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Das arme Edelfräulein und der reiche Graf

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Textdaten
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Autor: Ulrich Jahn
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Titel: Das arme Edelfräulein und der reiche Graf
Untertitel:
aus: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund, S. 10–18
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1890]
Verlag: Mayer & Müller
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Russische Staatsbibliothek = Commons; E-Text nach Digitale Bibliothek, Band 80: Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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[10]
Das arme Edelfräulein und der reiche Graf.

Es war einmal ein Edelmann, der besaß nur ein ganz kleines Schloß und ein Stückchen Land davor. In dem Schlößchen wohnte er mit seiner Tochter, denn die Frau war ihm gestorben; und Lottchen, das Mädchen, war Köchin und Stubenmagd, Kammerjungfer und Aufwärterin, alles in einer Person.

Das Edelfräulein sah über die Maßen schön aus, war schlank gewachsen, wie eine Tanne, und trug langes, goldenes Haar; aber so schön es war, so stolz war es auch. Alle Freier, die auf das Schlößchen zogen und bei dem Vater um die Hand seiner Tochter anhielten, mochten ihr nicht gefallen. Der eine war zu groß, der andere zu klein; der dritte schielte auf dem rechten Auge, der vierte auf dem linken; diesem stand die Nase schief im Gesicht, und jener lief die Absätze krumm. Kurz und gut, sie hatte an jedem etwas auszusetzen und reichte keinem die Hand.

Am meisten ärgerte sich über ihren stolzen Sinn der [11] reiche, junge Graf aus der Nachbarschaft, denn er hatte sie am meisten geliebt; und weil er sie nicht zur Frau bekommen konnte, so wollte er wenigstens seinen Ärger an ihr auslassen. Darum ritt er jeden Morgen, wenn er zum Könige mußte, über den Fußsteig auf des armen Edelmanns Land hart an des Fräuleins Fenster vorbei. Und wenn sie dann an dem Fenster saß und nähte, so rief er ihr zu:

„Bar Geld lacht!
Bar Geld lacht!“

Das trieb er ein paar Wochen lang; und endlich konnte es das Fräulein nicht mehr ertragen und beschloß, ihm einen Streich zu spielen.

Als der Edelmann auf eine Reise gegangen war, zog es sich schlechte Arbeitskleider an und drückte sich eine abgetragene Mütze ins Gesicht, nahm einen Spaten über die Schulter und ging dann den Fußsteig auf und ab, wie ein Knecht, den sein Herr dorthin geschickt.

Wie nun der junge Graf seiner Gewohnheit nach den Fußsteig einbog, um das stolze Edelfräulein zu kränken, trat es schnell auf ihn zu, ergriff das Pferd beim Zügel und sprach:

„Mein Herr, Ihr seid gepfändet! Steigt herab, daß ich das Pferd in den Stall führe, bis Ihr es eingelöst habt.“

„Dummes Zeug,“ antwortete der Graf, „wie wird ein Nachbar den andern so behandeln!“

„Das weiß ich nicht,“ versetzte das Fräulein, „der Edelmann hat es mir so befohlen.“

[12] Da zog der Graf den Beutel aus der Tasche und rief: „Nun gut, so werde ich bezahlen, was ich schuldig bin.“

„Geld darf ich nicht nehmen!“ sagte das Fräulein. „Und nun sperrt Euch nicht lange und steigt herab, daß ich das Pferd in den Stall führen kann!“

Dem Grafen gefiel das gar nicht; denn der König wartete auf ihn, und mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen. Er legte sich darum auf’s Bitten und bat und quälte, er möge ihn doch noch einmal laufen lassen.

„Gut,“ sagte der verkleidete Arbeiter, „Geld darf ich nicht nehmen, so verdient Euch das Pferd. Wenn Ihr dem Gaul drei Küsse unter den Schwanzriemen gebt, so will ich Euch laufen lassen.“

Dachte der junge Graf: „Der Kerl thut’s nicht anders; aber er kennt dich nicht, und das Pferd ist ein reinliches Tier. Die Sache ist am Ende gar nicht so schlimm, als sie sich anhört.“

Er faßte also das Roß beim Schweif, um ihm die Küsse unter den Schwanzriemen zu geben.

Das Pferd aber dachte, sein Herr wolle etwas von ihm, und drehte sich um. Und als es das mehrere Male gethan, ward der Graf ungeduldig und rief:

„Purr, Rappe, steh!
Purr, Rappe, steh!“

Da stand denn auch das Roß, und der Graf gab ihm die drei Küsse und ritt davon.

Als er am andern Morgen wieder bei dem Schlößchen vorbei kam und das Edelfräulein am Fenster sitzen sah, rief er ihm zu, wie er gewohnt war:

[13]

„Bar Geld lacht!
Bar Geld lacht!“

Antwortete das Edelfräulein mit lauter Stimme:

„Purr, Rappe, steh!
Purr, Rappe, steh!“

Die Worte fuhren dem jungen Grafen wie ein Dolch ins Herz, er kehrte sogleich um, ritt auf sein Schloß zurück, legte sich ins Bett und war todsterbens krank, so sehr hatte ihn die List des Edelfräuleins gekränkt.

Da lag er eine ganze Zeit, bis endlich einmal ein altes Mütterchen vor sein Bett trat und ihn fragte, wie es ihm ginge und was ihm fehlte.

„Gehe sie nur in die Küche, Mütterchen,“ sagte der Graf, „dort wird man ihr zu essen geben.“

„Ich habe dort schon zu essen bekommen,“ antwortete das alte Weib mitleidig, „mir liegt nur schwer auf dem Herzen, daß der junge Herr Graf so krank darnieder liegt.“

„Was geht sie das an,“ erwiderte der Graf kurz.

„Nicht doch, gnädiger Herr,“ versetzte die Alte, „wie würde es mir gehen, wenn ein anderer auf das Gut käme, der die armen Leute mit Hunden vom Hofe hetzt! Erzählt mir doch, was Euch fehlt.“

Sprach der Graf: „Meinetwegen, aber helfen kann sie mir doch nicht!“ Und dann erzählte er dem Mütterchen alles haarklein, wie es gekommen war.

„Wenn es weiter nichts ist,“ lachte die Alte, „dann sollt Ihr morgen schon gesund sein. Thut nur, was ich Euch sage!“

„Mütterchen,“ rief der Graf, „wenn sie das wahr [14] machen kann, so schenk’ ich ihr das Häuschen da drüben auf Lebenszeit, und Speise und Trank darf sie sich aus meiner Küche holen, und wenn sie krank ist, sollen es ihr meine Diener bringen.“ Und da er wieder Hoffnung hatte, fühlte er sich auch sogleich gesund und stark und sprang aus dem Bette heraus.

„So ist es recht,“ sagte die Alte, „und morgen komm’ ich zu Euch, und noch ehe die Glocke zwölfe schlägt, sollt Ihr an dem Edelfräulein gerochen sein.“

Am andern Morgen war das Mütterchen schon bei Zeiten im Schlosse, zog dem Grafen alte, abgerissene Kleider an und strich ihm die Haare ins Gesicht; dann hieß sie ihn, sich so linkisch und täppisch gebärden, als er immer könne, auch dürfe er kein Wort sprechen und müsse so thun, als ob er nichts höre. Nachdem ihr der Graf versprochen hatte, er wolle alles thun, wie sie ihm gesagt, nahm sie ihn bei der Hand und ging mit ihm der Stadt zu. Bei dem Schlößchen machte sie halt und ging mit dem Grafen in die Küche.

„Lottchen,“ sprach sie, „sieh einmal, mein Enkelkind, der dumme, alberne Junge, ist mir nachgelaufen, und ich darf ihn doch nicht mit in die Stadt nehmen, da rennt er ja alle Leute um! Thu mir den Gefallen und behalt ihn bei dir.“

„Mütterchen,“ sagte Lottchen, „ist der Junge auch nicht unnütz?“

„Unnütz?“ antwortete die Alte. „Der kann nicht hören und nicht reden, und wo er einmal sitzt, da bleibt er sitzen.“

[15] „Na ja,“ sprach Lottchen, „er mag in der Küche sitzen bleiben.“

„Um Mittag hole ich ihn ab,“ sagte das Mütterchen und ging zum Hause heraus in die Stadt hinein.

Kaum war die Alte fort, so lief Lottchen zu dem Fräulein und rief: „Gnädiges Fräulein, das alte Weib, das immer betteln kommt, hat uns ihr Enkelkind in der Küche gelassen. Das ist dumm, taub und stumm, aber ein hübscher Kerl, so einfältig es auch in die Welt schaut.“

„Lottchen,“ antwortete das Fräulein, „was meinst du? Ich hätte längst gern gewußt, wie ein Kuß von[1] einem Manne schmeckt.“

„Dann ist der Junge der rechte,“ sprach Lottchen, „der kann nichts nachsagen.“

„Führ ihn zu mir herein!“ sagte das Fräulein eifrig, und Lottchen brachte den Jungen in die Stube, daß er dem Fräulein einen Kuß gäbe. Er that aber so einfältig, daß er dastand, wie ein Stock, und sich nicht rückte und rührte.

„Lottchen, gieb ihm einen Schupps!“ rief das Fräulein.

Da gab ihm Lottchen einen Schub, daß er auf das Fräulein fiel und sie zur Erde riß. Nachdem sie sich wieder aufgerappelt hatte, sagte sie:

„Lottchen, ich will und muß wissen, wie ein Kuß schmeckt!“

Da ergriff Lottchen den Jungen beim Kragen und drückte seinen Mund auf den des Edelfräuleins; er wollte aber nicht küssen. Jetzt ward Lottchen ärgerlich, zog eine Nadel aus dem Latz und stach damit den Jungen in den [16] Buckel. Das that ihm weh, und das Edelfräulein hatte ihren Kuß weg.

„Lottchen, das schmeckt!“ rief sie vor Vergnügen;

„Stich, Lottchen, stich!
Stich, Lottchen, stich!
Und wenn du für tausend Thaler Nadeln verstechen solltest!“

Und Lottchen stach auch, und jedesmal, wenn es stach, gab der Junge in seiner Angst dem Edelfräulein einen Kuß. Aber lange dauerte die Freude nicht, denn die Alte kam an dem Fenster vorbei; und sie mußten schnell machen, daß sie den Jungen wieder in die Küche bekamen.

„Nun, ist er unnütz gewesen?“ fragte das Mütterchen.

„Nein, er ist so artig und still gewesen, daß es eine Freude war,“ antwortete Lottchen.

„Das sagte ich dir ja,“ sprach die Alte, „wenn man ihn nicht schuppst, so rührt er keinen Fuß vor den andern.“

„Das hab’ ich vernommen,“ dachte Lottchen bei sich, sagte es aber nicht laut; doch das Mütterchen nahm ihr Enkelkind bei der Hand und ging mit ihm aus dem Schlößchen heraus.

Als sie draußen waren, rief der Graf vergnügt: „Mütterchen, das Haus ist dein, und alles, was ich dir gestern versprochen habe, halte ich fest und will dir noch zehnmal mehr geben, als ich gesagt habe.“ Und vor Freude schritt er so schnell aus, daß die Alte ihm kaum nachkommen konnte.

[17] Als der andere Tag kam, ließ er wieder sein Roß satteln und ritt zur Stadt. Am Fenster saß das Edelfräulein; und wie es den jungen Grafen vorbeireiten sah, rief es ihm höhnisch zu:

„Purr, Rappe, steh!
Purr, Rappe, steh!“

Da antwortete der junge Graf lachend:

„Stich, Lottchen, stich!
Stich, Lottchen, stich!
Und wenn du für tausend Thaler Nadeln verstechen solltest!“

Das Edelfräulein schlug das Fenster zu und fuhr zurück, als wenn’s eine Natter gestochen hätte, und schämte sich so sehr, daß es sich nur noch in der Hinterstube aufhalten mochte; denn jetzt merkte es wohl, wer das dumme, einfältige Enkelkind der alten Bettelfrau gewesen war. Eine Zeit lang fraß die stolze Jungfrau ihren Gram in sich, dann konnte sie das Elend nimmer mehr ertragen und schickte Lottchen auf das Grafenschloß, daß es den Herren bäte, ob er nicht einmal, als Gärtner verkleidet, hinunter in das Schlößchen kommen wolle. Der junge Graf ließ sich nicht lange bitten und kam.

„Du hast gemacht, daß ich mich nicht mehr unter den Leuten sehen lassen darf,“ sprach sie weinend.

„Warum nicht gar?“ antwortete der junge Graf. „Hab’ ich nicht meinen Rappen auf dein Geheiß dreimal unter den Schwanzriemen geküßt? Trotzdem lass’ ich mich überall sehen und hab’ dich noch immer so lieb, wie zuvor.“

[18] „Dann will ich dich auch,“ sprach das Fräulein und fiel ihm um den Hals. Und als der arme Edelmann von seiner langen Reise in das kleine Schlößchen zurückkehrte, gab er ihnen seinen Segen, und sie feierten eine vergnügte Hochzeit; und wer mit dabei gewesen ist, dem ist der Mund noch darnach lecker.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: von von