Baalbeck (Meyer’s Universum)
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Am Sonnenpfade von Osten nach Westen drang das Leben, die Kraft, die Herrlichkeit der Völker; von Osten nach Westen wanderte die Herrschaft; von Aufgang nach Niedergang zog die Macht mit dem Ruhme. Als Indien, Saba, Aegypten, Phönizien, Palästina, Babylon, Persien ihre Blüthen ausgeblüht hatten, als Griechenlands Haupte das Diadem entsunken war, da ward es auf die Stadt der sieben Hügel getragen, wo eine junge, frische Volkskraft grünte auf kaum umbrochenem Boden. Rom, welches, wie Herkules, schon in der Wiege mit Schlangen im Kampfe sich versuchen mußte, wurde der Sitz der Kultur und der Weltherrschaft. Scheu wichen vor ihm alle Gewalten auf Erden in Ost und West, die Kronen zerbrachen vor seinem Hauche und alle Völker beugten ihren Nacken vor dem Adler, der vor ihnen aufflog. In dem fernen Westen rodete Rom die Wälder der Barbarei und Rohheit und streuete den Samen der Gesittung in den jungfräulichen Boden; in Ost räumte es den Schutt eingestürzter, vermoderter Reiche auf und brachte Ordnung in das Chaos der Verwüstung und Entartung zurück. Römisches Leben durchdrang regenerirend die greisen Völker. – Noch einmal grünte auch der griechische Stamm und trug am römischen Pfropfreis herrliche Frucht.
Dies dauerte fort, bis die alten Götterspiele ausgespielt und bis das heidnische Sinnenleben verödet waren in langer Zeiten Lauf und aus den Hirtenthälern Palästinas ein unvergängliches, neues Licht in die düstere römische Welt zu strahlen anfing und das Germanen-Reich berufen ward, an die Stelle der Siebenhügelstadt zu treten. Vorüber ging dann alle Pracht und Herrlichkeit, die Städte entvölkerten sich, die Straßen verödeten, Paläste, Forum, Akademien und Tempel sanken, und die alte Welt ward zum ruinenbedeckten Todten-Acker.
Unter den zerstörten Städten der römischen Welt im Orient nahm, nächst Palmyra, das wir in einem früheren Bande schon beschrieben haben, Baalbeck den ersten Rang ein. Baalbeck war ein Sitz des Reichthums, der Pracht und der Schwelgerei gewesen und, wie vom Fluche des Himmels getroffen, wandelte es sich, nach des Reiches Sturz, zur Oede mit seiner ganzen Landschaft. Baalbeck liegt in Syrien zwischen dem reichen Damaskus und dem Hafen von Tripolis, in einem Thale des Libanongebirgs, das, von Natur fruchtbar und [60] wohl bewässert, sich gegen die See hin öffnet. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts hatten die Türken den Ruinen eine Stadt eingebaut, die 4 bis 5000 Bewohner zählte. Jetzt ist ein Haufen elender, schmutziger Hütten, unter Trümmer versteckt, das Obdach räuberischer Beduinen, welche ihre Heerden in den Sanktuarien der Tempel weiden und die Gegend zu einer der verrufensten und unsichersten des Landes machen.
Die alten Schriftsteller sagen so wenig über das große Baalbeck, als über Palmyra. Macrobius erwähnt es als Heliopolis in Cölesyrien – die Sonnenstadt, – was mit dem Namen: Baalbeck, Thal des Baals, oder des Sonnengotts, nahe verwandt ist. Die Tradition nennt Salomo als Erbauer; gewiß ist nur, daß sie in der Kaiserperiode Roms ihren höchsten Glanz hatte, und dieser Zeit gehören auch die Gebäude an, deren Ruinen die Jetztwelt bewundert.
Die Trümmer der alten Pracht von Baalbeck bestehen nicht, wie in Palmyra, aus einer großen, über weite Gefilde hin sich verbreitenden Masse von Gemäuer und Säulen; sondern nur drei Gruppen von Ruinen sind übrig, welche nicht fern von einander im Thal, auf einer erhöheten Plattform stehen, die selbst das riesenhafteste Werk ist, welches Menschenhände errichteten; denn diese Terrassenmauer von halbstündigem Umfang besteht aus regelmäßig-behauenen Felsblöcken, von denen der kleinste 31 Fuß, der größte 64 Fuß Länge, 15 Fuß Höhe und 10 Fuß Breite hat, und die so genau auf einander gefügt sind, daß man noch jetzt nach 2 Jahrtausenden nicht im Stande ist, nur die Klinge eines Federmessers in eine Spalte zu bringen. Einer der größten dieser Steine würde, wenn man ihn in Quadern gewöhnlicher Größe trennte, hinreichen, um einen Palast zu erbauen, in dem Könige residiren könnten! Diese Quaderfelsen kamen aus einem zwei Stunden entfernten Steinbruche, in dem man jetzt noch welche ähnlicher Größe sieht, die, zum Theil fertig behauen, am Rande des Bruchs zum Wegschaffen bereit liegen; andere lagern noch unbehauen im Bruche selbst. An diesen Zurüstungen ersieht man, daß ähnliche Riesenwerke aufzuführen man die Absicht hatte; wahrscheinlich brach das Wetter der Zerstörung und Verwüstung urplötzlich über Baalbeck herein und zerschlug es mit einem Male vom Grund aus und so, daß es verscholl. Jede spätere Ansiedelung ist wohl nicht älter, als die Zeit der türkischen Herrschaft in diesen Gegenden, und sie war nie von Bedeutung. – Die größte Blüthe des alten Baalbeck fällt in die Zeit der Antonine. Die Münzen, welche hier häufig gegraben worden, tragen meist das Gepräge dieser Periode, und daß die Tempel, deren Ruinen übrig sind, derselben angehören, hat die Kunstforschung nachgewiesen. Spätere Anhängsel sind sarazenischen Ursprungs und stammen aus der Zeit der Kreuzzüge, wo die Haupttrümmer als Festung benutzt wurden. Man umgab sie damals mit Mauern und Thürmen. Sie sind jedoch schon wieder ganz zerfallen und nur noch Schutthaufen.
[61] Zur Plattform führten majestätische Stufen von Marmor, auf denen die Schaaren der Verehrer des Sonnengotts einst hinan zogen zu den heiligen Hallen mit den geschmückten Opferthieren und den Baal tragenden Priestern. Sie sind zertrümmert und mit Gestrüpp und Gestein bedeckt. Ungeheuere Bruchstücke und Säulenkapitäler sind den steilen Abhang hinabgerollt und ragen hie und da aus dem Schutt hervor. Zwischen ihnen windet sich ein schmaler Pfad hinauf, wo die imposante Steinmasse des großen Sonnentempels zuerst vor den Blick tritt.
Der Eingang desselben ist von Osten her durch einen Portikus von 12 runden Säulen. Er führt in die erste Abtheilung des Tempels, eine sechseckige Vestibüle von 180 Fuß Durchmesser. Umgeben ist diese von einem Kreise von Nebenhallen, alle in den schönsten Verhältnissen und überdeckt mit den reichsten Verzierungen. Weiterhin tritt man in den eigentlichen Vorhof. Er ist viereckig, mißt 574 Fuß Länge und 368 Fuß in der Breite und ist mit hohem Gras und Gestrüpp, aus dem abgebrochene Säulen und Skulpturfragmente ragen, bewachsen. An diesen Theil der Ruine stößt ein weit-ausgedehnter Säulenbau, die Cella oder der innere Tempel. Neun Säulen von den colossalsten Dimensionen stehen hier noch aufrecht. Ursprünglich trugen aber 56 solcher Säulen das Dach der Cella, die 350 Fuß lang, 160 Fuß breit und 90 Fuß hoch war. Man kann sich nichts Großartigeres denken, als diese Ruine, nichts Prächtigeres, als diesen Bau vor seiner Zerstörung.
Gleich links von diesem größten der Tempel steht ein zweiter, kleinerer. Er ist etwas besser erhalten. Von den 50 Säulen, die er hatte, stehen noch zwanzig, von denen 11 ein reich skulptirtes Stück Gewölbe tragen, das den Vorhof zwischen dem eigentlichen Tempel und der Außenmauer deckte. Die Decke ist cassetirt und jede Abtheilung zeigt eine mythologische Darstellung von der schönsten halberhabenen Arbeit. An diesen Tempel stößt eine lange Reihe zerstörter Kammern und Zellen, wahrscheinlich die ehemaligen Wohnungen der Priester. Auch hier sieht man überall Reste bewundernswürdiger Bildhauerarbeit; die Säulen sind jedoch alle zerbrochen, die Bildsäulen aus den Nischen genommen, die Dekorationen abgeschlagen; mit Widerwillen tritt der Fuß auf ganze Haufen von Fragmenten der Werke antiker Kunst.
Der dritte Tempel ist klein; die runde Cella hat nur 32 Fuß im Durchmesser; doch ist sie das Schönste, was ganz Syrien an Ueberresten des Alterthums aufzuweisen hat. Der Tempel ist ganz von Marmor und die Ornamente daran sind so zart wie die feinsten Arbeiten eines Ciseleurs.
Auf dem nördlichen Ende der Terrasse sieht man noch eine zweite erhöhete Plattform von mächtigen Marmorblöcken, wo noch ein vierter, kleiner Tempel gestanden haben muß, von dem aber nichts übrig ist, als zwei Säulenschäfte von rothem ägyptischen Granit und einzelne, aus dem Boden hervorragende Kapitäler und Gesimse mit den zierlichsten Skulpturen.
[62] Baalbecks Ruinen, so herrlich sie auch sind, stehen doch denen von Athen weit nach, und sie lassen deutlich erkennen, daß die Zeit, wo die Gebäude entstanden, nicht mehr jene große Zeit war, wo begeisternde Ideen durch die Seele der Künstler hinflutheten, wie zur Periode des Perikles. Es ist eine gewisse Zahmheit und eine eigenthümliche Einförmigkeit in diesen Friesen, Entablaturen und Karniesen; alle Zierathen wiederholen sich und nicht zu einander Passendes ist oft verbunden. So hängen z. B. Festons von Trauben und Rebenblättern an Ziegen- und Pferdeköpfen. Armuth der Idee sieht überall durch, und die technische Vollendung, so sehr sie auch Bewunderung verdient, kann für die geistige Dürftigkeit nicht entschädigen. Sklavenwerk ist hier Alles, nicht das Werk der freien schaffenden Kunst, die im Römerreiche, wo der Despotismus sich vergöttern ließ, keine Stätte haben konnte.
Rückwärts muß man sehen, oder vorwärts, sucht man wahre Begeisterung der Kunst in ihren Werken. Rückwärts auf jene indischen Tempelhöhlen, in die Nacht der Berge hineingebrochen, in die hohlen Säulenhäuser an ihrem Fuße, auf die Ruinen des Nillands, deren Hieroglyphen von den Wundern der Zeiten stammeln und mit Obelisken auf zur Sonne streben; auf Griechenlands heitere Tempelhöhen und Cyklopenwerke; – oder vorwärts, auf unsere Münster des Mittelalters, deren Massen Riesin thürmten, deren Einzelheiten die künstlerische Hand von Zwergen ausgeführt zu haben scheinen; auf die Bilder, die von allen Wänden niederschauen, und auf die schwebenden Lichtgestalten, die in Feuersgluth aus den Fenstern strahlen. Da war freies Schaffen; wo aber der Meister dem äußern Zwang gehorcht, da wird der Künstler seine Bewegungen stets an die feste Formel binden, und indem ihm die Macht, mit den Traumgestalten seiner Seele den todten Stoff zu beleben, verloren geht, wird die Fertigkeit im Nachahmen seine höchste Leistung.