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Das Degentragen der Handwerksgesellen

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Fürstenbesuche in Dresden. Teil 1 Das Degentragen der Handwerksgesellen (1907) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908)
Ungetreue Ratsherren
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Das Degentragen der Handwerksgesellen.
Von Dr. Otto Richter.

So lange es zu den vornehmsten Pflichten des Bürgers gehörte, in Kriegszeiten die Stadt persönlich verteidigen zu helfen, war er mit der Waffe eng verwachsen und keine Obrigkeit konnte und wollte es ihm verwehren, sie auch in Friedenszeiten in der Öffentlichkeit bei sich zu führen. Aber auch als diese Wehrpflicht längst keine praktische Bedeutung mehr hatte, blieb es sein Stolz, mit dem Schwert an der Seite einherzuschreiten, und dieselbe Freude am Waffentragen ist es, die noch heute in kleinen Städten die Mitglieder der Schützengilden veranlaßt, wenigstens einmal im Jahre mit Waffen aufzuziehen, obwohl viele von ihnen sie kaum zu gebrauchen wissen.

Noch im 17. Jahrhundert war es in Dresden wie anderwärts allgemein üblich, daß nicht nur die Bürger, sondern selbst Schreiber und Handwerksgesellen zur Sonntagskleidung den Degen trugen. Natürlich mußte dies, bei der durch die lange Kriegszeit herbeigeführten Verrohung der Sitten, viel dazu beitragen, daß Schlägereien leicht zu Blutvergießen ausarteten. Deshalb erließ der Kurfürst am 14. Juli 1659 eine Verordnung, wonach das Tragen des Degens allen, denen es nicht von Amts oder Standes wegen zukomme, verboten und Bürgern und Handwerksgesellen nur dann, wenn sie über Land reisten oder von der Wanderschaft kämen, der persönlichen Sicherheit wegen erlaubt sein sollte; Zuwiderhandelnden wurde angedroht, daß ihnen von den Militärwachen die Degen abgenommen und sie einige Stunden auf den Esel, das bekannte vor der Hauptwache stehende Schandgerät, gesetzt würden. Dieses Verbot war aber nicht von dauernder Wirkung. 1684 erließ der Festungskommandant eine neue Verwarnung, da „bishero von den Handwergspurschen und andern unnützen Gesinde vielerlei Unfug und Insolentien bei hiesiger Residenzvestung des Nachts auf den Gassen getrieben worden, also daß unterschiedene Beschädigungen und Verwundungen von dergleichen unsittigen Frevelern [150] geschehen“. Dann schärften in den Jahren 1694, 1698 und 1701 kurfürstliche Verordnungen wiederholt das Verbot des Degentragens für die Handwerksgesellen und die „Kramdiener“ ein, den Bürgern gegenüber hatte man es längst fallen lassen. Aber auch gegenüber den Gesellen mußte man sich zu Ausnahmen verstehen. Zuerst kamen die sämtlichen Gold- und Silberarbeiter darum ein: ihren Gesellen sei als Künstlern im ganzen Römischen Reiche das Degentragen erlaubt; wenn es ihnen hier verboten werde, gingen sie einer nach dem andern davon, und man könne sie doch, zumal bei der vielen Arbeit für die Königliche Majestät, unmöglich entbehren. Durch diese und ähnliche Beschwerden sah sich der Kurfürst doch veranlaßt, unterm 25. August 1701 den Maler-, Bildhauer-, Gold- und Silberarbeiter- und Kleinuhrmacher-Gesellen, die man alle zu den Künstlern rechnete, das Degentragen wieder freizugeben. Unberücksichtigt blieb damals eine Eingabe der Kauf- und Handelsdiener, die ebenfalls um diese Freiheit nachsuchten, „damit wir des Sonntags nicht in schweren Mänteln und Stöcken, gleich den gemeinsten Handwerkspurschen gehen dürfen, auch andern Menschen gleich eine kleine und friedsame Vergnügung haben können, maßen wir ohnedem die ganze Woche als gebunden sein müssen“. Aber später haben sie ebenso wie einige andere Berufsstände das ersehnte Vorrecht doch noch erlangt, denn nach einem kurfürstlichen Mandat vom 29. August 1719 sollten vom Verbot des Degentragens ausgenommen sein „die Ratspersonen in vornehmen Städten, Kauf- und fürnehme Handelsleute, berühmte Maler, Bildhauer, Kleinuhrmacher und andere Künstler, Gold- und Silberarbeiter, Kauf- und Handelsdiener, Buchdrucker und Papiermacher, auch Balbier, Bader und Peruquenmacher, und dero Gesellen“. Aus dieser Aufzählung geht zugleich hervor, daß das Waffentragen nicht mehr allen Handwerksmeistern, sondern nur noch den sogenannten „künstlichen Handwerkern“ gestattet sein sollte, jedoch ist diese Einschränkung damals gewiß nicht durchgeführt worden.

Im Jahre 1724 suchten auch die Buchbinder für ihre Gesellen um das Recht des Degentragens nach und erhielten es 1729 wirklich zugestanden. Die erfreuliche Kunde hiervon wurde der Gesellenschaft durch den Obermeister Hofbuchbinder Homilius in folgendem Schreiben mitgeteilt, das einen ergötzlichen Beweis von der übertriebenen Wertschätzung jenes Rechts bildet:

„E. Ehrbaren Gesellschaft der Buchbinder wünsche zuförderst göttliche Gnade benebst meinen freundlichen Gruß

Was Ihro Königl. Majestät und Churfürstl. Durchlaucht unser allergnädigster Herr die Zeit seiner glorwürdigsten Regierung allergnädigst angeordnet und befohlen, ist der ganzen Welt bekannt, und daß unserm allergnädigsten Könige von Tapfer- und Gelehrsamkeit auch Gnade nichts übertreffen könne. Von der letzten wissen wir zu attestiren, weiln aus bloßer hohen Königl. Gnade denen Buchbindergesellen das Degen-Tragen auf mein unterm 9. Junii 1724 beschehenes alleruntertänigstes Suppliciren allergnädigst verstattet worden.

Gleichwie nun dafür wir alleruntertänigsten Dank abzulegen und in Ansehung desselben uns zu bestreben haben, daß ein jeder redlicher Geselle der Königl. Gnade sich nicht verlustig und anbei mich unglücklich mache: maßen bei erfolgenden Excessen mir zugleich die Schuld gegeben und Ihro Königl. Majestät und Churfürstl. Durchlaucht verleitet werden würde, nicht allein die allergnädigste Konzession hinwiederum zu kassiren, sondern auch anbei eine unverbrüchliche Verfassung aufzurichten, nach welcher mehrere Künstlere um ihr Recht kommen möchten, davon wir den größten Verdruß befürchten und annoch hierüber erwarten müßten, wie nach Anleitung des geschärftern allergnädigsten Duell-Mandats unserer Innungsverwandten prostituiret und die Betretere desselben in der Special-Inquisition auch (dafür uns Gott in Gnaden behüte) bei den Scharfrichter auf der Marter und sonst erblicket werden möchten; nach welchem, wenn auch das Leben konserviret wird, die gesunden Gliedmaßen zerrissen und die Personen einen Degen zu tragen untüchtig werden, wie die allergnädigste Vorschrift des Duellmandats mit mehrern attestiret und nachzulesen aufs beste rekommendire. Deß werden eine Ehrbare Gesellschaft darnach sich in allen fleißig richten und, wenn auch dieses nicht bekannt wäre, das fünfte Gebot in Obacht nehmen, auch anbei versichert sein, daß viele rechtschaffene Handwerkere, welche vor Künstler gar wohl passiren könnten, diese Gnade nicht besitzen; und also denen Unglücklichen wiederum gleich zu werden, ein jeder sich hüten, seinen Verstand dadurch sehen lassen und sich und seinen Kameraden nicht prostituiren wird, darum ich jedermänniglich ersuche und zu fernern willigen Diensten mich offerire, verharrend

 
 
 
 
 Dreßden, am 1. Augusti 1729[1].“
E. Ehrbarn Gesellschaft,
dienstwilliger
Abraham Friedrich Homilius,
bestallt. Königl. Hofbuchbinder mpp.
 

Weiter suchten 1738 auch die Goldschläger für ihre Gesellen dringend um das Recht des Degentragens nach und führten an, sie könnten seit dem Verbot keine Gesellen mehr erhalten, da „kein fremder Geselle anhero [151] gekommen oder, da einer sich eingefunden, alsofort wieder weiter gereiset, sowohl auch unsere Ausgelernte, welche sich nach ausgestandener siebenjähriger Lehre recht nach dem Degen sehnen, alsofort auf- und davon gemachet“. Da auch der Hofmaler Pöppelmann und andere Maler schriftlich bezeugten, daß sie in letzter Zeit zu ihren Arbeiten für den König nicht mehr das nötige Gold in Dresden bekommen, sondern von auswärts hätten beziehen müssen, ward das Gesuch bewilligt[2].

Es ging den Verboten des Degentragens ganz wie denen des Duells: sie blieben trotz der angedrohten Strafen auf die Dauer unbeachtet. In einem Mandat von 1743 wurde geklagt, daß das Degentragen „fast durchgehends wiederum eingeführt und allgemein werden wollen“. Das Recht dazu wurde wiederholt auch bei den selbständigen Bürgern auf die Angehörigen des Gelehrten-, Künstler- und Kaufmannsstandes und der feineren Handwerke eingeschränkt. Die Zuwiderhandlungen der Handwerker haben aber anscheinend nicht eher aufgehört, als bis ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Verheerungen des siebenjährigen Krieges so gedrückte geworden waren, daß sich der Luxus des Waffentragens von selbst verbot.


  1. Ratsakten C. XVII. 23 a.
  2. C. XVII. 23 b.