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Das wunderbare Stöcklein

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Textdaten
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Autor: Ulrich Jahn
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Titel: Das wunderbare Stöcklein
Untertitel:
aus: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund, S. 19–33
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1890]
Verlag: Mayer & Müller
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Russische Staatsbibliothek = Commons; E-Text nach Digitale Bibliothek, Band 80: Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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[19]
Das wunderbare Stöcklein.

Es war einmal ein König, der ließ in seinem Reiche bekannt machen, alle jungen, starken Leute, welche kommen wollten, möchten sich in der Hauptstadt einfinden, damit er unter ihnen einen Hofjäger erwähle.

Nun lebte in einem Dorfe desselben Landes ein reicher Bauer, der hatte drei Söhne: Michel, Krischan und Hans.

„Michel,“ sagte der Bauer, „Hofjäger, das wäre eine Stellung für dich! Was meinst du, willst du dich nicht in die Stadt begeben?“

Die Rede gefiel Micheln wohl, und seine Mutter mußte ihm den Kaliet (Kober) voll Fleisch, Brot und Kuchen packen, damit er unterwegs keine Not litte und in der Stadt nicht so viel im Gasthaus zu verzehren brauche; dann sagte er Vater und Mutter lebewohl und schritt der Hauptstadt zu.

Unterwegs mußte er durch einen großen Wald. Als es Mittagszeit war, wurde er hungrig und setzte sich nieder, holte seinen Kaliet hervor und ließ sich die guten Sachen trefflich schmecken. Mit einem Male [20] kam ein kleines, steinaltes Männchen angehumpelt, das jammerte und sprach:

„Michel, mich hungert so sehr, gieb mir ein wenig ab von deinem Mahle!“

„Das fehlte noch gerade,“ antwortete Michel, „darum habe ich mich wohl mit dem Kaliet geschleppt, daß ich für fremde Menschen Essen trage! Such dir nur Wurzeln und Beeren, mir geht es selber knapp.“

„Dann nicht!“ sagte das Graumännchen und ging seinen Gang.

Michel aber schritt, nachdem er satt gegessen und getrunken hatte, mächtig aus, um bald die Hauptstadt zu erreichen. Er lief, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann, und erreichte auch vor Abend ein großes Dorf. Das kam ihm so bekannt vor, und als er auf einem Hofe ansprach, um dort zu übernachten, war es seines Vaters Haus. Der lachte den dummen Michel aus, und Krischan und Hans spotteten auch; aber Michel rief zornig:

„Versucht ihr es nur, es wird euch nicht besser gelingen!“

„Das will ich auch thun,“ antwortete Krischan, und der Bauer gab die Erlaubnis dazu, und die Mutter packte ihm ebenfalls die schönsten Leckerbissen in den Korb; und am andern Morgen, als die Sonne aufging, war Krischan unterwegs und wanderte der Stadt zu.

Es ging ihm aber nicht anders, als seinem älteren Bruder. Da er eben so gierig und hartherzig war, wie Michel, und dem alten Graumännlein nichts abgeben wollte von seinem Überfluß, so verblendete dasselbe ihm [21] die Augen; und als er am Abend einkehrte, um ein Nachtlager zu suchen, befand er sich gleichfalls auf seines Vaters Hof.

Jetzt war das Spotten bei Michel.

„Guten Abend, Herr Hofjäger,“ sagte er, „wie ist es doch so leicht, in die Stadt zu kommen.“

Hans aber lachte seine beiden Brüder aus und schüttelte sich vor Vergnügen und sprach:

„Ich sehe wohl, ich muß mich auf den Weg machen; sonst ist es mit dem Hofjäger nichts.“

„Du Kiek-in-die-Welt und Taugenichts, bleib du nur hinter dem Ofen sitzen!“ riefen Michel und Krischan zornig.

„Und daß du ihm nichts mit auf den Weg giebst, Mutter!“ fügte der alte Bauer hinzu.

Aber Hans kümmerte das wenig, er ging zu dem Mehlsack, rührte sich einen Teig und briet auf dem Herde drei Aschenbacke; dann steckte er die paar Thaler, die er sich erspart hatte, in die Tasche, und als die Sonne aufging, machte er sich auf den Weg und pfiff ein munteres Lied vor sich hin. Als es Mittagszeit war, ließ er sich nieder, holte einen Aschenback hervor und biß hinein. Indem kam auch schon das kleine Graumännchen auf ihn zu und sagte zu ihm:

„Guten Tag, Hans, mich hungert so! Giebst du mir nicht ein wenig ab von deinem Mahle?“

„Recht gern, liebes Graumännchen,“ antwortete Hans, „es wird dir nur nicht schmecken.“

Damit gab er ihm genau die Hälfte von seinem Vorrat, einen ganzen Aschenback und einen halben.

[22] „Auch einen Thaler sollst du bekommen!“ fuhr er fort. „Zwei hab’ ich, und ich bin gesund und stark und werde mir wieder etwas verdienen können.“

Das Männchen bedankte sich schön und ging seiner Wege.

Gegen Abend trat es wieder auf den Jungen zu, als er sein Abendbrot verzehrte.

„Guten Abend, Hans,“ sagte es, „ich bin so hungrig, gieb mir etwas zu essen!“

Hans dachte, es sei ein anderes Graumännlein und sprach zu ihm: „Das meiste habe ich zwar schon fortgegeben; aber es wird doch noch für uns beide reichen. Hier hast du einen halben Aschenback und einen halben Thaler, und das ist genau die Hälfte.“

„Hab Dank, lieber Hans!“ sprach das Graumännchen und steckte seinen Teil zu sich und ging davon.

Hans aber kletterte auf einen Baum, band sich dort fest, daß ihn die wilden Tiere nicht fräßen, und schlief ein. Am andern Morgen ging er erst ein Stündchen, dann holte er das Stückchen Aschenback, das ihm noch geblieben war, aus der Tasche hervor und wollte gerade abbeißen, als wiederum das Graumännchen erschien und zu ihm sagte:

„Guten Morgen, Hans, ich sterbe vor Hunger, gieb mir ab von deiner Speise!“

„Mein liebes Graumännchen,“ entgegnete Hans, „viel wird’s ihm nicht helfen, denn ich habe nur noch dies Stückchen Aschenback; aber die Hälfte von dem, was ich habe, sollst du bekommen.“

Damit brach er das Stückchen Aschenback in zwei [23] Teile und gab dem Graumännchen den einen; sodann zog er den halben Thaler aus der Tasche hervor und zählte davon sechs gute Groschen dem Graumännchen in die Hand.

„Hans,“ sprach darauf das Graumännchen, „hier hast du all dein Geld und die Aschenbacke, welche du mir geschenkt hast, wieder, ich brauche sie nicht. Ich wollte nur sehen, ob du ein besseres Herz hättest, als deine beiden Brüder. Darum kam ich dreimal zu dir und bat dich um eine Gabe. Nun sollst du auch, weil du so gutherzig gewesen bist, des Königs Hofjäger werden. Dort, wo der Weg die Krümmung macht, steht ein großer Eichbaum, der ist innen hohl, und in der Höhlung hängt ein Jägeranzug, den zieh dir an. Und bei dem Anzug steht ein Stock, den nimmst du zu dir und hältst ihn hoch in Ehren; denn was du damit auch schlagen magst, es sei tot oder lebendig, das muß dir Rede stehen und die lautere Wahrheit sagen.“

Diesmal war das Danken bei Hans; aber das Graumännchen ließ ihn nicht viele Worte machen, sondern trat in die Büsche hinein und war verschwunden.

Hans machte große Schritte, daß er bald zum Eichbaum käme; und als er dort war, fand er alles so, wie das Graumännchen gesagt hatte. In der Höhlung hing der schönste Jägeranzug, den du dir denken kannst; und als Hans ihn angezogen und den Hirschfänger in die Seitentasche gesteckt hatte, kannte er sich selber nicht mehr, so schmuck und stattlich sah er aus.

„Ob’s nun auch wohl mit dem Stock seine Richtigkeit hat?“ sprach er bei sich; dann ergriff er den hübschen [24] Stab, der in der Höhlung stand, schlug damit auf einen alten, morschen Stubben und rief:

„Stubben, wie viel ist die Uhr?“

„Die Glocke in der Stadt hat eben zehn geschlagen!“ brummte der Stubben und war wieder still.

Da war Hansens Freude noch größer, und vergnügt und fröhlich wanderte er der Stadt zu, die er noch vor Mittagszeit erreichte. Er kehrte in dem besten Gasthofe ein; und als der Wirt den schmucken Jägersmann erblickte, sprach er zu ihm:

„Ihr wollt Euch wohl auch zu der Wahl zum Hofjäger stellen? Dann ist ’s aber hohe Zeit; denn heute ist der dritte und letzte Tag, und mit Sonnenuntergang ist die Sache entschieden.“

„So komme ich immer noch früh genug!“ antwortete Hans und ließ sich Wein und Braten auftragen; und nachdem er genug gegessen und getrunken hatte, ging er zum König und stellte sich ihm vor.

Obwohl nun schon sehr viele gelernte Jäger bei ihm gewesen waren, so mochte ihm doch keiner besser gefallen, als Hans; und als mit Sonnenuntergang die Wahl beendet war, war Hans zum königlichen Hofjäger gewählt. Da hatte er sein gutes Auskommen; und weil er fleißig und bescheiden war und gut auf den Dienst achtete, so gewann ihn der König von Tag zu Tag mehr lieb.

Eines Tages kam Hans zu ihm und sprach zu ihm:

„Mein Herr König, ich möchte wohl freien. Darf ich das thun?“

„Warum nicht?“ lachte der König. „Freien ist doch [25] keine Sünde! Ich bin ja auch verheiratet, und ich dächte, du wärest Manns genug, eine Frau zu ernähren.“

Als Hans wußte, daß der König nichts dagegen habe, ging er zu dem Wirt in den Gasthof und sprach zu ihm:

„Weißt du keine Frau für mich? Sie mag sein, wie sie will, nur darf sie noch keinen Bräutigam gehabt haben.“

„Lieber Hans,“ antwortete der Wirt, „solche Mädchen mag’s früher gegeben haben, heuer sind sie rar. Doch wie wär’s mit des reichen Kaufmanns einziger Tochter, die ist erst siebenzehn Jahre alt und mag wohl noch niemals brauten gegangen sein.“

„Ich will’s versuchen,“ sagte Hans und ging zu dem reichen Kaufmann und fragte ihn, ob er seine Tochter zur Frau bekommen könne. Er müsse sie aber vorher gesehen haben, wenn sie schliefe.

„Dummes Zeug!“ antwortete der Kaufmann.

„Nun, dann wird aus der Hochzeit nichts,“ antwortete Hans.

„Aber Herr Hofjäger,“ antwortete der Kaufmann, „wer wird sich denn gleich so abschrecken lassen, wenn man auf Freiers Füßen geht! Mir wollte nur soeben nicht ganz in den Sinn, daß Ihr das Mädchen zuvor im Schlafe sehen möchtet. Aber wenn Ihr darauf besteht, so soll’s Euch gerne gewährt sein.“

Da blieb denn Hans bei dem Kaufmann zu Abend; und als das Mädchen zu Bette gegangen und eingeschlafen war, durfte er zu ihr in die Kammer schleichen. [26] Da zog er seinen Stock hervor, schlug ihr damit leise auf den Mund und fragte:

„Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?“

„Einmal der hübsche, junge Ladendiener,“ antwortete der Mund.

„Du bist nicht die rechte!“ rief Hans, ging zu dem Kaufmann und sprach zu ihm: „Eure Tochter gefällt mir nicht, sie hat sich schon einen andern erkoren.“

Der Kaufmann schalt und schrie; aber der Hofjäger kehrte sich nicht daran und ging wieder auf das Schloß zurück.

Am andern Tage sagte er zu dem Wirt:

„Mit des Kaufmanns Tochter ist es nichts, die ist schon mit einem andern brauten gegangen.“

„Ist’s die Möglichkeit! Ein siebenzehnjähriges Mädchen!“ antwortete der Wirt. „Doch ich sagte es dir gleich: Mädchen, wie du sie suchst, sind heuer rar. Aber wie wär’s mit des Amtmanns Tochter, die ist auch jung von Jahren und reicher Leute einziges Kind. Die wohnt ja auf dem Lande und wird gewiß noch keinen Schatz gehabt haben.“

„Ich will’s versuchen,“ versetzte Hans und machte sich auf den Weg in des Amtmanns Haus.

„Guten Tag, Herr Amtmann, darf ich wohl Eure Tochter heiraten?“

„Warum nicht, Herr Hofjäger,“ sagte der Amtmann erfreut, „wir wollen gleich die Verlobung feiern!“

„Nein, nicht so schnell,“ fiel ihm Hans ins Wort, „ich muß sie zuvor allein im Schlafe gesehen haben.“

[27] „Papperlapapp, daraus wird nichts!“ sprach der Amtmann.

„Gut, dann wird auch aus der Hochzeit nichts,“ erwiderte Hans.

Da mußte sich der Amtmann wohl oder übel dazu bequemen, dem Hofjäger seinen Willen zu thun. Als er nun am Abend in die Kammer trat und erkannt hatte, daß das Mädchen fest schlief, zog er wieder den Stock hervor, klopfte ihr damit auf den Mund und sprach:

„Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?“

„Zweimal der Herr Inspektor!“ antwortete der Mund.

Da hatte Hans genug, schlich sich wieder aus der Schlafkammer heraus und sagte zu dem Amtmann:

„Eure Tochter mag ich nicht, sie hat schon einen Liebsten, dem sie ihr Herz geschenkt hat.“

„Daß dich der Teufel!“ schalt der Amtmann zornig; aber Hans hörte seine Worte nicht mehr, er war schon aus dem Hause heraus und schritt seiner Wohnung zu.

„Lieber Freund,“ sagte am nächsten Tage der Hofjäger zu dem Gastwirt, „weißt du denn gar keine Frau für mich? Mit des Amtmanns Tochter ist es auch nichts geworden, die hat sich schon einen andern erkoren.“

„Sagt’ ich’s nicht,“ erwiderte der Wirt, „es hält schwer, ein passendes Mädchen zu finden! Nun weiß ich nur noch des dicken Edelmanns Kind. Wenn der dich zum Schwiegersohn haben will, das Mädchen wird wohl noch keinen Bräutigam gehabt haben, dazu ist es zu stolz.“

„Wir wollen’s hoffen,“ sagte Hans bekümmert; dann [28] erbat er sich von dem König Pferd und Wagen und fuhr zu dem Edelmann hinaus.

Als er vor ihm stand und sein Anliegen vorgebracht hatte, rief der Edelmann seine Frau herbei, und sie berieten mit einander, welche Antwort sie dem Freier geben sollten.

„Es ist des Königs Hofjäger und sein Liebling,“ sprach die Edelfrau, „wir machen uns das Herz des Königs geneigt, wenn wir ihm unsere Tochter geben.“

Das schien dem Edelmann ein guter Rat, und er sprach zu Hans und pustete dabei, als ob ihm die Luft ausginge:

„Herr Hofjäger, Ihr sollt meine Tochter haben!“

„Aber eine Bedingung stelle ich noch,“ sagte Hans, „ich muß Eure Tochter eine Nacht vor der Verlobung im Schlafe gesehen haben.“

Das gefiel dem Edelmann gar nicht; aber weil Hans darauf bestand und sagte, sonst würde aus der ganzen Hochzeit nichts, so gab er endlich nach, und der Hofjäger wurde in der Nacht in die Schlafkammer der Tochter geführt. Als er wieder allein war, klopfte er ihr mit dem Stocke auf den Mund und sprach:

„Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?“

„Dreimal der Herr Rechnungsführer,“ antwortete der Mund.

„Jetzt geb’ ich das Freien auf!“ dachte Hans bei sich, rief dem dicken Edelmann in die Schlafkammer hinein:

„Eure Tochter mag ich nicht, die hat schon einen andern Schatz,“ und ehe der dicke Herr Luft und Worte [29] fand, den Hofjäger darüber zur Rede zu stellen, hatte Hans seinen Wagen anspannen lassen, war eingestiegen und auf und davon gefahren in die Stadt zurück.

Ein paar Tage darauf feierte der reiche Kaufmann seinen Geburtstag und lud den Amtmann und den dicken Edelmann zum Festmahle ein; denn die beiden waren seine guten Freunde. Als sie gegessen hatten und von dem starken Weine ihre Zungen gelöst waren, nahm der Kaufmann den Amtmann beiseite und sagte zu ihm:

„Mein lieber Freund, wir haben bisher Freud und Leid gemeinsam getragen, so will ich dir auch meinen jüngsten Schmerz nicht verhehlen: Des Königs Hofjäger hat um meine Tochter angehalten, und ich habe sie ihm auch zugesagt; er hat sie aber nicht genommen, sondern hat sie sogar noch obendrein beschimpft.“

„Mit mir hat er es auch so gemacht!“ platzte der Amtmann heraus.

„Da können wir einander die Hände reichen,“ pustete der dicke Edelmann, „bei mir ist er ebenfalls gewesen.“

Das war nun zwar ein Trost im Unglück, daß sie einander nichts vorzuwerfen hatten; der Trost war aber auch recht schwach. Sie beschlossen darum, alle drei gemeinsam den Hofjäger beim Gericht zu verklagen, daß er nachweise, was er gesprochen, oder gehenkt würde.

Als der König von der Klage hörte, sprach er zu seiner Frau, der Königin:

„Mutter, ich muß heute der Gerichtsverhandlung beiwohnen, vielleicht kann ich dem Hofjäger noch in etwas zu nutze sein.“

Nach diesen Worten ging er hin auf das Gericht, [30] und Hans sollte sich gerade verteidigen, wie er dazu käme, den Töchtern des Kaufmanns, des Amtmanns und des Edelmanns so böse Dinge nachzureden.

„Man führe des Kaufmanns Tochter herein,“ bat er; und als sie vor ihm stand, klopfte er ihr mit dem Stock auf den Mund und sprach:

„Nun sag einmal, Mund, wie oft hat dich ein fremder Mann geküßt?“

„Einmal der hübsche, junge Ladendiener!“ antwortete der Mund.

„Des Kaufmanns Tochter ist überführt,“ sagte der Richter, jetzt kommt des Amtmanns Kind an die Reihe.

Hans nahm wiederum seinen Stock, klopfte dem Mädchen damit auf den Mund und sagte: „Mund, wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?“

„Zweimal der Herr Inspektor,“ antwortete der Mund.

„Auch bei des Amtmanns Tochter hat der Hofjäger nicht gelogen,“ sagte der Richter, „man führe das Edelfräulein herein.“

Das Edelfräulein hatte aber durch das Schlüsselloch gesehen und gehorcht, und es merkte wohl, welche Macht in dem Stocke läge; sie steckte darum ein großes Stück Semmel in den Mund und trat so in den Saal hinein. Als ihr Hans mit dem Stock auf den Mund klopfte und ihm zu sprechen befahl, antwortete derselbe darum nur:

„Mummummummummum!“

„Was ist denn das?“ rief Hans erstaunt, klopfte ihr mit dem Stock auf die Nase und sprach: „Näschen, was ist Mäulchen, daß es nicht reden kann?“

„Mäulchen hat einen Kloß Semmel zwischen den [31] Zähnen,“ erwiderte Näschen, „darum kann es nicht sprechen.“

Da zog Hans dem Edelfräulein die Semmel zwischen den Zähnen hervor, und sogleich redete der Mund und sprach:

„Dreimal der Herr Rechnungsführer!“

Somit war auch das Edelfräulein überführt; der Hofjäger wurde freigesprochen, und der Kaufmann, der Amtmann und der Edelmann mußten mit Schimpf und Schande mit ihren Töchtern nach Hause ziehen.

Als der König von dem Gericht nach Hause kam, erzählte er seiner Frau die ganze Geschichte, und dann lachte er, wie er seit lange nicht gelacht hatte. Die Königin freute sich auch; mit einem Male aber kam ihr ein Gedanke, und sie sprach:

„Was meinst du, Männchen, könntest du dir nicht einmal von dem Hofjäger den Stock geben lassen, damit wir sehen, wie es mit unserer Tochter, der Prinzessin, steht?“

„Ja, das werde ich thun,“ antwortete der König; und als ihm der Hofjäger den Stock übergeben hatte, ging er am Abend ganz leise, leise mit der Königin auf Strümpfen in die Schlafkammer der Prinzessin hinein. Sie schlief auch schon ganz fest, und so zog denn der König den Stock hervor, schlug damit auf ihr kleines, rotes Mäulchen und fragte:

„Wie oft hat dich ein fremder Mann schon geküßt?“

„Das hat noch niemand gethan,“ antwortete das kleine, rote Mäulchen, „aber wenn ich einen küssen dürfte, so wäre es Hans, unser Hofjäger.“

[32] „So, so!“ sagte ihr Vater, der König, und „So, so!“ sagte ihre Mutter, die Königin, und dann schlichen sie beide so leise, wie sie gekommen waren, wieder aus der Kammer heraus.

„Was machen wir aber nun mit dem Hofjäger?“ sprach die Königin, als sie draußen waren.

„Ich denke, wir geben ihm unsere Tochter zur Frau,“ erwiderte der König, „wenn sie sich einmal gut sind, so kommen sie doch zusammen, mögen wir wollen oder nicht.“

„Er ist auch ein guter, hübscher Mensch,“ meinte die Königin, und dann legten sie sich beide zu Bette und schliefen bis an den lichten Morgen.

Den andern Tag, wie sie beim Frühstück saßen, hub der König an und sprach zu seiner Tochter:

„Mein Kind, was würdest du thun, wenn ich dir den Hofjäger zum Manne gäbe?“

Und während er das noch sagte, war die Prinzessin schon aufgesprungen, fiel ihm um den Hals und streichelte ihm die Wangen und rief: „Mein herzallerliebstes Väterchen, giebst du mir den Hofjäger, so machst du mich glücklich für alle Zeit.“

„Ich habe nichts dawider,“ versetzte der König, „doch wie wird er zu der Sache stehen? Vielleicht will er dich gar nicht einmal. Frag ihn doch!“

„Ach, Papachen, frag du ihn!“ schmeichelte die Prinzessin.

Da wurde Hans gerufen, und der König fragte ihn, ob er seine Tochter heiraten wolle; einen andern Schatz habe sie noch nicht gehabt, das habe er heute nacht erfahren. Hans glaubte anfangs, der König mache Scherz; [33] als er aber einsah, daß es ihm Ernst sei mit der Sache, sagte er mit Freuden ja, und die Hochzeit wurde gefeiert, und sie lebten vergnügt und fröhlich bis an ihr seliges Ende; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.