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Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren/Vierzehntes Capitel

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Dreizehntes Capitel Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren (1877)
von Charles Darwin


[319]
Vierzehntes Capitel.
Schlußbemerkungen und Zusammenfassung.
Die drei leitenden Grundsätze, welche die hauptsächlichsten Bewegungen des Ausdrucks bestimmt haben. — Deren Vererbung. — Über den Antheil, welchen der Wille und die Absicht bei der Erlangung verschiedener Ausdrucksweisen gehabt haben. — Das instinctive Erkennen des Ausdrucks. — Die Beziehung des Gegenstandes zur Frage von der specifischen Einheit der Menschenrassen. — Über das allmähliche Erlangen verschiedener Ausdrucksformen durch die Urerzeuger des Menschen. — Die Wichtigkeit des Ausdrucks. — Schluß.

Ich habe nun nach meinen besten Kräften die hauptsächlichsten, einen Ausdruck bezeichnenden Handlungen beim Menschen und bei einigen wenigen der niederen Thiere beschrieben. Ich habe auch versucht, den Ursprung oder die Entwickelung dieser Handlungen aus den drei im ersten Capitel mitgetheilten Grundsätzen zu erklären. Der erste dieser Grundsätze ist der, daß Bewegungen, welche zur Befriedigung irgend eines Verlangens oder zur Erleichterung irgend einer Empfindung von Nutzen sind, häufig wiederholt und so gewohnheitsgemäß werden, daß sie, mögen sie nun von Nutzen sein oder nicht, ausgeführt werden, sobald dasselbe Verlangen oder dieselbe Empfindung selbst in einem sehr schwachen Grade gefühlt wird.

Unser zweites Princip ist das des Gegensatzes. Die Gewohnheit, willkürlich unter entgegengesetzten Antrieben entgegengesetzte Bewegungen auszuführen, ist durch die praktische Übung unseres ganzen Lebens fest entwickelt worden. Wenn daher gewisse Handlungen in Übereinstimmung mit unserm ersten Grundsatze bei einem bestimmten Seelenzustande regelmäßig ausgeführt worden sind, so wird unwillkürlich ein lebhaftes Bestreben eintreten, unter der Erregung eines entgegengesetzten Seelenzustandes direct entgegengesetzte Handlungen auszuführen, mögen diese von irgend welchem Nutzen sein oder nicht.

[320] Unser drittes Princip ist das der directen Wirkung des gereizten Nervensystems auf den Körper, unabhängig vom Willen und auch zum großen Theil unabhängig von der Gewohnheit. Die Erfahrung lehrt, daß Nervenkraft erzeugt und frei gemacht wird, sobald das Gehirn-Rückenmark-Nervensystem gereizt wird. Die Richtung, welche diese Nervenkraft einschlägt, wird nothwendigerweise durch die Verbindungsarten der Nervenzellen unter einander und mit verschiedenen Theilen des Körpers bestimmt. Es wird diese Richtung aber auch bedeutend durch Gewohnheit beeinflußt, insofern die Nervenkraft sich leicht in lange gewohnten Canälen fortpflanzt.

Die wahnsinnigen und sinnlosen Bewegungen eines wüthenden Menschen können zum Theil dem einer besonderen Leitung ermangelnden Ausflusse von Nervenkraft und zum Theil der Gewohnheit zugeschrieben werden; denn es stellen dieselben häufig in einer unbestimmten Art den Act des Schlagens dar. Sie gehen hierdurch in die unter unser erstes Princip fallenden Geberden über; so z. B. wenn ein unwilliger oder indignirter Mensch sich unbewußt in eine zum Angriffe seines Gegners passende Stellung bringt, wenn schon ohne irgend welche Absicht, einen wirklichen Angriff auszuführen. Wir sehen auch den Einfluß der Gewohnheit bei allen den Gemüthsbewegungen und Empfindungen, welche erregende genannt werden; sie haben nämlich diesen Character dadurch angenommen, daß sie gewöhnlich zu energischem Handeln geführt haben; eine jede Thätigkeit aber afficirt in einer indirecten Weise das Respirations- und Circulationssystem und das letztere wirkt wieder auf das Gehirn zurück. Sobald diese Gemüthsbewegungen oder Empfindungen selbst in unbedeutendem Grade von uns gefühlt werden, wird, wenn dieselben auch zu dieser Zeit gar keine Anstrengung herbeiführen, doch trotzdem unser ganzer Körper durch die Kraft der Gewohnheit und Association mit erregt. Andere Gemüthserregungen und Empfindungen werden deprimirende genannt, weil sie nicht gewöhnlich zu energischem Handeln geführt haben, ausgenommen im ersten Beginne, wie bei äußerstem Schmerz, Furcht oder Gram; zuletzt haben sie vollständige Erschöpfung verursacht; sie werden in Folge hiervon hauptsächlich durch negative Zeichen und allgemeine Abspannung ausgedrückt. Ferner gibt es noch andere Gemüthsbewegungen, wie die der Zuneigung, welche gewöhnlich zu keiner Thätigkeit irgend welcher Art führen und folglich auch von keinen scharf ausgesprochenen äußeren [321] Zeichen dargestellt werden. Allerdings ruft die Zuneigung, insofern sie eine angenehme Empfindung ist, die gewöhnlichen Zeichen des Vergnügens hervor.

Andererseits scheinen viele von den Wirkungen, welche in Folge der Reizung des Nervensystems eintreten, von dem Ausströmen der Nervenkraft in den durch frühere Willensanstrengungen gewohnheitsgemäß gewordenen Canälen völlig unabhängig zu sein. Derartige Wirkungen, welche häufig den Seelenzustand der in dieser Art afficirten Personen verrathen, können für jetzt nicht erklärt werden; so z. B. die Veränderung der Farbe des Haares in Folge äußerster Furcht oder Grames, — der kalte Schweiß und das Zittern der Muskeln vor Furcht, — die modificirten Absonderungen des Darmcanals — und das Aufhören der Thätigkeit in gewissen Drüsen.

Trotzdem nun, daß so Vieles von dem hier behandelten Gegenstande unverständlich bleibt, können doch so viele einen bestimmten Ausdruck darstellende Bewegungen und Thätigkeiten bis zu einem gewissen Grade durch die oben genannten drei Grundsätze oder Gesetze erklärt werden, daß wir hoffen dürfen, sie später sämmtlich durch diese oder sehr analoge Principien erklärt zu sehen.

Wenn Handlungen aller möglichen Art regelmäßig irgend einen Seelenzustand begleiten, so werden sie sofort als ausdrucksgebend erkannt. Dieselben können aus Bewegungen jedweden Theils des Körpers bestehen: so finden wir das Wedeln mit dem Schwanze beim Hunde, das Zucken mit den Schultern beim Menschen, ferner das Sträuben der Haare, die Absonderung von Schweiß, einen veränderten Zustand der Capillargefäße, beschwerliches Athmen und den Gebrauch der Stimmorgane und anderer lauterzeugender Werkzeuge zum Ausdrucke benutzt. Selbst Insecten drücken Zorn, äußerste Furcht, Eifersucht und Liebe durch ihre Stridulation aus. Beim Menschen sind die Respirationsorgane von besonderer Bedeutung beim Ausdruck, nicht bloß in einer directen, sondern in einem noch höhern Grade in einer indirecten Art.

Nur wenig Punkte sind bei dem vorliegenden Gegenstande interessanter als die außerordentlich complicirte Kette von Vorkommnissen, welche zu gewissen ausdrucksvollen Bewegungen führen. Man nehme z. B. die schräge Stellung der Augenbrauen eines Menschen, der vor Kummer oder Sorgen leidet. Wenn Kinder vor Hunger oder Schmerz laut aufschreien, so wird die Circulation afficirt und die [322] Augen werden dadurch leicht mit Blut überfüllt: in Folge dessen werden die die Augen umgebenden Muskeln zum Schutze derselben stark zusammengezogen. Diese Handlungsweise ist im Verlaufe vieler Generationen sicher fixirt und vererbt worden. Wenn aber mit dem Fortschritt der Jahre oder der Cultur die Gewohnheit zu schreien zum Theil zurückgedrängt wird, so streben doch die Muskeln rings um die Augen sich zusammenzuziehen, sobald auch nur unbedeutende Noth gefühlt wird. Von diesen Muskeln sind die Pyramidenmuskeln der Nase weniger unter der Controle des Willens als die andern und ihre Zusammenziehung kann nur durch die der mittleren Bündel des Stirnmuskels gehemmt werden; diese letztern Bündel ziehen die innern Enden der Augenbrauen in die Höhe und furchen die Stirn in einer eigenthümlichen Weise, welche wir augenblicklich als den Ausdruck des Kummers oder der Sorge wiedererkennen. Unbedeutende Bewegungen, wie die eben beschriebenen oder das kaum wahrnehmbare Herabziehen der Mundwinkel, sind die letzten Überbleibsel oder Rudimente scharf ausgesprochener und verständlicher Bewegungen. Sie sind uns mit Hinsicht auf den Ausdruck ebenso bedeutungsvoll, wie es die gewöhnlichen Rudimente für den Naturforscher bei der Classification und Genealogie organischer Wesen sind.

Daß die hauptsächlichsten ausdruckgebenden Handlungen, welche der Mensch und die niedern Thiere zeigen, jetzt angeboren oder angeerbt sind, — d. h. daß sie nicht von dem Individuum gelernt worden sind, — wird von Jedermann zugegeben. Ein Erlernen oder Nachahmen hat mit mehreren derselben so wenig zu thun, daß sie von den frühesten Tagen der Kindheit an durch das ganze Leben hindurch vollständig außer dem Bereiche der Controle liegen: so z. B. die Erschlaffung der Arterien in der Haut und die erhöhte Herzthätigkeit beim Zorn. Wir können Kinder, nur zwei oder drei Jahre alt und selbst blindgeborene, vor Scham erröthen sehen; und die nackte Kopfhaut kleiner Kinder wird in der Leidenschaft roth. Kinder schreien vor Schmerz unmittelbar nach der Geburt und dann nehmen ihre Gesichtszüge sämmtlich dieselbe Form an, wie während späterer Jahre. Schon diese Thatsachen allein reichen hin, um zu zeigen, daß viele unserer bedeutungsvollsten Ausdrucksweisen nicht gelernt worden sind; es ist indessen merkwürdig, daß einige derselben, welche sicherlich angeboren sind, Übung beim Individuum erfordern, ehe sie in einer vollständigen und vollkommenen Art und Weise ausgeführt werden: [323] so z. B. das Weinen und das Lachen. Die Erblichkeit der meisten unserer ausdruckgebenden Handlungen erklärt die Thatsache, daß Blindgeborene, wie ich von Mr. R. H. Blair höre, dieselben ebenso gut zeigen, wie die mit dem Augenlicht begabten Kinder. Wir können hieraus auch die Thatsache verstehen, daß sowohl die jungen als die alten Individuen weit von einander verschiedener Rassen, sowohl beim Menschen als bei den Thieren, denselben Seelenzustand durch dieselben Bewegungen ausdrücken.

Wir sind mit der Thatsache, daß junge und alte Thiere ihre Gefühle in derselben Art und Weise zum Ausdruck bringen, so vertraut, daß wir kaum bemerken, wie merkwürdig es ist, daß ein junges, kaum geborenes Hündchen mit dem Schwanze wedelt, wenn es freudig gestimmt ist, daß es seine Ohren niederdrückt und die Eckzähne entblößt, wenn es böse werden will, genau so wie ein alter Hund, oder daß ein kleines Kätzchen seinen Rücken krümmt und sein Haar sträubt, wenn es zum Fürchten oder in Zorn gebracht wird, wie eine alte Katze. Wenn wir uns indessen zu Geberden wenden, die bei uns selbst weniger häufig sind und welche wir gewöhnt sind, für künstliche oder conventionelle anzusehen, — so das Zucken der Schultern als ein Zeichen der Unfähigkeit oder das Erheben der Arme mit offenen Händen und ausgespreizten Fingern als ein Zeichen der Verwunderung, — so überrascht es uns vielleicht zu sehr, um sofort zu finden, daß sie angeboren sind. Daß diese und einige andere Geberden vererbt werden, können wir indessen daraus entnehmen, daß sie von ganz kleinen Kindern, von Blindgeborenen und von den allerverschiedensten Menschenrassen ausgeführt werden. Wir müssen auch im Auge behalten, daß neue und in hohem Grade eigenthümliche Gewohnheiten in Association mit gewissen Seelenzuständen bekanntermaßen bei gewissen Individuen entstanden und auf ihre Nachkommen, in einigen Fällen durch mehr als eine Generation, vererbt worden sind.

Gewisse andere Geberden, welche uns so natürlich zu sein scheinen, daß wir uns leicht einbilden könnten, sie wären angeboren, sind allem Anscheine nach gelernt worden wie die Wörter einer Sprache. Dies scheint bei dem Falten und Emporheben der Hände und dem Wenden der Augen nach oben im Gebet der Fall zu sein. Dasselbe gilt für das Küssen als ein Zeichen der Zuneigung; dies ist indessen angeboren, insofern es von dem Vergnügen abhängt, welches die Berührung mit einer geliebten Person hervorruft. Die Belege hinsichtlich [324] der Vererbung des Nickens und Schüttelns des Kopfes als Zeichen der Bejahung und der Verneinung sind zweifelhaft; dieselben sind nämlich nicht ganz allgemein, scheinen indessen doch zu weit verbreitet zu sein, als daß sie von allen Individuen so vieler Rassen unabhängig hätten erlangt werden können.

Wir wollen nun untersuchen, wie weit der Wille und das Bewußtsein bei der Entwickelung der verschiedenartigen Bewegungen des Ausdrucks mit in’s Spiel gekommen sind. So weit wir es beurtheilen können, sind nur einige wenige ausdruckgebende Bewegungen, solche wie die oben angeführten, von jedem Individuum gelernt worden, d. h. sind bewußterweise und willkürlich während der frühern Lebensjahre zu irgend einem bestimmten Zwecke oder aus Nachahmung Anderer ausgeführt und dann zur Gewohnheit geworden. Die bei weitem größere Zahl der Bewegungen des Ausdrucks, und alle die bedeutungsvolleren, sind, wie wir gesehen haben, angeboren oder vererbt, und von diesen kann man nicht sagen, daß sie vom Willen des Individuum abhängen. Nichtsdestoweniger waren alle die unter unser erstes Gesetz Fallenden ursprünglich zu einem bestimmten Zwecke ausgeführt worden — nämlich um irgend einer Gefahr zu entgehen, irgend eine Noth zu erleichtern oder irgend ein Verlangen zu befriedigen. Es kann z. B. darüber kaum ein Zweifel bestehen, daß die Thiere, welche mit ihren Zähnen kämpfen, die Gewohnheit, wenn sie wild werden, ihre Ohren rückwärts dicht an den Kopf zu drücken, dadurch erlangt haben, daß ihre Voreltern willkürlich in dieser Weise gehandelt haben, um ihre Ohren vor dem Zerrissenwerden durch ihre Gegner zu schützen; denn diejenigen Thiere, welche nicht mit ihren Zähnen kämpfen, drücken einen wild gereizten Seelenzustand nicht in dieser Weise aus. Wir können es für in hohem Grade wahrscheinlich halten, daß wir selbst die Gewohnheit, die Muskeln rings um die Augen zusammenzuziehen, wenn wir ruhig weinen, d. h. ohne die Äußerung irgend eines Lautes, dadurch erlangt haben, daß unsere Urerzeuger besonders während der Kindheit beim Acte des Schreiens ein unbehagliches Gefühl in ihren Augäpfeln empfunden haben. Ferner sind einige in hohem Grade ausdrucksvolle Bewegungen das Resultat des Versuchs, andere ausdruckgebende Bewegungen aufzuhalten oder zu verhindern; so ist die schräge Stellung der Augenbrauen und das Herabziehen der Mundwinkel eine Folge des Versuchs, den Ausbruch eines Schreianfalls zu verhüten oder ihn zu unterbrechen, wenn er eingetreten ist. Hier liegt [325] es auf der Hand, daß das Bewußtsein und der Wille zuerst mit in’s Spiel gekommen sein müssen, womit indeß nicht gesagt sein soll, daß wir uns in diesen oder in andern derartigen Fällen bewußt würden, welche Muskeln in Thätigkeit gesetzt werden, was hier so wenig geschieht wie bei der Ausführung der allergewöhnlichsten willkürlichen Bewegungen.

Was die ausdruckgebenden Bewegungen betrifft, welche von dem Grundsatze des Gegensatzes abhängen, so ist hier klar, daß, wenn auch in einer entfernten und indirecten Art, der Wille dabei in’s Spiel gekommen ist. Dasselbe gilt auch für die Bewegungen, welche unter unser drittes Princip fallen. Insofern diese dadurch beeinflußt worden sind, daß die Nervenkraft leicht in gewohnten Canälen sich fortbewegt, sind sie durch frühere wiederholte Äußerungen des Willens bestimmt worden. Die Wirkungen, welche eine indirecte Folge dieses letztern Einflusses sind, werden häufig in einer complicirten Art durch die Kraft der Gewohnheit und Association mit denen combinirt, welche das directe Resultat der Reizung des Gehirn-Rückenmark-Nervensystems sind. Dies scheint bei der vermehrten Herzthätigkeit unter dem Einflusse einer jeden starken Seelenerregung der Fall zu sein. Wenn ein Thier sein Haar aufrichtet, eine drohende Stellung annimmt und wüthende Laute ausstößt, um einen Feind in Schrecken und Furcht zu versetzen, so sehen wir eine merkwürdige Combination von solchen Bewegungen, welche ursprünglich willkürlich waren, mit andern unwillkürlichen. Es ist indessen möglich, daß selbst streng genommen unwillkürliche Acte, wie das Aufrichten der Haare, durch die mysteriöse Gewalt des Willens afficirt worden sein dürften.

Manche ausdruckgebende Bewegungen können in Association mit gewissen Seelenzuständen spontan entstanden, wie die eigenthümlichen kleinen Züge, die erst vor Kurzem noch erwähnt wurden, und später vererbt worden sein. Ich kenne aber keine thatsächlichen Zeugnisse, welche diese Ansicht wahrscheinlich machen.

Das Vermögen der Mittheilung zwischen den Gliedern eines und desselben Stammes mittelst der Sprache ist in Bezug auf die Entwickelung des Menschen von der allerobersten Bedeutung gewesen; und die Gewalt der Sprache wird durch die einen Ausdruck verleihenden Bewegungen des Gesichts und Körpers bedeutend unterstützt. Wir bemerken dies sofort, wenn wir uns über irgend einen wichtigen Gegenstand mit einer Person unterhalten, deren Gesicht verhüllt ist. [326] Nichtsdestoweniger bestehen, soweit ich es nachzuweisen im Stande bin, keine Gründe für die Annahme, daß irgend ein Muskel ausschließlich zum Zwecke des Ausdrucks entwickelt oder auch nur modificirt worden wäre. Die Stimmorgane und die andern lauterzeugenden Werkzeuge, durch welche verschiedene ausdrucksvolle Geräusche hervorgebracht werden, scheinen eine theilweise Ausnahme zu bilden; ich habe aber an einem andern Orte zu zeigen versucht, daß diese Organe anfangs zu sexuellen Zwecken entwickelt wurden, damit das eine Geschlecht das andere rufen oder bezaubern könne. Ich kann auch keine Gründe für die Annahme ausfindig machen, daß irgend eine vererbte Bewegung, welche jetzt als ein Mittel des Ausdrucks dient, ursprünglich willkürlich und bewußt zur Erreichung dieses speciellen Zweckes ausgeführt worden wäre, — wie einige der Geberden und die von Taubstummen benutzte Fingersprache. Im Gegentheil scheint jede echte oder vererbte Bewegung des Ausdrucks irgend einen natürlichen oder unabhängigen Ursprung gehabt zu haben. Waren aber derartige Bewegungen einmal erlangt, so können sie willkürlich und bewußterweise als Hülfsmittel der gegenseitigen Mittheilung angewendet werden. Selbst kleine Kinder finden es in einem sehr frühen Alter heraus, wenn sie sorgfältig gewartet werden, daß ihre Schreianfälle ihnen Erleichterung herbeiführen, und üben dann das Schreien bald willkürlich aus. Wir können häufig sehen, wie Jemand unwillkürlich seine Augenbrauen erhebt, um Überraschung auszudrücken, oder lächelt, um vermeintliche Befriedigung und Genugthuung auszudrücken. Häufig wünscht Jemand gewisse Geberden auffällig oder demonstrativ zu machen; dann hebt er seine ausgestreckten Arme mit weit von einander gespreizten Fingern über seinen Kopf, um Erstaunen zu zeigen, oder zieht seine Schultern bis an die Ohren in die Höhe, um zu zeigen, daß er irgend etwas nicht thun kann oder nicht thun will. Die Neigung zu derartigen Bewegungen wird dadurch verstärkt oder erhöht werden, daß dieselben in der angegebenen Weise willkürlich und wiederholt ausgeführt werden; auch können die Wirkungen vererbt werden.

Es ist vielleicht einer Betrachtung werth, ob sich nicht gewisse Bewegungen, welche anfänglich nur von einem oder von wenigen Individuen dazu benutzt wurden, einen gewissen Seelenzustand auszudrücken, zuweilen auf andere Individuen verbreitet haben und schließlich durch die Gewalt der bewußten wie der unbewußten Nachahmung [327] ganz allgemein geworden sind. Daß beim Menschen eine starke Neigung zur Nachahmung besteht, unabhängig von dem bewußten Willen, ist sicher. Dies zeigt sich in der außerordentlichsten Art und Weise bei gewissen Gehirnkrankheiten, besonders beim Beginne der entzündlichen Gehirnerweichung, und ist das „Echo-Symptom“ genannt worden. Die in dieser Art afficirten Patienten ahmen ohne jedes Verständnis jede ihnen vorgemachte absurde Geberde und jedes Wort nach, welches in ihrer Nähe, selbst in einer fremden Sprache geäußert wird.[1] Was die Thiere betrifft, so haben der Schakal und der Wolf in der Gefangenschaft das Bellen des Hundes nachahmen gelernt. Auf welche Weise das Bellen des Hundes zuerst gelernt worden ist, welches verschiedene Gemüthserregungen und Begierden auszudrücken dient und welches deshalb so merkwürdig ist, weil es erst erlangt worden ist, seitdem das Thier domesticirt worden ist, und weil es von verschiedenen Rassen in verschiedenem Grade vererbt wird, wissen wir nicht; könnten wir aber nicht vermuthen, daß die Nachahmung bei seiner Erlangung etwas zu thun gehabt hat, insofern nämlich die Hunde lange Zeit in enger Association mit einem so gesprächigen Thiere wie der Mensch eines ist, gelebt haben?

Im Verlaufe der vorstehenden Bemerkungen und durch dieses ganze Buch habe ich häufig eine bedeutende Schwierigkeit in Bezug auf die gehörige Anwendung der Ausdrücke Willen, Bewußtsein und Beabsichtigung empfunden. Handlungen, welche anfangs willkürlich sind, werden bald gewohnheitsgemäß und zuletzt erblich, und dann können sie selbst im Gegensatz zum Willen ausgeführt werden. Obschon sie häufig den Seelenzustand verrathen, so wurde doch dieses Resultat anfangs weder beabsichtigt noch erwartet. Selbst solche Ausdrücke, wie daß „gewisse Bewegungen als Mittel des Ausdrucks dienen“, können leicht irre leiten, da sie den Gedanken einschließen, daß dies ihr ursprünglicher Zweck war. Dies scheint indessen nur selten oder niemals der Fall gewesen zu sein; die Bewegungen sind entweder anfänglich von irgend einem directen Nutzen gewesen, oder sie sind die indirecte Wirkung des gereizten Zustandes des Sensorium. Ein kleines Kind kann entweder absichtlich oder instinctiv schreien, um zu zeigen, daß es Nahrung bedarf; es hat aber keinen Wunsch [328] oder keine Absicht dabei, seine Gesichtszüge in die eigenthümliche Form zu verziehen, welche so deutlich Unglück anzeigt. Und doch sind einige der characteristischsten Ausdrucksformen des Menschen aus dem Acte des Schreiens herzuleiten, wie früher erklärt worden ist.

Obschon die meisten unserer ausdruckgebenden Handlungen angeboren oder instinctiv sind, wie von Jedermann zugegeben wird, so ist es doch eine andere Frage, ob wir irgend eine instinctive Fähigkeit haben, sie wiederzuerkennen. Allgemein ist angenommen worden, daß dies der Fall sei; diese Annahme ist aber von Mr. Lemoine heftig bekämpft worden.[2] Affen lernen bald nicht bloß den Ton der Stimme ihrer Herren, sondern den Ausdruck ihres Gesichts unterscheiden, wie ein sorgfältiger Beobachter angegeben hat.[3] Hunde kennen sehr wohl den Unterschied zwischen liebkosenden und drohenden Geberden und Tönen; auch scheinen sie einen mitleidsvollen Ton zu erkennen. So viel ich aber nach wiederholten Versuchen ermitteln konnte, verstehen sie keine nur auf das Gesicht beschränkte Bewegung mit Ausnahme des Lächelns oder Lachens; dies scheinen sie wenigstens in manchen Fällen wiederzuerkennen. Diesen beschränkten Grad von Kenntnis haben beide, sowohl Affen als Hunde, wahrscheinlich dadurch erlangt, daß sie eine rauhe oder freundliche Behandlung mit einzelnen unserer Thätigkeiten associirten; sicherlich ist diese Kenntnis nicht instinctiv. Ohne Zweifel werden Kinder bald die Bewegungen des Ausdrucks bei Personen, welche älter als sie sind, in derselben Weise verstehen lernen, wie die Thiere diejenigen ihrer Herren. Wenn überdies ein Kind weint oder lacht, so weiß es in einer allgemeinen Art, was es thut und was es fühlt, so daß dann nur ein geringer Aufwand von Verstand ihm sagen wird, was das Weinen oder Lachen bei Andern zu bedeuten hat. Die Frage ist indessen die: erlangen unsere Kinder die Kenntnis des Ausdrucks nur durch Erfahrung mittelst der Kraft der Association und des Verstandes?

Da die meisten Bewegungen des Ausdrucks allmählich erlangt worden und später instinctiv geworden sein müssen, so scheint es in gewissem Grade a priori wahrscheinlich, daß auch das Wiederkennen derselben instinctiv geworden sei. Wenigstens bietet diese Annahme keine größere Schwierigkeit dar als anzunehmen, daß wenn ein weibliches [329] Säugethier zum ersten Mal Junge hat, es das Weinen vor Angst und Noth bei ihren Jungen kennt, oder daß viele Thiere ihre Feinde instinctiv wiedererkennen und fürchten: und an diesen beiden Thatsachen läßt sich vernünftigerweise nicht zweifeln. Es ist indessen äußerst schwierig zu beweisen, daß unsere Kinder instinctiv die Bedeutung irgend eines Ausdrucks erkennen. Ich achtete auf diesen Punkt bei meinem erstgeborenen Kinde, welches nichts durch den Verkehr mit andern Kindern gelernt haben konnte, und kam zu der Überzeugung, daß es ein Lächeln verstand und Freude empfand, ein solches zu sehen, es auch durch ein gleiches beantwortete, in einem viel zu frühen Alter, als daß es irgend etwas durch Erfahrung gelernt haben könnte. Als dies Kind ungefähr vier Monate alt war, machte ich in seiner Gegenwart verschiedene curiose Geräusche und fremdartige Grimassen, versuchte auch böse auszusehen; waren aber die Geräusche nicht zu laut, so wurden sie ebenso wie die Grimassen für gute Späße aufgenommen: ich schrieb dies zu der Zeit dem Umstande zu, daß allem diesem ein Lächeln vorausgegangen war oder daß es ein Lächeln begleitete. Als es fünf Monate alt war, schien es einen mitleidsvollen Ausdruck und Ton der Stimme zu verstehen. Als es wenige Tage, über sechs Monate alt war, that seine Wärterin so als weinte sie; und hier sah ich, wie sein Gesicht augenblicklich einen melancholischen Ausdruck annahm mit stark herabgezogenen Mundwinkeln. Nun konnte dies Kind nur selten irgend ein anderes Kind und niemals eine erwachsene Person weinen gesehen haben; auch zweifle ich, ob es in einem so frühen Alter über die Sache nachgedacht haben dürfte. Es scheint mir aber, daß ihm ein angeborenes Gefühl gesagt haben muß, das vermeintliche Weinen der Wärterin drücke Kummer aus; und dies erregte durch den Instinct der Sympathie in ihm Kummer.

Mr. Lemoine meint, daß, wenn der Mensch eine angeborene Kenntnis der Ausdrucksformen besäße, Schriftsteller und Künstler es nicht für so schwierig, wie es notorisch der Fall ist, gefunden haben würden, die characteristischen Zeichen jedes eigenthümlichen Seelenzustandes zu beschreiben und nachzubilden. Dies scheint mir indessen kein gültiges Argument zu sein. Wir können factisch sehen, wie sich der Ausdruck bei einem Menschen oder einem Thiere in einer nicht miszuverstehenden Weise ändert, und doch völlig außer Stande sein, wie ich aus Erfahrung weiß, die Natur der Veränderung zu [330] analysiren. In zwei von Duchenne mitgetheilten Photographien eines und desselben alten Mannes (Taf. III, Fig. 5 und 6) erkannte beinahe ein Jeder, daß die eine ein echtes, die andere ein falsches Lächeln darstellte; und doch fand ich es für sehr schwierig, zu entscheiden, worin der ganze Unterschied bestand. Es ist mir häufig als eine merkwürdige Thatsache aufgefallen, daß so viele Nuancirungen des Ausdrucks augenblicklich ohne irgend einen bewußten Proceß der Analyse unsererseits erkannt werden. Ich glaube, Niemand kann deutlich einen verdrießlichen und einen schlauen Ausdruck beschreiben; und doch sind viele Beobachter darüber einstimmig, daß diese Ausdrucksformen bei den verschiedenen Menschenrassen zu erkennen sind. Beinahe ein Jeder, dem ich Duchenne's Photographie des jungen Mannes mit schräg gestellten Augenbrauen (Taf. II, Fig. 2) zeigte, erklärte sofort, daß sie Kummer oder irgend ein derartiges Gefühl ausdrücke; doch hätte wahrscheinlich nicht eine von diesen Personen oder eine unter einem Tausend vorher irgend etwas Genaues über die schräge Stellung der Augenbrauen mit den zusammengewulsteten inneren Enden oder über die rechtwinkligen Furchen auf der Stirn angeben können. So geht es auch mit vielen andern Ausdrucksformen; ich habe darüber practische Erfahrungen gemacht in Bezug auf die Mühe, welche es kostete, Andere zu unterrichten, welche Punkte zu beobachten wären. Wenn daher die große Unwissenheit in Bezug auf Einzelnheiten es nicht verhindert, daß wir mit Sicherheit und Fertigkeit verschiedene Ausdrucksweisen erkennen, so sehe ich nicht ein, wie man diese Unwissenheit als einen Beweis dafür vorbringen kann, daß unsere Kenntnis, obschon sie nur unbestimmt und ganz allgemein ist, nicht angeboren sei.

Ich habe mit ziemlich detaillirter Ausführlichkeit zu zeigen mich bemüht, daß alle die hauptsächlichsten Ausdrucksweisen, welche der Mensch darbietet, über die ganze Erde dieselben sind. Diese Thatsache ist interessant, da sie ein neues Argument zu Gunsten der Annahme beibringt, daß die verschiedenen Rassen von einer einzigen Stammform ausgegangen sind, welche vor der Zeit, in welcher die Rassen von einander abzuweichen begannen, beinahe vollständig menschlich in ihrem Baue und in hohem Grade so in ihrer geistigen Entwickelung gewesen sein muß. Ohne Zweifel sind zwar wohl ähnliche Structureinrichtungen, die demselben Zwecke angepaßt sind, häufig unabhängig von einander durch Abänderung und natürliche Zuchtwahl [331] von verschiedenen Species erlangt worden; diese Ansicht erklärt aber die große Ähnlichkeit verschiedener Species in einer großen Zahl unbedeutender Einzelnheiten nicht. Wenn wir nun die zahlreichen, in keiner Beziehung zum Ausdruck stehenden Punkte der Structur im Sinne behalten, in denen alle Menschenrassen nahe mit einander übereinstimmen und zu diesen die zahlreichen Punkte fügen, — einige von der größten Bedeutung und viele von dem untergeordnetsten Werthe, — von welchen die Bewegungen des Ausdrucks direct oder indirect abhängen, so scheint es mir im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein, daß eine so große Ähnlichkeit oder vielmehr Identität im Baue durch unabhängige Mittel erlangt worden sein könne. Und doch müßte dies der Fall gewesen sein, wenn die einzelnen Menschenrassen von mehreren ursprünglich verschiedenen Species abgestammt wären. Es ist bei weitem wahrscheinlicher, daß die vielen Punkte großer Ähnlichkeit in den verschiedenen Rassen Folge der Vererbung von einer einzigen elterlichen Form sind, welche bereits einen menschlichen Character angenommen hatte.

Es ist wohl interessant, wenn schon vielleicht müßig, darüber eine Speculation anzustellen, wie früh in der langen Reihe unserer Urerzeuger die verschiedenen ausdruckgebenden Bewegungen, welche der Mensch darbietet, successiv erlangt worden sind. Die folgenden Bemerkungen mögen mindestens dazu dienen, einige der hauptsächlichsten in diesem Bande erörterten Punkte in's Gedächtnis zurückzurufen. Wir können zuverlässig annehmen, daß das Lachen als ein Zeichen der Freude oder des Vergnügens von unsern Urerzeugern ausgeübt wurde, lange ehe sie verdienten, menschlich genannt zu werden; denn sehr viele Arten von Affen stoßen, wenn sie vergnügt sind, einen oft wiederholten Laut aus, welcher offenbar unserm Lachen analog ist und von zitternden Bewegungen ihrer Kiefer und Lippen begleitet wird, wobei die Mundwinkel nach hinten und oben gezogen, die Wangen gefurcht und selbst die Augen glänzend werden.

In gleicher Weise können wir schließen, daß die Furcht seit einer äußerst entfernt zurückliegenden Zeit in beinahe derselben Weise ausgedrückt wurde, wie es jetzt von Menschen geschieht: nämlich durch Zittern, das Aufrichten der Haare, kalten Schweiß, Blässe, weit geöffnete Augen, Erschlaffung der meisten Muskeln und dadurch, daß sich der Körper niederduckte oder bewegungslos gehalten wurde.

Leiden wird von Anfang an, wenn es groß war, Schreien oder [332] Heulen verursacht haben, wobei mit den Zähnen geknirscht und der Körper gewunden wurde. Unsere Urerzeuger werden aber jene in so hohem Grade ausdrucksvollen Gesichtszüge nicht eher dargeboten haben, welche das Schreien und Weinen begleiten, als bis ihre Circulations- und Respirationsorgane und die die Augen umgebenden Muskeln ihren gegenwärtigen Bau erlangt hatten. Das Vergießen von Thränen scheint durch Reflexthätigkeit in Folge der krampfhaften Zusammenziehung der Augenlider, vielleicht in Verbindung mit einer Überfüllung der Augen mit Blut während des Actes des Schreiens, entstanden zu sein. Das Weinen trat daher wahrscheinlich spät in der Reihe unserer Vorfahren auf; dieser Schluß stimmt mit der Thatsache überein, daß unsere nächsten Verwandten, die anthropomorphen Affen, nicht weinen. Wir müssen hier indessen mit einiger Vorsicht auftreten; denn da gewisse Affen, welche nicht nahe mit den Menschen verwandt sind, weinen, so kann sich diese Gewohnheit schon vor langer Zeit bei einem Unterzweige der Gruppe entwickelt haben, von welcher der Mensch ausgegangen ist. Wenn unsere frühern Urerzeuger von Kummer oder Sorgen litten, werden sie nicht eher ihre Augenbrauen schräg gestellt oder ihre Mundwinkel herabgezogen haben, bis sie die Gewohnheit erlangt hatten, zu versuchen, ihr Schreien zu unterdrücken. Es ist daher der Ausdruck des Kummers und der Sorge in eminentem Grade menschlich.

Wuth wird schon in einer sehr frühen Zeit durch drohende oder rasende Geberden, durch Rothwerden der Haut und durch starrende Augen, aber nicht durch ein Stirnrunzeln ausgedrückt worden sein. Die Gewohnheit, die Stirne zu runzeln, scheint nämlich dadurch erlangt worden zu sein, daß die Augenbrauenrunzler (Corrugatoren) die ersten Muskeln waren, welche sich zusammenzogen, sobald während der frühesten Kindheit Schmerz, Zorn oder Trübsal empfunden wurde, zum Theil auch dadurch, daß das Runzeln der Stirn als Schirm bei schwierigem und intensivem Sehen diente. Diese Handlung, mit den Augenbrauen einen Schirm für die Augen zu bilden, scheint wahrscheinlicherweise nicht eher gewohnheitsgemäß geworden zu sein, bis der Mensch eine vollkommen aufrechte Stellung angenommen hatte; denn Affen runzeln ihre Augenbrauen nicht, wenn sie blendendem Lichte ausgesetzt werden. Unsere frühen Urerzeuger werden wahrscheinlich, wenn sie in Wuth gerathen sind, ihre Zähne noch weiter gezeigt haben, als es jetzt der Mensch thut, selbst wenn er seinem [333] Wuthausbruche, wie im Falle einer Geisteskrankheit, vollen Lauf läßt. Wir können auch darüber beinahe sicher sein, daß sie ihre Lippen vorgestreckt haben werden, wenn sie mürrisch oder enttäuscht waren, und zwar in einem höheren Grade, als es jetzt bei unsern Kindern oder selbst bei den Kindern jetzt lebender wilder Menschenrassen der Fall ist.

Unsere frühen Urerzeuger werden ferner, wenn sie sich unwillig oder in mäßigem Grade zornig fühlten, nicht eher ihren Kopf aufrecht gehalten, ihren Brustkasten erweitert, ihre Schultern scharf zusammengenommen und ihre Fäuste geballt haben, bis sie die gewöhnliche Haltung und aufrechte Stellung des Menschen angenommen und gelernt hatten, mit ihren Fäusten oder mit Keulen zu kämpfen. Bis zum Eintritt dieser Periode wird die gegensätzliche Geberde des Zuckens mit den Schultern als ein Zeichen der Unfähigkeit oder der Geduld nicht entwickelt worden sein. Aus demselben Grunde wird damals das Erstaunen nicht durch ein Emporheben der Arme mit geöffneten Händen und auseinander gespreizten Fingern ausgedrückt worden sein. Auch wird das Erstaunen, nach den Handlungen von Affen zu urtheilen, sich nicht durch einen weit geöffneten Mund zu erkennen gegeben haben; die Augen werden aber weit geöffnet und die Augenbrauen gewölbt worden sein. Abscheu oder Widerwille wird in einer sehr frühen Zeit durch Bewegungen um den Mund, ähnlich denen des Erbrechens, gezeigt worden sein, — indessen nur, wenn die Ansicht, welche ich vermuthungsweise ausgesprochen habe, correct ist, daß nämlich unsere Urerzeuger die Fähigkeit hatten und auch davon Gebrauch machten, willkürlich und schnell irgend welche Nahrung aus ihrem Magen auszustoßen, die ihnen nicht zusagte. Die verfeinerte Art indessen, Verachtung oder Geringschätzung durch Herabsenkung der Augenlider oder Abwenden der Augen und des Gesichts auszudrücken, als wenn die verachtete Person nicht werth wäre, angesehen zu werden, wird wahrscheinlich nicht eher als bis in einer viel spätern Periode erlangt worden sein.

Von allen Ausdrucksformen scheint das Erröthen die im allerstrengsten Sinne menschliche zu sein; und doch ist sie sämmtlichen oder nahezu sämmtlichen Rassen des Menschen eigen, mag nun irgend welche Veränderung der Farbe auf der Haut dabei sichtbar sein oder nicht. Die Erschlaffung der kleinen Arterien der Hautfläche, von welcher das Erröthen abhängt, scheint an erster Stelle eine Folge [334] davon gewesen zu sein, daß ernste Aufmerksamkeit der Erscheinung unserer eigenen Person, besonders unseres Gesichts zugewendet wurde, wozu dann Gewohnheit, Vererbung und das leichte Strömen von Nervenkraft gewohnten Canälen entlang zur Unterstützung hinzugetreten sind; später scheint es dann durch die Kraft der Association auf die Form der Selbstbeachtung ausgedehnt worden zu sein, welche sich der moralischen Aufführung zuwendet. Es kann kaum bezweifelt werden, daß viele Thiere im Stande sind, schöne Farben und selbst Formen zu würdigen, wie es sich in der aufgewandten Mühe zeigt, mit welcher die Individuen des einen Geschlechts ihre Schönheit vor denen des andern Geschlechts entfalten. Es scheint aber nicht möglich zu sein, daß irgend ein Thier eher, als bis seine geistigen Fähigkeiten sich zu einem gleichen oder nahezu gleichen Grade mit denen des Menschen entwickelt hatten, seine eigene persönliche Erscheinung in nahen Betracht gezogen hätte und in Bezug auf dieselbe empfindlich geworden wäre. Wir können daher wohl schließen, daß das Erröthen in unserer langen Descendenzreihe erst in einer sehr späten Periode entstanden ist.

Aus den verschiedenen, eben erwähnten und im Verlaufe des vorliegenden Bandes mitgetheilten Thatsachen folgt, daß, wenn die Structur unserer Respirations- und Circulationsorgane nur in einem unbedeutenden Grade von dem Zustande, in dem sie sich jetzt befinden, abgewichen wäre, die meisten unserer Ausdrucksweisen wunderbar verschieden gewesen wären. Eine sehr geringe Veränderung im Verlaufe der Arterien und Venen, welche zum Kopfe gehen, würde es wahrscheinlich verhindert haben, daß sich das Blut während heftiger Exspirationen in unsern Augäpfeln aufhäuft; denn dasselbe tritt nur bei äußerst wenig Säugethieren ein. In diesem Falle würden wir einige unserer characteristischsten Ausdrucksformen nicht dargeboten haben. Wenn der Mensch mit Hülfe äußerer Kiemen Wasser geathmet hätte (obgleich diese Idee kaum einer Vorstellung fähig ist), anstatt Luft durch seinen Mund und seine Nasenlöcher zu athmen, so würden seine Gesichtszüge seine Gefühle nicht viel wirksamer ausgedrückt haben, als es jetzt seine Hände oder Gliedmaßen thun. Wuth und Widerwille würden indessen noch immer durch Bewegungen um die Lippen und den Mund haben gezeigt werden können, und die Augen würden glänzender oder matter geworden sein je nach dem Zustande der Circulation. Wenn unsere Ohren beweglich geblieben [335] wären, so würden ihre Bewegungen in hohem Grade ausdrucksvoll gewesen sein, wie es bei allen den Thieren der Fall ist, die mit ihren Zähnen kämpfen; und wir können annehmen, daß unsere frühern Urerzeuger in dieser Weise kämpften, da wir noch immer den Eckzahn der einen Seite entblößen, wenn wir Jemandem Hohn oder Trotz bieten, und wir unsere sämmtlichen Zähne zeigen, wenn wir in rasende Wuth gerathen.

Die Bewegungen des Ausdrucks im Gesicht und am Körper, welcher Art auch ihr Ursprung gewesen sein mag, sind an und für sich selbst für unsere Wohlfahrt von großer Bedeutung. Sie dienen als die ersten Mittel der Mittheilung zwischen der Mutter und ihrem Kinde; sie lächelt ihm ihre Billigung zu und ermuthigt es dadurch auf dem rechten Wege fortzugehen, oder sie runzelt ihre Stirn aus Misbilligung. Wir nehmen leicht Sympathie bei Andern durch die Form ihres Ausdrucks wahr; unsere Leiden werden dadurch gemildert und unsere Freuden erhöht; und damit wird das gegenseitige wohlwollende Gefühl gekräftigt. Die Bewegungen des Ausdrucks verleihen unsern gesprochenen Worten Lebhaftigkeit und Energie. Sie enthüllen die Gedanken und Absichten Anderer wahrer als es Worte thun, welche gefälscht werden können. Wie viel Wahrheit die sogenannte Wissenschaft der Physiognomie überhaupt enthalten mag, scheint, wie Haller schon vor langer Zeit bemerkt hat[4], davon abzuhängen, daß verschiedene Personen je nach ihren Gemüthsstimmungen verschiedene Gesichtsmuskeln in häufigen Gebrauch bringen; die Entwickelung dieser Muskeln wird hierdurch vielleicht verstärkt und die in Folge ihrer gewohnheitsgemäßen Zusammenziehung im Gesicht auftretenden Linien oder Furchen werden damit tiefer und auffallender. Der freie Ausdruck einer Gemüthserregung durch äußere Zeichen macht sie intensiver. Auf der andern Seite macht das Zurückdrängen aller äußern Zeichen, so weit dies möglich ist, unsere Seelenbewegungen milder[5]. Wer seiner Wuth durch heftige Geberden nachgibt, wird sie nur vergrößern; wer die äußern Zeichen der Furcht nicht der Controle des Willens unterwirft, wird Furcht in einem bedeutenderen Grade empfinden; und wer in Unthätigkeit verharrt, wenn er von Kummer überwältigt wird, läßt sich die beste Aussicht entgehen, die [336] Elasticität des Geistes wieder zu erhalten. Diese Resultate sind zum Theil eine Folge der innigen Beziehung, welche zwischen allen Gemüthserregungen und ihren äußern Offenbarungen besteht, zum Theil Folge des directen Einflusses einer Anstrengung auf das Herz und folglich auch auf das Gehirn. Selbst das Heucheln einer Gemüthsbewegung erregt dieselbe leicht in unserer Seele. Shakespeare, welcher doch wegen seiner wunderbaren Kenntnis der menschlichen Seele ein ausgezeichneter Beurtheiler sein sollte, sagt: —

„Ist's nicht erstaunlich, daß der Spieler hier
Bei einer bloßen Dichtung, einem Traum
Der Leidenschaft, vermochte seine Seele
Nach eignen Vorstellungen so zu zwingen,
Daß sein Gesicht von ihrer Regung blaßte,
Sein Auge naß, Bestürzung in den Mienen,
Gebrochne Stimm' und seine ganze Haltung
Gefügt nach seinem Sinn. Und alles das um nichts!“
Hamlet, Act II, Scene 2.

Wir haben gesehen, wie das Studium der Theorie des Ausdrucks in einer gewissen beschränkten Ausdehnung die Folgerung bestätigt, daß der Mensch von irgend einer niedern thierischen Form herstammt, und wie dasselbe die Annahme der specifischen oder subspecifischen Identität der verschiedenen Menschenrassen unterstützt; so weit aber mein Urtheil reicht, bedurfte es kaum einer solchen Bestätigung. Wir haben auch gesehen, daß der Ausdruck an sich, oder die Sprache der Seelenerregungen, wie er zuweilen genannt worden ist, sicherlich für die Wohlfahrt der Menschheit von Bedeutung ist. So weit wie möglich die Quelle und den Ursprung der verschiedenen Ausdrucksweisen, welche stündlich auf den Gesichtern der Menschen um uns herum zu sehen sind (unsere domesticirten Thiere dabei gar nicht zu erwähnen), verstehen zu lernen, sollte ein großes Interesse für uns besitzen. Aus diesen verschiedenen Gründen können wir schließen, daß die Philosophie unseres Gegenstandes die Aufmerksamkeit, welche sie bereits von mehreren ausgezeichneten Beobachtern erfahren hat, wohl verdient und sie besonders seitens jedes fähigen Physiologen wohl noch mehr verdiente.


  1. s. die interessanten von Dr. Bateman über „Aphasie“ mitgetheilten Thatsachen, 1870, p. 110.
  2. La Physionomie et la Parole, 1865, p. 103, 118.
  3. Rengger, Naturgeschichte der Säugethiere von Paraguay. 1830, S. 55.
  4. citirt von Moreau in seiner Ausgabe des Lavater, 1820, Tom. IV, p. 211.
  5. Gratiolet (De la Physionomie, 1865, p. 66) betont die Richtigkeit dieser Folgerung.
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