Briefe über die Dresdner Kunstaustellung
Die Stürme des Krieges hatten mich in eine kleine Land-Stadt Sachsens getrieben. Ich dachte in der Einsamkeit die trübere Vergangenheit und die hoffnungsarme Gegenwart zu vergessen, aber umsonst; jedes neue Ereigniß zog mich in den Wirbel des Lebens zurück, ich konnte nicht ruhig werden. Recht erwünscht ward die, welche mich so oft tröstete, die Liebe zur Kunst, wieder in mir wach. Aber wie sollte ich ihr Genüge leisten, abgeschnitten von aller Aufheiterung und Lebenslust, fern von der Anschauung einer schönern Natur und begeisternder Kunstwerke, entblößt selbst von den materiellen Mitteln zur Befriedigung meines Wunsches? Ich hörte zufällig, daß gegen Ostern die Kunst-Ausstellung in Dresden beginnen werde, und in wenig Tagen war ich am Ziele meiner Sehnsucht. Wie hoffnungsvoll eilte ich, kaum angekommen, dem Brühlschen Palais zu, aber wie sehr überraschte mich der Eintritt! Ich hatte den Geist der Ordnung, der in Sachsen einheimisch seyn soll, als ein Haupterforderniß aller Kunst-Sammlungen, Ausstellungen etc. auch hier vorausgesetzt, und gehofft, jedes vorzüglichere Gemählde oder jede bessere Zeichnung wenigstens in ihrem beßten Lichte zu sehen; aber ich hatte mich nur zu sehr getäuscht. Oelgemählde, Zeichnungen, Miniaturen, Kupferstiche hiengen bunt durcheinander. Da war weder auf die behandelten Gegenstände, noch auf den Meister Rücksicht genommen; die Werke der einzelnen Künstler hiengen oft in verschiedenen Zimmern zerstreut, und das Werk des Meisters war oft neben den unbeholfnen Versuchen des Anfängers. Doch warum frische ich mir das einmal überstandene Gefühl des Unmuths noch einmal auf? Ich habe das Vortrefliche und Gute nur herausgefunden, und eile, wie alles, auch diesen Genuß mit Ihnen zu theilen.
Durch den Gegenstand, Erfindung und verständige Ausführung fesselte mich vorzüglich ein großes Gemählde von Ferdinand Hartmann aus Stuttgart: die drey Marien beym Grabe Christi. Das Süjet ist eins der reitzendsten, welche der Mahler aus der Geschichte Jesu wählen kann, aber in mehr als einer Hinsicht auch eines der schwierigsten. Die Verkündigung des Engels: „ihr suchet Jesum von Nazareth, er ist auferstanden“, und die Würkung, welche sie auf die drey Marien macht, die herzugekommen sind, um den Leichnam ihres Herrn mit köstlichen Specereyen und Salben zu schmücken, und statt dessen das Grab offen sehen und die himmlische Botschaft der Auferstehung hören, wie viel Innigkeit, Tiefe und Andacht des Gemüths erfordert die Erfindung, wie viel Verständniß und Meisterschaft die Ausführung! In der Erzählung des Evangelisten heißt es, daß die Marien an einem Sabbath-Morgen diese Wallfahrt begonnen hätten; allein Hartmann läßt uns verständig nichts als die dunkle Grabeshöhle sehen, weil sein Bild nickt jenen frühern Moment des ersten Staunens und der Betrübniß über die Abwesenheit des [398] geliebten Leichnams, sondern den spätern darstellt, wo diese Empfindungen bey der höhern Verkündigung der Auferstehung in Zweifel, Hoffnung und Glauben übergegangen sind. Diesen Gesichtspunkt, der, wie ich glaube, der richtige ist, halten Sie fest, und hören Sie nun, wie dieß in den Gestalten ausgesprochen ist. Die jüngste Marie ist voll Entzückung vor dem Engel aus ein Knie gesunken, und streckt inbrünstig die Hände zu ihm empor; die älteste, hinterste beugt sich zweifelnd nach der Grabes-Oeffnung, und die dritte, welche in Rücksicht ihres Alters, ihres Ausdrucks, ihrer Bewegung zwischen den andern beyden inne steht, scheint nach ihren Gesichtszügen und ihrer ganzen Stellung von Zweifel zur Hoffnung überzugehen. Ihr linker Fuß ist zurückgesetzt; ihre rechte Hand, womit sie die linke der ältesten Marie hält, scheint diese loslassen zu wollen, aber aus ihren klaren Augen spricht die Hoffnung, welche die Rede des Engels in ihrem Gemüthe erregt hat. Diese Gestalten stehn dem Beschauer zur Rechten im Bilde; zur Linken sitzt auf der rechten Seite des Marmorgrabes der Engel, angethan mit einem langen, weissen Kleide. Seine rechte Hand deutet auf den Himmel, wohin ihre Liebe nun dem folgen soll, den sie suchen; in seiner Linken hält er den Palmenzweig des Friedens. Auf seinem Gesichte spiegelt sich mild und reitzend, wie der himmlische Stern in der Welle, die freudige Botschaft, welche er den Weibern zugerufen hat, und sein blondes Haar, von einem himmelblauen Bande gehalten, so wie das durchsichtige, schöngestaltete, lange Gewand, und die großen weissen Fittige mit wenigen bunten Federn deuten auf die hohe Abkunft dieses Gesandten, der durch meisterhafte Kunst, wie ätherisch von einem leisen Farbenhauche, doch bestimmt und fest, gewebt schien.
Aber ich höre Sie begierig fragen, wie der Künstler das nöthige Licht in das Gemählde geführt habe? – Mehrere alte Mahler haben es in ähnlichen Fällen von den himmlischen Erscheinungen ausgehen lassen, aber dieß fand Hartmann nicht vereinbar mit seiner Idee. Als ein Zeichen des neuen Bundes und neuen Tages, den die Welt mit der Auferstehung des Erlösers beginnen soll, bricht das Licht, leise die Farben des Regenbogens spiegelnd, von oben seitwärts auf die Oeffnung des Grabes, verklärt durch seinen Schein die ganze Gestalt des Engels, erhöht die unvergleichliche Harmonie der saftigen, herrlichen Farben an den schöngefalteten Gewändern der Maria, und ruht glänzend auf den Blümchen, die, wie vom Thau des ersten Frühlingsmorgens geküßt, ihre bunten Kelche erheben, um den göttlichen Strahl in sich zu saugen. Erfüllen Sie noch einmal Ihr ganzes Gemüth mit der Herrlichkeit dieses Gegenstandes, und wiederhohlen Sie sich meine schwache Andeutung dessen, was Hartmann geleistet hat, und Sie werden dem Gemüthe, dem Verstände und der Geschicklichkeit des Künstlers Gerechtigkeit widerfahren lassen. Und wenn ich wünsche, daß der linke Arm des Engels wärmer, und die eine hintere Falte seines Gewandes nicht da wäre; wenn ich in dem Gesichte des knienden Weibes mehr Ausdruck hätte sehen mögen, so werden Sie mir deshalb hoffentlich nichts Schlimmeres Schuld geben, als daß ich mit in der Zeit befangen bin, die sich selbst den vollendetsten Genuß durch unbedeutende Kritteleyen zu verleiden liebt. Das Gemählde ist, wie in der Bildungsgeschichte des Künstlers, so überhaupt in der Kunstgeschichte unsrer Zelt eine merkwürdige Erscheinung. Alle Gemählde und Zeichnungen, die mir bisher von Hartmann bekannt geworden sind (Eros und Anteros, Hebe, Aeneas, der mit dem Achates aus dem Hause tritt , um sich den Troja erobernden Griechen zu widersetzen, Orest, den die Furien durch den Geist seiner Mutter aufschrecken), zeigen ein sinnvolles Gemüth, eine scharfe Beurtheilungskraft, einen empfindlichen Sinn für das Schöne, ein Auge, das sich an der Form der Antike geübt und gestärkt hat. In dem neuesten Bilde aber sieht man, wie losgerissen von der leicht überwältigenden Gestalt des Alterthums, Gemüth und Phantasie des Künstlers der eignen Kraft folgen, und die Mahlerey wieder in ihre alten, eigenthümlichen Rechte und die Vorzüge einsetzen, die sie durch Schatten und Licht, Reichthum der Gruppirung, Pracht der Farben und wärmere Lebendigkeit vor der Plastick voraus hat. Welche Morgenröthe froher Hoffnungen erblüht vor unserm Blick, wenn Hartmann diesem Sinne treu bleibt, wenn der Geist und Wille, den uns sein Gemählde verkündet, unter den deutschen Mahlern einheimisch wird, und der Inhalt seines Bildes zugleich eine allegorische Beziehung aus die nächste Epoche der deutschen Kunstgeschichte hat.
Derselbe Gegenstand war auch von Rösler behandelt, der seine erste Bildung in Dresden erhielt, dann nach Rom gieng, und nicht lange vor seinem Abgange von dort dieß Gemählde vollendete. Da es so ungemein interessant ist, ein- und ebendenselben Gegenstand von mehreren Künstlern ausgeführt zu sehen, so will ich mich bemühen, Ihnen auch von der Erfindung und Behandlung dieses Bildes eine so klare Ansicht, als es durch Beschreibung möglich ist, zu verschaffen. Der Ort, den es darstellt, ist natürlich das Grabgewölbe; allein durch die Oeffnung in der Mitte sieht man in die vom Aufgange des Morgens verklärte Ferne. Die drey Marien sind einzeln eingetreten; denn die erste steht schon mit gesenkten Knieen und zusammengefalteten Händen, mit deutlichem Ausdruck schmerzlicher Betrübniß im Gesicht, vor dem Engel, hinter ihr seitwärts die zweyte älteste Marie, und zunächst am Eingang der Höhle die dritte. Die Köpfe der beyden letzten haben viel Empfundenes. In dem Kopfe der Alten mahlt sich eine ruhige, aber liebesprechende Trauer, aus dem Gesichte derjenigen [399] hingegen, die zuletzt eingetreten ist, spricht die regere Bewegung des Schreckens und der Verwunderung. Sie sehen, daß Rösler den frühern Moment des ersten Staunens und der Betrübniß über die Abwesenheit des geliebten Leichnams zur Behandlung gewählt hat, und sonder Zweifel wollte er in den drey Marien den Uebergang des Schreckens und der Verwunderung in den stillen und endlich in den deutlichern Schmerz zeigen. So habe ich mir das Bild, und ich glaube, richtig gedacht, ob ich Ihnen gleich nicht meinen Beweis aus dem Bilde selbst führen kann, da die Gestalt des Engels, die hier vorzüglich für mich sprechen müßte, durchaus ohne Ausdruck ist. Denn habe ich in dem Verständnisse der Marien das Wahre getroffen, so wäre es gerathener gewesen, wenn der Künstler, wie Annibal Carrachi bey der Behandlung desselben Gegenstandes, den Engel blos auf das ofne Grab hätte zeigen und nicht die linke Hand zum Himmel erheben lassen. Besonders aber schadete dem Bilde der Strahlenschein, der nicht den Engel umschwebte, sondern an dem Hintergrunde festliegend ihm gleichsam nur als Folie diente, und dadurch, daß die Gewänder nach der Art einiger alten italiänischen Mahler behandelt, die Lichter weißgelassen und die Schatten farbig waren, hatte der Künstler das leblose Kolorit des Fleisches um ein Großes vermehrt. Doch genug! Beyde Bilder haben mir die Feyer des Osterfestes, das mir eines der frohsten und heiligsten ist, rührend erhöht.
Wie gern führte ich Sie noch vor mehrere, die durch den Inhalt unserm Gemüthe so nahe liegen; allein ich kann Ihnen nur noch zwey kleine Altarblätter von Moritz Retzsch, einem Schüler des Prof. Grassi, nennen. Das eine stellt die heil. Anna vor, wie sie die Maria lesen lehrt, das andre die Maria, wie sie den Leichnam Jesu im Schooß hält. Beyde zeigten Gewandtheit in der Behandlung der Oelfarben, allein das letztere Bild, so sehr mir auch der emporgerichtete Kopf der Maria gefiel, war im Kolorit des Fleisches zu kalt und bleich; auf dem ersten aber war der Kopf der kleinen Maria zart und lieblich empfunden, allein das Gesicht der Anna wieder durch die vielen Schatten und Reflexe unangenehm zerschnitten. Man erwartete noch ein Oelgemählde: Die Heilung des blinden Tobias, von Näcke, einem andern sehr hoffnungsvollen Schüler des Prof. Grassi, allein Krankheit hatte ihn abgehalten, es zu vollenden. Augenzeugen versicherten mir, daß es sehr viele Vorzüge habe.
[401] Folgen Sie mir nun von diesen uns verwandtern Gegenständen in das gestaltreiche Alterthum, zuerst zu einem Gemählde von Fried. Matthäi, das den Orest vorstellt, wie er mit seinem Freunde Pylades nach Ermordung seiner Mutter an dem Aegistheus Rache nimmt. Die Erfindung und Anordnung ist fast genau nach einer Stelle in Lucians Lobrede auf einen schönen Saal, s. Wielands Uebersetzung, 6ter Theil. S. 347, die ich Sie nachzulesen bitte.Google Buchsuche Die Hauptsache des Bildes ist die Gruppe, wie Orestes von der einen und Pylades von der andern Seite den zwischen ihnen auf die Knie niedergeworfnen Aegistheus zu ermorden im Begriff sind. Wollen Sie sich den Stand des Orestes und die Lage des Aegistheus ungefähr denken, so bitte ich Sie im ersten Bande der Herkulanischen Gemählde das Blatt aufzuschlagen, wo Theseus den Minotaurus ermordet. Google Buchsuche Hinter dieser Gruppe liegt auf dem ehebrecherischen Bette die ermordete Klytemnestra. Dem Beschauer zur Linken steht man die Schwester des Orestes, die, erschüttert durch das Walten der Nemesis, in ihrem Hause sich schüchtern an einem daneben stehenden Sklaven hält,[1] indem sie den scheuen Blich nach der Gräuelscene des Mordes gekehrt hat. Rechts steht ein bärtiger Mann, vielleicht der Pädagog, neben einer Gruppe von mehreren Personen, welche der Lärm herbeygeführt hat, und durch eine öffne Thür im Hintergrunde sieht man zwey fliehende Mädchen mit emporgehobnen Händen, und einen trüben, verhängnißvollen Himmel. Das Bild war in Rücksicht der Farbengebung, Zeichnung und Drapperie mit lobenswerthem Fleiße ausgeführt; allein es ließ den Beschauer zu kalt, wie das meist bey jeder Behandlung antiker Stoffe der Fall ist. Der Künstler macht seine Studien dazu gewöhnlich nach antiken Mustern, und ist er nicht genialisch oder wenigstens in eigenen Gestalten geübt genug, so wird sein Bild nicht etwas Originelles, aus dem Wunderquell seiner Phantasie Entsprungenes, sondern eine Nachahmung, und wo hat diese je Leben? Zum Muster für Wahl und Behandlung der Darstellungen aus dem griechischen und römischen Alterthum könnte, meiner Einsicht nach, die Skizze von Ferd. Hartmann dienen, welche den Orestes vorstellt, wie der von den Furien herbeygeführte Geist seiner Mutter ihn aus dem Schlafe aufschreckt, und die bey ihrer ersten Erscheinung in Rom die Aufmerksamkeit aller Künstler und Kunstfreunde in rege Bewegung setzte. Auf dem einsamen, nächtlichen Lager wollte Orestes endlich das schlummerlose Auge erquicken, und sein treuer Pylades setzte sich ihm zur Seite. Aber welche Flamme zuckt durch das Zimmer? Sie kommen, die Furien, .... es schaut ihr hohler Blick
Mit der Begier des Adlers um sich her, [402] und die Fackeln schwingend, zeigen sie den Schatten der Mutter, in ein weites, reichgestaltetes Gewand gehüllt, dem muttermörderischen Sohne, der erschreckt auffährt, und die Decke seines Lagers, wie einen Schild, gegen die Furie emporhält, die zunächst über ihm schwebend, höhnend die gelüftete Decke faßt. Welche unglaubliche und erschütternde Würkung muß diese Skizze als Gemählde thun, wo das Augenblickliche, das Blitzschnelle des Moments, das Hartmann so genialisch ergriffen hat, noch unendlich erhöht, und die Scene durch die Glut der lodernden Fackeln noch schaudernder gemacht wird. Aber die Ausführung der Skizze ? – Sie wollen mich in Versuchung führen; denn Sie sind dann mit mir einverstanden, daß bey einer Skizze nur von der Idee die Rede seyn kann – Unbeschreiblich liebreitzend erfunden und ausgeführt war ein verwundeter Adonis von Gerhard v. Kügelgen. Adonis liegt auf die Erde hingeworfen, und hinter ihm sieht man den Verderber seiner Jugend, den wilden Eber, ins Dickicht des Waldes fliehen. Aus der Wunde über den Weichen rieselt das purpurne Blut, und, eingedenk der Warnung der Göttin, hebt er das auch im Schmerz anmuthige Gesicht und die linke Hand flehend zu ihr empor, daß sie gnädig seinen Ungehorsam vergebe. Das Bildchen war außerordentlich schön gemahlt, und die liebliche Gestalt des Adonis athmete vollkommen die jugendliche Weißheit und Fülle, die ihn zum Liebling der schönsten Göttin macht. – Ich hätte Ihnen eigentlich nach den Bildern von Retzsch noch zwey idealische Brust-Bilder: Christus und Moses von Kügelgen, nennen sollen; doch von etwas Vortrefflichem hören Sie zu jeder Zeit gern. Es scheint, als habe sich der Künstler Christus und Moses als Gesetzgeber gegenüber gedacht. Denn ungemein schön steht der liebevolle Ernst und die ruhige Würde, die aus dem offnen, schuldlosen Antlitze des Erlösers strahlt, den gewaltigern, ich möchte sagen, ehernen Zügen des Moses gegenüber, dem der Künstler, statt der sonst üblichen Hörner, zwey Strahlen über der Stirne zugegeben hat, die das Erhabene und Gebietende des Kopfes noch mehr erheben. So viel für diesmal! Mein nächster Brief ertheilt Ihnen Nachricht von den Portraits und Landschaften.
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Ich habe den Dresdner Kunst-Ausstellungen sonst immer einen ungebührlichen Reichthum an Copien alter Gemählde nachsagen hören, allem dießmal konnte sie in dieser Hinsicht kein Vorwurf treffen. Doch war dieser Mangel durch eine beynahe zahllose Menge von Portraits ersetzt. Unter allen gefielen mir die von Gerhard v. Kügelgen. Bestimmt, hervortretend, und für jede Individualität äußerst sprechend und charakteristisch, waren sie getreu und prunklos dargestellt, und ihre Vorzüge durch den Contrast, den die vier interessanten Bilder (von Adam Müller, Ad. Oelenschläger, Fernow und Seume) gegen einander machten, ungemein erhöht. Durch ihre Anmuth reitzen die weiblichen Portraits von Grassi, besonders wenn ihm ein sprechendes Gesicht des Originals zu Hülfe kommt, jedes Auge. Die Gewänder sind überdacht geworfen und mit gebrochnen Farben geschmackvoll colorirt; allein wahre Lebenswärme, Ausdruck und Bestimmtheit der Form durch Schatten und Licht, und reine, unaffektirte Darstellung suchen Sie bey den meisten vergebens. Neben der Fürstin Bagration und der Fürstin Narischkin einer der schönsten Frauen in Rußland, hing der Prinz Louis von Preussen. Was ich Ihnen von Grassis weiblichen Bildern gesagt habe, gilt noch mehr von diesem. Ich habe den Prinzen öfters in der Nähe gesehen, aber von seinen festen, äußerst männlichen und charakteristischen Zügen fand ich nichts wieder. – Lebendig und sprechend trat das Portrait des Hofraths Böttiger von Graff hervor. Es ist bekannt, daß der edle Greis die Schwäche seiner Augen nur zu drückend empfindet, und daß man ihm in dieser Rücksicht das oft zu grelle Auftragen seines Colorits nachsehen muß; allein die genialische Kraft für diesen Zweig der Kunst, besonders für ausdrucksvolle, männliche Gesichter, scheint jede seiner Fingerspitzen zu beseelen und seinem Gefühle Augen zu geben. Ein andres Portrait desselben Meisters, das den Hofrath Mahlmann darstellt, war kalt und bleich gemahlt, und verlor dadurch noch sehr viel an Aehnlichkeit, daß es unter Lebensgröße gehalten war. Ein einziges, aber lebendig und geistreich aufgefaßtes Bild hatte Ferd. Hartmann ausgestellt. Von Rösler waren die Bilder von Tiedge und Goede und noch zwey andre mit lebensgroßen Figuren da. Es fehlte ihnen meist an Wärme des Fleisches und Lebendigkeit, und die Prätension, mit der die Frau v. der Recke, den rechten Arm auf ein Basrelief gestützt, in einer Gegend stand, wo man in der Ferne eine Pyramide etc. sah, würde dem Künstler nicht zu verzeihen seyn, wenn er sich hierbey nicht in die Launen des Originals hätte schicken müssen. Ein Bild von Fried. Matthäi, welches den Baron v. Schubart und seine Gemahlin lebensgroß darstellt, war sehr ausdrucksvoll gemahlt; aber daß die weibliche Figur am Arme der männlichen mühsam einen Absatz heraufstieg, erzeugte eine so widrige und karrikirte Stellung, daß es allen Beschauenden auffiel. Talent für die Portraitmahlerey [422] war in einem weiblichen Bilde von Vogel nicht zu verkennen, aber das Fleisch spielte alle Farben, und die kleinlichen Falten des Gewandes, wie der schmutzige Umwurf, stießen das Auge zurück. Ich zweifle, daß irgend ein Unheil auf den Künstler Eindruck machen wird, da er auch als Theoretiker öffentlich aufgetreten ist; aber Schade wäre es, wenn sein Sohn, der viel Talent besitzen soll, die Fehler des Vaters erbte. Sein Portrait eines jungen Mädchens mir einem emporflatternden Gewande hatte eine äußerst gesuchte Stellung, und das Fleisch war leider eben so buntfarbig. Unter den Arbeiten von jungen Künstlern in diesem Fache zeichneten sich die von Aug. Retzsch und Lenthe aus. Von allen Seiten sehen mich noch Gesichter an, aber wann sollte ich enden? Das, was ich Ihnen genannt habe, war unter den Portraits das Vorzüglichste, und wenn ich Ihnen noch die fleißigen Miniaturen von Schreuel angeführt habe, so habe ich alles erschöpft.
Wenn einem oft im Leben unter den Menschengesichtern die Lust ausgeht, so wird das Herz durch einen Gang ins Freye wieder erquickt. Folgen Sie mir so nun auch von den Portraits zu den Landschaften. Sie kennen meinen heißen, aber leider noch unerfüllten Wunsch, Italien zu sehen, und die Lust, die ich an allen Darstellungen italiänischer Landschaften habe, und werden sich’s leicht erklären , warum zu einem Morgen und Mittag eilte, dessen Meister der bekannte Landschaftsmahler Klengel ist, und die der Katalog italiänisch nannte. Aber das war Italien nicht,
. . . . .wo die Citronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrthe still und hoch der Lorber steht.
Umsonst hofte ich die uppige, lichte Verklärung und Mannigfaltigkeit der Vegetation und den klaren, leichten Himmel zu finden; die trübere einfarbigere Natur unsers deutschen Vaterlandes war nicht zu verkennen. Man würde Unrecht thun, wenn man den beharrlichen Fleiß und das Glück, mit dem manches z. B. die Luft bey dem Mittage vortrefflich dargestellt war, nicht zu schätzen wüßte, aber aus dem Ganzen blickte doch eine Manier, die einzig an deutscher Natur geübt und erzogen, diese zwar darzustellen im Stande ist, aber schwerlich den Reitz italiänischer Landschaften erreichen wird. Vier treu und schön in Oel gemahlte Viehstücke bestätigten mich in meiner Meynung. Erfreulich begrüßten mich zwey Stücke von Kaaz. Das größte stellt das herrliche Tivoli, mit der Villa des Mäten, den Wasserfällen und die alte Roma in der Ferne dar, das kleinere den See bey Nemi. Das erstere sprach mich weniger an, weil mir der Ton etwas zu kalt vorkam, und die dunklere Landschaft mit dem blauen, von weißgrauen Wolken durchflognen Himmel nicht zu harmoniren schien, aber ich mußte nachgeben, da mir mein Nachbar, der selbst lange Zeit in Italien gewesen war, versicherte, daß die Gegend um Tivoli wirklich diesen ernsteren Charakter habe, und man sie oft in dieser Beleuchtung sähe. Uebrigens ist das Bild geistvoll, und alles Einzelne mit unbeschreiblicher Liebe dargestellt, und nirgends der Künstler zu verkennen, der seine Gegenstände genialisch aufzufassen und mit verständigem Fleiße auszuführen weiß. Die Aussicht in den Plauschen Grund aus dem Fenster eines Landhauses in diesem Thale hatte einen anmuthigen Ton; nur schien es mir, daß die Bäume zunächst dem Fenster, das den Vorgrund des Bildes machte, durch einen Luftschicht noch ferner hätten gestellt werden sollen. Ich weiß nicht, ob meine Bemerkung richtig ist, aber ich glaube, daß die Bilder von Kaaz noch dadurch einen besondern Zauber von Wahrheit und Lebendigkeit erhalten, daß er die Gegenden nicht sklavisch nachahmt, sondern den Geist derselben bildend in sein Gemüth aufnimmt, und sie dann organisch, als eigne Schöpfungen seiner Phantasie, wieder erzeugt. Die Copie eines schönen Claude Lorrain, den die Dresdner Gemähldegallerie besitzt, war von August Retzsch sehr sorgfältig ausgeführt, und gefiel mir nebst zwey getreuen anmuthigen kleinen Landschaften nach der Natur ungleich mehr, als seine Mondscheinlandschaft nach Ossians Temora und noch ein anderes Stück von ihm. – Wie sehr wurde es mich freuen, wenn ich Ihnen auch Mechaus Namen unter den beytragenden Künstlern nennen könnte! Seine großen Verdienste als Künstler sind allgemein anerkannt, und es that mir sehr leid, daß ich weder ihn, noch etwas von seinen Arbeiten kennen lernen konnte, zumal, da mir ein Freund die Landschaften, welche er voriges Jahr ausgestellt hatte, nicht genug zu rühmen wußte. Aber ich habe wenigstens des Glück gehabt mit einem andern genialischen Landschafter bekannt zu werden. Gewiß ist Ihnen, der Sie unausgesetzt mit der Kunstgeschichte der neuesten Zeit gelebt haben, der Name Friedrich nicht fremd, und Sie wissen von der seltnen Wirkung, die er durch seine mit Sepia getuschten Landschaften hervorbringt. Er hat nacheinander sechs Stücke ausgestellt, und ich bin nicht fähig Ihnen zu beschreiben, wie sehr mich besonders die vier größeren entzückt haben. Friedrich hat sich ein eignes Kunstreich zugeeignet, in dem er unumschränkt waltet und herrscht, und worin ihm schwerlich einer den Rang streitig machen wird. Er mahlt alle die unendlich leisen Töne und Uebergänge der Luft und der Ferne, stellt so karakteristisch als irgend einer Wasser und Bäume dar, und, – was nur ihn so über alles lieb macht, – jede seiner Arbeiten spricht dem Gemüthe durch einen höhern idealischen Sinn zu, der, wie der wunderbare Laut einer Aeolsharfe, unwiderstehlich zauberisch und rührend ist. Doch ich würde Ihnen und mir zu nahe treten, wenn ich meinen Brief jetzt nicht beendigte, und den Nachklang von Friedrichs Namen in Ihrem Gemüthe zu erhalten suchte.
[423]Ich kann mir es wohl denken, daß Sie der Reichthum an Gemählden bey der jetzigen Ausstellung, besonders unter diesen, der Kunst so abholden, unruhvollen Zeiten überrascht hat. Auch auf mich hat es einen sehr frohen Eindruck gemacht, und meinen besten Hoffnungen für die Zukunft Leben gegeben. Doch – was noch vorzüglich bemerkenswerth ist – sogar die Bildnerkunst hat diesmal das Ihrige zur Erhebung und Vervollständigung des Ganzen beygetragen. Der Bildhauer Ullrich hatte ein lieblich gedachtes und mit Sinn und Gefühl ausgeführtes Modell zu einer Euridice ausgestellt, die vom Bisse der Schlange getödtet, niedergesunken ist, und die Rechte, wie schlummernd, überm Kopfe, die Linke auf dem umgeworfnen Blumenkörbchen hält. Weniger gefiel mir die mangelhaftere Ausführung an dem Modelle zu einem schreitenden Mars, aber ganz vorzüglich wieder die Portraitbüste des Kabinetsministers Grafen von Bose, die unglaublich treu, und so reich und schön gearbeitet war, daß sie zu athmen schien. Drey Modelle von Kügelgen, Venus, Mars und Simson, wie er gefangen und seiner Locken beraubt, die letzte, vergebliche Anstrengung versucht, um seine Ketten zu zersprengen, empfahlen sich durch tüchtiges Verständniß der Form und sorgfältige Ausarbeitung, nahmen sich aber wegen ihrer unbeträchtlichen Größe zu wenig aus. Sauberkeit und den sorgfältigsten Fleiß bewunderte ich an einer kleinen Copie der sogenannten, sitzenden Agrippina vom Inspektor Matthäi; aber bey seiner lebensgroßen Copie einer kleinen, niedlichen Bronze aus der Königl. Antikensammlung schien mir der unschuldige Liebreitz des Gesichts und zum Theil die Zartheit der jugendlichen Glieder des Originals zu fehlen. Daß eine Minerva über Lebensgröße von Kühn im Einzelnen zu kalt und bewegungslos war, läßt sich meist auf die Schuld des Thons schreiben, bey dem allemal der Meister dem Stoffe zu sehr unterthan ist. Aber warum hat er kein andres Material zu seiner Arbeit gewählt? Schlimm genug, daß das schreiende Bedürfniß des Lebens den Künstler zwingt, seinen thönernen Göttern und Göttinnen Arm und Beine, Kopf und Rumpf auszuhöhlen, um sie durch einen Glücksfall wenigstens als Oefen unterzubringen und etwas für seine Auslage, ich will nicht sagen für Fleiß und Mühe, zu erwerben. Wie viel mehr würde dieser junge Bildhauer leisten, wenn nur einige Unterstützung oder andre Ermunterung seinen Fleiß erhöhe und belohnte; denn daß er Talent und Bildungslust besitze, beweißt außer jener Arbeit noch eine lebensgroße Thalia und vorzüglich die Büste des Landschafters Friedrich von ihm. – Ein Basrelief von Ernst Matthäi, das nach dem 24. Buche der Ilias die Iris vorstellt, wie sie von Kronion gesendet im Pallaste des Priamus angekommen ist, erregt sehr gute Hoffnungen für die Zukunft, die aber in diesem Werke noch nicht erfüllt waren. Das Einerlei der Formen, die fast durchgängig nach aussen gekehrten Kniee, die Sentimentalität, die das Ganze athmete, so wie die der Mahlerey mehr zugehörige pyramidalförmige Gruppirung und die zu erhaben gehaltene Iris zeigten, daß der Künstler noch nicht genug in den Geist der Antiken eingedrungen ist, die in dieser Hinsicht ewig unsre Muster bleiben müssen. Doch Jugend, Talent, Fleiß und Italiens bildender Himmel werden ihn gewiß bald an der Hand des formkundigen, sinnvollen Alterthums auf den wahren Weg des Vortrefflichen führen. An diese Bildwerke schließe ich noch den Gipsabdruck eines Intaglio in Cornalin von dem Steinschneider Tettelbach dem jungem an, der den Ganymed vorstellte, wie er den Adler füttert. Die Arbeit war, das Gesicht des Ganymed ausgenommen, sehr sauber und sorgfältig, und einer Camee in Onyx, worauf Mercur und Minerva zu sehen war, unendlich weit vorzuziehen. Sollten Sie Lust haben, sich Gips- oder Schwefel-Abgüsse von der Lippertschen oder der seltnen Viscontischen Dactyliothek und andern ausgezeichneten Gemmen, Münz- und Medaillensammlungen anzuschaffen, so können Sie solche von einem gewissen Rabenstein verschreiben, der sie, auch in der berühmten Lippertschen Masse, äußerst nett und sorgfältig abzugießen versteht, und sehr billig ist. – Unter den architektonischen Zeichnungen und Aufrissen zeichneten sich die Arbeiten von Klinsky und Schuricht aus; aber mich schmerzte es, daß sie, auf eine Betrachtung in der Nähe berechnet, nicht manchen andern Bildern, des guten Lichts wegen, Platz gemacht hatten. Doch meine Wünsche konnten hier nichts ändern; sonst würde ich die durchaus nicht hierher gehörigen gehaltlosen Versuche aus einigen Erziehungsanstalten in Dresden, eine abgeschmackte, aus Wachspuppen zusammengesetzte Allegorie auf die Annahme der Sächsischen Königswürde und einige andre unwürdige Spielereyen, wer weiß wohin gewünscht haben. Unter den Kupferstichen zeichneten sich vorzüglich ein größeres Blatt von Darnstedt: der Weise unter den Hirten nach Dietrich, mehrere äußerst reinlich und schön gearbeitete Stücke von Veith, und die Stiche von Seiffert aus, die für das Beckersche Augusteum bestimmt waren.
[424] Habt ich Ihnen noch ein Fruchtkörbchen von Demoiselle Friedrich genannt, woran besonders der Reflex von dem Weine eines danebenstehenden Glases täuschend gemahlt war, so kennen Sie alles, was mir bey der jetzigen Ausstelung vortrefflich und vorzüglich schien, und ich bin Ihnen nichts mehr schuldig, als noch im Allgemeinen die Künstler zu nennen, die das Beste zu diesem Genusse beygetragen haben. Aber was wollen Sie mir Räthsel losen, die ich schon vor der Aufgabe errathen habe, rufen Sie mir zu, und erinnern mich an die Kunstakademie in Dresden, die der Fürst so gerecht, als gnädig erhält. Allein Sie irren, mein Freund! Die Künstler, welche durch ihre Beyträge die Ausstellung vorzüglich geschmückt, und der Kasse[2] eine reichliche Einnahme verschafft haben, sind meist solche, die hier fremd sind, und weder jetzt einen Genuß von der Akademie haben, noch je hatten. Mit aufrichtiger Achtung und innigem Danke wiederhohle ich Ihnen die öfter erwähnten Namen Hartmann, von Kügelgen, Kaaz, Friedrich, Ullrich, und unter den jungen Künstlern die Gebrüder Retzsch, Kühn etc. die uneigennützig[3] jeder mehrere Arbeiten ausgestellt hatten. Von den Mitgliedern der Akademie hatte meist jeder nur ein Stück herausgegeben, und von den Arbeiten der wirklichen Professoren fand ich nur die von Grassi, Graff und Klengel angezeigt. Ersterer verdient vor allen eine rühmliche Erwähnung, da er, wie man mir versicherte, nie mit seinen Arbeiten gefehlt hat. Daß er ein Mann von Geschmack ist, zeigen seine Bilder, und daß er auch als Lehrer durch zweckmäßigen Unterricht vorzüglich hilfreich und wirksam ist, beweisen seine Schüler Adam Retzsch und Näcke, deren Bilder sich stets unter denen der jungen Künstler ausgezeichnet haben. Ich mußte der Wahrheit dieß Opfer bringen, weil sie Ihnen über alles lieb ist, und damit Sie nicht ungewiß waren, wem Sie Ihre Freude zu danken haben.
- ↑ Oder den Sklaven abhalten will, dem Aegistheus beyzustehn, wie andre gesehn haben.
- ↑ Jeder Schaulustige bezahlt beym Eingange in die Säle, wo die Gemählde etc. ausgestellt sind, 4 Gr., und erhält dafür ein gedrucktes Verzeichnis der ausgestellten Bilder. Wer seinen Besuch wiederhohlt, und kein neues Verzeichniß braucht, zählt dann nur die Hälfte. Die Einnahme ist für die Armen bestimmt.
- ↑ Die Künstler haben hier gar keinen Vortheil von der Ausstellung, wie dieß etwa in Berlin der Fall ist, und darum muß man es um so eher als einen Beweis von aufrichtigem Enthusiasmus für die gute Sache ansehn, wenn sie, selbst mit Aufwand, ihre Werke ausstellen.