum von Ihnen sein.“
„Kein Irrthum; ich habe Dich gesehen, erkannt. Du gabst ihm Geld –“
„Herr Refendarius, ich, Geld? Ich bitte, beleidigen Sie mich nicht.“
„Es wird sich finden. Du mußt mit mir zum Aufbewahrungsarrest; dort werde ich die Wahrheit schon von Dir herausbekommen.“
„Herr Referendarius, wenn ich denn nun wirklich einem jungen Menschen Geld gegeben hätte?“
„Du willst also eingestehen?“
„Wäre es denn ein Verbrechen?“
„Gestehst Du?“
„Wenn ich wüßte, daß Sie mich gleich in den Criminalarrest bringen wollten! In dem Aufbewahrungsarrest wird man von den Herren Polizeicommissarien manchmal vergessen; selbst von dem Hausvater, der Einem kein Essen hineinschickt, und was die Reinlichkeit betrifft, Herr Referendarius – ich bin ein sehr reinlicher Mensch. Kurz, man ist dort nicht Fisch und nicht Fleisch –“
„Genug des Redens. Du kommst mit mir.“
Der Referendarius glaubte in der That, es sei des Redens und auch des Beweises genug. Der Mensch, ein oft bestrafter Dieb, war von ihm wieder erkannt worden; er hatte geradehin zugestanden, daß er in der Jüdenstraße gewesen; er hatte halb und halb zugestanden, daß er dort Jemandem Geld gegeben; er hatte dabei so viele Verwirrung gezeigt; das reichte aus. Nach Näherem, direct nach dem angeblichen Grafen Zilly zu fragen, wäre gegen alle Vorsicht des Criminalpolizeibeamten gewesen.
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als Vaterlandsvertheidiger.
Eine Episode aus den Freiheitskriegen.
Es ist eine bei uns allgemein verbreitete Meinung, daß der deutsche Gelehrtenstand sich wenig oder gar nicht um das Vaterland kümmert, über eine griechische Partikel die nächsten Interessen vergißt und besser in der Geschichte der Ommajaden und anderer maurischer Dynastieen zu Hause ist, als in seiner eigenen. Solche Vorwürfe möchten wohl nicht ganz unbegründet sein, aber auch [370] unter den deutschen Gelehrten hat es zu allen Zeiten Männer gegeben, welche mit dem größten wissenschaftlichen Eifer die innigste Liebe zu ihrem gemeinschaftlichen Vaterlande verbanden, durch ihre patriotische Gesinnung wie helle Sterne voranleuchtend, und zwar in der dunkelsten Nacht fremder Tyrannei und Willkürherrschaft. Ein solcher Mann war der berühmte Philosoph Johann Gottlieb Fichte, nicht nur einer der größten Denker, sondern ein echter, wahrer Freiheitsheld voll Muth, wo es galt, eine geistige Meinung zu verfechten, voll Kühnheit, wo es sich darum handelte, das Joch des fremden Unterdrückers abzuschütteln, noch dazu in einer Zeit und unter Verhältnissen, welche selbst die Muthigsten verzagen ließ und die Tapfersten mit Furcht erfüllten. Seine „Reden an die deutsche Nation“ waren in jenen Tagen eine kühne That, eine Herausforderung der für unbesiegbar gehaltenen Macht Napoleons, welcher um Geringeres den Buchhändler Palm erschießen und die besten Männer im Kerker schmachten ließ. Es war im Monat December des Jahres 1807, kaum ein Jahr nach der verhängnißvollen Schlacht von Jena; französische Truppen lagen in Berlin und General Davoust herrschte daselbst als unumschränkter Gebieter; die Einwohner beugten sich unter der ehernen Hand des Eroberers, die meisten huldigten seiner Macht und befreundeten sich bald nach Philisterart mit ihren Unterdrückern; nur Wenige empfanden die Schmach des Vaterlandes in ihrer ganzen Stärke; sie mußten schweigen, umringt von den französischen Bayonetten, von Verräthern, Abtrünnigen, fremden und, zur Schande sei es gesagt, auch einheimischen Spionen. Der König von Preußen und sein Hof war an die äußersten Grenzen der Monarchie nach Königsberg geflüchtet; dort fand er im Unglücke, was ihm früher gefehlt hatte, Männer statt Höflinge, schöpferische Talente statt der alten Zöpfe, große und wahre Charaktere statt pfiffiger Intriguanten und gewissenloser Diplomaten, welche früher seine Umgebung größtentheils bildeten. Der gewaltige Minister Stein schuf unter Trümmern und Zerstörung ein neues Preußen durch die Kraft seines Willens, durch die unerschöpflichen Hülfsquellen und die unermüdliche Thätigkeit seines Geistes. Wie ein Zauberer goß er in den erstorbenen Körper des abgelebten Staates neues Blut und frische Säfte durch seine kühnen Reformen und wohlthätigen Maßregeln. Schlag auf Schlag folgte die Aufhebung der Erbunterthänigkeit und damit die Schöpfung eines freien Bauernstandes; die Städteordnung, welche den Bürger zur Theilnahme an allen öffentlichen Verhandlungen anregte und ihm erst seine politische Selbstständigkeit wiedergab, die er seit dem dreißigjährigen Kriege verloren hatte; die Abschaffung der Adelsprivilegien, welche überall hemmend und störend einer freieren und einheitlichen Kraftentfaltung entgegentraten, den Erwerb beschränkten, den Ertrag des Bodens verringerten und den Nationalwohlstand so wie die Staatseinkünfte bedeutend schmälerten.
Wie Stein im Civilfache, so arbeitete Scharnhorst an einer vollständigen Reorganisation des Heerwesens; aus seinem Kopfe entsprang gleich der gerüsteten Minerva die Idee der allgemeinen Volksbewaffnung, welche aus Söldnern Vaterlandsvertheidiger schuf. Es war eine schöne Zeit, wo diese Männer im Verein mit dem trefflichen Schön, Niebuhr, Stägemann, Nikolovius etc. das große Werk der Ausbildung Preußens unter den schwierigsten Umstanden vornahmen und, von der innigsten Liebe zu ihrem Vaterlande beseelt, unter Hindernissen aller Art den Grund zu seiner Erhebung und dadurch zur Befreiung Deutschlands selber legten. So wurde Königsberg der eigentliche Heerd, auf dem die heilige Flamme der patriotischen Begeisterung im Stillen loderte, wo geräuschlos die Waffen für den künftigen Kampf geschmiedet wurden, während die Hauptstadt Berlin sich unter die Herrschaft der Franzosen schmiegte und kaum ein Lebenszeichen von sich zu geben wagte. In Königsberg hatte sich auch Fichte längere Zeit aufgehalten und dort Umgang mit den bedeutendsten Männern gepflogen, mit denen ihn seine echt deutsche Gesinnung, seine Liebe zur Freiheit, sein Haß gegen jede Tyrannei verband. Er war zu den Stiftern des Tugendbundes in nähere Beziehung getreten und brachte die erste Nachricht nach Berlin von jenem später so einflußreichen Verein, der sich bald über ganz Deutschlands erstreckte und den Samen der nachfolgenden Ereignisse ausstreuen half. Voll von diesen Eindrücken kündigte er unter den Augen der französischen Behörden seine „Reden an die deutsche Nation“ an. Eine Versammlung von ungefähr hundertundfünfzig Personen, welche allen Ständen angehörten, hatten sich in dem Saale der Akademie eingefunden. Neben dem blonden Jüngling saß der alte Gelehrte oder ein Staatsbeamter mit weißen Haaren, Officiere und Philologen, Männer der That und des Gedankens waren hier versammelt, um den Worten des berühmten Lehrers zu lauschen, selbst an Damen fehlte es nicht, welche sich weder von der Strenge des Gegenstandes, noch von dem philosophischen Inhalte abschrecken ließen. Man bemerkte den gelehrten Bernhardi, den geistreichen Dichter Ludwig Robert, den Componisten Zelter, Goethe’s Freunde, dort. Die Frau mit den scharfen und doch so feinen Zügen, deren dunkel feuriges Auge eine tiefe Seele, einen hohen Geist verrieth, war die später berühmt gewordene Rahel, die nachmalige Gattin Varnhagen van Ense’s, der ebenfalls als Zuhörer zugegen war. Alle Anwesenden erwarteten mit Spannung den angekündigten Vortrag, um daraus Trost und Erhebung in einer trostlosen Zeit zu schöpfen. Jetzt erschien der Redner, eine mittelgroße gedrungene Gestalt mit scharfen Zügen, gebogener Nase und klaren, blauen Augen, aus denen hell die Redlichkeit seines Charakters und die Festigkeit des Willens leuchtete. Mit wohltönender Stimme begann er seine Rede; „er sprach,“ wie ein Zeitgenosse und Zuhörer von ihm erzählt, „mit kräftiger Begeisterung dem gebeugten und irre gewordenen Vaterlandssinne Muth und Vertrauen zu, schilderte ihm die Größe der Vorzüge, die sich der Deutsche durch Unachtsamkeit und Entartung hatte rauben lassen, die er aber gleichwohl jeden Augenblick als sein unveräußerliches Eigenthum wieder ergreifen könne, ja solle und müsse, und wies dafür als das wahre, einzige und unfehlbare Hülfsmittel eine von Grund aus neu zu gestaltende und folgerecht durchzuführende Volkserziehung an. Sein strenger Geist ging auf vollständige Umschaffung unserer Zustände aus, wobei er nichts weiter verlangte, als daß überall das Wesentliche im Sittlichen wie im Geistigen gefördert und ausgebildet, das Scheinsame und Hohle dagegen aufgegeben und seinem eigenen Absterben überlassen würde, dann, meinte er, werde sich ohne gewaltsame Umkehr, durch die bloße Entwickelung aus dem Vorhandenen und Bestehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren die Nation seufzend entbehre, bemerklich und unveränderlich von selbst hervorbilden.“
Zum Schlusse dieser Vorträge wandte sich Fichte an die Jugend, wie an das Alter, an die verschiedenen Stände, an den Gelehrten wie an den Geschäftsmann, an die deutschen Fürsten und an das Volk beschwörend und ermahnend, sich von Selbstsucht zu befreien und Alles daran zu setzen für die Rettung des Vaterlandes. Den Fürsten rief er zu: „Diejenigen, die Euch gegenüber so thun, als ob man Euch gar nichts sagen dürfte oder zu sagen hätte, sind verächtliche Schmeichler, sie sind arge Verleumder Eurer selbst; weiset sie weit weg von Euch. Die Wahrheit ist, daß Ihr ebenso unwissend geboren werdet, als wir andern alle, und daß Ihr hören müsset und lernen, gleichwie auch wir, wenn Ihr herauskommen sollt aus dieser natürlichen Unwissenheit. Jetzt beginnt, so wie für uns alle, also auch für Euch ein neues Leben. Möchte doch diese Stimme durch alle die Umgebungen hindurch, die Euch unzugänglich zu machen pflegen, bis zu Euch dringen! Mit stolzem Selbstgefühl darf sie Euch sagen: Ihr beherrscht Völker, treu, bildsam, des Glückes würdig, wie keiner Zeit und keiner Nation Fürsten sie beherrscht haben. Sie haben Sinn für die Freiheit und sind derselben fähig; aber sie sind Euch gefolgt in den blutigen Krieg gegen das, was ihnen Freiheit schien, weil Ihr es so wolltet. Sie dulden und tragen seitdem die drückende Last gemeinsamer Uebel; und sie hören nicht auf, Euch treu zu sein, mit inniger Ergebung an Euch zu hangen und Euch zu lieben, als ihre ihnen von Gott verliehene Vormünder. Möchtet Ihr sie doch, unbemerkt von ihnen, beobachten können; möchtet Ihr doch, frei von den Umgebungen, die nicht immer die schönste Seite der Menschheit Euch darbieten, herabsteigen können in die Häuser des Bürgers, in die Hütten des Landmannes und dem stillen und verborgenen Leben dieser Stände, zu denen die in den höheren Ständen seltener gewordene Treue und Biederkeit ihre Zuflucht genommen zu haben scheint, betrachtend folgen können; gewiß, o gewiß würde Euch der Entschluß ergreifen, ernstlicher als jemals nachzudenken, wie ihnen geholfen werden könne. Die Ueberzeugung aber, daß etwas geschehen müsse, und daß die Zeit der halben Maßregeln und der Hinhaltungsmittel vorüber sei: diese Ueberzeugung möchten diese Reden gern, wenn sie könnten, bei Euch selbst hervorbringen, indem sie zu Eurem Biedersinne noch das meiste Vertrauen hegen.“
Wie die Fürsten, so ermahnt er auch das deutsche Volk folgendermaßen: [371] „Es vereinigen sich mit diesen Reden und beschwören Euch Eure Vorfahren. Denket, daß in meine Stimme sich mischen die Stimmen Eurer Ahnen aus der grauen Vorwelt, die mit ihren Weibern sich entgegen gestemmt haben der heranströmenden römischen Weltherrschaft, die mit ihrem Blute erkämpft haben die Unabhängigkeit der Berge, Ebenen und Ströme, welche unter Euch den Fremden zur Beute geworden sind. Sie rufen Euch zu: vertretet uns, überliefert unser Andenken eben so ehrenvoll und unbescholten der Nachwelt, wie es auf Euch gekommen ist, und wie Ihr Euch dessen und der Abstammung gerühmt habt. Denn sollte der deutsche Stamm einmal untergehen in das Römerthum, so war es besser, daß es in ein altes geschähe, denn in ein neues. Wir standen jenem und besiegten es; Ihr seid verstäubt worden von diesem. Auch mischen sich in diese Stimmen die Geister Euerer späteren Vorfahren, die da fielen im heiligen Kampfe für Religions- und Glaubensfreiheit. Rettet auch unsere Ehre, rufen sie Euch zu. – Es beschwören Euch Eure noch ungebornen Nachkommen. Ihr rühmt Euch Eurer Vorfahren, rufen sie Euch zu, und schließt mit Stolz Euch an eine edle Reihe. Sorget, daß bei Euch nicht die Kette abreiße, wachet, daß wir auch uns Eurer rühmen können, und durch Euch als untadliges Mittelglied hindurch uns anschließen an dieselbe glorreiche Reihe. Veranlaßt nicht, daß wir uns der Abkunft von Euch schämen müssen, als einer niederen, barbarischen, sclavischen, daß wir unsere Abstammung verbergen oder einen fremden Namen und eine fremde Abkunft erlügen müssen, um nicht sogleich, ohne weitere Prüfung, weggeworfen oder zertreten zu werden. Wie das nächste Geschlecht, das von Euch ausgehn wird, sein wird, also wird Euer Andenken ausfallen in der Geschichte, ehrenvoll, wenn dieses ehrenvoll für Euch zeugt; sogar über die Gebühr schmählich, wenn Ihr keine laute Nachkommenschaft habt und der Sieger Eure Geschichte macht. – Hoffet nicht und tröstet Euch nicht mit der aus der Luft gegriffenen, auf bloße Wiederholung der schon eingetretenen Fälle rechnende Meinung, daß ein zweites Mal, nach Untergang der alten Bildung, eine neue, auf den Trümmern der ersten, aus einer halb barbarischen Nation hervorgehen werde. In der alten Zeit war ein solches Volk, mit allen Erfordernissen zu dieser Bestimmung ausgestattet, vorhanden und war dem Volke der Bildung recht wohl bekannt, und ist von diesem beschrieben, und diese selbst, wenn sie den Fall ihres Unterganges zu setzen vermocht hätten, würden an diesem Volke das Mittel der Wiederherstellung haben entdecken können. Kennen wir nun ein solches, dem Stammvolke der neuen Welt ähnliches Volk, von welchem gleiche Erwartungen sich hoffen ließen? Ich denke, jeder, der nur nicht blos schwärmerisch meint und hofft, sondern gründlich untersuchend denkt, werde die Frage mit Nein beantworten müssen. Es ist also kein Ausweg: wenn Ihr versinkt, so versinkt die ganze Menschheit mit, ohne Hoffnung einer einstigen Wiederherstellung.“
So redete und eiferte Fichte ohne Menschenscheu und Furcht, wie die Propheten des alten Bundes, welche das Volk aus seiner sittlichen und politischen Erschlaffung durch die Gewalt des Wortes aufrüttelten.
Mitten in seinen Vorträgen mußte er oft inne halten, übertönt von dem Lärm und Gerassel, welches die Trommeln der vorbeiziehenden französischen Truppen verursachten; eine schmerzliche Mahnung an die fremde Herrschaft, aber zugleich eine Aufforderung[WS 1], dieselbe zu bekämpfen. Dann erfaßte wohl die Versammlung auf einen Augenblick noch bange Furcht für das Leben und die Freiheit des kühnen Redners, und die Erinnerung an den blutigen Schatten des ermordeten Palm schwebte durch den Saal; aber Fichte ließ sich dadurch nicht einschüchtern, die Trommeln der Sieger konnten seine Stimme übertönen, doch nicht unterdrücken. Von Spionen umringt, von Angebern belauscht, fuhr der berühmte Philosoph ruhig wieder fort, und weckte so durch sein Beispiel wie durch seine Rede das schlummernde Nationalgefühl der Deutschen. Die französischen Behörden schienen in der That mit Blindheit geschlagen zu sein; sie hinderten weder die von Fichte gehaltenen Vortrage, noch den späteren Druck derselben, der bis auf einige von der Censur beanstandete unwesentliche Stellen gestattet wurde.
Kaum zu schildern war die Wirkung dieser Reden; sie wurden von den Zuhörern mit Begeisterung aufgenommen, ihr Inhalt weit über den Kreis derselben hinaus verbreitet und so der spätere Name „Reden an die deutsche Nation“ vollkommen gerechtfertigt. Fichte wurde bewundert, angestaunt und manches Herz zitterte für den unerschrockenen Mann, dessen Freiheit und Leben an jedem seiner Worte wie an einem Faden hing. Solcher Muth, solches Vertrauen auf die den Deutschen innewohnende Kraft mußte nothwendiger Weise belebend, aufrichtend, tröstend wirken und Nacheiferung erwecken.
Wie Fichte auf dem Katheder, so sprach der berühmte Schleiermacher im gleichen Sinne und von ähnlich patriotischen Gefühlen geleitet, von der Kanzel herab. Er war nach der Schlacht bei Jena und in Folge der von Napoleon decretirten Auflösung der Universität Halle, wo er als Lehrer und Prediger sich eines großen Rufes schon erfreute, nach Berlin gekommen. Hier hielt er zunächst wissenschaftliche Vorlesungen, die allgemein ansprachen; weit wichtiger wurden jedoch seine Kanzelvorträge. In der Dreifaltigkeitskirche sah man, seit Schleiermacher daselbst predigte, ein Publicum, das dem gebildetsten Theile der Nation angehörte. Männer und Frauen der höchsten Stände lauschten seinen tiefsinnigen und begeisterten Worten, welche nicht nur den religiösen Sinn, sondern eben so sehr die Liebe zum Vaterlande und zur Freiheit wach riefen. Es war ein wunderbares Schauspiel, die früher leer gebliebene Kirche füllte sich nicht nur mit dem gläubigen Volke, sondern mit dem intelligenten, skeptischen, stets kritisirenden Theile der Bevölkerung, mit hochgestellten Beamten, geistreichen Frauen, mit den Notabilitäten der Wissenschaft. Auf der Kanzel erschien ein verwachsener Mann mit hohen Schultern, unansehnlich von Gestalt, aber mit einem geistigen Ausdruck in dem scharf geschnittenen Gesicht, das von langen, wallenden Haaren umgeben wurde. Das war der berühmte Schleiermacher; sein kluges Auge ließ er über die Versammlung schweifen, ein ihm eigenthümliches, geistiges Lächeln schwebte um die feinen Lippen und er begann jene Reden, welche sich durch Kühnheit der Gedanken, durch den Schwung ihres Vortrages auszeichneten, Predigten, wie man sie nie früher an solcher Stelle vernommen, wie man sie am wenigsten jetzt in Berlin hört, wo ein Schleiermacher kaum noch für einen Christen gilt. Hier entwickelte er vor einem solchen Auditorium, wie es ebenfalls kaum wieder gefunden werden dürfte, seine patriotischen Ideen, seine Hoffnungen auf eine bessere Zukunft und die Mittel, dieselbe herbeizuführen. Die Kanzel war für ihn kein bequemer Lehnstuhl, von dem ein schläfriger Prediger die Postille abliest, keine Richterbank, welche der geistliche Hochmuth zur Abstrafung armer Sünder benutzte; sie war für Schleiermacher die Werkstätte des lebendigen Denkens, der Heerd der Begeisterung für alles Große, Edle und Schöne. Wie einst Demosthenes in Athen gegen die Tyrannei eines Philipp von Macedonien und für die Freiheit sprach, so redete Schleiermacher in Berlin gegen Napoleon und für Erlösung Deutschlands von seinem Joche. Auch er war wie Fichte kein bloßer Gelehrter, sondern ein Mann der That. Als solcher stand er ebenfalls sowohl mit den Stiftern des Tugendbundes, wie mit all den Geistern in Verbindung, welche im Geheimen und auch offen für die Sache Deutschlands wirkten. Seine ausgesprochene Gesinnung hatte die Aufmerksamkeit des Generals Davoust auf sich gezogen, der ihn vor sich rufen ließ, und ihn in seiner barschen Weise mit Drohungen anfuhr. Zum Glück lagen gegen Schleiermacher damals keine positiven Beweise vor, so daß ihn Davoust ungekränkt entlassen mußte. Trotz der ihm zu Theil gewordenen Verwarnung hielt der berühmte Redner nach wie vor seine Kanzelvorträge in demselben Geiste wie früher, ohne sich von den Drohungen und Ermahnungen der französischen Gewalthaber einschüchtern zu lassen.
So kam allmählich das Jahr 1812 und der unglückliche Feldzug Napoleons nach Rußland. Der Abfall York’s fand einen allgemeinen Anklang und erregte die Gemüther auf’s Höchste. Die Saat, von Stein und seinen Gehülfen ausgestreut, von Fichte, Schleiermacher und ähnlichen Geistern gehegt, war aufgegangen, der Tag der Ernte war gekommen. Von Breslau erließ Friedrich Wilhelm der Dritte seinen Ausruf „an mein Volk.“ Es war das erste Mal, daß ein deutscher Fürst sich mit solchen Worten an die Nation wandte. Groß war der Augenblick und jeder Einzelne fühlte sich gehoben. Der Bauer verließ den Pflug, der Gelehrte seine Bücher, der Beamte seine Schreibstube, und folgte dem Rufe des Königs. Die Jugend eilte zu den Waffen und Knaben wurden über Nacht zu Männern, selbst Frauen blieben nicht zurück, verbargen ihr Geschlecht und traten in die Reihen der Kämpfenden. Mit Sang und Klang zogen die freiwilligen Jäger aus unter schmetternden Hörnertönen, in ihren Reihen der edle [372] Theodor Körner, der die Leyer und das Schwert mit gleicher Kraft und Liebe schwang, bis er auf dem Schlachtfelde die Schuld des Vaterlandes mit seinem Leben zahlte; auch ein Held des Geistes wie der That.
All überall ging es wie Sturmeswehen durch die deutschen Gauen, Niemand wollte zurückbleiben, die Gebrechlichen und Krüppel, die Schwachen und Alten, welche den Anstrengungen eines Krieges nicht gewachsen waren, und deshalb nicht mitziehen konnten, rüsteten sich mit Schwert und Lanze und bildeten den Landsturm, der neben den Linientruppen und der Landwehr oft treffliche Dienste leistete. In Berlin war die Hasenheide vor dem Hallischen Thore der Sammelplatz desselben. Unter den Kiefern auf demselben Sandboden, auf welchem die jugendlichen Turner im altdeutschen Sammetrock und mit langen Haaren unter Anleitung von „Vater Jahn“ ihre Glieder stählten und mit dem Körper auch den Geist kräftigten, sah man jetzt so manchen ehrsamen Bürger der Hauptstadt mit ungewohnten kriegerischen Uebungen beschäftigt. Friedliche Kaufleute übten sich im Angriff und in der Vertheidigung, stille Gelehrte schulterten das Gewehr, Künstler und Schauspieler schossen nach der Scheibe und wohl noch mehr daneben. Da gab es wunderliche Figuren und manche komische Erscheinung; dicke Bierbrauer, welche im Schweiße ihres Angesichts jetzt exercirten, kleine, magere Schneider, welche statt der leichten Nähnadel die schwere Lanze schwangen. Auch war die Bewaffnung und Bekleidung so bunt und mannigfach als möglich; der Eine erschien mit einem Dreimaster und einem Rappier, der Andere in der Mütze und mit einem Husarensäbel; der schwang den Spieß und jener schleppte an zwei rostigen Pistolen. Wer an den regelmäßigen Anblick und an die militairische Gleichmäßigkeit der Liniensoldaten dachte, der mochte mit Mühe nur ein Lächeln unterdrücken, aber an Patriotismus und Eifer gab der Landsturm gewiß keiner regelmäßigen Truppengattung nach. Es gehörten die angesehensten Männer dazu und auch der berühmte Fichte, so wie Schleiermacher waren Mitglieder desselben. Der erstere erschien sogar bei allen Uebungen nach antiker Weise nicht nur mit der stattlichen Lanze, sondern auch mit einem von ihm vorgeschlagenen, leichten Schilde bewaffnet, worüber der sarkastische Schleiermacher seinen bekannten Witz nicht unterdrücken konnte.
„Lieber Professor!“ rief er ihm schon von Weitem zu, „Sie gleichen ja vollkommen dem rasenden Ajax mit seinem berühmten Schild von sieben übereinander gelegten Ochsenhäuten.“
Fichte schmunzelte und verzog sein ernstes Gesicht zu einem kaum merklichen Lächeln, indem er seinerseits den kleinen Schleiermacher mit der schweren Flinte neckte, die dieser kaum zu schleppen vermochte.
„Sie führen da eine furchtbare Waffe, eine niederschmetternde Feder,“ scherzte er, „wie sie einem Schüler des sanften Plato am wenigsten zukommt.“
„Mit dieser Feder hoffe ich einen Lobgesang auf die deutsche Freiheit zu schreiben und ein Spottgedicht auf den Sturz Napoleons.“
„Das laß ich mir gefallen,“ erwiderte der berühmte Philosoph mit gewohntem Ernst und reichte Schleiermacher die Hand, welche dieser herzlich drückte. „Man muß den Usurpator mit allen uns zu Gebote stehenden Waffen bekämpfen, mit dem Wort, wie mit dem Schwert, mit der Feder des Geistes, wie mit der Lanze des Landsturmes. Wenn nicht alle Kräfte des Vaterlandes sich zusammenthun und vereinen, wenn nicht jeder Muskel, jeder Nerv angespannt wird, so dürfte der Sieg kaum zu erringen sein. Wir haben es mit einem furchtbaren Gegner zu thun, und noch ist die Gefahr zunächst für Berlin nicht einmal vorüber.“
„Einstweilen hat der wackere Bülow den Franzosen bei Großbeeren den Weg gewiesen. Unsere Landwehr hat Wunder von Tapferkeit gethan. Als die vom Regen durchnäßten Gewehre nicht mehr losgehen wollten, schlugen die braven Burschen mit Kolben drein und munterten sich mit dem Zuruf auf: „det fluscht better.“
„Der Geist im Heere ist trefflich; leider scheint in der Führung nicht die nöthige Einigkeit zu herrschen. Die Nachrichten vom böhmischen Heere lauten nicht eben tröstlich. Schwarzenberg hat den Rückzug antreten müssen und auch von Blücher hört man aus Schlesien nicht gerade Erfreuliches.“
„Für den alten Husaren hab’ ich keine Furcht. Geben Sie Acht, ehe wir uns versehen, erfahren wir von ihm ein echtes Reiterstücklein.“
In demselben Augenblicke erschien ein trotz seines hohen Alters noch immer stattlicher Mann von einem vornehmen Aeußern im blauen Leibrock und mit fein gefältelter Calotte, die Flinte auf der Schulter. Man konnte ihn für einen höhern Staatsbeamten halten. Sein großes, sprechendes Auge schien vor Freude zu glänzen. Er beschleunigte seinen sonst gemessenen und würdevollen Gang, als wollte er sich beeilen, der Erste zu sein, um eine frohe Botschaft zu überbringen.
„Sieh da, Herr General-Director Iffland!“ rief ihm Schleiermacher schon von Weitem entgegen und reichte ihm die Hand.
Der berühmte Schauspieler schöpfte tief Athem, ehe er den Gruß des ausgezeichneten Theologen erwiedern konnte. Dem Meister des Wortes fehlte nun das rechte Wort, so hatte er sich aufgeregt.
„Sieg!“ rief er endlich mit zitternder Stimme, „doppelter Sieg! Blücher hat die Franzosen an der wüthenden Neiße in Schlesien auf’s Haupt geschlagen und Vandamme ist bei Kulm in der Nähe von Teplitz gänzlich vernichtet, sein Heer aufgerieben und er selbst gefangen worden.“
Es war zu viel des Glückes; die edlen Vaterlandsfreunde wagten kaum, daran zu glauben. Schleiermacher hatte seine Hände gefaltet und in Fichte’s Augen glänzte eine Thräne.
„Woher haben Sie die Nachricht?“ fragte dieser, eine neue Täuschung fürchtend.
„Ich habe einen Brief von Gneisenau gelesen und außerdem bin ich auf dem Kriegsministerium gewesen, wo das freudige Ereigniß ebenfalls bekannt ist. Morgen wird es schon in den Zeitungen stehen.“
Niemand vermochte zu sprechen, sie standen stumm; der Schauspieler, der Philosoph und der Kanzelredner hatten ihre Blicke zum Himmel empor gerichtet und dankten leise, jeder in seiner Art, dem Helfer in der Noth.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht unter den übrigen Landsturmleuten; sie schlossen einen Kreis um die drei berühmten Männer, welche ihnen die näheren Mittheilungen machten, so weit sie davon selber Kenntniß hatten.
Iffland schloß den Bericht mit dem Rufe: „Es leben die Sieger an der Katzbach und bei Kulm!“
„Sie leben!“ wiederholten die Landstürmer, ihre Mützen und Hüte schwingend.
Von jener unwillkürlichen Begeisterung erfaßt, welche die Menge bei ähnlichen großen Ereignissen zu ergreifen pflegt, stimmten Einige das schöne Lied an: „Eine feste Burg ist unser Gott.“
So zogen die Vaterlandsvertheidiger und an ihrer Spitze Fichte, Schleiermacher und Iffland singend von der Hasenheide nach Berlin, den Sieg ihrer Cameraden feiernd. Das war ein schöner Tag.
Ein Jahr später erlag Fichte dem Typhus, und starb daran als ein Opfer seiner Menschenfreundlichkeit und seines Patriotismus. Auf seine Veranlassung hatte sich seine Frau der Pflege der Nervenfieberkranken in den Spitälern gewidmet; sie selber wurde angesteckt; sie genas, aber an ihrem Krankenbette holte sich Fichte den Todeskeim; er starb den 29. Januar 1814, im Leben wie im Tode ein echter Freund des Vaterlandes, der mit dem Wort wie mit der Waffe für dasselbe kämpfte. Ehre den deutschen Gelehrten, die ihm gleichen!
Die alten Griechen erzählten ein Märchen von dem bösen Manne Prokrustes, der die Leute in ein zu kurzes Bette gezwängt und die zu langen Glieder ihnen abgeschnitten, oder umgekehrt in einem zu langen Bette die Gemarterten so lange gestreckt [373] habe, bis sie es ausfüllten. Die Deutschen haben dafür das Märchen von Aschenbrödels Schwester, welche sich die zu große Ferse abhackte, um in den kleinen Schuh zu passen. Die Qualen, welche der Chinese den Füßen seiner Töchter, der Karaibe den Köpfen seiner Knaben zufügt, um sie in modische Formen zu pressen, sind aus der Erd- und Völkerbeschreibung bekannt, nebst hundert andern der Mode zu Liebe sich zugefügten Selbstquälungen der Völker: Nasen-, Ohren-, Mund-Durchlöcherungen, Einschnitten und Tättowirungen in die Haut, Zahnabfeilen, Umschnüren einzelner Glieder u. dergl. mehr. – Leider sind wir civilisirten Europäer nicht berechtigt, diese Abgeschmacktheiten barbarischer Wilder zu belächeln; denn wir machen es nicht viel besser! Abgesehen von den berüchtigten Schnürleibern, Crinolinen und regenschirmartigen Strohhüten der Damen, engen Beinkleidern, Hosengurten und Halsbinden der Herren etc.: so ist die Art, wie wir unsere Füße von dem Schuhmachern der Mode zu Liebe mißhandeln lassen, völlig prokrustesmäßig. Der Grundsatz, „daß der Schuh sich nach dem Fuße richten müsse,“ ist unsern modischen Fußbekleidungskünstlern ganz fern. Die „Chaussüre“ muß „elegant“ sein und der Fuß sich so lange nach ihr strecken, bis sie sich ein wenig nach ihm gestreckt, „sich ausgestreckt“ hat. „Il faut souffrir pour être beau“ d. h. Hoffahrt muß Zwang leiden! Die Mehrzahl der Verunschönungen des Fußes, dicke Ballen, verdrehte und übereinander gelegte Zehen, lätsche Beinstellung nach innen oder außen, stinkende Schweiße zwischen den Zehen, Blasen und Wundsein an den Hacken, vor allen aber die zahllosen Milliarden von Hühneraugen oder Leichdörnern, – und im Gefolge aller dieser Uebel unzählige Schmerzen, die das Leben verbittern und das Gemüth vergällen: – das sind die Folgen des Beinverschönerungssystems unserer modernen Fußkünstler!
Werfen wir, um diese Behauptung zu begründen, einen Blick auf die Gestalt des modischen Schuhwerkes und des (dazu gehörigen) Fußes selbst. Nebenstehend ist die regelrechte Gestalt der Fußsohle gezeichnet, wie sie sich z. B. im Staube der Landstraßen häufig abgedrückt findet. Der Fuß, dessen untere Fläche sich uns hier darstellt, ist nicht eine einfach feste starre Masse, sondern ein feingegliederter Bau, dessen Gerüste aus 26 einzelnen Knochen besteht, welche durch elastische Bänder so aneinander gefügt sind, daß sie zusammen ein Gewölbe bilden, welches den darauf gestützten Körper trägt, und dabei doch auch elastisch ist (federt). Die den größten Theil der Körperlast tragende Linie oder Richtung ist Fig. 1. mit a bezeichnet; sie geht von der Mitte der Ferse aus in die Mitte der großen Zehe (oder anders ausgedrückt, die nach hinten fortgesetzte Längenaxe der großen Zehe trifft in den Mittelpunkt der Ferse). Beim Stehen tragen so Ferse und große Zehe zugleich die Körperlast.
Wenn im Gehen der Fuß erhoben wird, so wickelt er sich in ebendieser Linie aa vom Boden ab, zuerst die Ferse, dann die große Zehe. Soll also die Sohle eines Schuhes gut, d. h. zum Gehen brauchbar gestaltet sein, so muß sie diese Hauptbewegung ermöglichen; es muß sich in ihr so, wie Fig. 2. zeigt, die Linie aa wiederfinden. – So sind nun aber modische Schuhe nicht gebaut. Dem Schuhmacher scheint seine Aufgabe nicht darin zu bestehen, daß er dem Fuße eine das Gehen durch ihren Schutz erleichternde Hülle
gebe. Sein Ziel ist vielmehr, diese Zusammenhäufung von Knochen, Fleisch und Haut, „Fuß“ genannt, in einen möglichst kleinen Raum zu packen, welchen Er (der Schuhverfertiger) für schön hält. Er geht hierbei von dem Grundsatze aus, daß bei dieser Verpackung die Masse von beiden Seiten her gleichmäßig zusammengedrückt werden müsse: nach einer Linie hin, welche wir Fig. 1. mit bb bezeichnen. – Um diese Linie wird symmetrisch (oder nur wenig asymmetrisch) eine Figur gezeichnet, welche aus festem Leder geschnitten, die Schuhsohle bildet, über welche sich dann ein möglichst enges Oberleder erhebt. Nachstehende Fig. 3. gibt uns eine Skizze davon, wie sich der Fuß in dem eleganten neuen Stiefel verhält.Er hat aufgehört ein Fuß zu sein; er ist nur noch eine Masse, die allenfalls noch zum Stützen des Körpers, aber nicht zum Gehen dienen kann, wenigstens nicht ohne Mühe und Unbeholfenheit und nicht ohne dauernden Schaden des Fußes selbst. Die große Zehe wird von ihrer Grundlinie aa hinweg- und von ihrer Wurzel an nach der Eleganz-Linie, bb, hingebogen, gegen die kleinen Zehen gedrängt und mit diesen zusammengepreßt, so daß sie miteinander ein Dreieck bilden, dessen Spitze in der Mitte des vorderen Schuhendes liegt. So entstehen jene lebenslänglichen Ausrenkungen der großen Zehe, mit Gelenksteifigkeit am Ballen derselben, welche einen häufigen Gegenstand der Chirurgie, und noch hundert Mal häufiger der Klagen im gemeinen Leben werden. (Oft fälschlich für „Gicht-“ oder „Frostballen“ gehalten.) In Folge des steten Druckes auf die äußere Seite des Nagels der großen Zehe, wodurch der Nagel gewölbt, sein Rand nach unten gedrängt und die ihn bedeckende Haut darüber hinweggewölbt ist, entsteht das so schmerzhafte und oft Monate lang zum Gehen untüchtig machende Uebel des eingewachsenen Nagels, welches oft in böse Eiterungen und Gewebswucherungen (wildes Fleisch) übergeht. Auf die andere innere Seite des Nagels legt sich nicht selten die zweite Zehe und bewirkt durch Druck und Schwitzen eine Erweichung desselben und ein nicht minder schmerzhaftes Wundsein (Excoriation) seiner Nachbarhaut. Auch die anderen Zehen werden oft nicht minder ausgerenkt, in ihren Gelenken schleichend entzündet und endlich versteift (anchylosirt), oder über und unter einander geschoben. Zu allen diesen Qualen gesellen sich nun noch die Hühneraugen, die unvermeidlichen Quälgeister der eleganten Welt, die nach jedem Hinwegschneiden und trotz der hundert zu theuren Preisen ausgebotenen Hühneraugenpflastern (denen das in jeder Apotheke billig zu habende gemeine schwarze oder grüne Hühneraugenpflaster vollkommen die Wage hält) immer von Neuem nachwachsen, so lange der Schnitt der Fußbekleidung nicht geändert wird. – Es ließe sich noch mancherlei über die Nachtheile der herkömmlichen Gestalt unserer Fußbekleidung sagen: wie die zweckwidrige Sohlengestalt und das enge Oberleder Ursache an dem so häufigen Vorkommen der Plattfüße sind; wie die gebräuchlichen schmalen und hohen Absätze nicht blos zum Niedertreten der Stiefel, sondern auch zu falscher Haltung und Entwickelung des Fußes selbst führen u. s. w. Doch wir wollen keine gelehrte Abhandlung schreiben, sondern nur ein Wort der Warnung, und dazu genügt das Gesagte. Möge es jeder beherzigen, dem sein eigenes Wohl mehr am Herzen liegt, als ein schädliches Vorurtheil! Möge es namentlich dahin führen, daß man die Klagen der Kinder über Schuhdruck nicht zurückweise, und daß man einsehe, welch’ eine große Verantwortlichkeit Diejenigen auf sich laden, welche den Kindern absichtlich zu enge und zu kurze Schuhe geben, damit dieselben „einen schönen kleinen Fuß“ bekommen!
Einer der englischen Touristen, die mit Bischof Clayton vor Kurzem den Berg Sinai besucht hatten, kam auf seinem Rückwege nach Sicilien. Mit seiner Vorliebe für Fuß- und Bergwanderungen, für Verspätung in wilden Wäldern und Abendbrod unter einem Felsendache am selbstbereiteten Feuer, kam er auch auf den Gedanken, den Aetna zu besteigen, dessen ungeheuere Kastanienbäume zu sehen und den [374] üppigen, großen Gürtel wunderbarer Vegetation, der dessen Kegel als Grenze der feurigen Lavaströme umgibt, zu bewundern.
Der Name unseres Reisenden klingt, wie alle englische Namen, sehr unromantisch: Fennel. Seine Gefährten, ein Geistlicher und ein Advocat, sind gar nicht genannt, eben so wenig zwei Diener, welche mit einer dauernden, stillen Wuth über Mangel an Porterbier und englischen Fleischkeulen die drei Herren begleiten und mit gemietheten Führern bedienen.
Sie folgten von der Stadt Catania, der nächsten am Aetna, ihren Führern durch ein wildes Labyrinth von Wald und Wildniß, Schlünden und Schluchten, Höhlen und Höllen, welche den Kegel des Vulcans wie warnende Ungeheuer umlagern. Schon seit einer Woche hatte der Krater Spuren innerer Unruhe verrathen. Erdbeben zitterten leise unter der Stadt hin und wogten mit dem Steinpflaster unter den Füßen der Menschen, als sei’s Wasser, gaben dem Kopfkissen des Schlafenden die Bewegungen eines geschaukelten Kahns und stießen Gläser und Tassen zusammen, jedoch ohne Häuser einzustürzen und die Catanier zu beunruhigen. Sie waren ja von der Wiege an so gewiegt worden. Ihre Häuser stehen auf Lava, gebaut von Lava. Ihre üppigen Blumen und Früchte nähren sich von zersetzter Lava, sie selbst leben von Lava und sind halb Lava, halb Vulcan, wie in einem gewissen Grade alle Sicilianer: von Außen kalt, inwendig voll Feuer, sehr leidenschaftlich fühlend, gedankenlos, stets auf dem Sprunge zu einer wüthenden Eruption.
Unser Herr Fennel wollte gern eine Eruption sehen, aber die Catanier sagten ihm, da könne er vielleicht lange warten. Manchmal grolle und grunze der Aetna sechs bis acht Wochen lang, ehe er sich seiner innern Qual wirklich entledigen könne. Manchmal komm’ es auch schnell, doch könne man’s nie vorher wissen. Der Engländer meinte, er könne und werde Monate lang warten; inzwischen sei es gut, sich den Krater mal in der Nähe anzusehen. So hatte er sich mit zwei Landsleuten, Dienern und Führern aufgemacht. Ein dünner brauner Rauch aus dem Aetnaschlunde spann sich in einem scharfen Westwinde zu langen Fäden aus durch die Luft, bis die eintretende Nacht zuweilen rothe Funken und Streifen durch die geschlängelten Rauchfelder zog. Die Funken und Streifen wurden zuweilen zu ganzen feurigen Athemzügen, welche mit einem tiefen, dumpfen, hörbaren Unmuthe aus der Brust des Kraters ausgestoßen wurden.
Was sie auf dem so stoßweise beleuchteten nächtlichen Wege sahen, fühlten, dachten und sprachen, würde kaum in einem Bande zu sagen sein. Sicilien ist jeden Zoll breit voller Wunder. Es ist noch keinem Reiseschriftsteller gelungen, diese erhabene, furchtbare, hier überschwenglich liebliche, dicht daneben bleichen Schrecken athmende Scenerie der Aetnainsel zu schildern. Mit jedem Schritte geht man thatsächlich Über einen unermeßlichen Abgrund dünn überkrusteten ewigen Feuers. Die dünne Kruste kann jeden Augenblick wogen wie das Meer, oder zersprengt werden wie ein Hauch. Von dem Aetnakegel her strecken sich weit unter dem Boden hin, meilenweit unter dem Meere fort, ungeheuere Lager von Schwefel, welche der ewig brennenden Hölle unter dem Himmel Siciliens seit Jahrtausenden Feuermaterial liefern, der Hölle, dessen Schornstein sich 10,000 Fuß hoch erhebt im Aetna-Krater. Mit jedem Athemzuge fühlt man etwas von der Wärme dieses innern ewigen Schwefelfeuers, der innern Heizung, welche, durch Erdrinde und Felsen dringend, einen ewig blühenden Himmel von Gewächshausvegetation treibt, unbekannt in andern Himmelsgegenden unter gleichen Breitengraden. Aber ungeachtet dieser Kenntniß setzt man mit den Bewohnern Vertrauen in die himmlische Oberfläche und giebt sich gern dem Glauben hin, daß diese ungeheuern, kochenden Schwefelmeere, auf denen die blühende Insel schwimmt, und alle die fürchterlichen Apparate unten, welche den Paradiesesglanz oben bedingen, dem Paradiese oben vorläufig noch erlauben werden, heiter und ruhig weiter zu schwimmen.
Man braucht auf gewöhnlichem Wege mit guten Führern etwa zwölf Stunden, um den Aetna zu besteigen. In der Regel wird Abends aufgebrochen, wenn man die Sonne oben aufgehen sehen will. Tüchtige Maulesel, die derb zuschreiten, erlauben Zeit, nach Mitternacht ein Stündchen zu ruhen, und etwa um drei Uhr die Reise zu vollenden.
Mr. Fennel’s Führer, despotisch wie alle Führer und Herren, so lange ihre Function dauert, erklärten erst um ein Uhr in der Nacht, daß jetzt Zeit und hier die Stelle zum Halten und Rasten sei. Jeder war damit zufrieden, da die Nachtreise bisher körperlich wie geistig eine Tortur gewesen war. Man hat keine Idee von der furchtbaren Erhabenheit einer Nachtreise in Sicilien, besonders von Catania nach dem Aetnakrater. Welche Abgründe von riesigen Schatten und Schreckbildern dunkeln vor den angestrengten Augen aus den Tiefen und Höhen und unergründlichen Fernen! Ungeheuere, monströse Riesen von Berghäuptern winken und drohen von oben; aus hohler, tiefer, tiefer Unterwelt brummt und murmelt es unheimlich herauf an den jähen Felsen, auf dessen schmaler Kante des Maulthiers Fuß vorsichtig knattert. Aus Wald und Weite dringen seltsame, unerklärliche Töne, heulende, kreischende, rauschende, ängstliche, drohende, pfeifende Laute herauf. Man springt den Führern nach über Klüfte, zwischen denen ein losgebröckelter Stein hohl und dumpf anprallt und mit langsam verschwindendem Geräusch dem Abgrunde verfällt. Im wilden Zickzack geht’s weiter und weiter, höher und höher über die Gesichter verzerrter Klippen hinweg, in immer wildere Verschlingungen und Verlegenheiten, über welche die Führer nur spärliche Auskunft geben, so daß man ihnen, vor Angst und Anstrengung schwitzend, unbedingt folgen muß. Unter solchen Umständen klingt ihr gebieterisches Halt! gar angenehm, wie in dem vorliegenden Falle. Die Diener und Führer machten Feuer, um Kaffee zu kochen und den scharfen Zug der kalten Nachtluft zu erwärmen, während Fennel die kolossalen Terrassen hinunter nach dem Meere schaute, in ein dämmerndes Chaos von Landschaft und Städten, begrenzt von dem leuchtenden Silberbande des Meeres. Das Meer schaut auch während der Nacht mit leuchtender Brust in die Sterne hinauf. Diese Nacht funkelten außerdem schwimmende Lichtinseln der Phosphorescenz bis zum Tarentinischen Vorgebirge hin auf. Die Wissenschaft mag diese Phosphorescenz eben so deutlich erklären, wie den Gedankenproceß im Menschen, der ja nach einer Autorität auch blos eine Phosphorescenz sein soll. „Kein Gedanke ohne Phosphor.“ Aber wer antwortet dabei auf die Unruhe von tausend himmelhohen Fragezeichen, die aus dem brennenden Wasser aufsteigen, aus den schwimmenden Feuerinseln, den meilenlangen Gewinden von Gluthwärmern, die auf den Wellenkämmen sich hinschlängeln, verschwindend, aufleuchtend, in neuen Gestalten und Lichttönen abdunkelnd und wieder hell aufschießend? Auf die Gefühle, Stimmungen und Ahnungen, welche die Menschenbrust vor solchen Scenen durchschauern?
Mr. Fennel ward von diesem Genusse zu dem körperlichen, den die Diener bereitet hatten, gerufen. Nachher wickelte sich Jeder, mit Ausnahme einer Wache, in seinen Mantel vor dem Feuer, worauf die Führer sofort fest schliefen, wie rothe Indianer. Doch schon nach einigen Dutzend Minuten sprang einer derselben mitten aus seinem tiefen Schlafe auf, und roch prüfend in die Luft hinein, die plötzlich wärmer und wärmer ward. Er rief sofort alle Schläfer auf und zeigte auf den blutrothen Glanz, mit welchem sich der Himmel bedeckte und die furchtbare landschaftliche Scenerie unten recht schwarz färbte mit seinem Lichte.
„Der alte Bursche kommt uns zuvor!“ rief der Hauptführer. „Brechen wir auf!“
Die Eruption war in vollem Gange. Auf dem runden, von Bäumen umgebenen Knollen, wo sie standen, konnten sie deutlich rothe, breite, langsam sich fortwälzende, Bäume, Felsen niederkrachende und mit sich fortreißende Feuerwogen sehen, welche beide Seiten des Kegels, auf dem sie standen, in kurzer Zeit einschließen mußte. Ein unsäglicher Anblick.
„Wie entkommen wir?“ fragte endlich Fennel die vor Schreck stummen Führer.
„Wissen’s nicht. Nie in solcher Lage gewesen. Aber fort, rasch fort. Hier würden wir bald Asche sein bis auf die Knochen. Die Bäume krachen. Die Lava verfolgt ihre beiden Hauptwege in den Abgründen auf beiden Seiten, um sich jenseits jenes Hügels zu vereinigen. Kommen wir nicht rechtzeitig über diesen hinaus, sind wir verloren.“
In einer Minute war die ganze Gesellschaft in wilder Flucht. Die heranglühende Hitze der Lava und die krachenden Bäume gaben jedem Flügel mit den Eisenstangen, mit denen sie abwärts über Abgründe sprangen. Alles Andere war zurückgelassen worden. Ringsum erhob sich ein wahrer Höllenlärm durch die kurz vorher noch so schweigende Gegend: Geblöke und Geheul von Heerden, Hundegeheul, Menschengekreisch, Geknister rasch aufflackernder Flammen und Feuersbrünste, dumpfes Donnern zersprengter Felsen, Krachen und Knacken niedergebrochener und aufflammernder Wälder. Jeden Augenblick stieg die sich heranwälzende Gluth höher [375] und wurde die ganze Gegend umher flammenröther. Die Fliehenden kamen in ihrer wilden Hast plötzlich vor einen Abgrund, der in tiefe, dunkele Nacht hinabgähnte. Zur Rechten und zur Linken hinter ihnen wogten die Lavagluthen heran. Vor ihnen eine unbekannte Tiefe. Hinter ihnen das sich rasch heranwälzende, mit Bäumen krachende und sich selbst beleuchtende Lavagluthmeer.
„Was thun wir jetzt? Kennt Ihr diesen Abgrund?“ fragte Fennel seine Führer.
„Ganz aus dem Wege gekommen, ganz unbekannt,“ hieß es. Die ganze Gesellschaft schwieg. Aeußerster Schreck, höchste Gefahr lähmt alle Mittel sich zu äußern. „Wenn unserm Blick was Ungeheures begegnet, steht unser Geist auf eine Weile still,“ sagt Goethe. Jeder fühlte deutlicher und deutlicher, daß aus der ringsum heranprasselnden Höllengluth nur noch eine Möglichkeit der Rettung sei, der Sturz in den Abgrund. Ganz Sicilien schien in Feuer. Die Erde glühte und brannte von allen Seiten zu dem glühenden Himmel hinauf. Dazwischen flogen und flackerten Feuerbrände im Westwinde heran und verbreiteten eine sengende, unerträgliche Luft.
Ersticken und Verbrennen oder Selbstmord! Das waren jetzt die zwei Wege zum Tode, denn die zum Leben waren auf die entsetzlichste Weise ringsum verschlossen. Aller Augen stierten in den Abgrund vor ihnen. Sich hinunterstürzen und mit einem einzigen Sprunge in die Nacht des Abgrundes sich von diesen heranwüthenden Höllenqualen befreien? So standen sie vielleicht eine Minute dicht vor dem dunkeln Schlunde schweigend, nach Hoffnung aufblickend, dann wieder zusammenschauernd. Fennel hielt sich und Andere einen Augenblick mit der Hoffnung, daß die Lava nicht höher steigen werden; doch einer der Führer bemerkte mit der größten Bestimmtheit, daß die Lavaströme sich jenseits des Abgrunds vereinigen, sich stauen und Alles ringsum mit flüssigem Feuer überschwemmen würden. Aber man zögerte noch, man athmete noch. Doch bald wurde letzteres Höllenqual, schlimmer als Tod. Die Luft drang mit unerträglicher Gluth und tödtlichem Geruch in die Lunge ein. Man wagte nicht mehr zu athmen, und kam so in Gefahr, sich freiwillig zu ersticken, um den Tod nicht einzuathmen. Jetzt trat der junge Geistliche noch einen Schritt vor.
„Ich gehe zuerst!“ rief er. Sein Gesicht blauete in Leichenfarbe, trotz der vulcanischen Gluth umher. Er sprang nicht, er stürzte sich nicht kopfüber hinunter – er wandte sich um, hielt sich mit der Hand an die Felsenkante, ließ sich hinab, hing eine Zeit lang und verschwand dann geräuschlos in dem dunkeln Abgrunde.
Welche Laute von unten? Krachende Gebeine, von Felsen zu Felsen geschmettert, hinunter, hinunter in eine unergründliche Tiefe? War es das Knattern der Flammen oder der sich zerschmetternde Körper des Geistlichen? Die Zurückgebliebenen schrieen mit erstickender Stimme hinunter, einen Laut von sich zu geben, wenn er noch lebe. Keine Antwort. Jetzt rief Mr. Fennel: „Nun komme ich!“ und ließ sich eben so bedächtig hinunter, bis er die Hände losließ und verschwand.
Eine zweite Pause der entsetzlichsten Qual, als keine Antwort kam. Dann folgte der dritte Engländer, und getrieben von Gluth und Pestluft, stürzten sich die Uebrigen, Führer und Diener, rasch hinterher. Nun war es still oben und auch unten im Abgrunde, bis es in letzterem allmählich wieder lebendig ward. Der Abgrund war eine sumpfige Wiese dicht an einem jäh aufspringenden Felsen. Warum hatte aber Niemand aus der weichen Erlösung unten hinaus geantwortet? Jeder hatte in einen tiefen, schaudervollen Tod hinabzuspringen geglaubt, und war bewußtlos, sprachlos unten in das weiche Gras gefallen. Nach dem ersten Sprunge waren die Andern rasch gefolgt, so daß sie alle verworren, zweifelnd an ihrem Leben, staunend neben einander lagen und nach und nach zum Bewußtsein kamen und sich sahen, als die Gluth von oben herunterleuchtete. Dies brachte sie Alle auf die Beine, auf welchen sie rasch über das Bereich der Lavaströmungen hinabeilten, die Felsen um Catania bestiegen, in die Stadt hinabstürzten und sich in Sicherheit brachten. Mit unsäglichen, fieberhaften Gefühlen der Dankbarkeit gegen den rothglühenden Himmel sah man nun zu, wie die rothen Gluthen aus dem Krater gen Himmel stiegen und sich donnernd und verwüstend über das Land hinwälzten, um zu einer neuen Rinde überschwenglicher Fruchtbarkeit und Blüthe zu erkalten, und über tausendfachem Höllentode eben so plötzlich wieder das üppigste, lachendste Leben hervorzuzaubern.
„Station Gleiwitz! Zehn Minuten Aufenthalt!“ rief der Eisenbahnschaffner in unser Coupé hinein. Ich verließ dasselbe und meine bisherige Reisegesellschaft, weil ich einige Zeit hier zu verweilen gedachte, um einen alten Freund zu besuchen, der als Hüttenbeamter angestellt war. Mit all’ den gewöhnlichen Vorurtheilen reiste ich so zum ersten Male durch Oberschlesien, das auch ich als eine Art von preußischem Sibirien ansah. Ich war darauf gefaßt, unbebaute, wüste Gegenden, elende Hütten, eine verkommene und verdummte Bevölkerung anzutreffen, und erstaunte nicht wenig, in vielen Beziehungen gerade das Gegentheil zu finden. Noch immer ist Oberschlesien für die meisten Reisenden eine „terra incognita“, lediglich durch die Zeitungen als der Aufenthalt des Hungers und des Typhus seit dem Jahre 1847 bekannt. Damals erfuhr man zum ersten Male überhaupt von seiner Existenz und erhielt eben nicht das wahrste und angenehmste Bild. Ein kurzer Aufenthalt bei meinem hier eingebürgerten Freunde und einige Ausflüge in Begleitung dieses kundigen Führers berichtigten schnell meine vorgefaßten Meinungen. Statt der erwarteten Hütten fand ich häufig herrliche Paläste; mitten in der geträumten Wildniß reich angebaute Länderstrecken und vor Allem eine industrielle Thätigkeit, die meine ganze Bewunderung im hohen Grade beanspruchte. Freilich fehlte es der Medaille auch nicht an der Kehrseite und neben dem Schwindel erregenden Reichthum gibt es hier die entsetzlichste Armuth, wie wir sie in den Fabrikdistricten Englands ebenfalls zu sehen gewohnt sind. Bald wurde mir klar, daß hier die schreiendsten Gegensätze dicht neben einander liegen. Es ist ein eigenthümliches Land, dieses Oberschlesien, arm wie ein Bettler, reich wie ein Millionair; auf der einen Seite elend und verkommen, auf der andern wunderbar sich entwickelnd und emporblühend, unfruchtbar und dürr wie die Sandwüste, mit spärlichen Fichten und elenden Kiefern, oder mit kranken Kartoffeln bepflanzt, aber in der Tiefe die größten Schätze bergend, kolossale Steinkohlenlager, welche für Jahrtausende ausreichen, unerschöpfliche Eisenerze und Galmeigruben; selbst an Silber fehlt es nicht. Vor Allen hat die Steinkohle, dieser dunkle Zauberer, Wunder gethan. Wo sie aus der Erde emporsteigt, da verwandelt sie die ganze Physiognomie der Gegend. Mitten in der Wildniß entstehen in kurzer Frist neue Anlagen, bedeutende Hüttenwerke, großartige Industriepaläste, um welche schnell eine Colonie von Arbeitern sich ansiedelt. Diese ziehen den Gastwirth, den Krämer, den Handarbeiter nach sich und die Colonie wird so zum Dorf, das Dorf zum Städtchen, wo die Wohnungen der meist gut bezahlten Beamten an Eleganz und Comfort öfters den Häusern und Villen der Residenz wenig oder gar nichts nachgeben. Nach den Städten selbst strömen die gewonnenen unterirdischen Schätze, um von da aus weiter vertrieben zu werden, Handel und Wandel nehmen einen nie geahnten Aufschwung, der Wohlstand ist im Wachsen und die Bevölkerung mehrt sich mit jedem Tage. Dies gilt allerdings zunächst nur für die an der Eisenbahn gelegenen Orte, welche den Güterverkehr vermitteln. Als ein solcher hat auch Gleiwitz in jüngster Zeit eine große Bedeutung erlangt, indem es gleichsam den Mittelpunkt des oberschlesischen Berg- und Hüttenwesens bildet. Die Stadt selbst bietet wenig Merkwürdigkeiten; sie ist alt und von dem fortwährenden Steinkohlenrauche stark geschwärzt. Geschichtlich interessant dürfte ihre tapfere Vertheidigung gegen die Schweden im dreißigjährigen Kriege sein, wobei sich besonders die Frauen hervorgethan haben sollen. Diese kochten nämlich nach der Sage Hirsebrei [376] und bewarfen damit den anstürmenden Feind von der Mauer herab so tapfer, daß dieser sich genöthigt sah, seinen Rückzug zu nehmen.
Ein angenehmer Spaziergang führt an dem Klodeitz-Canal nach der Hütte. Längs dem Ufer erheben sich stattliche Gebäude, meist mit Niederlagen für Steinkohlen, Zink und Eisen verbunden. Fortwährend werden Schiffe ein- und abgeladen, welche diese Güter bis nach Oppeln bringen, wo sie dann weiter befördert werden. Ein eben so großer Theil geht jedoch direct mit der Eisenbahn nach Breslau. Um sich einen Begriff von der Großartigkeit dieses Verkehrs zu machen, braucht man nur daran zu denken, daß jährlich Millionen Centner Kohlen und andere Bergwerksproducte hier verladen werden, so daß die oberschlesische Eisenbahn hauptsächlich diesem Umstande ihre große Rentabilität verdankt. Die Hütte besteht aus einer Reihe von Gebäuden, in denen das Eisenerz theils geschmolzen, theils verarbeitet wird. Schon von Weitem verkündigt ein lautes Getöse und dröhnender Hammerschlag die geschäftige Nähe derselben. Den Mittelpunkt bildet der riesige Hohofen, wo das rohe Material geschmolzen wird. Eine der größten Dampfmaschinen mit einem Gebläsewerk verbunden unterhält die nöthige Zuströmung von frischer Luft. So groß ist das Geräusch des sausenden Zuges, daß man beim Vorübergehen taub zu werden fürchtet und kaum einen kurzen Augenblick zu verweilen vermag. Drinnen kocht und siedet die feurige Masse, „der Funke sprüht, die Bälge blasen, als gält’ es Felsen zu verglasen.“ Einen besonders interessanten Anblick gewährt das Abstechen des Hohofens, welchem ich in Gesellchaft meines Freundes beiwohnen durfte. So bald das Erz hinlänglich geschmolzen ist, werden die bisher verschlossenen Pforten von den Arbeitern mit großen Stangen geöffnet. Plötzlich füllt sich der dunkle Raum mit hellem Licht und ein glühender Eisenstrom windet sich, einer Schlange gleich, im feuchten Sande, wo er allmählich erkaltet. Die dabei ausströmende Hitze ist so groß, daß der Boden unter unseren Sohlen zu brennen scheint und die Arbeiter nur mit Hemde und leichter Hose bekleidet ihr schwieriges Tagewerk vollführen. Das so gewonnene Eisen bedarf jedoch noch eines vielfachen Läuterungsprocesses, ehe es zu jedem Gebrauche angewendet werden kann. Meist wird dieses sogenannte Roheisen in den Kaupelöfen und Frischfeuern von den ihm noch anhängenden fremden Bestandtheilen gereinigt und von seiner Brüchigkeit befreit.
Von dem Hohofen treten wir in die Gießerei. Hier arbeiten die Former zuerst die Form der zu gießenden Gegenstände nach bestimmten Modellen, riesige Maschinentheile, kolossale Räder und Walzen, Hausgeräthe aller Art, Töpfe, Kochgeschirr und daneben wahrhafte Kunstgegenstände, prachtvolle Kirchenleuchter, Statuen und selbst die zierlichsten Nippsachen für das Boudoir der Damen. Aus kleineren Oefen strömt dann das Erz in die fertige Form; dazwischen laufen und rennen von Ruß und Kohlenstaub geschwärzte Arbeiter mit größeren und kleineren Gefäßen, worin das flüssige, glühende Eisen getragen wird. Man muß sich in Acht nehmen und es heißt: Vorgesehn! wenn man nicht verbrannt werden will. Während in der einen Ecke ein wahres Ungeheuer von einem Cylinder aus der Erde emporgehoben wird, fällt an einer anderen Stelle die Hülle von einem edlen Bildniß, schält sich hier ein zierliches Gefäß, dort ein luftiges Gitter zu einer Brücke aus der kunstreichen Form. Aber noch bedarf das so erhaltene Product der letzten Vollendung, der Abglättung und Politur, wenn es seinem Zwecke entsprechen soll. Doch auch dafür ist gesorgt durch die mächtigen Drehbänke und Schleifereien. Hier erblicken wir durch ein einziges kolossales Rad unzählige kleinere Räder in Bewegung gesetzt, welche die verschiedenen Gußstücke mit scharfen und schneidenden Messern, Stahlmeißeln und Bohrern in Berührung bringen. Als wäre es weiches Wachs oder Holz, so wird das harte Eisen von dem noch härteren Stahle geschnitten, angebohrt und von seiner rauhen Oberfläche befreit, daß es im hellen Glanze blinkt. Glühend heiß sind die abfallenden Eisenspähne, welche allein durch ihren Wärmegrad die angewendete Kraft und den geleisteten Widerstand verrathen.
Die Zeit drängt und wir haben noch so viel zu sehn: die Schmiede, wo vor unsern Augen der Dampfkessel entsteht, welcher vielleicht schon in wenig Wochen eine Maschine von zweihundert Pferdekraft in Bewegung setzen wird. Wir glauben, in die Werkstätte der Cyklopen zu treten. Die schwieligen Fäuste der kräftigen Männer treiben unter wuchtigen Hammerschlägen fußlange Nägel durch das mehrere Zoll dicke Eisenblech. Der betäubende Lärm und das Getöse verscheucht uns fort nach den stilleren Räumen, wo der Ciseleur den kunstreichen Gebilden des Formers die letzte Vollendung gibt. Aus den Reihen dieser Arbeiter sind schon geniale Künstler hervorgegangen, und der berühmte Bildhauer Kiß, der die Amazonengruppe in Berlin geschaffen, so wie Kallide sind Kinder und auch Zöglinge der Gleiwitzer Hütte.
Endlich gehen wir, nachdem wir den wunderbaren Verwandlungsproceß angestaunt, der vor unseren Augen sich entfaltet hat, die Metamorphose des rohen Erzes zur feinsten Schöpfung des künstlerischen Fleißes anzusehen. Hier feiert der menschliche Gedanke und die Arbeit ihre schönsten Triumphe, indem sie in einer fortlaufenden Reihenfolge das Eisen als den modernen Proteus erscheinen lassen, bald in Gestalt des segensreichen Pfluges, bald als zerstörende Kanonenkugel, bald als Maschine und Hebel der modernen Industrie. – Was ich hier gesehen, machte mich nur begierig, auch die übrigen Hütten und Werke kennen zu lernen, an denen die Umgegend von Gleiwitz und die benachbarten Kreise so überaus reich sind. Mein nächster Ausflug galt den reichen Kohlenlagern von Zabrze, welche mit der Eisenbahn in einer Viertelstunde zu erreichen sind. Nach allen Richtungen erstrecken sich bald in größerer bald in geringerer Tiefe die ungeheueren Steinkohlenflötze in einer Mächtigkeit, welche den Schätzen dieser Art in Wales gleich kommt. Ein Bekannter meines Freundes, der daselbst das Amt eines Obersteigers bekleidete, erschloß mir diese unterirdische Welt, die ich unter seiner Führung betrat. Mit dem schwarzen Kittel des Bergmannes angethan fuhren wir in den Hauptstollen nieder, der sich in ungemessener Ausdehnung unter der Erde erstreckt. Damals war von einem Plane die Rede, diesen Gang bis nach der zwei bis drei Meilen noch entfernten Königshütte fortzutreiben und mit den dortigen Gruben zu verbinden. Mich überkam ein ganz eigenes wunderbares Gefühl, als ich so in der dunklen Tiefe einherwanderte und die Bergleute mit ihrem Lämpchen am Gurt wie irrende Schatten an mir mit ihrem sinnigen „Glück auf!“ vorüberschlüpften. Schwarze Wände bildeten von beiden Seiten ein finsteres Gewölbe, von dem das sickernde Wasser niedertropfte. Geschäftig pochte die Hacke an den Stein und löste die Kohle oft in großen, mächtigen Stücken ab, welche polternd und dröhnend mit dumpfem Falle niederfuhren.
Zuweilen hörten wir ein erschütterndes Krachen, das von einer Pulvermine herrührte, durch die ein größeres Flötz gesprengt wurde. Ein Erdbeben schien im Anzuge zu sein und der Boden zitterte oft wörtlich unter unseren Füßen. Die Unbefangenheit meines Begleiters flößte auch mir Muth ein und ich schritt an seiner Seite rüstig fort, bis wir zu einem unterirdischen Canal gelangten, der von den strömenden Wassern der Tiefe gebildet wird. Wer hätte da nicht an den Styx der Unterwelt gedacht, und richtig, da wiegte sich auch schon Charons Nachen auf der schwarzen Fluth. Mein Führer winkte und der Schiffer, der allerdings nicht griechisch, sondern nur wasserpolnisch sprach, ruderte uns eine ziemliche Strecke auf dem dunklen Gewässer. Unterwegs erzählte mir der Herr Obersteiger von den verschiedenen Gefahren, welchen die Bergleute in den Kohlengruben ausgesetzt sind, unter denen die sogenannten „schlimmen Wetter“, verdorbene und schädliche Gase, welche sich leicht entzünden und durch Explosion tödten, die erste Stelle einnehmen. Außerdem gehören Verschüttungen, Verletzungen beim Sprengen und Anzünden der Minen, Tödtung durch herabgefallene Balken und Gefäße keineswegs zu den Seltenheiten. Die Zahl der jährlich Verunglückten ist ziemlich bedeutend, und erst gestern wurde ein Bergmann, der am Morgen rüstig eingefahren, am Abend mit zerschmetterten Gliedern den armen Seinigen in’s Haus getragen. Dabei ist der Lohn äußerst gering und doch sind die Leute meist mit ihrem Loose zufrieden; selbst zur Zeit der Revolution im Jahre 1848 verhielten sich gerade diese Arbeüer weit ruhiger, als die meisten ihrer Brüder, und verlangten nur in seltenen und vereinzelten Fällen eine Lohnerhöhung. Mein freundlicher Führer unterrichtete mich auch bei dieser Fahrt über die Beschaffenheit und Güte der verschiedenen Kohlensorten, welche hauptsächlich von ihrer Reinheit abhängt, so wie von der Eintheilung in Stück-, Würfel- und Staubkohle, die sich nach dem Volumen und Umfang richtet. Der Preis der ersteren ist ungefähr doppelt so hoch als der letzteren. Der Transport im Bergwerke selbst geschieht auf Eisenbahnschienen und in viereckigen Karren, aus denen sie in Kasten gebracht und so hinaufgewunden werden. Einen derartigen Kasten, nicht eben das angenehmste und reinlichste Fuhrwerk,
[377][378] benutzten auch wir zur Auffahrt und mein erster Gedanke war: Es freue sich, wer da athmet im rosigen Licht!
Von Zabrze brachte uns die Eisenbahn im raschen Fluge nach Königshütte, einem Dorfe, das statt der erwarteten Hütten aus eleganten Häusern und selbst einzelnen palastähnlichen Gebäuden besteht. Das dortige Hotel stand in keiner Beziehung seinen großstädtischen Geschwistern, selbst nicht in der Rechnung, nach. Während wir unser Abendbrod in dem gemeinschaftlichen Speisesaale verzehrten, füllte sich derselbe mit Gästen, reichen Gutsbesitzern und Beamten aus dem Orte und der Umgegend, selbst an Ausländern fehlte es nicht, an Engländern, Franzosen und besonders Russen, welche entweder hier angestellt waren oder die Hüttenwerke und den Bergbau Oberschlesiens praktisch kennen lernen wollten. Es herrschte im Ganzen ein heiterer und ungebundener Ton, bald schäumte der Champagner, der Ungarwein floß, die Würfel klapperten und auch eine Bank mit hohem Einsatz wurde aufgelegt. Trotzdem die wunderbar gemischte Gesellschaft, unter der sich auch ein junger Prinz als angehender Bergmann befand, mir manche interessante Seite für meine Beobachtung bot, so zog ich es doch vor, zeitiger als gewöhnlich mein Bett aufzusuchen, ermüdet von den keineswegs unbedeutenden Anstrengungen des Tages. Als ich in das mir angewiesene Zimmer trat, wurde ich nicht wenig überrascht von einem hellen Glanz am Horizont, der mir von einer Illumination herzurühren schien. Ein Glanz von blauen, grünen und rothen Flammen schimmerte vor meinen Augen, als ich das Fenster öffnete und in die dunkle Nacht hinausblickte. Auf mein Befragen belehrte mich der Freund, daß dieser Schein, den ich für eine festliche Beleuchtung hielt, nur die aufsteigende Gluth unzähliger Hohöfen und Zinkhütten in der Umgegend sei. Ich konnte mich nicht schnell von dem eigenthümlichen Schauspiel trennen und blickte noch längere Zeit nach den Feuerzeichen, welche der unkundige Wanderer für wunderbare Meteore und glänzende Naturerscheinungen zu halten geneigt ist.
Am nächsten Morgen stattete ich der Gießerei und der an derselben gelegenen Zinkhütte meinen Besuch ab. Die Königshütte hat mit den Gleiwitzer Eisenwerken die größte Aehnlichkeit; beide sind königliches Eigenthum und dienten längere Zeit als Musteranstalten, sind aber gegenwärtig von der gestiegenen Privatindustrie fast in den Hintergrund gedrängt worden. In Königshütte bestiegen wir einen Wagen, der uns nach der nahen Laurahütte bringen sollte. Der ganze Weg führte uns fortwährend an Gruben, Dampfmaschinen und ähnlichen Etablissements vorüber. Wir befanden uns in dem eigentlichen Bergwerksdistricte, wo eine kaum geahnte Thätigkeit, ein reges Leben herrscht. Die Chaussee war mit Hunderten von Wagen bedeckt, welche Erze, Kohlen und ähnliche Producte fuhren. Der oberschlesische Bauer zieht es vor, durch diese Frachten statt durch den mühevollen Ackerbau auf leichtere Weise sein Brod zu verdienen. Im Leinwandkittel geht er neben dem Gespann, das aus zwei kleinen Pferden besteht, welche nicht selten kaum die Größe eines ausgewachsenen Kalbes erreichen, so daß man nicht begreift, wie sie die schweren Lasten fortschaffen können. Niemals glaubte ich ähnliche elende Thiere gesehen zu haben. Dabei geht die Feldwirthschaft natürlich zu Grunde, da der Bauer als sogenannter „Vecturant“ sich den ganzen Tag auf der Heerstraße herumtreibt und den schnell erworbenen Verdienst in den zahllosen Schenken durchbringt. Außerdem bleibt das Düngungsmaterial verloren und ungenutzt auf dem Wege liegen. In schlechten Jahren muß dann natürlich der Hunger und die Noth sich einstellen, da der Ertrag der so gänzlich vernachlässigten Felder nicht ausreichen kann. Durch Einführung von Pferdebahnen glaubt man diesem Uebelstande abzuhelfen, der jedoch tief in der Natur der Verhältnisse liegt und zum großen Theil in der Trägheit und dem Nomadensinn der polnischen Bevölkerung begründet ist.
An einzelnen Stellen liegt die Kohle vollkommen zu Tage, nur durch eine leichte Erdschicht bedeckt, so daß ein derartiges Bergwerk dem Beschauer einen offenen Einblick gestattet. Es gewährt dann ein lohnendes Schauspiel, diese Hunderte von Arbeitern bei ihrer Beschäftigung zu sehen, wie sie gleich einem Ameisenhaufen hier in der Erde wühlen. – Zuweilen geräth auch durch irgend einen Zufall ein mächtiges Kohlenflötz in Brand und kann trotz aller Anstrengungen, mächtiger Schutzmauern und Hinzuleitung von Gewässern nicht mehr gelöscht werden. Jahre lang wüthet die Flamme in der Tiefe der Erde, bis sie Alles verzehrt hat oder aus Mangel an Luftzutritt erstirbt. Eine solche Brandstätte ist in dieser Gegend die mächtige Fanny-Grube. In einer Ausdehnung von vielen hundert Morgen ist der Boden ausgedörrt und an einzelnen Stellen verglast. Man glaubt, auf einem Vulcane zu stehen: aus dem geborstenen Erdreich und den zerbrochenen Spalten bricht fortwährend ein schwefliger Dampf hervor, zuweilen mit rothen zuckenden Feuerflammen verbunden. Ringsumher scheint die Vegetation erstorben und die Gegend bietet besonders im Hochsommer einen traurigen Anblick dar. Kein Vogel singt in der verpesteten Luft, kein Thier nähert sich dem heißen Brodem, der unaufhörlich emporwirbelt und nur selten nähert sich ein Mensch dem gefährlichen, glühenden Aufenthalt der entfesselten Geister der Unterwelt. Das Schweigen des Todes herrscht an solchen Orten. Noch weit wunderbarer soll dies Schauspiel im Winter sein, wo die ganze Gegend mit Schnee bedeckt erscheint, während auf diesen Stellen die Wärme den Schnee fortschmilzt und hier in der weißen, erstarrten Ebene ein großer, schwarzer Fleck die unterirdische Gluth verkündet. Dann sprießt wohl auch im Februar wie in einem künstlichen Treibhause eine schnell wieder dahinwelkende Vegetation hervor, und der erstaunte Wanderer erblickt mitten im Winter grünenden Rasen und blühende Maßliebchen, während der eisige Nordwind alles übrige Leben tödtet.
Die Laurahütte ist von dem Grafen Henkel von Donnersmark und den Gebrüdern Oppenfeld begründet; sie liegt neben dem Dorfe Sziemanowitz, welches dem Ersteren zugehört. Auch hier finden wir statt eines eigentlichen Dorfes eine Reihe eleganter Wohnungen für das zahlreiche Beamtenpersonal, schöne Häuser im neuesten Baugeschmack, von Gärten umgeben und mit allem möglichen Comfort und selbst Luxus versehen. Die Hüttenwerke bieten einen imposanten Anblick dar in ihrer Ausdehnung und durch ihren soliden Bau. Wie Pyramiden steigen die gewaltigen Dampfschornsteine empor und gleich Thürmen ragen die verschiedenen Oefen, fortwährend in dunkle Rauchwolken gehüllt, in die Luft. In der Mitte des räumlich ungeheueren Hofes steht ein glänzender Cylinder von kolossaler Größe, welcher die nöthige erwärmte Luft dem Gebläse zuführt. Dampfmaschinen von der verschiedensten Pferdekraft bewegen unaufhörlich bei Tag und Nacht ihre Riesenarme und treiben die Arbeit von vielen tausend Menschenhänden. Laurahütte ist das oberschlesische Seraing und nicht minder bewunderungswerth wie dieser belgische Fabrikort, die Schöpfung des genialen Cockerill. In neuerer Zeit liefert es außer den verschiedenen Sorten von Schmiedeeisen und Blechen aller Art besonders auch Schienen für die Eisenbahnen, welche den englischen den Rang streitig machen. Unter den wuchtigen, centnerschweren Hämmern und Walzen nimmt das Eisen jede beliebige Form und Gestalt an und wird vor unseren Augen aus einer formlosen Masse zum starken, zolldicken Stabe, oder zum dünnen Blatte, so fein wie Postpapier, umgewandelt. Wie in Gleiwitz und Königshütte vorzugsweise geschmolzen und gegossen, so wird hier geläutert, geschmiedet und gewalzt. Der Hammer dröhnt, die Walze ächzt und drückt das sich sträubende Metall wie weiches Wachs zusammen, formt und preßt es so lange, bis es zum Hausgebrauch befähigt als Schmiede- und Schlossereisen nach allen Weltgegenden verschickt werden kann. Zwischen zwei Cylinder, deren Kraft hinreichen würde, einen Elephanten zu zermalmen und die festesten Knochen augenblicklich in Staub zu verwandeln, bringt der athletische Arbeiter ein Stück glühendes Eisen; man glaubt es unter dem gewaltigen Drucke stöhnen zu hören. Nach kurzer Zeit zieht er es glatt gedrückt hervor und von Neuem trägt er es zu dem Ofen, wo es wieder bis zur Glühhitze erwärmt wird. Jetzt steckt es der Arbeiter zwischen zwei andere Walzen, welche es ergreifen, packen, es dehnen und strecken, bis es um mehrere Fuß verlängert erscheint. Aber noch immer wird dem armen Eisen keine Ruhe gegönnt, von Walze zu Walze, von Cylinder zu Cylinder muß es wandern, um endlich als vollkommene Eisenbahnschiene hervorzugehen, jetzt erst geeignet, die schweren Lasten der dahin sausenden Locomotive, der unendlichen Güterzüge zu tragen, ohne zu brechen. Der Reisende, welcher im raschen Fluge darüber fährt, läßt sich gewiß nicht träumen, wie viele Schweißtropfen seine schnelle Beförderung und Sicherheit dem armen oberschlesischen Hüttenmann gekostet hat.
Die meisten dieser Arbeiter sind geborne Oberschlesier und mein Freund versicherte mich, daß dieser so verschrieene Volksstamm eine merkwürdige Geschicklichkeit und Anstelligkeit besitzt. Nehmt einen oberschlesischen Bauer und zeigt ihm eine Dampfmaschine [379] und die Art und Weise ihrer Behandlung; er wird euch sogleich begreifen, den Mechanismus fassen und schon in vier und zwanzig Stunden einen brauchbaren Maschinenwärter abgeben. Ein eben so großeTalent zeigt er für alle andere technischen Arbeiten. Das deutet doch keineswegs auf beschränkte geistige Fähigkeit hin; höchstens fehlt es ihm nur an Gelegenheit, dieselben auszubilden und zu entwickeln. Auch viele Engländer, die jedoch nicht höhere Stellungen bekleiden, haben sich in Laurahütte angesiedelt und scheinen sich ganz eingelebt zu haben. Ich war nicht wenig überrascht, von einem Aufseher, den ich deutsch anredete, eine englische Antwort zu erhalten, was mir noch mehrere Mal in Oberschlesien begegnete.
Der Ertrag der Laurahütte ist, wie man sich denken kann, sehr bedeutend, und man wird sich ungefähr einen Begriff von dem großartigen Umsätze machen können, wenn man erfahrt, daß der reine Gewinn für jeden der beiden Theilnehmer jährlich auf achtzig bis hunderttausend Thaler und auch mehr veranschlagt wird, ungeachtet der bedeutenden Ausgaben für Rohprodukte und Besoldungen der Beamten. Letztere sind meist glänzend gestellt und das Einkommen des Directors der sämmtlichen Hüttenwerke soll den Gehalt von manchem deutschen Staatsminister bei Weitem übersteigen. In Laurahütte lebte wie bekannt auch Ronge einige Zeit als Hauslehrer und Erzieher. Von hier aus erließ er jenen bekannten Brief an den Bischof von Trier wegen der Ausstellung des heiligen Rockes; so daß es diesem im äußersten Winkel der Monarchie gelegenen Orte neben seiner materiellen und industriellen Bedeutung auch an einem gewissen geistigen Interesse nicht gebricht.
An dem Wirthshaustische lernte ich mehrere unverheirathete Beamte kennen, meist gebildete Männer, welche größten Theils zu ihrer Ausbildung Belgien, Frankreich und England bereist hatten. Ich erhielt von ihnen manchen gewünschten Aufschluß über die eigenthümlichen Verhältnisse der Bewohner Oberschlesiens, welche mir einen längeren Aufenthalt wünschenswerth erscheinen ließen, um das Volk nach allen Seiten genauer kennen zu lernen. Was ich darüber hörte, bestärkte mich nur in dem Ausspruch: Es ist ein wunderbares Land, dieses Oberschlesien!
Schlaf- und Wachbewegungen.
In unserm ersten Artikel (Nr. 24.) haben wir bereits den bedeutenden Einfluß kennen gelernt, welchen das Licht auf die Richtung von Stengel und Blatt ausübt; es kann uns daher die Bemerkung nicht auffallen, daß die Pflanzen auch gegen den Wechsel von Tag und Nacht empfindlich sind. Besonders sind es die Blätter und Blüthen vieler Pflanzen, welche bei Anbruch des Tages und der Dunkelheit ihre Stellung verändern; die Schlafbewegung erfolgt einige Stunden vor Untergang, die Wachbewegung noch vor Aufgang der Sonne. Bei Sonnenfinsternissen oder sehr dunklem Wetter tritt ebenfalls die Schlafbewegung ein.
Nicht alle Blätter sind im Stande, ihre Stellung zu verändern, sondern nur die, welche an der Basis ihres Stiels mit einem Gelenk versehen sind; dieses Gelenk besteht in einer rings um den Blattstiel laufenden Anschwellung, und vermittelt die Bewegung des Blattes. Bei gefiederten Blättern sehen wir, daß zu beiden Seiten des Hauptstiels kleinere secundäre Stiele abgehen, welche die Fiederblättchen tragen, so bei der Rose, Eberesche, Akazie, den Kleearten und vielen Andern; ja in manchen Fällen ist das Blatt noch zusammengesetzter, die Fiederblättchen werden mit Stielen getragen, welche rechts und links an den secundären Blattstielen befestigt sind, wie bei der mimosa pudica, auch sensitiva oder noli me tangere genannt. In der Regel sind sowohl der Hauptstiel als die secundären Stile der gefiederten Blätter mit einem Gelenk versehen, articulirt, und die Bewegungen treten bei ihnen alsdann am deutlichsten auf. Wählen wir die mimosa pudica, bei welcher der Unterschied zwischen der täglichen und nächtlichen Stellung am meisten in die Augen springt, als Beispiel für unsere Betrachtung, so finden wir in der Tagesstellung den gemeinschaftlichen Blattstiel in die Höhe stehend, die secundären Blattstiele und die Fiederblättchen horizontal ausgebreitet. In der nächtlichen Stellung ist der gemeinschaftliche Blattstiel herabgesenkt, die secundären Blattstiele sind in die Höhe gerichtet, die Fiederblättchen haben sich ebenfalls erhoben und nach vorn übergebogen. Das Einschlafen erfolgt im Sommer gegen fünf Uhr Abends, und tritt zuerst an dem gemeinschaftlichen Blattstiele ein; hierauf erheben sich die secundären Stiele, dann folgen die mittleren Fiederblättchen, zuletzt bewegen sich die der Spitze und Basis. Das Erwachen erfolgt zwischen drei und vier Uhr Morgens, ebenfalls von der Basis aus nach der Spitze.
Untersuchen wir die Anschwellung der Blattstielbasis, so sehen wir die in das Blatt tretenden Gefäßbündel zu einem einzigen verschmolzen, welches die Mitte einnimmt. Die obere Wulsthälfte besteht aus zartem und dichtem Zellgewebe, die untere aus derberen Zellen, zwischen deren Kanten sich leere Räume, Intercellulargänge, befinden; die Mehrzahl der Zellen ist von einer glänzendweißen ölartigen Masse erfüllt. Schneidet man die obere Wulsthälfte bis auf die Gefäßbündel ab, so dehnt sich der untere Gelenkwulst bedeutend aus und drückt das Blatt dem Stengel an; hält man die Wunde feucht, so kehrt das Blatt in die Tagesstellung zurück und beginnt später die Bewegung von Neuem. Entfernt man dagegen einzig und allein die untere Wulsthälfte, so expandirt sich die obere und drückt das Blatt an den Stengel herab; ein merkliches Heben des Blattes tritt selbst bei Feuchthalten der Wunde nicht wieder ein. Nimmt man den Gelenkwulst ringsum ab, so hört die Bewegung für immer auf, schneidet man nur die Gefäßbündel durch, so treten die Bewegungen bis zum Absterben des Blattes ungehindert ein.
Diese Versuche sprechen deutlich genug für die Ansicht, daß die Bewegung durch den Gelenkwulst stattfindet; man hielt früher die Schlafbewegung für die Folge einer Erschlaffung des Gewebes, dies ist jedoch durchaus nicht der Fall, da die Gelenke zur Nachtzeit sogar straffer sind, als bei Tage. Eine nähere Erklärung dieser Erscheinungen wollen wir nach Schilderung der Reizbewegungen zu geben versuchen, da diese in ähnlicher Weise wie die Schlaf- und Wachbewegungen vor sich zu gehen scheinen.
Stellt man Versuche über die Ursachen an, welche die Bewegung hervorrufen, so bemerkt man Folgendes: Setzt man Pflanzen gegen Abend in einen erleuchteten Raum, so tritt die Schlafbewegung um einige Stunden später ein; läßt man die eingeschlafenen Pflanzen des Morgens in der Dunkelheit, so erfolgt das Erwachen ebenfalls um einige Stunden später. Fährt man mit dieser Behandlung einige Tage fort, so kann man es dahin bringen, daß sich die Perioden des Schlafens und Wachens vollständig umkehren. Bringt man die Pflanzen in anhaltende Dunkelheit, so leiden sie merklich darunter und das Einschlafen und Erwachen erfolgt ganz unregelmäßig; den gleichen Einfluß besitzt anhaltende Helle. Da jedoch die Bewegung überhaupt noch eintritt, so kann der Wechsel des Lichts und der Dunkelheit nicht die einzige Ursache sein; auch die Wärme spielt eine Rolle bei diesen Vorgängen. Setzt man eingeschlafene Pflanzen einer niederen Temperatur aus, so tritt die Wachbewegung ein; bringt man wachende Pflanzen in höhere Temperaturen, so erfolgt das Einschlafen. Läßt man sehr niedrige oder sehr hohe Temperaturen auf die Pflanzen einwirken, so hört jede Bewegung auf. Es gibt also bestimmte Wärmegrenzen, zwischen welchen allein die Schlaf- und Wachbewegungen eintreten.
Stellt man die Pflanzen unter Wasser, so finden die Bewegungen während drei bis vier Tagen noch statt; alsdann tritt jedoch ein Absterben der Pflanzen ein, und mit ihm das Aufhören jeder Lebensthätigkeit. Im luftleeren Raume vermag die Pflanze nicht, eine Bewegung vorzunehmen, sie erstarrt; die Blätter nehmen eine Stellung ein, welche die Mitte zwischen der täglichen und nächtlichen hält. Das Gleiche geschieht, wenn man die Pflanze mit giftigen Lösungen in Berührung bringt; so wie das Gift die Gelenke erreicht hat, folgt ein Erstarren und die Pflanze verwelkt.
Während umfassende Erfahrungen über Schlaf- und Wachbewegung [380] der Blätter erst aus neuerer Zeit datiren, hatte man die gleichen Erscheinungen an den Blüthen schon weit früher beobachtet. Die Blüthe ist derjenige Pflanzentheil, welcher zuerst in das Auge fällt, am meisten unsere Aufmerksamkeit fesselt, und so wird die Mehrzahl der Leser schon mit Einzelnen der Beobachtungen bekannt sein, welche wir hier im Zusammenhange zu schildern versuchen werden. Der berühmte schwedische Botaniker Linné beschäftigte sich zuerst gründlicher mit diesem Gegenstande; bekannt ist die reizende Blumen-Uhr, welche er durch Zusammenstellung einer Anzahl von Pflanzen bildete, deren Blüthen sich zu einer bestimmten Stunde des Tages oder der Nacht öffnen oder schließen. Mit anerkennungswerther Pietät für das Andenken des verdienstvollen Mannes hat man diesen Schmuck seines Studirzimmers bis auf den heutigen Tag erhalten, und zeigt ihn den Besuchern des Linné-Hauses.
Nach Linné zerfallen die Blüthen hinsichtlich der Schlaf- und Wachbewegungen in drei Classen: 1. Blüthen, welche sich nur öffnen, wenn die Sonne sie bescheint, und sich bei Eintritt von feuchtem oder trübem Wetter sofort schließen. Dieser Fall ist ein seltener, wir treffen ihn bei der Regen-Ringelblume, der morphotica oder calendula pluvialis. 2. Blüthen, welche sich bei Anbruch des Tages öffnen und mit Einbruch der Dunkelheit schließen; zu dieser Classe muß die Mehrzahl der Blüthen gerechnet werden. 3. Blüthen, welche sich ohne Rücksicht auf Tag und Nacht zu einer bestimmten Stunde öffnen. An Beispielen von Pflanzen, welche dieser Abtheilung angehören, mangelt es nicht; so öffnet der Portulak seine Blüthen nur um Mittag, der Lein stets in den Vormittagsstunden. Die Königin der Nacht, cactus oder cereus grandiflorus, entfaltet die Farbenpracht ihrer Blume zwischen neun und zehn Uhr Abends, und läßt dieselbe schon am nächsten Morgen wieder welken, wenn man die Pflanze nicht in dunkle und kühle Räume bringt. In den Tropen sollen zahlreiche Pflanzen diesem Vorbilde folgen, unter den einheimischen kennen wir nur zwei, welche zur Nachtzeit blühen, die Abend-Lichtnelke, lychnis vespertina, und das nickende Leimkraut, silene nutans.
Nicht allein die Blumenblätter, sondern auch die Blätter des Kelches verändern bei den Bewegungen ihre Stellung; ja bei der Pflanzenfamilie der Compositen, so genannt, weil eine bedeutende Anzahl von Blüthen eine einzige Blume zu bilden scheint, wie bei der Camille, dem Gänseblümchen, der Arnica, Scabiose, nimmt der diese Blüthen einschließende gemeinschaftliche Hüllkelch ebenfalls an der Bewegung Theil. Bei der Camille und einigen andern rollen sich die Blumenblätter mit Anbruch der Dunkelheit ein; der Hahnfuß läßt zur Nachtzeit den Blüthenstiel herabhängen und erhebt ihn wiederum bei Tage.
Die Versuche mit Licht und Dunkelheit, Temperaturveränderung u. s. w. haben bei den Blüthen die gleichen Resultate, wie bei den Blättern, wir wollen daher eine Wiederholung vermeiden.
Nicht jede Pflanze zeigt Schlaf- und Wachbewegungen, eine beträchtliche Anzahl verhält sich ganz indifferent, so z. B. alle, welche den Familien der Hülsengewächse und Orchideen angehören.
Ein praktisches Justizverfahren. Sir John Malcolm, einer der
letzten Gouverneure von Bengalen, erzählt folgendes Beispiel indischer Justiz:
„Ich war auf dem Marsche von Compoulty nach Panwell, gegen Bombay zu, als ich einige Meilen von der Stadt eine kleine Schaar Bewaffneter einholte, die einen jungen Menschen mit gebundenen Händen in ihrer Mitte führten. Die Wächter gehörten dem Peischwah der Maharatten in Punah. Ich frug, wer der Gefangene sei und wohin sie ihn führten. Der Anführer sagte, daß sie ungefähr noch eine Meile bis zu einer gewissen Stelle gehen wollten, wo kürzlich ein Raubmord stattgefunden hatte; „und dort,“ fügte er hinzu, „werde ich dem Burschen da den Kopf abschlagen.“ – „Ist er der Mörder?“ frug ich ihn. „Nein,“ erwiderte der Anführer, „ich glaube gar nicht, daß er etwas von der Geschichte weiß. Er ist aber aus dem Lande der Siddih“ – dabei zeigte er nach einer nahegelegenen Gegend, die noch im Besitze der Nachkommen der früheren Admirale des Großmoguls war – „von woher, wie wir genau wissen, die Mörder kamen, und wir haben einmal für immer den Befehl, bei jedem derartigen Vorkommniß sogleich in ihr Land zu fallen und den ersten erwachsenen Mann, der uns in den Weg kommt, zu packen und hinzurichten. Auf diese Weise ist auch der junge Kerl da gestern gefangen worden und muß heute sterben.“ Als ich mein Staunen und Entsetzen über dies Verfahren kund gab, welches den Unschuldigen für den Schuldigen büßen läßt, meinte er, daß ihn das gar nichts angehe, er thue einfach nur, wie ihm befohlen sei. „Doch glaube ich wirklich, daß es ein sehr guter Plan sein muß,“ fuhr er fort, „denn erstens rührt er von Nanah Furnavese her, der ein überaus weiser Mann war; und dann bin ich alt genug, mich der Zeit zu erinnern, wo kein Jahr verging ohne zwanzig bis dreißig Räubereien und Mordthaten auf diesem Wege, und zwar sämmtlich durch Banden aus dem Siddihlande. Jetzt hingegen ist dergleichen eine große Seltenheit und wird nicht über vier oder fünf Mal vorgekommen sein in den zwölf bis fünfzehn Jahren, seit diese Methode eingeführt wurde.“ Wir hatten bald den zur Hinrichtung bestimmten Ort erreicht. Die Wächter machten Halt und zündeten ihre „Hubbelbubbels“ oder Pfeifen an. Dem Gefangenen wurden die Hände aufgebunden und auch er rauchte mit großer Gemüthsruhe seine Pfeife, wie er denn durchweg die gleichgültigste Ergebung in sein Schicksal zu erkennen gab. Als sie ihre Pfeifen ausgeraucht hatten, banden sie ihm die Hände wieder auf den Rücken, führten ihn einige Schritte abseits der Straße und hießen ihn niederknieen. Der Anführer, welcher neben ihm stand, packte mit beiden Händen ein gerades zweischneidiges Schwert und rief ihm zu: „Bück’ einmal den Kopf!“ Der junge Mensch that, wie verlangt; blitzend fuhr das Schwert herab und im Augenblick rollte der Kopf im Sande, während der Leib hoch aufsprang und zurückfiel. Nachdem sie hierauf den Leichnam zur Warnung für Andere mit den Füßen an einen Baum gehangen hatten, setzten sie sich wieder hin und schmauchten in tiefster Gewissensruhe ihre zweite Hubbelbubbel, worauf sie wieder nach der Stadt zurücktrabten.
Die photographischen Wirkungen des Blitzes. In der meteorologischen Gesellschaft zu London hielt kürzlich Herr Poey, Director des Observatoriums von Havanna, einen Vortrag über die photographischen Wirkungen des Blitzes, indem er mehrere der beglaubigtsten Beispiele dieser eigenthümlichen und noch unerklärten Naturerscheinungen zusammenstellte. Obwohl sicherlich schon früher oftmals beobachtet, ist es doch Benjamin Franklin, der 1786 zuerst in authentischer Weise von ihr spricht, indem er wiederholt des Falles eines Mannes erwähnt, der, vor einem Baume stehend, den eben der Blitz traf, das genaue Abbild des Baumes auf der Brust hatte. Ein ähnliches Beispiel erzählt das in New-York erscheinende Journal of Commerce unter dem 26. August 1853: „ein kleines Mädchen befand sich an einem Fenster, vor dem ein junger Zuckerahorn stand; nach einem blendenden Blitzstrahle fand sich ein vollständiges Bild des Baumes auf ihrem Leibe abgedrückt.“ Es ist das nicht der erste Fall dieser Art. Der italienische Gelehrte Orioli brachte mehrere Beispiele dieser Naturerscheinung vor den wissenschaftlichen Congreß von Neapel. Im September 1825 traf der Blitz den Vormast einer Brigantine im Hafen von Arriero; ein unter dem Maste sitzender Matrose wurde erschlagen, und auf seinem Rücken fand man den ganz ähnlichen und gleich großen Abdruck eines Hufeisens, das an der Mastspitze befestigt war. Bei einer anderen Gelegenheit bekam ein Matrose, der ebenfalls in der Nähe eines Mastes auf dem Verdeck stand, auf seine linke Brust den Abdruck des Zeichens 4.4, in allen Stücken genau so wie es sich an der Spitze des Mastes befand. Eine Dame von Lugano saß im Jahre 1847 während eines Ungewitters in der Nähe des Fensters. Sie empfand wohl die allgemeine Erschütterung der Luft bei den niederfahrenden Blitzschlägen, ward sich indessen keiner Verletzung bewußt. Nichts destoweniger fand sich das genaue Abbild einer Blume, die in der Bahn der elektrischen Strömung stand, auf ihrem Bein, und verlor sich nicht wieder. Herr Poey schloß diesen Theil seines Vortrags mit einem bereits früher in einer Schrift von ihm erwähnten Vorfall. Am 24. Juli 1852 wurde auf einer Kaffeeplantage von Cuba eine Pappel vom Blitze getroffen, und auf einem der großen dürren Blätter fand man die treue Abbildung mehrerer Nadelbäume, die in einer Entfernung von 1000 Fuß standen. Die theoretische Erklärung dieser Blitzabdrücke anlangend, so glaubt er sie mit den elektrischen Bildern, wie Moser, Rieß, Karsten u. A. sie gewonnen haben, zusammenstellen zu dürfen. Daß jene Blitzbilder unbeschadet der Kleidung unter ihr abgedrückt werden, überrascht nicht, wenn man erwägt, daß die grobe Textur derselben das elektrische Fluidum mit dem ihm eingeprägten Bilde nicht aufhalten kann. Zur Unterstützung dieser Ansicht erwähnte Herr Poey noch eines Falles, wo der Blitz durch den Schornstein und den Kamin in einen Koffer gefahren ist, in dem sich nachher ein Zoll tief Ruß fand, der somit durch das Holz selbst gedrungen sein mußte.
Das Kind, welches in der „Gartenlaube“ Nr. 23 seine Eltern sucht, betreffend, den Anfragen nach ihrem Schicksale, und dem jetzigen Aufenthalte des Mädchens, wie allen denen, welche noch Lust haben, danach zu fragen, diene hiermit ein für allemal zur Antwort, daß ich bloße neugierige Fragen nicht beantworten, gern aber, wie ich dies auch am Schlusse meines Artikels versprochen habe, denen, welche nur ein Interesse an dem Schicksale des Mädchens nachweisen, jede gewünschte Auskunft ertheilen werde. Für Neugierige habe ich keine Zeit, wohl aber für das Wohl des Mädchens, dessen Unterbringung in einer allgemein geachteten Anstalt eine wahrhaft glückliche genannt werden darf. Die Redaction der „Gartenlaube“ wird Briefe unter meiner Adresse stets befördern.
- ↑ Nach Dr. Herrmann Meyer, Professor der Anatomie in Zürich, frei bearbeitet. Das ausführliche Original befindet sich in der Monatsschrift des wissenschaftlichen Vereins in Zürich. II. Jahrgang, 1857. S. 62.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Auffordederung