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Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band |
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Am Sonnenpfade von Osten nach Westen drang das Leben, die Kraft, die Herrlichkeit der Völker; von Osten nach Westen wanderte die Herrschaft; von Aufgang nach Niedergang zog die Macht mit dem Ruhme. Als Indien, Saba, Aegypten, Phönizien, Palästina, Babylon, Persien ihre Blüthen ausgeblüht hatten, als Griechenlands Haupte das Diadem entsunken war, da ward es auf die Stadt der sieben Hügel getragen, wo eine junge, frische Volkskraft grünte auf kaum umbrochenem Boden. Rom, welches, wie Herkules, schon in der Wiege mit Schlangen im Kampfe sich versuchen mußte, wurde der Sitz der Kultur und der Weltherrschaft. Scheu wichen vor ihm alle Gewalten auf Erden in Ost und West, die Kronen zerbrachen vor seinem Hauche und alle Völker beugten ihren Nacken vor dem Adler, der vor ihnen aufflog. In dem fernen Westen rodete Rom die Wälder der Barbarei und Rohheit und streuete den Samen der Gesittung in den jungfräulichen Boden; in Ost räumte es den Schutt eingestürzter, vermoderter Reiche auf und brachte Ordnung in das Chaos der Verwüstung und Entartung zurück. Römisches Leben durchdrang regenerirend die greisen Völker. – Noch einmal grünte auch der griechische Stamm und trug am römischen Pfropfreis herrliche Frucht.
Dies dauerte fort, bis die alten Götterspiele ausgespielt und bis das heidnische Sinnenleben verödet waren in langer Zeiten Lauf und aus den Hirtenthälern Palästinas ein unvergängliches, neues Licht in die düstere römische Welt zu strahlen anfing und das Germanen-Reich berufen ward, an die Stelle der Siebenhügelstadt zu treten. Vorüber ging dann alle Pracht und Herrlichkeit, die Städte entvölkerten sich, die Straßen verödeten, Paläste, Forum, Akademien und Tempel sanken, und die alte Welt ward zum ruinenbedeckten Todten-Acker.
Unter den zerstörten Städten der römischen Welt im Orient nahm, nächst Palmyra, das wir in einem früheren Bande schon beschrieben haben, Baalbeck den ersten Rang ein. Baalbeck war ein Sitz des Reichthums, der Pracht und der Schwelgerei gewesen und, wie vom Fluche des Himmels getroffen, wandelte es sich, nach des Reiches Sturz, zur Oede mit seiner ganzen Landschaft. Baalbeck liegt in Syrien zwischen dem reichen Damaskus und dem Hafen von Tripolis, in einem Thale des Libanongebirgs, das, von Natur fruchtbar und
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zehnter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Philadelphia 1843, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_10._Band_1843.djvu/107&oldid=- (Version vom 9.2.2025)