BLKÖ:Mosenthal, Salomon Hermann
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 19 (1868), ab Seite: 137. (Quelle) | |||
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Justinus Kerner und Gustav Schwab, in nähere Berührung, so daß es dem strebsamen talentvollen Jünglinge auf der betretenen poetischen Bahn an Ermunterung nicht fehlte; auch öffneten ihm zwei der besten schöngeistigen Blätter jener Periode, Dingelstedt’s „Salon“ und Lewald’s „Europa“, ihre Spalten, und eine in letzterer anonym abgedruckte Novelle: „Die kleine Amaryll und der blonde Ruprecht“, welche des damals in Athen lebenden Dichters Geibel Interesse erweckte, bildete den Anknüpfungspunct späterer freundlicher Beziehungen zwischen beiden Poeten. Im J. 1841 kam Mosenthal nach Oesterreich und lebte mehrere Jahre in Wien als Erzieher im Hause eines angesehenen Banquiers. Hier war es nun, wo sich seine Muse dem Drama zuwendete, auf welchem Gebiete M. seine besten Erfolge verzeichnet. Die erste Arbeit, mit welcher er in die Oeffentlichkeit trat, war das dreiactige Volksmärchen: „Der Holländer Michel“, welches im Jahre 1846 zum ersten Male im Theater an der Wien aufgeführt wurde. Diesem folgte schon im nächsten Jahre „Die Sclavin“, Drama in drei Aufzügen, dessen Aufführung im Theater an der Wien stattfand. Die beiden vorgenannten Stücke, obgleich mit Geschick gearbeitet und nicht ohne poetischen Schwung, hatten doch keinen dauernden Erfolg, und blieben auch dann vergessen, nachdem es der Dichter verstanden, durch neue Arbeiten die Theilnahme des Publicums in ungewöhnlicher Weise zu wecken und zu fesseln. Und dieß geschah zunächst mit dem Stücke: „Deborah“, einem Volksschauspiele in des Wortes bester Bedeutung, das bei seinem ersten Erscheinen, in Hamburg, 1850, von durchschlagender Wirkung, an solcher mit jedem Jahre zunahm. Das bald zwei Decennien alte Stück hat die Runde auf allen bedeutenderen Bühnen des Auslandes gemacht, [138] und ist der darin mit Geist und Bühnentechnik behandelten socialen Idee zufolge, um sich eines in neuerer Zeit verschwenderisch angebrachten Ausdruckes zu bedienen, sozusagen ein „internationales Stück“ geworden. [Die vollständige Aufzählung von Mosenthal’s sowohl gedruckten als nur handschriftlichen Arbeiten folgt weiter unten zu Ende der Biographie.] Geringes Interesse[WS 1] boten die der „Deborah“ unmittelbar gefolgten zwei Dramen: „Cäcilia von Albano“ und „Ein deutsches Dichterleben“, welche beide, wenn sie vor der „Deborah“ über die Bühne gegangen wären, unbedingt eine größere Wirkung erzielt und auch einen günstigeren Erfolg gehabt haben würden, denn während „Das deutsche Dichterleben“ auf dem Hofburg-Theater innerhalb 13 Jahren 21 Aufführungen erlebte, wurde die „Deborah“ innerhalb zwei Jahren bereits 16 Mal wiederholt. Die bisherigen Arbeiten hatten dem jungen und strebsamen Poeten eine wohlwollende Aufmerksamkeit des Publicums verschafft. Diese Theilnahme, verbunden mit einflußreicher Fürsprache, bewirkte seinen Eintritt in den kaiserlichen Staatsdienst, der im Jahre 1850 stattfand und mit Rücksicht auf die damaligen confessionellen Verhältnisse in der Monarchie – da Mosenthal Israelit ist – als ein kleines Ereigniß angesehen wurde. Mosenthal war als Official bei einem der Hilfsämter des damaligen Ministeriums für Cultus und Unterricht angestellt worden. Auf diesem Posten machte er auch alle Phasen des Amtes mit, dem er angehörte, das bald ein selbstständiges Ministerium, dann wieder ein Bestandtheil des Ministeriums des Innern, und zuletzt, was es jetzt ist, wieder ein Ministerium für sich wurde. Der ermüdende Manipulationsdienst sagte aber, wie es sich leicht begreift, dem Poeten wenig zu, und so gelang es ihm denn auch bald, bei der Bibliothek des Ministeriums des Unterrichts in Verwendung zu kommen, wo er auch, nachdem Baron Päumann seinen Dienst an derselben mit einem anderen, ihm mehr zusagenden im nämlichen Ministerium vertauscht hatte, als dessen Nachfolger zur Stunde noch angestellt ist. Mit Allerhöchster Entschließung vom 23. December 1867 wurde M. mit dem Titel eines kaiserlichen Rathes und, als anläßlich der glücklichen Entbindung Ihrer Majestät der Kaiserin im April 1868 einer fürstlichen Sitte gemäß mehrere Beweise Allerh. Gnade waren kundgegeben worden, auch mit dem Ritterkreuze des Franz Joseph-Ordens ausgezeichnet. Nach diesem gedrängten Umrisse seiner amtlichen Laufbahn, innerhalb welcher M. fleißig als Dramatiker und Opernlibrettist thätig geblieben, wendet sich diese Skizze dem dramatischen Dichter und Schriftsteller Mosenthal zu. Wie bereits bemerkt worden, folgte den schon vergessenen Dramen: „Der Holländer Michel“ und „Die Sclavin“, nachdem von ihm schon im Jahre 1845 eine Sammlung seiner Poesien unter dem einfachen Titel: „Gedichte“ (Wien, bei Klang) erschienen war, die „Deborah“. Die Dichtung wurde von M. im Jahre 1848 begonnen und, noch in demselben Jahre vollendet, im Hofburg-Theater zur Aufführung eingereicht, aber von Herrn von Holbein, dem damaligen artistischen Leiter, abgelehnt. Mosenthal sandte nun das Stück an die Schauspielerin Antonie Wilhelmi in Hamburg, die in der Titelrolle am 15. Jänner 1849 im Hamburger Stadttheater auftrat und wo das Stück außerordentlichen Beifall fand. In Oesterreich wurde die [139] „Deborah“ im nämlichen Jahre zuerst in Brünn, dann, am 9. Mai 1849, in Wien im Theater an der Wien, wo Fräulein Weißbach die Titelrolle gab, gespielt. Im Juni desselben Jahres gab sie Küstner im Berliner Hoftheater; 16 Jahre später, am 10. September 1865, wurde sie endlich im Wiener Burgtheater gegeben. Die „Deborah“ ist in’s Französische übersetzt von Leon Halevy, dem Bruder des Componisten; in’s Englische mehrere Male, zuerst 1852 von John B. Watermayr, am Cap der guten Hoffnung; dann 1862, bearbeitet von John Daly in New-York unter dem Titel: „Leah“, endlich 1864 wortgetreu von einem Ungenannten und im Grecian-Theater in London gegeben. In der englischen „Leah“ trat Miß Kate Bateman in 220 aufeinanderfolgenden Darstellungen im Royal Adelphi-Theater in London auf. Außerdem wurde die „Deborah“ in die meisten lebenden Sprachen übersetzt: in’s Italienische von Cajetan Cerri, und in dieser Uebersetzung trat die Ristori fast in allen Hauptstädten des Continents auf; in’s Dänische von einem Ungenannten und wurde im Casino-Theater zu Kopenhagen 1853 gespielt; in’s Böhmische von Kolár, in’s Polnische von Anczyc, dann in’s Russische, Serbische und Ungarische. Deutsche Wandertruppen spielten das Stück in Californien und Australien. In Amerika lautet sein Titel: „Deborah, die edle Jüdin in Steiermark“, in Bruck an der Mur wurde es unter dem Titel: „Deborah, oder der Jüdin Fluch des Himmels Segen“ gegeben. Die Engländer haben das Drama sogar in einen Roman unter dem Titel: „The jewish girl“ umgearbeitet. Im Drucke erschien das Stück unter d. Tit.: „Deborah. Volks-Schauspiel in 4 Acten“ (Pesth 1850, Heckenast; Leipzig, G. Wigand, 16°., zweite unveränd. Aufl. ebd. 1858), auch wurde es früher noch mit „Cäcilia von Albano“ zusammen gedruckt ausgegeben. Keine der folgenden Dichtungen Mosenthal’s hatte sich eine ähnlichen Erfolge zu erfreuen, daher von den übrigen hier nur ihre Titel mit den allfälligen Übersetzungen mitgetheilt werden. Sie erschienen in nachstehender chronologischer Folge: „Cäcilia von Albano. Dramatischen Gedicht“ (Pesth 1851, Heckenast, 16°.). – und „Dramen von H. S. Mosenthal. Erste Folge. Deborah. Cäcilia von Albano“ (Pesth 1853, Heckenast, mit dem Bildnisse des Verfassers); – „Der Sonnwendhof“ (Leipzig 1857, J. J. Weber, 16°.), zum ersten Male gegeben im Burgtheater am 17. Februar 1854 und bis zum 18. September 1866 38 Mal wiederholt; von Uebersetzungen des „Sonnwendhofes“ sind bekannt eine englische: „The Sunny Vale Farm“, im Haymarket-Theater gegeben; eine dänische von Chr. Andersen, eine französische von Leon Halevy und eine böhmische, wahrscheinlich von Kolár; der englische Componist Macfarren hat aber die Dichtung auch als Operntext benutzt; – „Das gefangene Bild“ (Stuttgart 1858, Cotta, 8°.); – „Düweke. Aroma“ (Leipzig 1860, Veit u. Comp., 16°.), zum ersten und bisher einzigen Male im Burgtheater gegeben am 12. December 1859; – „Die deutschen Komödianten. Drama“ (Leipzig 1863, J. J. Weber, 16°.), im Burgtheater zum ersten Male gegeben am 18. October 1862 und bis 5. September 1864 16 Mal wiederholt; – „Pietro. Tragödie“ (ebd. 1865, 16°.), im Burgtheater zum ersten Male gegeben am 17. November 1865 und bis 16. October 1866 12 Mal wiederholt; in’s Englische übersetzt von John Oxenford (London 1865), in’s Italienische von [140] Napoleone Ghiotti (Florenz 1865). Außerdem erschien gedruckt im Illustrirten Familienbuch des österreichischen Lloyd, I. Jahrg. (1851), S. 213: „Der Dorflehrer. Dramatisches Seelengemälde in einem Aufzuge“, das im Burgtheater im J. 1852 innerhalb des 18.–20. Octobers viermal gegeben ward. Aufgeführt wurden und bisher ungedruckt sind das fünfactige Schauspiel: „Ein deutsches Dichterleben“, nach Otto Müller’s[WS 2] gleichnamigem Romane, im Burgtheater zum ersten Mal gegeben am 12. September 1850 und bis 11. October 1862 21 Mal wiederholt; – „Gabriele von Precy“, am 3. u. 4. März 1853 gegeben und dann zurückgelegt; – „Der Schulz von Altenbüren. Schauspiel 4 Aufzügen“, zum ersten Mal im Hofburg-Theater am 23. November 1867, aber schon zwei Tage früher im Theater an der Wien als Wohlthätigkeits-Vorstellung gegeben und seither öfter wiederholt, auch bereits in’s Ungarische übersetzt. Neben diesen dramatischen Dichtungen schrieb M. eine Anzahl von Opernlibretto’s, zu denen mehrere anerkannte Compositeure die Musik gesetzt haben, von denen jedoch nur das erste Libretto: „Die lustigen Weiber von Windsor“, mit der Musik von dem leider zu früh verblichenen Nicolay[WS 3], sich bis zur Stunde als eine der beliebteste Opern auf dem Repertoir erhalten hat. Die übrigen sind: „Der Müller von Meran“, Musik von Flotow; – „Abenteuer Karl’s II.“; – „Lips Tullian“, die Musik zu beiden von Vesque von Püttlingen (Hoven); – „Die erste Falte“, Musik von Lecheticzky[WS 4]; – „Judith“, Musik von Doppler; – „Prinz Magnus von Schweden“, Musik von Herbeck; – „Das Landhaus des H. Gogol“, Musik von Kähsmayr[WS 5]; – „Die Kinder der Haide“, Musik von Rabenstein; – „Der Goldschmid von Alm“. Musik von H. Marschner – und „Twardowski, der polnische Faust“, dieses in Gemeinschaft mit Hans Max, unter welchem Pseudonym sich der in der Lebensskizze erwähnte Freiherr von Päumann verbirgt, Musik vom Capellmeister Adolph Müller. Außer diesen dramatischen und melodramatischen Arbeiten Mosenthal’s ist von ihm noch erschienen: „Museum aus den deutschen Dichtungen österreichischer Lyriker und Epiker der frühesten bis zur neuesten Zeit“ (Wien 1854, Gerold, 8°.), eine mit Geschmack und sonst geschickter Auswahl zusammengestellte Anthologie, und schließlich „Gesammelte Gedichte“ (Wien 1866, Gerold’s Sohn, 8°.), in welchen wohl auch eine Auslese der ersten, schon 1845 erschienenen Sammlung neue Aufnahme gefunden haben mag. Mehrere von M.’s Gedichten sind von Dessauer, Hackel, Hornstein, Kalliwoda, Krug, Mendelssohn-Bartholdy, Pfeffer u. A. in Musik gesetzt worden. Ueber die Charakteristik Mosenthal’s als Dichter, sowie über einige der wichtigsten kritischen Stimmen über seine einzelnen Dichtungen vergleiche die Quellen. Mosenthal ist Witwer, er war seit 1851 mit der Tochter des aus Stuttgart in österreichische Staatsdienste berufenen Hofrathes Karl von Weil verheirathet, verlor aber die Gattin im Jahre 1862 durch den Tod. Die hessische Universität Marburg hat M. zum Doctor der Philosophie ernannt.
Mosenthal, Salomon Hermann (dramatischer Schriftsteller, geb. zu Cassel in Churhessen 14. Jänner 1821). Das Gymnasium besuchte M. in seiner Vaterstadt Cassel und dann bezog er das polytechnische Institut zu Karlsruhe, wo er vorzugsweise naturwissenschaftliche Studien betrieb. Bereits als Gymnasialschüler dichtete er, und diese Erstlinge seiner Muse hat M. in die später erschienene Sammlung seiner Gedichte als „Primula veris“ aufgenommen. Als Zögling des Karlsruher Polytechnicums kam er mit mehreren Sängern der schwäbischen Schule, mit- Album österreichischer Dichter (Wien, Pfautsch, 8°.) Neue Folge (1857), S. 251–284: „S. H. Mosenthal“, von Franz X. Fritsch. – Illustrirte Monatshefte für die gesammten Interessen des Judenthums (Wien, Arnold Hilberg’s Verlag, gr. 8°.) II. Band (1865), S. 25: „S. H. Mosenthal“. Eine Studie von Eduard Kulke. – Tagesbote aus Böhmen (Prager polit. Blatt) 1865, Nr. 101, im Aufsatze des Feuilletons: Oesterreichische Dramatiker. Vier Vorträge von Joseph Bayer. – Iris (Gratzer Moden- [141] und Musterblatt, kl. schm. 4°.) Im Juni 1851: Mosenthal’s mit Worten gezeichnete Silhouette von Cajetan Cerri. – Schütze (Karl Dr.), Deutschlands Dichter und Schriftsteller von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (Berlin 1862, Alex. Bach, 8°.) S. 236. – Porträte. 1) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: Dr. S. G. Mosenthal, Stahlstich von Karl Mayers K. A. in Nürnberg; – 2) Stahlstich von Wolf (Leipzig, Baumgartner, gr. 4°.).
- Heinrich Laube über Mosenthal und seine Dramen. Laube hat bald nach seiner Enthebung von der Directorsstelle des Hofburg-Theaters im Jahre 1867 in den Feuilletons der „Neuen freien Presse“ die Geschichte seiner Theaterdirection begonnen, und kam im Verlaufe seiner Darstellung, nachdem er eben Freytag’s „Fabier“ besprochen, auf Mosenthal. „Die Saison-Eröffnung des Jahres 1862“, schreibt Laube, fand Statt mit Mosenthal’s „Deutsche“ Komödianten“. Welch ein Unterschied! Freytag sorglos, goethisch, fein; Mosenthal sorglich, der Popularität nachgehend, lehrsam. Mosenthal hat in zwei Richtungen das Theater offen gefunden: in der Schilderung literarischer Situationen und in der Schilderung des Bauernlebens. In der ersten Richtung hat er unseren Balladenkönig Bürger dramatisirt im „Deutschen Dichterleben“ und die Entstehung des deutschen Schauspieles tragikomisch zu conterfeien gesucht in den „Deutschen Komödianten“. Im „Dichterleben“ kämpft er gegen den unvermeidlichen Uebelstand, daß die dramatische Lebensgeschichte Bürger’s einen ganz anderen Menschen zeigt und zeigen muß, als derjenige Bürger ist, welcher in unserem poetischen Gedächtnisse lebt. Der auf prächtigem Strom von Vers und Reim daherbrausende Balladen-Bürger, unerreicht in seinem natürlichen rhythmischen Falle, lebt in uns als ein Glückskind des Talentes. Sein Lebensbild im Drama dagegen nöthigt uns, häusliches und moralisches Elend durchzumachen. Das stört uns wie ein ästhetischer Widerspruch, und da wir im dramatischen Lebensbilde Unangenehmes und Peinvolles eintauschen müssen für das in uns lebende erquickende Wesen des Balladen-Bürger, so finden wir die dramatische Aufgabe undankbar. Daran krankt dieß Stück in seiner Tiefe. Sorgsam hat Mosenthal uns zu entschädigen gesucht, daß er den Hainbund herbeizieht und uns literarisch-historische Silhouetten bietet, daß er die Doppelneigung Bürger’s zu zwei Schwestern poetisch zu erklären sucht, daß er endlich – seinem eigentlichen Berufe gemäß – das Volk herbeizieht, um bei Anhörung der „Lenore“ die Entstehung des Volksdichters zu enthüllen. Freilich ist es nicht die Entstehung des Volksdichters, das wäre organisch, sondern es ist die Wirkung des Volksdichters in einem einzelnen Momente, und das ist nur episodisch. Das Ganze ist immerhin eine redliche Arbeit. Es fehlen ihr jedoch die Schwingen, welche sie aus dem unteren Dunstkreise so weit erhoben, daß wir von dem Dichterschicksale eine Erquickung von dannen trügen. Derselbe Fehler haftet an den „Deutschen Komödianten“. Wir werden auch hier durch die geschichtlichen Dürftigkeiten des deutschen Schauspieles geführt, und zwar richtig geführt an der Hand poetischer Absichten. Aber der Theologe Ludovici, welcher Schauspieler wird und als solcher zu Grunde geht, ist über die Mittel zu seinem Ziele unklar, und was er schließlich in der Erschöpfung vor seinem Tode für Klarheit hält, die Entdeckung Shakespeare’s, das leidet an zwei schweren Gebrechen. Erstens ist der nationaldeutsche Komödiant am Ende genöthigt, von einem nichtdeutschen Dichter die Errettung zu hoffen, was ziemlich niederschlagend wirkt, und zweitens ist diese schließliche Moral des Stückes denn doch zu nebelhaft für das Schlußbedürfniß eines Theaterstückes und eines Theaterpublicums. Eine literargeschichtliche Auskunft für das Parterre ist mehr originell als genügend. Das historische Thema ist also auch hier an sich nicht ausreichend, oder es ist doch nicht ausreichend bewältigt für einen kräftigen poetischen Eindruck. Beide Stücke leben von ansprechenden Details. Die zweite Richtung Mosenthal’s, das Bauernstück, zeigt ihn viel stärker. Hier ist er eine Specialität und eine solche hat das Theater immer hoch zu halten. „Deborah“, „Der Sonnwendhof“ und „Der Schulz von Altenbüren“ sind die hierher gehörigen Stücke. Was er außerhalb dieser beiden Richtungen für’s Theater gebracht, ist ohne Physiognomie und nicht ohne Banalität, oder richtiger gesagt: außerhalb jener Kreise ist er im Geschmacke unsicher. „Deborah“ war sein erstes Stück und enthält seinen stärksten Kern. Dieser ruht in dem Bedürfnisse des Kampfes gegen sociale Vorurtheile unter Herbeiziehung [142] des Volkselementes. Hier ist es Verfolgung und Verachtung der Juden in den Bauernkreisen. Eine heroische Jüdin kämpft den Kampf durch bis zur Höhe reiner Entsagung, und in dieser ästhetisch klaren und ganz durchgeführten Absicht liegt Werth und Kraft des Stückes. Es hat sich bewährt, indem es auf allen Bühnen Zutritt, Wirkung und Dauer gefunden. Die Staffage bietet Anlaß zu Ausstellungen. Den Bauern der Steiermark im vorigen Jahrhundert werden Siege über das Vorurtheil zugedacht, welche sie schwerlich erfochten haben. Aber gerade hierin zeigt das Stück, wie wenig die bloße Richtigkeit in historischen Dingen bedeutet auf der Scene. Wenn das psychologische Leben richtig gezeichnet ist, da stört die nicht ganz richtige historische Notiz nur in geringem Grade, sowie umgekehrt die historische Richtigkeit gar nichts hilft, wenn das psychologische Moment kein wahres Leben ausathmet. Die realistische Zeichnung und Gruppirung der Bauernfiguren in solchen Gegensätze zum tragischen Pathos eines verfolgten Stammes war neu auf dem Theater und wirkte sehr förderlich, wie viel auch gespottet wurde über das Zehrgeld von kleinen Mitteln, welche der Autor ausbeutet, wie Glockengeläute, Schuljugend und Witterungswechsel. Realistische Dichtung braucht ja eben die Bestandtheile des realen Lebens. Machen sie sich allzu breit, so erscheinen sie nichtig, treten sie sparsam auf, so helfen sie die Täuschung erhöhen. „Deborah“ war immer abgewiesen worden vom Burgtheater. Der verstorbene Graf Dietrichstein war entsetzt über meine Ketzerei, als ich erklärte, daß dieß nicht zu billigen sei. „Ein Judenstück!“ – Haben Sie nicht Maurenstücke genug zugelassen ohne Scrupel? – „Oh!“ – Die Judenfrage liegt uns viel näher als der Untergang der Mauren in Spanien. Als ich später officiell dafür einschritt, wurde mir entgegnet: Es ist nicht mehr neu, wir haben also keine Veranlassung, es zu geben. Das widersprach meinem Princip, im Burgtheater all das zu bieten, was sich eingebürgert im „deutschen“ Repertoire, und so alljährlich eine Vollständigkeit des historischen Repertoirs vorzuführen. Ich kam unverdrossen immer wieder auf die Frage zurück, und 1864 endlich ermüdete der Widerstand – „Deborah“ ward eingereiht. Künstlerisch werthvoller noch ist der „Sonnwendhof“. Er braucht gar keine zweifelhaften historischen Hilfsmittel, braucht keine Glaubens- und Racenfeindschaft, und entwickelt in schlicht menschlichen Gegensätzen unter Bauern sein ganzes hinreichend anziehendes Leben. Daß man in diesen Bauernstücken nur Käs und Butter zu verspeisen kriege und gar kein Fleisch, mag richtig sein. Aber ich habe schon oben behauptet, daß die Abwechslung in der Nahrung ihr Gutes habe. Sein neuestes Bauernstück: „Der Schulz von Altenbüren“, steht zurück gegen obige zwei Stücke, weil der Verfasser den Gegensatz zwischen Bauer und Bürger überspitzt und dadurch abgebrochen hat. Einen modernsten Menschen stellt er einem westphälischen Bauer gegenüber, welcher nicht ein Bauer unserer Zeit ist, sondern ein Bauer des Mittelalters, und als solcher schwere Absonderlichkeiten des Mittelalters vertritt. Da treffen sich die Kämpfenden nicht, und treffen deßhalb auch uns nicht. Der moderne Mensch spricht nun umsonst unsere Gedanken aus. Sie stehen in keinem richtigen Verhältnisse zu den Gedanken des Bauers und erscheinen also nicht organisch-dramatisch, sondern nur declamatorisch. [Neue freie Presse (Wiener politisches Blatt) 1868, Nr. 1268, im Feuilleton: „Das Burgtheater von 1848 bis 1867, Nr. XXIII“, von Heinrich Laube. – Gottschall (Rudolph). Die deutsche National-Literatur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt (Breslau 1861, Eduard Trewendt, 8°.) Zweite verm. und verbess. Auflage, Bd. III, S. 457 u. f., über seine „Deborah“, „Cäcilia von Albano“, „Bürger und Molly“, „Sonnwendhof“ und „Das gefangene Bild“, S. 126 über seine „Gedichte“. – Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) Jahrg. 1851, S. 398, und 1853, S. 305, über die „Deborah“; 1853, S. 306 über „Cäcilia von Albano“; 1854, S. 233, über sein „Museum deutscher Dichtungen österr. Lyriker und Epiker“; 1858, S. 27, über „Der Sonnwendhof“; S. 819, über „Das gefangene Bild“; 1862, S. 173, über „Düweke“; 1863, S. 507, über „Die deutschen Komödianten“; 1865, S. 15 u. 766, und 1866, S. 214, über „Pietra“. – – Presse (Wiener politisches Blatt) 1865, Nr. 342, im Local-Anzeiger: „Proceß anläßlich seines Libretto: „Die lustigen Weiber von Windsor“. – Oesterreichische Blätter für Literatur und Kunst (Beilage der amtlichen „Wiener Zeitung“) 1854, Nr. 2, über sein „Museum aus den deutschen Dichtungen [143] österr. Lyriker und Epiker“. – Wanderer (Wiener politische Blatt) 1849, Nr. 339: über „Cäcilia von Albano“; 1850, Nr. 435, über „Ein deutsches Dichterleben“; 1867, Nr. 322, über „Der Schulz von Altenbüren“, von Joh. N.(ordmann). – Presse 1862, Nr. 290, über „Die deutschen Komödianten“, von E.(mil) K.(uh). – Neue freie Presse 1864, Nr. 38, und 1865, Nr. 444, über „Pietra“, das erste Mal von Brachvogel nach der Aufführung in Berlin; das zweite Mal von Speidel nach der Aufführung im Burgtheater; – ebenda 1867, Nr. 1161, über „Der Schulz Altenbüren“, von Heinrich Laube. – Magazin für die Literatur des Auslandes, von Lehmann (4°.) 1865, S. 56. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber) 1856, Nr. 657, S. 98, über „Der Goldschmid von Ulm“, und dieselbe 1866, Nr. 1178, über „Pietra“.]
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Interessen
- ↑ Otto Müller (ADB).
- ↑ Otto Nicolai (Wikipedia).
- ↑ Teodor Leszetycki (Wikipedia).
- ↑ Kässmayer, Moritz (Wikipedia).