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ADB:Wolf, Friedrich August

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Artikel „Wolf, Friedrich August“ von August Baumeister in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 737–748, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wolf,_Friedrich_August&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:06 Uhr UTC)
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Band 43 (1898), S. 737–748 (Quelle).
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Wolf: Friedrich August W., der berühmte Philologe und Begründer der Alterthumswissenschaft, wurde geboren am 15. Februar 1759 zu Hainrode, einem Dorfe im nördlichen Thüringen, welches unweit Nordhausen an der nach Mühlhausen führenden Straße liegt. Sein Vater, geboren 1726 unweit Nordhausen, war Schulmeister und Organist im Dorfe, übrigens ein höchst begabter und über seinen Stand gebildeter Mann, der die kleine Stelle nur angenommen hatte, um seine Braut, die Tochter des Cantors und Stadtschreibers Henrici zu Neustadt unterm Hohnstein früher heimführen zu können. Er hatte auf dem Gymnasium in Nordhausen den Unterricht von Joh. Eustachius Goldhagen genossen, gut Latein und etwas Griechisch gelernt und trieb diese Sprachen nebst Geschichte und Litteratur autodidaktisch weiter. Sein ganzer pädagogischer Ehrgeiz ging nun dahin, seinem Erstgebornen möglichst früh zu der vollständigen gelehrten Bildung zu verhelfen, die ihm selbst versagt geblieben war. Mit vorzeitigem Eifer begann er nach selbsterdachtem System schon dem noch nicht dreijährigen, aber höchst frühreifen Knaben mündlich lateinische Vocabeln und Sätzchen in correcter Aussprache einzuprägen, und lange vor dem Lesenlernen systematisch das Gedächtniß zu stärken. Es klingt fast wie Märchen, daß der Knabe bei der Feier des Hubertusburger Friedens (15. Februar 1763), also vierjährig ein vom Vater gefertigtes Dankgedicht in der Dorfkirche hersagte und bald auch ebendaselbst zuweilen für den Vater Predigten mit deutlicher Stimme vorlesen konnte, wobei die Zuhörer gerührt Freudenthränen vergossen. Seit [738] dem vierten Jahre trieb der Vater mit Friedrich August auch Musik, zuerst Gesang und Clavierspiel, wozu nach einigen Jahren noch mehrere Blas- und Saiteninstrumente kamen. Ein ebenso unterrichteter jüngerer Sohn wurde, dem Wunsche des Vaters folgend, Musiker von Fach und nach dem Studium der Theologie Musikdirector und Lehrer der Pfarrschule in Wernigerode, wo er 1814 als geachteter Mann starb. Einzig das Zeichnen mußten die Kinder entbehren, weil der Vater nicht selbst darin Unterricht ertheilen konnte; unser W. bedauerte diesen Mangel in späteren Jahren lebhaft. Ebenso empfand er als Erwachsener bitter den gänzlichen Mangel an körperlichen Uebungen, für die bei dem unausgesetzten Studium keine Zeit blieb. Die Mutter war, wie auch der Vater, kräftig, bieder und sorgsam, dabei stets frohsinnig und heiterer Laune; sie theilte den Ehrgeiz des Vaters für die Zukunft des Sohnes. Beide Eltern regelten ihr Verhalten gern nach volksthümlichen Sprüchwörtern; so scherzten sie oft: nur der Teufel ist arm, und waren stets zufrieden in ihren beschränkten Verhältnissen. Im Frühjahr 1767 siedelten sie über nach Nordhausen, wo der Vater zweiter Mädchenschullehrer wurde, später auch Organist. Er erreichte das 80. Lebensjahr und starb pensionirt 1808, die Mutter aber schon 1788, nach einem Besuche bei ihrem sie zärtlich liebenden Sohne in Halle. – Der kaum achtjährige Friedrich August kam Ostern 1767 in die dritte Classe des Nordhäuser Gymnasiums, nachdem ihn der Rector Fabricius hatte griechisch lesen und einige Stellen des Cicero und leichte neulateinische Verse übersetzen lassen. Man las in dieser Classe neben dem Neuen Testamente auch schon einen leichten griechischen Schriftsteller. Die Nachhülfe des Vaters mußte natürlich bald aufhören; schon Michaelis 1770 stieg der 111/2jährige Knabe in die Prima auf, gerade als nach Fabricius’ Tode der treffliche Pädagog Joh. Konrad Hake Rector wurde, dessen Talenten und Methode in Sprachen W. später öffentlich (in den Briefen an Heyne) seine frühe Bildung vorzugsweise zu verdanken rühmte. Leider starb Hake schon im Februar 1771; wir wissen nur, daß er mit Geschmack lateinische Dichter erklärte und selbst auch die deutsche Dichtkunst pflegte, sowie daß er bei Wolf’s Eltern im Hause verkehrte, woraus der frühreife Knabe in seiner Art bedeutenden Nutzen zog, da er von dem Autodidakten Hake die Ueberzeugung gewann, das meiste ohne Lehrer aus Büchern lernen zu können. Indessen verwandelte sich das Wunderkind von Ernst und Fleiß in natürlicher Reaction gegen die bisherige Ueberspannung in geistiger Thätigkeit mit seinem 13. Jahre plötzlich für kurze Zeit „in einen der wildesten Jungen seines Alters, die jeder Vater seinen Söhnen als Muster von Unfleiß und Zeitverschwendung zeigte“. Dennoch kam er auch in der Schule leidlich fort; dabei entwickelte sich seine Anlage zum Witz, sowie die Gabe zu disputiren und schnell zu Antworten bereit zu sein. Gleichzeitig trat er in ein näheres Verhältniß zu dem Cantor Frankenstein, einem originellen Kraftgenie, am Gymnasium Lehrer der Musik und des Französischen, der aber auch Englisch und Italienisch, Spanisch und Holländisch verstand und den abnormen Gymnasiasten in allen Sprachen nach und nach privatim auf seine Weise unterrichtete. W. mußte viele Verse und täglich 30 Stammwörter memoriren; er las Molière, Tasso und Don Quixote. Da Frankenstein in der Aussprache des Englischen sich nicht sicher fühlte, so wurde nur mit den Augen gelesen; die Wörterbücher der fremden Sprachen erhielt W. jedes Mal auf zwei Monate geliehen, um die nicht ableitbaren Wörter zu memoriren oder abzuschreiben. Eine Zeit lang widmete sich nun der Knabe dem Studium der neueren Sprachen so ausschließlich, daß er nach eigner Erzählung kaum ein griechisches oder lateinisches Buch in die Hand nahm. Der Schulbesuch wurde seit Hake’s Tode von ihm sehr unregelmäßig betrieben und oft monatelang nach Willkür versäumt; seine Eltern [739] aber hatten nichts dawider, weil sie den Sohn zu Hause fleißig beschäftigt sahen und die Unzulänglichkeit des neuen Rectors Albert notorisch war, unter dem W. sogar bei einem Schulactus eine deutsche Rede zum „Lobe der Unwissenheit“, sicher nicht ohne satirische Nebenabsicht hielt. Unterdessen holte er sich von einem Lehrer in Ilfeld leihweise ganze Haufen gelehrter Bücher und studirte vom 14. bis 18. Jahre vielfach mit unmäßigem Fleiße in ungeheizter Schlafkammer die Nächte hindurch, wobei er zum Wachhalten kalte Fußbäder und Verbinden des einen Auges anwandte. Er bewältigte schon damals Massen griechischer und lateinischer Schriftsteller und lernte homerische Gesänge und ganze griechische Tragödien auswendig. Tagesüber ertheilte er jüngeren Schülern und selbst Altersgenossen in alten Sprachen und Geschichte Privatunterricht; durch diese regelmäßige und lohnende Beschäftigung gewann er eine treffliche Vorbildung für seine späteren Schulämter. Nur für Mathematik war nach eigenem Geständniß sein Kopf ganz unempfänglich. Dagegen ward die Musik nicht vernachlässigt und auch die Tanzstunde, die er auf Wunsch der Mutter annahm, blieb nicht ohne den obligaten Liebeshandel mit einer jungen Kaufmannswittwe; mit ihr las er Französisch, aber auch Wieland und Klopstock; jedoch starb sie bald darauf an der Schwindsucht. Zu Ende 1776 verließ W. die Schule mit höchst günstigem Abgangszeugnisse und ging, vom Rathe in Nordhausen mit guten Stipendien ausgestattet, Ostern 1777 auf die Universität nach Göttingen. Entschlossen, wie er war, sich der Philologie ausschließlich zu widmen, wußte er es trotz aller Abmahnungen und formellen Schwierigkeiten durchzusetzen, daß er als Philologiae Studiosus, der erste in Deutschland und überhaupt, immatriculirt wurde und damit gleichsam die Weihe als Archeget des zünftigen Philologenthums erhielt. Aber sonderbarer Weise konnte er zu dem berühmten Philologen Chr. Gottl. Heyne gar kein Verhältniß gewinnen. Dieser hatte ihm schon bei einem vorläufigen Besuche das Studium der Philologie geradezu ausreden wollen und behandelte ihn auch ferner kurz und abstoßend; seine Vorlesung über Homer gab W. nach einigen Wochen als ungenügend ganz auf und von einem Privatissimum über Pindar, zu dem W. sich meldete, wurde er kurzweg als unreif ausgeschlossen. Darnach bemühte sich dieser auch um keine Stelle in dem Philologischen Seminar, hörte überhaupt meist nur noch Anfänge von Vorlesungen fast aller Facultäten, um die Quellen und die Litteratur jedes Faches zu erfahren, benutzte aber dagegen mit ungemeinem Eifer die Bibliothek und studirte unablässig zu Hause und zwar so angestrengt, daß er zwei Mal in eine schwere Krankheit verfiel. Zuweilen ging er, nach eigener Aussage, Monate lang nicht aus dem Zimmer. Bekannte hatte er wenige; dem gewöhnlichen Studententreiben blieb er ganz fern. Daneben ertheilte er wiederum selbst bald einigen Genossen lateinischen und englischen Privatunterricht, seinem Lehrberufe auch hier vorarbeitend. Seit Neujahr 1779 erklärte er sogar auf seinem Zimmer vor 16 Zuhörern Xenophon, Demosthenes und andre Schriftsteller. Dies machte allgemeines Aufsehen; bald hielt er förmliche Vorlesungen und dachte daran, sich als Privatdocent zu habilitiren. Mehrere angebotene Stellungen, auch die eines Rectors am Gymnasium in Bielefeld, schlug er aus; doch entschloß er sich auf Heyne’s Vorschlag (der ihn plötzlich höher zu achten schien) eine Probelection am Pädagogium zu Ilfeld am Harze zu halten, nach deren günstigem Ausfall er die von Heyne zu besetzende Stelle als Collaborator erhielt und October 1779 antrat. Während seiner dritthalbjährigen Thätigkeit in dieser damals wenig disciplinirten Anstalt gewann der 20jährige Lehrer auch gegenüber einer zum Theil trägen und verwöhnten Schülerschaft durch seine geistige Ueberlegenheit und die Sicherheit und Gewandtheit im Unterricht bald die nöthige Autorität und hatte Erfolge; nur schienen seine Anforderungen an [740] die Schüler dem Director und auch Heynen zu hoch. Gleichzeitig bearbeitete er „Platon’s Gastmahl, mit Einleitung und Anmerkungen in deutscher Sprache“ für Schüler, eine Frucht längerer platonischer Studien, wobei er jedoch den Nebenzweck verfolgte, Friedrich’s des Großen neuerliche Anweisung an den Minister v. Zedlitz (1779) über die Verbesserung des gelehrten Unterrichts, besonders durch eine in logischer und rhetorischer Analyse mehr auf den Inhalt der alten Schriftsteller gerichtete Interpretationsmethode, an einem Musterbeispiele ans Licht zu stellen. Das Buch wurde rasch geschrieben und erschien eilig gedruckt Leipzig 1782. Die Eile hatte ihren besonderen Grund. In dieser Zeit hatte sich W. nämlich mit der Tochter des Justizamtmanns Hüpeden im nahen Neustadt verlobt; da er aber als Collaborator in Ilfeld nicht heirathen durfte, so sah er sich nach einer andern Stelle um. Zufällig erfuhr er, daß der Magistrat zu Osterode am Harz das Rectorat der (gymnasialen) Stadtschule ausbiete; er reiste sofort hin und machte durch seine Probelection und sonstiges geniales Auftreten bei den Rathsherren solchen Eindruck, daß er einstimmig gewählt wurde, worauf er im März 1782 neuvermählt dorthin übersiedelte. Mit frischester Thätigkeit suchte W. der herabgekommenen Schule neues Leben einzuflößen, wobei er sich als echten Pädagogen erwies; so z. B. stellte er sich bei Regelung der Schuldisciplin mit den älteren Schülern auf vertrauten Fuß, ohne seinem Ansehen zu schaden. Der Ruf seiner Tüchtigkeit und seines neu erschienenen Buches brachte ihm bald Anerbietungen von Directoraten in Hildesheim und Gera, die er jedoch ausschlug, als ihm der preußische Minister von Zedlitz die ordentliche Professur der Philologie und Pädagogik an der Universität Halle antrug, die bis dahin Basedow’s Freund Trapp innegehabt hatte. Obwol die Stelle vorläufig nur 300 Thaler Gehalt brachte, nahm W., der in Osterode 700 Thaler nebst Wohnung gehabt hatte, den Posten an, von dem er sich eine weitreichende Wirksamkeit in dem aufgeklärten Preußenstaate versprechen konnte, und zog im August 1783 in Halle ein. Der Minister gewährte ihm schon 1784 eine Zulage, entband ihn von der pädagogischen Professur, die als zur Ausbildung von Theologen bestimmt Niemeyer übernahm, und übergab ihm die Professur der Beredsamkeit (zusammen 400 Thaler), damit W. ganz seiner Wissenschaft lebe und Halle von dem Vorwurfe befreie, daß man dort keine Philologen bilde. – Die nun folgende 23jährige Lehrthätigkeit in Halle ist es, welche die Glanzperiode von Wolf’s Leben und Wirksamkeit ausmacht; hier entfaltete sich immer mehr seine fesselnde Gabe, vom Katheder herab und im persönlichen Umgange die studentische Jugend für das Studium und die lebendige Erfassung des Alterthums zu begeistern. Nach allen Zeugnissen, auch der verschiedensten Persönlichkeiten, verkörperte sich in ihm das Bild eines Lehrers, wie es wol nur sehr wenige gegeben hat. Den gesammten Stoff seiner Wissenschaft mit Geisteskraft beherrschend und in mächtigem Gedächtnisse stets bereit haltend, wußte er mit genialer Leichtigkeit ihn in deutscher so gut wie in lateinischer Sprache treffend geformt augenblicklich vorzutragen. Rasch entfaltete sich die ganze Lebendigkeit und die gesunde Originalität seiner Natur; sein freier mündlicher Vortrag im natürlichsten Tone stach von der pedantischen Gespreiztheit und dem trocknen Dictat der Mehrzahl seiner Collegen so wunderbar ab, daß er bei allen einigermaßen empfänglichen Jugendgeistern zündete und daß bald helle Flammen der Begeisterung für den jugendlichen Lehrer aufschlugen, der so ganz ohne Zwang und künstliche Herablassung mit sich reden ließ und den Studenten aus innerer Neigung ungemessene Zeit widmete. Von der hohen und weiten Auffassung seines Berufes, allen Studirenden ohne Ausnahme die Pflege der Wissenschaften zur wahren Geistesbildung, nicht um banausischer Zwecke willen, ans Herz zu legen, besitzen wir noch das schönste Zeugniß in den [741] halbjährlich den Lectionsverzeichnissen vorgedruckten kurzen Proömien, worin er, meistens an den Ausspruch eines alten Schriftstellers anknüpfend, auf wenig Seiten in kernhafter und eleganter Form die Studirenden in den Geist und die fruchtbarsten Methoden des akademischen Studiums einführt, sie zur Selbstthätigkeit anregt und an Stelle des Brotstudiums edlen Eifer für die Wissenschaft selber einzuflößen versteht. Bei dem mangelhaften Zustande vieler Schulen war er genöthigt, in seinem eigenen Fache anfangs sehr elementar zu verfahren und die Studenten nur allmählich auf den Standpunkt wissenschaftlicher Betrachtung emporzuheben. In seinen Vorlesungen, die mehr als 50 verschiedene Titel zählten, umfaßte er beinahe die ganze Alterthumswissenschaft, behandelte fast alle namhaften griechischen und lateinischen Dichter und Prosaiker, darunter mit Vorliebe Homer, Plato und Aristophanes, Cicero, Horaz und Tacitus; dazu kam meist Litteraturgeschichte, aber auch politische Geschichte, Chronologie und Alterthümer, ferner bisweilen Mythologie und Numismatik; endlich und mit besonderer Vorliebe (18 Mal) philologische Encyklopädie, wovon noch weiter unten. Im Sommer las er in der Regel 14, im Winter 17 Stunden wöchentlich. Durch die Herausgabe gedruckter Uebersichten von 2–3 Bogen zu den sachlichen Vorlesungen suchte er das mechanische Nachschreiben zu beschränken; das Dictiren haßte und verspottete er (dictatura: dictatores verius quam doctores). Ueberall gab er statt mühsam aufgespeicherter Gelehrsamkeit und abgelagerter Meinungen den lebendigen Ausdruck seiner eignen aus eindringendstem Studium geschöpften Auffassung im leichten und anmuthigen Gewande einer faßlichen und geistreichen Darstellung, die Gegner mit schneidender Kritik und häufiger noch mit beißendem Spott treffend, die Zuhörer erleuchtend und durch die Fülle des Wissens fesselnd und durch heitre Laune bezaubernd, wie es von zahlreichen Schülern bezeugt ist. Den allgemein anerkannten mächtigen Eindruck seines Vortrages bestätigt Goethe, der im J. 1805 mehreren Vorlesungen hinter einer Tapetenthür zuhörte; er fand „eine aus der Fülle der Kenntniß hervortretende freie Ueberlieferung, aus gründlichstem Wissen mit Freiheit, Geist und Geschmack sich über die Zuhörer verbreitende Mittheilung“ (Tages- und Jahreshefte Bd. 27, S. 172). – Die Hauptwerkstätte seiner lehrerischen Wirksamkeit ward das nach seinen eignen Wünschen gestaltete 1787 eröffnete philologische Seminar; hier fühlte er sich wie im engsten Kreise vertrauter Freunde und verstand es, bei aller Ueberlegenheit die jüngeren Leute aufzumuntern und zutraulich zu machen, ihrer anfänglichen Unsicherheit mit väterlicher Freundlichkeit zu Hülfe zu kommen, darauf Jedem das für seine Kräfte und Neigungen angemessene Arbeitsfeld zu weisen und überhaupt mit seltener Geduld und Nachsicht persönliche Anleitung zum methodischen Studium zu geben. Hier wurde strenge Genauigkeit und Beachtung auch des scheinbar Kleinsten geübt, hier strenge Kritik und Selbständigkeit des Urtheils nach fachlichen Gründen, endlich Gewandtheit und Eigenthümlichkeit des Vortrages in lateinischer und deutscher Sprache. Bei der Interpretation scheute er sich nicht, seine eigenen Irrthümer offen einzugestehen und betonte oft das „echt gelehrte Bekenntniß der Unwissenheit“ über einen Punkt. Rücksichtsloseste Wahrheitsliebe galt ihm als erste Tugend. Eine genaue und gefällige, sinn-, nicht wortgetreue Uebersetzung ins Deutsche, bei welcher man die Worte „nicht zuzählen, sondern abwägen“ sollte, war eine zweite, damals neue Hauptforderung an die Seminaristen. Bei den praktischen Uebungen der Letzteren im Unterrichten an der lateinischen Schule des Waisenhauses betheiligte W. sich nur im Anfang des Semesters, gab aber bei privater Besprechung der Lectionen stets anregende Winke und Regeln. Als geborener Pädagog zeigte er sich auch in der Familie, indem er seine drei Töchter sogar zu philologischen Hülfsarbeiten anleitete. Leider gestaltete sich das Verhältniß [742] zu der schnell alternden Frau allmählich so trübe, daß die Gatten sich im J. 1802 dauernd trennten und W. nur die mittlere Tochter, Wilhelmine (später verheirathet mit Wilh. Körte), bei sich behielt. Er liebte und pflegte eine heitere Geselligkeit, wozu seine gute Einnahme ihm die Mittel bot; die näherstehenden Schüler, die auch seine Bibliothek unbeschränkt benutzen durften, bewirthete er oft bis tief in die Nacht. Unter den Collegen nahm er, wie natürlich, bald eine nicht bloß hervorragende, sondern fast herrschende Stellung ein, auch im Senat; doch befreundete er sich gleich anfangs mit dem Theologen Semler und dem Naturforscher Joh. Reinh. Forster; den älteren Fr. W. Reiz in Leipzig schätzte er außerordentlich und ehrte ihn auch nach dem Tode hoch. Das innigste und freieste Verhältniß jedoch knüpfte sich mit Wilh. v. Humboldt, der, eben vermählt mit der gleichgebildeten und gleichgesinnten Gattin, seit 1792 in freier Muße dem Meister der Alterthumswissenschaft nahete, nach dessen Idee die Alten studirte, übersetzte und in philosophischer Abwägung ihres Werthes die Verkörperung einer allseitigen und harmonischen Bildung erstrebte. Der lebhafte persönliche Verkehr während zwei Jahren in Halle, Jena und auf Humboldt’s Gute Auleben, darnach ein dauernder Briefwechsel war für beide Theile gleich befruchtend, neben dem idyllischen Schwelgen im Genuß des Schönen, und ward für W. der stärkste Antrieb zu stets klarerer Gestaltung der in ihm gebildeten Anschauungen von dem Ganzen und der Einheit seiner Alterthumswissenschaft. – Was W. an Ruhnken 1794 (Vorrede zur Ilias) schrieb: docendo aliquanto plus quam scribo delector, und noch 1816 an Humboldt (Analekten I Vorr. VII): „für Jemand, der, wie ich, niemals Schriftsteller, sondern nur Lehrer sein wollte“, das war keine Redensart, sondern lag in seinem Wesen begründet; alle seine Schriften sind rasch empfangene Kinder der Gelegenheit und eilig hingeworfene Erzeugnisse äußeren Anlasses, nie von langer Hand vorbereitet oder auf jahrelange gelehrte Sammlungen gegründet. Die gereinigten Textabdrücke mit Einleitungen, welche er gab, waren meist von Buchhändlern erbeten oder für seine Vorlesungen bestimmt; am sorgfältigsten ausgeführt ist die Ausgabe von Demosthenes’ Rede gegen Leptines mit vollständigem Commentar (1789), worin er ein Muster methodischer Kritik und Sacherklärung, insbesondere betreffs der athenischen Gesetzgebung und andrer antiquarischen Fragen, aufstellte. Die erneuerte Herausgabe von Homer’s Ilias aber wurde der Anlaß, daß sich die Vorrede ihm allmählich zu einem ganzen Buche ausdehnte, nämlich zu den ziemlich rasch niedergeschriebenen, zu Ostern 1795 erschienenen, berühmten „Prolegomena ad Homerum“, worin er seine längst gehegte Ansicht über die homerischen Gedichte aller Welt in wahrhaft classischem Latein vorlegte. Nach dem Titel sollte das Buch von der alten echten Form der homerischen Gedichte, dann von den mancherlei Veränderungen und Schicksalen derselben, endlich von der Verbesserung und Herstellung des Textes handeln. Mit einer Untersuchung über das Alter der Schreibkunst und den Gebrauch der Schrift bei den Griechen beginnend, gelangt W. zu dem Schlusse, daß das Schreiben zu Homer’s Zeit noch kaum im Gebrauche war, der Dichter aber sicher seine Werke nicht selber aufgezeichnet habe, sondern daß dieselben in seiner Sängerschule nur mündlich und durch das Gedächtniß fortgepflanzt worden seien, und daß allein dem Vortrage dieser Sänger, später Rhapsoden geheißen, die Verbreitung im Volke zu danken sei. Erst im 6. Jahrhundert habe man, nachdem Solon zuerst die Gesänge an Festen in geordneter Folge durch Rhapsoden vortragen ließ, an mehreren Orten mit der Aufzeichnung begonnen, am gründlichsten in Athen auf Veranlassung des Pisistratus durch eine von ihm eingesetzte Dichtercommission. Die Thätigkeit dieser letzteren aber ging nach W. noch viel weiter. Denn da der große Umfang beider Gedichte ebenso wie die künstlerische Composition namentlich der [743] Odyssee unmöglich von einem Dichter ohne künstliche Unterstützung des Gedächtnisses hätte entworfen werden können, so sei anzunehmen, daß die erst allmählich durch Zusätze und Nachdichtungen angeschwollene Masse erst damals bei der Aufzeichnung in eine künstlerische Einheit zusammengefaßt und im einzelnen ausgestaltet wurde. Widersprüche und Lücken an vielen Stellen, dazu Nachrichten von der Einschiebung und Hinzufügung ganzer Gesänge drängen zu dieser Annahme, wobei aber W., wie auch später, nicht über Andeutungen hinauskommt. Den Ton der 6 letzten Bücher findet er merklich verschieden von den früheren; auch von großen Einzelliedern, von Einschiebungen und Erweiterungen, von Nachdichtungen wird gesprochen, aber ohne einschneidende Untersuchung des Einzelnen. Im zweiten Theile der Prolegomena aber schildert er eingehend, wie aus der Notwendigkeit, der durch die Unsicherheit der gedächtnißmäßigen Ueberlieferung erlittenen Schädigung abzuhelfen und zugleich die Dunkelheit der altertümlichen Sprache zu erhellen, die Wissenschaften der Kritik und der Interpretation sich allmählich entwickelt haben, insbesondere in Alexandria, wo die Vorsteher der Bibliothek von Zenodot bis Aristarch als Häupter der antiken Philologie im engeren Sinne den Text des Homer endgültig so feststellten, wie er uns der Hauptsache nach überliefert worden ist. Die verheißene Fortsetzung dieses „ersten Bandes“ hat W. nicht gegeben, obgleich die hier berührten Punkte trotz vorsichtiger Fassung eine ungezählte Menge von Fragen und Zweifeln noch jetzt hervorrufen. Beim Erscheinen des Buches war die Ueberraschung ungeheuer, obgleich manche der kühnsten Gedanken (über das Alter der Schreibkunst und den Nichtgebrauch derselben durch Homer) nachweislich schon früher von Andern leicht hingeworfen waren. Hier aber packte die strenge und sichere Methode eines ernsten Forschers und ebenso der glänzende Stil seines Vortrages. Die ganze gebildete Menschheit, sagt Goethe, wurde durch das kühne und tüchtige Buch im Tiefsten aufgeregt. Die Fachgenossen waren zuerst meist sprachlos; David Ruhnken, dem als principi criticorum das Buch gewidmet war, wandte darauf die Worte Cicero’s über Platon’s Phädon an: dum lego assentior; cum posui librum, omnis illa assensio elabitur, und deckte so seine Verlegenheit. In den Kreisen der Dichter, auf deren Urtheil W. sich besonders berufen hatte, begegnete die Hypothese bei Klopstock, Voß, Schiller und Humboldt entschiedener Ablehnung, man klammerte sich fest an die Ursprünglichkeit einer künstlerischen Einheit der Gedichte. Goethe freilich widmete dem Verfasser im December 1796 die schöne Elegie vor Hermann und Dorothea, worin er die Gesundheit des Mannes trinkt, „der kühn vom Namen Homeros uns befreiend auch uns ruft in die vollere Bahn“, bis er späterhin bekanntlich ebenfalls widerrief (vgl. Werke Bd. 27 S. 370). Wieland gab seine Bedenken und sein Schwanken in liebenswürdiger Weise kund. Am schlimmsten kam Herder weg; nachdem dieser das Buch offenbar nur durchblättert, schrieb er eiligst (Juli 1795) und sicher ohne böse Absicht einen Aufsatz in Schiller’s Horen: Homer ein Günstling der Zeit, worin er diesen als reinen Volksdichter in Anspruch nahm und die hauptsächlichen Ideen Wolf’s, ohne diesen, dessen Verdienst und Arbeit er gar nicht erkannt hatte, mehr als beiläufig zu nennen, sehr unbefangen für seine eignen Jugendgedanken erklärte, namentlich den Dichter der Ilias von dem der Odyssee als einen Osthomer vom Westhomer längst geschieden haben wollte und „wetterleuchtende Gedanken“ darüber sprühte. [Wenn neuerdings v. Wilamowitz in den Homerischen Untersuchungen (1890) S. 400 sagt: „Das gepriesene kritische Meisterwerk, Wolf’s Prolegomena, brachte nur den Zunftgenossen, nicht der von Herder inspirirten Jugend neues Licht. W. zankte und feilschte um die Priorität“ –, so bleibt die „von Herder inspirirte Jugend“ erst noch nachzuweisen. Im übrigen darf man annehmen, daß Herder selbst schon lange ähnliche Ahnungen wie W. [744] hegte, auch Heyne mag wirklich, wie er behauptet (s. unten) schon länger ähnliche Vermuthungen vorgetragen haben. Es läßt sich nämlich nicht verkennen, daß neue Gedanken und Ansichten, wenn sie in den Gesichtskreis der gebildeten Menschheit treten sollen, vielfach an mehreren Orten zugleich auftauchen. Neue religiöse, politische oder philosophische Ueberzeugungen treten gar oft gleichzeitig an mehreren Orten hervor, sie regen sich als Vorboten einer neuen Epoche. Nicht selten ruft der Leser eines neuen Gedankens: das habe ich auch schon längst gedacht! Denn die neuen Ideen liegen gleichsam in der Luft als embryonische Keime, sie werden halblaut geäußert und schleichen als Ahnungen und Visionen umher. Daher die häufigen Prioritätsstreitigkeiten über wissenschaftliche und technische Entdeckungen. Aber hier, wie auch in anderen Fällen, muß der Grundsatz gelten, daß als Finder derjenige anzusehen ist, der den neuen Gedanken logisch entwickelt und begründet, der ihn weiter ausgedeutet und ausgebeutet hat und die richtigen Folgerungen daraus zu ziehen verstand. Und das war in diesem Falle unser W. Herder’s Aufsatz war bald begraben; mit Recht hat Wolf’s Buch allein Nachwirkung und Reaction hervorgerufen, sein Name wird immer genannt.] Der mißtrauische W. aber strafte diesen Hochmuth und vermeintlichen Versuch, ihm die Frucht mühsamen Fleißes zu rauben und die Erweise seiner historischen Kritik durch unklare Ahnungen und Gefühle zu verdunkeln, mit einer sehr beißenden Abfertigung, die ihm später selbst leid that. Eine Recension schrieb zuerst Heyne; er bezeichnet aber das Buch als „die erste Frucht des beispiellosen Fleißes des um die Litteratur so verdienten Herrn D’Ansse de Villoison“ (des Herausgebers der Venetianischen Scholien, auf welche W. seine Untersuchung über die alexandrinischen Kritiker gegründet hatte). Wolf’s eigene Forschung wird dabei sehr nebensächlich behandelt, Kleinigkeiten werden gelobt, und von der „Unwahrscheinlichkeit, daß Homer bereits ein episches Ganze zusammengestellt habe“, heißt es: „Dem Recensenten schien die Sache sehr einfach zu sein, und er trug sie immer so vor: historische Beweise fehlen für das Ja und Nein.“ Diese offenbar unehrliche Art veranlaßte W., dem Recensenten persönlich und ausführlich unter Hinweis auf das Wesentliche einen mäßigen Vorhalt zu machen. Als aber Heyne neben einer sehr gewundenen persönlichen Antwort zugleich in den Göttinger Gelehrten Anzeigen über eine von ihm kürzlich gehaltene Vorlesung in der dortigen Gesellschaft der Wissenschaften nachträglich berichtete, worin er, durch Wolf’s Kühnheit offenbar selber erst dreist gemacht, für die Resultate von Wolf’s Forschungen geradezu die Priorität beanspruchte, ließ der sehr deutlich des Plagiats beschuldigte W. die „Briefe an Herrn Hofrath Heyne“ (1797) drucken, in denen er sich nicht bloß von jenem Verdachte vollständig reinigte, sondern den schleichenden Neider durch Nachweis aus seinen eignen Aeußerungen in seiner Blöße darstellte und mit Lessingischer Polemik geradezu niederschmetterte, so daß er fortan schwieg. In späteren Jahren hat Heyne sich vollständig zu Wolf’s Ansichten bekannt und auch dessen Verdienste anerkannt. – Uebrigens hatte W. bald die Genugthuung, neben Böttiger und Ilgen auch Gottfried Hermann in Leipzig entschieden auf seine Seite treten und aus seiner Hypothese wichtige Consequenzen ziehen zu sehen, mit dem schönen Worte: vir patriae, non saeculi more acer et strenuus, dum Homerum nobis eripuit, restituit. Und von jetzt ab, kann man sagen, wurde für lange Zeit Wolf’s Ansicht über Homer geradezu zum Dogma erhoben. W. galt nun unbestritten als „der Fürst der Philologen“; er erhielt Rufe nach Leipzig, nach Kopenhagen, dann auch 1805 an die Akademie in München unter sehr ehrenden Bedingungen, worauf ihm der König sein Gehalt auf 3000 Thaler erhöhte, mit Inbegriff der 900 Thaler, die er seit 1799 als ordentliches Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften bezog. In diese Zeit fiel auch die nähere [745] Verbindung mit Goethe, die schon gleich nach Erscheinen der Prolegomena durch Humboldt angebahnt war und, wie bemerkt, dem Dichterfürsten die fruchtbare Anregung zu Hermann und Dorothea gegeben hatte. Goethe studierte die Prolegomena so eifrig, daß er auch die verunglückte Achilleis unternahm; er fühlte sich aber noch mehr durch Wolf’s geistreiche Unterhaltung angezogen, die er 1802 und folgende Jahre bei sommerlichem Aufenthalte in Lauchstädt, Jena und Halle genoß. Er gestand, daß „einen Tag mit diesem Manne zuzubringen, ein ganzes Jahr gründlicher Belehrung eintrage“. Geschmack und Urtheil dieses „echten Alterthumsforschers“ bewogen Goethe auch, ihm die Mitarbeiterschaft an der Schrift „Winckelmann und sein Jahrhundert“ (1805) anzutragen, worin W. den Abschnitt über Winckelmann’s Studienzeit übernahm, der, in knapper und geistvoller Form abgefaßt, zur Zufriedenheit Goethe’s ausfiel. Man merkt, daß W. einer inneren Verwandtschaft mit dem behandelten Autodidakten und Forschergeiste sich bewußt war, obwohl im übrigen W. für bildende Kunst, insbesondere Skulptur, nur geringes Verständniß bewies. Das Freundschaftsverhältniß mit Goethe stand jetzt in der Blüthe; W. wohnte um Pfingsten 1805 längere Zeit in des Freundes Hause in Weimar, dann waren sie in Lauchstädt zusammen, darauf erwiderte Goethe den Besuch in Halle und endlich reisten Beide zusammen nach Helmstedt, wo sie sich an dem wunderlichen Beireis belustigten. Man sehe darüber Goethe’s Bericht Bd. 27 S. 166–206 (Ausg. in 40 Bdn.). – Unter den litterarischen Arbeiten Wolf’s in dieser Zeit ragt hervor eine neue Ausgabe des Homer in 5 Bänden (1804–1807), die der Verleger Göschen mit des Engländers Flaxman Umrissen zieren ließ und im Druck prächtig ausstattete. In der Vorrede gab W. eine Uebersicht der von ihm bei Herstellung des Textes befolgten kritischen Grundsätze und stellte auch einen (nie erschienenen) erklärenden Commentar in Aussicht. Großes Aufsehen erregte auch eine Ausgabe der vier von Cicero nach seiner Rückkehr aus der Verbannung gehaltenen Reden (1801), welche W. nach dem Vorgange des englischen Arztes Markland und trotz der Vertheidigung J. M. Gesner’s in einem fortlaufenden Commentar aus stilistischen und historischen Gründen als unecht zu erweisen suchte. Doch ist dieser Beweis von der späteren Forschung ebenso wenig als überzeugend anerkannt, wie für die Rede pro Marcello, die er gleichfalls (1802) aus eigener Initiative und „aus Ueberfeinerung oder Ueberreizung seines Stilgefühls“ angriff. Eine gewisse Lust zur Neckerei, wie es scheint, veranlaßte ihn sogar, gesprächsweise eine der vier Catilinarischen Reden für unecht zu erklären, jedoch gab er seinen neugierigen Schülern keine ganz bestimmte Auskunft, welche er meine. – Das Jahr 1806 brachte mit der Schlacht bei Jena und der gleich darauf folgenden Aufhebung der Universität Halle auch für Wolf’s ganzes Leben einen entscheidenden Wendepunkt. Mit der akademischen Thätigkeit schien ihm das Lebenselement entzogen; erst Goethe’s herrlicher Brief vom 28. November richtete den Niedergeschlagenen wieder auf durch warmen Zuspruch und Hinweis auf litterarische Thätigkeit, die er auch sogleich begann. Ein gehässiger, von Collegen ausgestreuter Klatsch, der seine Patriotenehre angriff – er sollte, im Begriffe, dem Marschall Bernadotte seine Ausgabe des Homer zu überreichen, die Dedication an den König haben ausschneiden lassen – verleidete ihm den Aufenthalt in Halle; er reiste daher im April 1807, einer Aufforderung Johannes v. Müller’s folgend, nach Berlin, zunächst in der Absicht, nur kürzere Zeit dort zu verweilen. Alsbald aber begann er als einer der Ersten bei dem Plane der Errichtung einer Universität in Berlin thätig mitzuwirken und schlug deshalb verschiedene glänzende Anerbietungen nach München, Charkow, Landshut, auch in seine alte Stellung nach Halle aus. Schon gleich nach dem Tilsiter Frieden reichte er mehrmals detaillirte Vorschläge über die künftige Universität an den [746] Cultusminister v. Beyme ein und erhielt vom Könige die Zusicherung des Fortbezuges seines früheren Gehalts. Zugleich wurde er vorläufig zum Visitator des Joachimsthalschen Gymnasium ernannt, wo er im nächsten Jahre manche passende Veränderungen machte. Als dann Anfang 1809 sein Freund W. v. Humboldt Leiter des Unterrichtswesens geworden war, legte dieser Wolf’s Vorschläge bei Errichtung der Universität zu Grunde, zog ihn vielfach zu Rathe und beförderte ihn 1810 zum Director der wissenschaftlichen Deputation für die Section des öffentlichen Unterrichts, welcher neben den freiwilligen Functionen zur Hebung des Unterrichts die Entwerfung der Lehrpläne nebst Auswahl der Lehrbücher, die Vorschläge zu Stellenbesetzungen und die Prüfungen unterstellt wurden. Leider aber wurde die Möglichkeit dieser weitreichenden Wirksamkeit von W. selbst zerstört, da ihm „alles Geschick, aller Sinn, alle Geduld“ für die Geschäfte eines Beamten, wie sein eigner Schwiegersohn Körte bezeugt, abging. Alle Nachsicht und Güte Humboldt’s vermochte auch nicht, den kränklich und zugleich anmaßend ehrgeizig gewordenen Mann, der durchaus Staatsrath heißen und sich nirgends fügen wollte (s. W. v. Humboldt, Ges. Werke V S. 279–293), zu beschwichtigen; er trat schon nach sechs Wochen zurück „aus Gesundheitsrücksichten“, nachdem er für Berufung seiner Schüler Heindorf, Böckh und Imm. Bekker an die Universität gewirkt hatte. Die ihm zugedachte ehrenvolle Stellung ward darauf an Schleiermacher übertragen. Leider gerieth W. auch zu der im October 1810 eröffneten Universität sofort in ein Mißverhältniß. Während er nämlich auf eine bevorzugte Stellung gehofft und besonders gewünscht hatte, als Mitglied der Akademie ohne strenge Verbindlichkeit nach Belieben Vorlesungen halten zu dürfen, wurde er genöthigt, einfach als ordentlicher Professor neben Böckh und Heindorf zu amtiren, und nur von den Facultäts- und Senatsgeschäften entbunden; und anstatt der oberen Direction eines philosophisch-pädagogischen Seminars sollte er Candidaten und jüngeren Lehrern Uebungsstunden und Anleitung zum Unterrichten geben, eine Thätigkeit, die er von vornherein von sich abwehrte und auch später nie geübt hat. Daneben verstimmten ihn Zwistigkeiten mit der Akademie der Wissenschaften, deren neues Statut, wodurch ihm regelmäßige Vorträge auferlegt wurden, anzuerkennen er sich weigerte (man sagte, er habe gehofft, ihr Präsident zu werden); er wurde daher nur noch als Ehrenmitglied anerkannt. So blieben ihm denn nur seine Vorlesungen, die er indessen, von Kränklichkeit oft gestört, sehr unregelmäßig und mit minderem Erfolge als früher abhielt, obgleich der stets geistreiche Vortrag und der innere Gehalt begabtere Jünglinge nach wie vor anzog und zur Selbstthätigkeit anregte. – Zur Schriftstellerei hatte er auch jetzt wenig Lust; er vermißte „den zarten Reiz, welcher in der augenblicklichen Entwicklung unsrer Gedanken vor gespannten Zuhörern liegt, durch deren leise empfundene Gegenwirkung eine geistvolle Stimmung im Lehrer geweckt wird, die der Sitz vor leeren Wänden und dem gefühllosen Papier so leicht niederschlägt“ (Analekten Bd. I Vorr.). Daher liegt bezeichnender Weise auf litterarischem Gebiete seine zweite Hauptschöpfung, streng genommen, auch noch vor der Berliner Zeit und ist ein Nachklang der schönen Hallischen Periode. Die großartige Abhandlung: „Darstellung der Alterthumswissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Werth“, womit er das von ihm in Verbindung mit seinem vormaligen Schüler Ph. Buttmann herausgegebene „Museum der Alterthums-Wissenschaft“ (Berlin 1807, Bd. II 1808) eröffnete, war aus seinen Hallischen Vorlesungen über Encyklopädie der Philologie hervorgegangen und im Winter 1806–7 daselbst zu Papier gebracht worden. In dieser Darstellung gebührt W. das Verdienst, die classische Philologie zum ersten Male als eine selbständige und gleichberechtigte philosophisch-historische Wissenschaft hingestellt und deren Gliederung, Geschlossenheit und inneren Zusammenhang nachgewiesen zu haben. [747] Er hat in diesem, Goethe, „dem Kenner und Darsteller griechischen Geistes“, mitschwungvollen Worten gewidmeten Aussatze, worin er „die organisch entwickelte, bedeutungsvolle Nationalbildung der Griechen“ nachdrücklich hervorhob, zuerst die möglichst vollständige Erkenntniß des gesammten Lebens der Griechen und Römer als das letzte und höchste Ziel der Alterthumsstudien aufgestellt und sich dadurch nach Niebuhr’s Worten das Recht verdient, als Heros und Eponymos der deutschen Philologen gefeiert zu werden. Eine künstlerische noch mehr als rein philologische Leistung war dann die deutsche Uebersetzung von Aristophanes’ Wolken in den Versmaßen der Ursprache, die er in der Genesungszeit von schwerer Krankheit (1811) fertigte. Sein Nachfolger in der Uebersetzungskunst J. G. Droysen sagt über diese „herrliche Nachdichtung“ mit Recht: „fest ausgeprägte und dem Classischen merkwürdig verwandte Eigenthümlichkeit, kecke Grandiosität der Laune, attische Kühnheit eines allseitig beweglichen und freien Sinnes spiegelt sich nirgends anziehender und imponirender ab als hier.“ Zu den von ihm herausgegebenen „Literarischen Analekten“ (2 Bde. 1816–20) hat er selbst außer Mittheilungen über das Leben des ihm durchaus congenialen englischen Philologen R. Bentley nur kleinere Aufsätze und eine Reihe von Miscellen beigesteuert, so wie er denn überhaupt nur noch in abspringender Weise arbeitete. Es ist betrübend, zu sehen, wie der Mann, der auch im kleinsten Aufsatze eine überlegene Betrachtungsweise seines Gegenstandes offenbart, von dem durch Kränklichkeit genährten Unmuthe immer mehr sich übermannen ließ und durch Launenhaftigkeit und Empfindlichkeit viele nähere Bekannte sich entfremdete. Seinen treuen und anhänglichen Schüler Heindorf, den Herausgeber platonischer Dialoge, der auf dem Todtenbette lag, beurtheilte er in so unbarmherziger Weise, daß Buttmann und Schleiermacher nebst Anderen öffentlich dagegen auftraten. Höchst originell und drastisch sind die Aeußerungen des Musikers Zelter (im Briefwechsel mit Goethe) über Wolf’s Eitelkeit, Zanksucht und prahlerisches Wesen, und Goethe selbst, der ihn beharrlich sehr hoch hält, bedauert, wie sehr er „sich dem Widerspruchsgeist ergeben, daß es zur Verzweiflung bringt“. Nur auf Reisen pflegte W. sein früheres heiteres Wesen wiederzugewinnen und in fröhlicher Geselligkeit seinen stets schlagfertigen Witz und Humor spielen zu lassen. So besuchte er u. a. 1816 seine Heimathgegend, 1820 den Rhein, Frankfurt und seine dankbaren Schüler in der Schweiz. 1822 hatte er eine schwere Katastrophe zu bestehen, und im Frühjahr 1824 sollte er auf ärztlichen Rath die Bäder zu Nizza gebrauchen. In Weimar, wo er auf der Durchreise acht Tage blieb, fanden ihn die Freunde bedenklich verändert; nur langsam ging es weiter über Frankfurt, wo ihn seine jüngste verheirathete Tochter pflegte; dann über Straßburg und Lyon nach Marseille. Hier beschleunigte eine verkehrte Diät im heißen Klima den Verfall seiner Kräfte: er starb mit männlicher Fassung am Abend des 8. August 1824 und ward auf dem dortigen Friedhofe bestattet. – W. war von mittlerer Größe und von rüstigem Körperbau, breitschultrig, mit hochgewölbter Brust. Sein Antlitz verrieth den genialen Denker und das gebieterische Wesen. Seine Natur war großartig angelegt, aber zum Maßlosen neigend; Geduld kannte er nicht. Sein vielumfassender Geist, voll Schwung und Feuer, ergriff mit spielender Leichtigkeit fremde Gedanken und formte mühelos die eignen. Nur alle Schulphilosophie war ihm verhaßt; von Kant’s System verschmähte er selbst Kenntniß zu nehmen. Durch die Anbahnung einer methodischen historischen Kritik hat er weit hinaus über den Kreis seiner Specialwissenschaft gewirkt; man darf unbedenklich von ihm eine neue Epoche datiren. Seine Schüler Böckh und Buttmann haben besonders an der Berliner Universität seinen Geist fortgepflanzt. Ebenso gewichtig aber war seine Wirksamkeit für das höhere Bildungswesen in Deutschland, speciell die Ausgestaltung [748] der Gymnasien in Preußen. Durch seinen Einfluß zumeist ist in den oberen Classen derselben der Schwerpunkt von der lateinischen auf die griechische Sprache verlegt worden und die eindringende Kenntniß des Alterthums als ästhetisches und historisches Bildungsmittel für die Jugend zur Geltung gekommen. Für die Gesundheit seiner Anschauungen über Jugendunterricht und den praktischen Blick des Schulmannes zeugen insbesondere die hinterlassenen Consilia scholastica, fragmentarische Grundzüge einer Pädagogik und besonders des Gymnasialunterrichts, Aufzeichnungen für mehrmals gehaltene Vorlesungen, worin er in scharfem Gegensatze zu dem herrschendem Philanthropinismus einer vernünftig kräftigenden Geistes- und Charakterbildung das Wort redet und die Humanitätsstudien im Sinne des classischen Alterthums als Grundlage der höheren Bildung aufstellt. Seine hier und in verschiedenen Vorlesungen (herausgegeben theils von Gürtler, theils von Usteri) gegebenen pädagogischen Anweisungen und didaktischen Normen athmen eine gesunde Natürlichkeit und Frische; die Forderungen an die Schüler sind durchaus maßvoll und von engherzigem Pedantismus so weit entfernt, daß sie noch jetzt (nach 100 Jahren) höchster Beachtung werth erscheinen müssen, während der Unverstand mechanischer Nachtreter und die Verstiegenheit eines einseitig buchstabengelehrten Philologengeschlechtes die alten Sprachen als allgemeines Mittel der Bildung heutzutage in starken Mißcredit gebracht haben.

Leben und Studien Fr. A. Wolfs, des Philologen. Von Dr. Wilh. Körte. 2 Bde. 1833. – J. D. F. Arnoldt, Fr. A. Wolf in seinem Verhältnisse zum Schulwesen und zur Pädagogik dargestellt. 2 Bde. Braunschweig 1861. 62. – Bursian, Geschichte der klassischen Philologie in Deutschland 1883. Bd. I, S. 517–548. Aus diesen Schriften sind alle früheren Quellen zu entnehmen. – Th. Ziegler, Geschichte der Pädagogik S. 263–69. – Wilh. Schrader, Geschichte der Universität Halle, Bd. I (1894), S. 434 bis 462. – Schmid’s Encyklopädie der Pädagogik, 2. Aufl., Bd. 10, S. 385 bis 421 (von Arnoldt und Schrader). – C. Varrentrapp, Johannes Schulze und das höhere preuß. Unterrichtswesen. Leipzig 1889. S. 28–44, 241 bis 244.