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ADB:Willich, Jodokus

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Artikel „Willich, Jodocus“ von Rudolf Schwarze in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 278–282, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Willich,_Jodokus&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:26 Uhr UTC)
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Willich: Jodocus W. (Wilcke), Polyhistor, geboren 1501 zu Rössel (Ressel) im damaligen Bisthum Ermland (Regbez. Königsberg), verlor früh seinen Vater; aber seine Angehörigen, durch des Knaben vortreffliche Gaben bewogen, ließen ihm den erforderlichen Unterricht ertheilen, um ihn nach Frankfurt auf die dort 1506 gegründete Universität zu schicken, welche schon mehrere Resselianer angelockt hatte. W. bewies seine Erkenntlichkeit dadurch, daß er 1530, als er schon selbst an der Universität lehrte, seinen Stiefbruder Gregor Wagner (geboren 1511) aus der zweiten Ehe seiner Mutter Brigitta, zu sich kommen ließ und für sein Fortkommen sorgte (s. A. D. B. XL, 501). W. war inzwischen 1516 vom damaligen Rector Lacher in die Matrikel der Universität eingetragen worden (Friedländer I, 45 b, 10), erwarb sich 1517 den Titel als Baccalaureus, 1522, so früh es gestattet war, die Magisterwürde und ward durch einstimmige Wahl unter die Zahl der Professoren aufgenommen. Alsbald begann er neben dem Professor Gregor Faber (Schmidt), welcher zuerst das Griechische an der Universität gelehrt hatte, dann als dessen Nachfolger die Erklärung der alten Classiker, verbunden mit Vorträgen über die Rhetorik, auf welche damals für die Fertigkeit im Lateinischsprechen besonderes Gewicht gelegt wurde. Wenn W. bald nachher ein Anerbieten des Professors Wimpina, für ihn den Druck seiner Werke in Basel bei der Froben’schen Officin zu überwachen, ablehnte, obwol er sich daraus für die Zukunft manche Vortheile versprechen konnte, so erklärt sich dies zunächst daraus, daß er den Beschützer Tetzel’s 1518 in dessen Thesenstreit mit Luther nicht unterstützen wollte, da er selbst schon je länger je mehr sich Luthers Lehre zuneigte; dazu kam aber noch, daß er mit der ihm eigenen geistigen Spannkraft sich neben den sprachlichen Studien auch noch dem medicinischen Studium unter Matthäus Zimmermann († 1532) und Christian Schirach († 1560) zuwandte, um sich dadurch den Zugang zu den sogen. höheren Professuren: der Medicin, Jurisprudenz und Theologie zu bahnen. Und schon 1527 stand er in dem Ruf eines geschickten Arztes, wie dies Matthäus Hostus (1509–87, s. A. D. B. XIII, 191), sein langjähriger Schüler und später sein Biograph, welcher in jenem Jahr die Universität Frankfurt bezog, ausdrücklich bezeugt. So ward W. auch 1533 von seinem in Wittenberg schwer erkrankten und von den Aerzten schon aufgegebenen Freunde Crullius zu einer Consultation dorthin gerufen, und stellte ihn glücklich wieder her. Für W. aber hatte diese Reise noch eine wichtige Folge: er lernte die dortigen Reformatoren kennen und schloß sich besonders an den nur um vier Jahre älteren Melanchthon an, mit dem er auch weiter in Verbindung blieb. – Als Kurfürst Joachim I. am 11. Juli 1535 starb, theilten seine Söhne Joachim II. und Johann nach den Bestimmungen seines Testaments die Lande. Ersterer war kurz vorher durch den Tod seiner Gemahlin Magdalene, der Tochter des Herzogs Georg von Sachsen, Wittwer geworden und beschloß nun beim König Siegismund I. von Polen (reg. 1506–48) um die Hand seiner Tochter [279] Helene werben zu lassen. An die Spitze einer Gesandtschaft an den Hof nach Krakau stellte er 1525 den Bischof von Lebus und Ratzeburg Georg v. Blumenthal, und gab ihr als Begleiter auch W. mit wegen seiner Fertigkeit im Gebrauch der lateinischen Sprache, da diese in Polen bei Hofe die übliche im Verkehr mit Fremden war. Die Gesandtschaft führte ihren Auftrag zur Zufriedenheit des Kurfürsten aus; W. aber nahm diese Gelegenheit wahr, dem Bischof, als Kanzler der Universität, seine lateinische Uebersetzung der damals noch dem Aristoteles zugeschriebenen, jetzt aber allgemein ihm abgesprochenen Physiognomica (vgl. Pauly-Wissowa, Realencyclopädie des klassischen Alterthums, 3. Aufl. 1895, Bd. II, S. 1049) zu widmen.

Der Wittenberger Druck von Nikolaus Schirlentz trägt am Schluß die Jahreszahl 1538, aber die Widmung rührt schon aus den Michaelisferien von 1536 her, und lobt des Bischofs Verdienste um die Universität, daß er den Kurfürsten ansporne sie zu unterstützen, und auch die Klöster, wie in früheren Zeiten geschehen, zur Beförderung der Wissenschaften (in promovendis studiis bonarum artium) gebrauchen wolle. Wenn er noch hinzusetzt: der Bischof halte fest an der evangelischen Lehre (velut unguibus affixus Evangelicae doctrinae), so darf daraus nicht auf dessen Hinneigung zur Reformation geschlossen werden, deren Gegner er vielmehr stets war und auch dann noch geblieben ist, als der Kurfürst Joachim II., nach dem Vorgange seines Bruders Johann von Küstrin, am 1. November 1539 in Spandau sich öffentlich zu derselben bekannte. Und schon am 3. April 1540 überwies er nach Anhörung der in Berlin versammelten Landstände das Karthäuserkloster vor Frankfurt a. O. nebst allen seinen Ländereien und Einkünften der dortigen Universität zur Besoldung der „Legenten“; weitere Schenkungen folgten noch aus anderen Stiftern. Diese Maßregeln aber, die mit Recht eine Reformation der Universität genannt wurde, kann man gewiß nicht dem Rathe des Bischofs zuschreiben; dieser hätte vielleicht einige Klosterschulen eingerichtet; wol aber dürfte man dabei an den Einfluß Willich’s denken, der gerade damals in besonderer Gunst beim Kurfürsten stand. Denn nicht bloß ward ihm eine neue Professur der Medicin übertragen, so daß er sich einen Hausstand gründen konnte durch seine Vermählung mit Regina, der Tochter des Bürgermeisters Hieronymus Jobst. Der Kurfürst schickte auch seine zwei ältesten Söhne, Johann Georg und Friedrich mit seinem Neffen Albrecht von Mecklenburg auf die Universität Frankfurt und übergab sie der Leitung Willich’s und des Professors Sabinus, welcher seit 1538 an der Universität lehrte und durch seine Gattin Anna Melanchthon neue Verbindungen mit Wittenberg für W. eröffnete. Als der Kurfürst 1542 nach Ungarn gegen die Türken zog, ernannte er diesen für sich und seine Familie zum Leibarzt und nahm ihn mit sich auf diesen Feldzug.

Mittlerweile hatte W. noch Zeit gefunden, sich auf einem ihm bisher fremden Gebiet schriftstellerisch zu versuchen. (Es sei hier bemerkt, daß alle seine Werke, auf deren vollständige Aufzählung wir verzichten, lateinisch geschrieben waren.) Begreiflicherweise war bisher keine Lehrkraft für die evangelische Theologie an der Universität vorhanden. Erst 1542 trat Andreas Musculus aus Wittenberg (s. A. D. B. XXX, 93) in die Lücke ein. W. aber gab schon 1540 die sonntäglichen Perikopen aus den Evangelien mit Erklärungen heraus, nachdem er einen Angriff des Bischofs, daß er, weil kein Theologe, dazu nicht qualificirt sei, durch eine gründliche Abhandlung über den Laienkelch in der alten Kirche abgewiesen hatte. Es folgten nun in ähnlicher Weise (1540 bis 1542) die Briefe an Titus und die beiden Briefe an den Timotheus, letztere dem Herzog Albrecht von Preußen gewidmet, der „statt der Finsterniß das Licht des Evangeliums dort verbreitet habe“. Auch das Buch Hiob übersetzte er, sowie [280] einige Psalmen aus dem Hebräischen und versah sie mit Erklärungen. Bald aber wurde er mit dem Bischof von Lebus abermals an den polnischen Hof geschickt, einen Beweis seiner versöhnlichen Gesinnung gegen jenen. Die Gesandtschaft sollte dem Kronprinzen Siegismund August, dem Schwager des Kurfürsten durch seine Frau Helene, zu dessen Vermählung gratuliren mit Elisabeth, der Tochter des Königs Ferdinand von Böhmen und Ungarn am 21. April 1543. W. besuchte von Krakau aus die berühmten Steinsalzgruben von Wieliczka und gab davon eine Beschreibung, sowie der Dialogus de locustis veranlaßt wurde durch eine schwere Heuschreckenplage in Sarmatien, wie der Verfasser sagt, nützlich zu lesen für Philosophen, Aerzte und Theologen. Nach seiner Rückkehr aus Polen schreibt W. seinen „Commentarius anatomicus“ in vier Büchern über alle Theile des menschlichen Körpers (1543/44), beruhend auf dem Studium des Hippocrates und Galenus, welche er auch in seinen Vorträgen erklärte und theilweise übersetzte.

Die bisher erwähnten Schriften hatte W. auswärts – in Wittenberg, Straßburg – drucken lassen; denn als er, wie erwähnt, es abgelehnt hatte Wimpina’s Werke in Basel druckfertig herzustellen, ließ dieser sie unter seinen Augen in Frankfurt bei Johann Hanau drucken (s. A. D. B. X, 497). Bisher hatte Hanau zwar die Schriften der Humanisten herausgegeben, aber die Kundschaft Wimpina’s und der Domherrn wollte er nicht zurückweisen und ließ lieber die andere Partei fallen, zu der auch W. gehörte. Als aber nach dem Augsburger Reichstag Wimpina nicht wieder nach Frankfurt zurückkehrte, sah Hanau sich seiner Hauptstütze beraubt und verließ die Stadt, die nun ohne Presse blieb. Denn der von der Reformation der Universität erwartete Aufschwung ließ auf sich warten, und da auch Berlin im J. 1540 noch keinen Drucker besaß, sah der Kurfürst sich genöthigt zum Druck der „Märkischen Kirchenordnung“ Johannes Weiß aus Leipzig kommen zu lassen, welcher sie in den Räumen des früheren Grauen Klosters zu Stande brachte. In Frankfurt berief die Universität erst später den Nicolaus Wolrab aus Leipzig als ihren Buchdrucker. 1547 ging aus dessen Presse hervor das von dem Stiefbruder des Jodocus W., Gregor Wagner, nach dem Französischen bearbeitete Drama: „Wie Untreue den eigen Herrn schlecht“, sowie 1548 eine Ausgabe des Augsburger Interims. Aber auch Wolrab konnte sich in Frankfurt nicht halten. Da trat an seine Stelle 1549 der Nürnberger Johann Eichhorn (geb. 1521, † 1581), dem der Kurfürst vorläufig die Räume des früheren Franziscanerklosters bei der jetzigen Unterkirche einräumte. Bald erweiterte er seine Druckerei, erwarb Grund und Boden in der Stadt und wurde der Stammvater einer bis in das 18. Jahrhundert in Frankfurt, wie auch einige Zeit lang in Stettin, thätigen Buchdruckerfamilie. Daß Eichhorn und W. in ihren Interessen sich begegneten ist selbstverständlich: W. lieferte für Eichhorn’s Pressen Manuscripte, die wol schon der Erlösung aus dem Pult geharrt hatten. So erschienen denn in rascher Folge 1550/51: eine Ausgabe des Terenz mit Erläuterungen seines Stiefbruders Gregor Wagners, des Tacitus Germania nebst Abhandlungen von W., Excurse sprachlichen und archäologischen Inhalts (unter dem Titel „Experimenta“) zu Virgil’s Werken; endlich auf ganz anderem Gebiete eine den Resellianern gewidmete Schrift, in deren Einleitung er der Liebe zur engeren Heimath und den Angehörigen warm das Wort redet und sie aus dem classischen Alterthum mit Beispielen belegt. Den Inhalt aber bildet ein ausführlicher Katechismus des evangelisch-lutherischen Glaubens, welcher des Verfassers gründliche theologische Durchbildung bekundet. Geschmückt ist das Buch mit einem Medaillonbild des Verfassers von 5 cm Durchmesser mit der Umschrift: Jodocus Willichius doctor, aetatis suae XLIX. F. F. (d. h. Franz Friedrich, der Name des Holzschneiders [281] der Officin); innerhalb des Kreises das charaktervolle Brustbild mit der Zahl 1550, auf dem Titel des Buches: 1551.

Mittlerweile war der Bischof Georg in seinem neu erbauten Schloß auf dem Höhenzuge am linken Oderufer bei Lebus am 25. Novbr. 1550 gestorben und dann in der Domkirche zu Fürstenwalde begraben worden. Erst im Novbr. 1551, nach längeren Verhandlungen, ward Georg Horneburg gewählt. Festhaltend an seinen bischöflichen Rechten, war er doch milder in der Form als sein Vorgänger und als Freund der Wissenschaften besonders rücksichtsvoll gegen W. Dies bewies er gleich, als im J. 1552 wieder eine Pest in Frankfurt ausbrach. Der Bischof, der häufig beim Kurfürsten in Berlin weilte, forderte ihn auf, mit seiner Familie auf sein Schloß überzusiedeln, worauf W. noch einige Studenten zum Unterricht und zu litterarischer Handreichung mitnahm. Von hier ward W. im October zu ärztlicher Berathung nach Halle berufen, der damaligen Residenz der Erzbischöfe von Magdeburg. Eben war aber nach dem Tode des Markgrafen Friedrich von Brandenburg (Willich’s Zögling in Frankfurt 1541) in der erzbischöflichen Würde sein jüngerer Bruder Siegmund gefolgt (geb. 1538), und so zögerte W. nicht, dessen Ruf zu folgen. Bald auch kehrte er, erfreut, daß die Gefahr beseitigt war, zurück zu den Seinen. Aber diese überkam nun unerwartet ein schweres Leid. Am 12. November wurde W. selbst bei einem Morgenspaziergang vom Schlage gerührt; am 14. November wurde die Leiche nach Frankfurt übergeführt und in der Marienkirche beigesetzt. Eine „Ars magirica“, d. h. Ueber die Bereitung der Speisen, an welcher W. noch in Lebus gearbeitet hatte, gab sein Schwager Dr. Wolfgang Justus (oder Jobst), später mit dem bekannten Conrad Geßner bei dessen Vetter Jacob G. in Zürich heraus. Eine andere Gruppe von Schriften schloß sich an die von W. selbst nach 1539 dem Rath Eustathius v. Schlieben gewidmete Schrift „De pronunciatione rhetorica“, d. h. vom Vortrage, der äußeren Haltung des Körpers, der Geberde, dem Ton, der Stimme u. s. w. Nun verband damit der Professor Christophorus Cornerus (1518–1594), sein College, aus dessen gehaltenen Vorträgen die „Erotemata in rhetoricen ad Alexandrum“ (fälschlich damals dem Aristoteles zugeschrieben, vgl. Pauly-Wissowa a. a. O. II, 1054) und ein selbständiges Werk des W. „Liber unus Erotematum rhetoricorum“. Das Ganze erschien 1561 in Straßburg in officina P. Machaeropoei. Endlich 1564 wurde (mit einer Vorrede von W., Frankfurt 1550) eine Schrift: „De formando studio“ und zwar de verborum und de rerum copia comparanda, die man eine Art Stilistik nennen könnte, ohne Angabe des Ortes und Druckers herausgegeben, sie muß wol für einen Nachdruck gelten und zeigt als Signet auf dem Titel nur einen Baum auf einer Insel mit der Umschrift: Viret undique laurus.

Schließlich sei über seine Familie erwähnt, daß ihm von seiner Frau Regina drei Söhne und eine Tochter geboren wurden; um erstere besser erziehen zu können, vermählte sie sich später mit dem Dr. med. Caspar Hoffmann. Als zum 100jährigen Jubiläum der Universität Frankfurt 1606 der Archidiakonus Pistorius (Becker) die von seinem Schwiegervater, dem oben genannten Matthäus Hostus verfaßte Biographie Willich’s herausgab, widmete er sie dessen damals noch lebenden Nachkommen: seinem Tochtersohn D. U. J. Johannes Henner und drei Söhnen seines ältesten Sohnes Jodocus II, damals noch Studenten, Erasmus, Jodocus, Theodor. Auch beim zweiten Jubiläum der Universität verfaßte 1706 J. C. Becman in der Notitia Universitatis eine sorgfältig geschriebene Vita Jodoci Willichii (fol. 226–232), die, obwol auf Pistorius beruhend, einiges Neue bietet. Von Möhsen (Gesch. d. Wissensch., S. 524) läßt sich dies weniger sagen. Wenn Adamus, vitae erudit. medicorum 1705, dem [282] auch Jöcher, Gelehrten-Lexikon IV, 1996 folgt, von einem Aufenthalt Willich’s in Erfurt spricht, so beruht dies auf einem schwer erklärlichen Mißverständniß. Einige dankenswerthe Beiträge hat Dr. Loewenstein in der Geschichte der medicinischen Facultät in Frankfurt a. O. (Mitthlgn. des dortigen Histor. Vereins 1873) geliefert.