Zum Inhalt springen

ADB:Schmerling, Anton Ritter von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schmerling, Anton Ritter von“ von Franz Ilwof in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 56–72, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmerling,_Anton_Ritter_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:25 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Schmelzkopf, Eduard
Nächster>>>
Schmeykal, Franz
Band 54 (1908), S. 56–72 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Anton von Schmerling in der Wikipedia
Anton von Schmerling in Wikidata
GND-Nummer 119233460
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|54|56|72|Schmerling, Anton Ritter von|Franz Ilwof|ADB:Schmerling, Anton Ritter von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=119233460}}    

Schmerling: Anton Ritter von Sch., Staatsmann, stammt aus einer in Niederösterreich seßhaften Familie, deren Adel bis mindestens in das 17. Jahrhundert zurückreicht. Sein Vater war der k. k. Appellationsrath Joseph R. v. Schmerling, seine Mutter Elise, Tochter des berühmten österreichischen Rechtsgelehrten Franz Edler v. Zeiller. Er selbst wurde am 23. August 1805 zu Wien geboren, widmete sich den Rechtswissenschaften, erwarb die Doctorwürde, trat 1829 bei dem Landrechte in Wien in den Staatsdienst als Auscultant, wurde 1842 zum Rath bei dem Landrechte, 1846 zum Appellationsrath ernannt. Da seine Familie dem landständischen Adel angehörte, er selbst an den in ihren ersten Anfängen im Ständehause sich regenden liberalen Bestrebungen und Arbeiten innigen Antheil nahm, wurde er vom Landtage 1846 in den ständischen Ausschuß und 1847 zum ständischen Verordneten gewählt, in Folge dessen er zeitweilig den Staatsdienst verließ. Bei den Berathungen, Beschließungen, Anträgen an die Regierung, wie sie damals von den Ständen an die Regierung gerichtet wurden – Reform der Criminalgerichte erster Instanz, Reorganisirung des Schulwesens, Aufhebung von Zehent und Robot, Einführung des vierten Standes, der Abgeordneten [57] der Städte und Märkte in die Versammlungen der Stände, Erlassung eines Preßgesetzes, einer Gemeindeordnung, Verbesserung des Volksunterrichtes – welche aber alle erfolglos blieben, betheiligte sich Sch. auf das lebhafteste. Damals schon erkannte man wenigstens in dem engeren Kreise der Gebildeten Schmerling’s staatsmännische Fähigkeiten, wußte, daß er ein entschiedener Gegner des Metternich’schen Systems sei und Alles, was einer besseren Zeit entgegensah, blickte vertrauensvoll auf ihn, der nicht blos durch seine Geistesgaben, auch durch seinen persönlichen Muth als warmer Vertreter der seit Jahren gehegten, unbeachtet gebliebenen Volkswünsche gelten konnte.

In den stürmischen Märztagen des Jahres 1848 in Wien war Sch. Mitglied jener ständischen Deputation, welche sich vom Landtage in die Hofburg begab (13. März Nachmittag) und dort dem Alterego des Kaisers Ferdinand, Erzherzog Ludwig, und dem Bruder des Kaisers, Erzherzog Franz Karl, die Forderungen des Volkes – Aenderung des absolutistischen Regierungssystems, Preßfreiheit, Reorganisation der Landstände, Bewaffnung der Studenten, Verstärkung der Bürgercorps, Berufung eines Comités zur Berathung der einzuführenden Reformen – vortrug. Metternich erschien bei dieser Conferenz und da stellte Graf Breuner an ihn die Bitte, er möge seine Demission geben, dadurch allein könnte die Stadt und die aufgeregten Gemüther sich wieder beruhigen. In würdevollster Haltung und im ruhigsten Tone erklärte er, das wolle er thun! Nun wurde Sch. von seinen ständischen Collegen gebeten für die am nächsten Morgen erscheinende „Wiener Zeitung“ die officielle Mittheilung über diese Vorgänge und über die erreichten Concessionen abzufassen. Er ließ sich dazu herbei, Erzherzog Ludwig genehmigte Schmerling’s Concept und die „Wiener Zeitung“ vom 14. März brachte den Artikel.

Am 14. und 15. März war Sch. vollauf beschäftigt mit Angelegenheiten der Organisirung der Nationalgarde, deren Errichtung eben zugestanden und zu deren Obercommandanten Graf Hoyos ernannt worden war, dem bei den umfassenden Arbeiten Sch. auf das thatkräftigste zur Seite stand.

Doch nicht lange war für Sch. des Bleibens in Wien. Als die Nachrichten von den Verhandlungen des deutschen Vorparlaments in Frankfurt nach Wien gelangten, wurde Sch. von dem Märzministerium Ficquelmont-Pillersdorf nach Frankfurt gesendet, um als Vertrauensmann der kaiserlichen Regierung den Berathungen über den deutschen Verfassungs-Entwurf beizuwohnen. Am 4. April mar Sch. bereits in Frankfurt angelangt und fungirte in dem Collegium des vom Bundesrathe berufenen Siebzehnerausschusses an der Seite des österreichischen Bundes-Präsidialgesandten Grafen Colloredo als Vertrauensmann der kaiserlichen Regierung. Damit tritt Sch. zum ersten Male in einer bedeutenden, in die Geschichte von Deutschland und Oesterreich tief eingreifenden Stellung hervor. Er war damals 43 Jahre alt, hatte sich bisher im höheren Richterstande als ausgezeichneter Jurist und im Dienste der Stände durch glänzende Kenntnisse, Charakterfestigkeit und zeitgemäße Anschauungen hervorgethan. „Er war ein Mann von seltenen Talenten, unter denen das staatsmännische ihn vor seinen Zeitgenossen ganz besonders auszeichnete. Wenn er auch in seiner späteren Laufbahn als Begründer des constitutionellen Lebens in Oesterreich nicht in allen von ihm hervorgerufenen Einrichtungen glücklichen Eingebungen gefolgt ist und manchem schweren Irrthum verfiel, so hat er im revolutionären Sturmjahre doch unstreitig zu den Wenigen gezählt, die über die Durchführung der Bundesreform und die Uebereinstimmung von Volkswillen und Fürstenrecht gereifte und verwerthbare Ansichten besaßen. Gegenüber den Kathedermanieren der selbstbewußten Professoren, die im Ausschusse das große Wort führten, Dahlmann, Gervinus, [58] Zachariä u. A. machte das bescheidene, liebenswürdige, aber durch Ueberzeugung gefestigte Auftreten des mit den Grundsätzen rationeller Verwaltung wohlvertrauten, zu vornehmer Lebensführung erzogenen österreichischen Beamten einen sehr günstigen Eindruck.“ (v. Zwiedineck.)

Der Bundestag hatte, den Beschlüssen des Vorparlaments entsprechend, die Wahlen zur Nationalversammlung ausgeschrieben, die am 1. Mai zusammentreten sollte. Im Siebzehnerausschusse wies Sch. zum Erstaunen seiner Collegen nachdrücklich darauf hin, daß die deutschen Regierungen für die Zeit des Ueberganges und der parlamentarischen Vorarbeit ein Executivorgan für die gemeinsamen Angelegenheiten schaffen müßten, dem die Vertretung des Bundes nach Außen, also die Leitung der auswärtigen Politik und die Verfügung über die Bundestruppen zustehen solle, und am 27. April kam man überein, ein dreigliedriges Directorium einzusetzen, für das Preußen und Oesterreich je ein Mitglied zu ernennen hätten, während das dritte von den übrigen Bundesstaaten aus einer von Baiern aufgestellten Liste gewählt werden sollte. Der Fünfzigerausschuß des Vorparlamentes protestirte heftig gegen diesen Vorschlag – er greife der constituirenden Gewalt der künftigen Nationalversammlung vor.

Am 13. Mai wurde Sch. an Stelle des zurücktretenden Grafen Colloredo zum österreichischen Präsidialgesandten im Bundestage ernannt. Er nahm nicht freudig diese Last auf sich, legte in einem amtlichen Schreiben an das Ministerium des Auswärtigen in Wien dar, wie schwierig, ja wie reich an Bitterkeit unter den obwaltenden Verhältnissen der Posten eines Bundestagsgesandten sei; „der Bundestag hat durch seine Leistungen in dreißig Jahren eine so tiefe Entrüstung bei allen aufgeklärten und wohlgesinnten Männern, einen so gerechten Haß in ganz Deutschland hervorgerufen, daß er auch jetzt, wenngleich mit Männern besetzt, welche vor wenigen Wochen als Vorkämpfer der Freiheit verehrt wurden und die zum Theile ihre freisinnige Richtung mit Kerker gebüßt haben, doch kein Vertrauen einflößt und als ein, wie man es ausspricht, entbehrliches Institut mit Geringschätzung behandelt wird. – Würde ich nur persönlichen Rücksichten folgen, so müßte ich Seine Majestät dringend bitten, die mir gewordene Berufung zurückzunehmen. Aber ich halte es für die Pflicht eines Jeden, der sein Vaterland liebt, sich selbst zu vergessen, und übernehme mit Bereitwilligkeit einen Posten, auf dem ich vielleicht nützlich sein kann. – Bei meiner Ernennung sind mir keine Instructionen ertheilt worden; ich werde daher nach meiner Ueberzeugung und nach den Grundsätzen meines Lebens, nämlich für die constitutionelle Monarchie, mein Amt zu führen bemüht sein.“

Obwohl der Bundestag in den letzten Zügen lag, gelang es Sch. doch, noch einmal frisches Leben und regen Geist in ihm zu erwecken. Er leitete die Versammlung ruhig und gewandt, dabei aber auch selbstbewußt und energisch. Als Wrangel’s, des Oberbefehlshabers der preußischen und sonstigen Bundestruppen, unmotivirter Rückzug aus Jütland bekannt wurde, traf Sch. sogleich die Anordnung zur Verstärkung dieser Streitkräfte durch das zehnte deutsche Armeecorps. – Energisch trat er, als ein sardinisches Geschwader Triest bedrohte, dem Gesandten dieser Macht entgegen und verwahrte sich gegen jeden Angriff auf die zum deutschen Bundesgebiet gehörige Stadt. – Als die Nachricht von dem Pfingstaufstande in Prag einlangte und zu befürchten stand, daß Windischgrätz, um ihn zu bekämpfen, die deutschen Grenzgebiete in Böhmen von Truppen entblößen würde und die dort wohnenden Deutschen an Eigenthum und Leben von den Tschechen bedroht würden, ersuchte er im Auftrage des Bundestages die Regierungen von Preußen, Baiern und Sachsen, in diesem [59] Falle auf Verlangen der österreichischen Regierung entsprechende militärische Hilfe zur Wiederherstellung der Ordnung in Böhmen und zum Schutze der Personen und des Eigenthums der dortigen Deutschen eintreten zu lassen.

Am 18. Mai wurde die deutsche Nationalversammlung eröffnet, der Sch. als Abgeordneter der niederösterreichischen Stadt Tuln an der Donau angehörte. Er schloß sich dem rechten Centrum (nach dem Versammlungsorte „Hirschgraben“, „Kasino“ genannt) an, deren Mitglieder, darunter Mathy, Bassermann, v. Soiron, Welcker, Wachsmuth, Waitz, Gagern, meist Professoren und parlamentarische Koryphäen waren und dessen Programm ein ausgesprochen constitutionell-monarchisches war.

In der Debatte (23. Mai) über den Conflict zwischen der Bürgerschaft und der preußischen Besatzung in Mainz entkräftete Sch. auf das entschiedenste die Beschuldigungen, welche der Radicale Zitz gegen die preußischen Soldaten erhoben hatte und betonte, daß in einem ähnlichen Falle die österreichischen Truppen ebenso gehandelt hätten, wie es die preußischen gethan. Dankschreiben und Anerkennung von Seite der Abgeordneten aus Preußen und der preußischen Officiere in Mainz folgten diesem muthigen Auftreten Schmerling’s.

Am 29. Juni wurde Erzherzog Johann von der Nationalversammlung mit 436 Stimmen von 548 Anwesenden zum deutschen Reichsverweser gewählt, übernahm am 11. Juli in Frankfurt diese Würde, während gleichzeitig die Bundesversammlung ihre Thätigkeit schloß. Erzherzog Johann erschien in der Nationalversammlung, der Schriftführer Biedermann verlas das Gesetz über die Constituirung der Centralgewalt, Heinrich v. Gagern bat im Namen der Nationalversammlung den Erzherzog die Beobachtung des Gesetzes zu geloben, was der kaiserliche Prinz in seiner schlichten, herzgewinnenden Art Weise that.

Hierauf begab sich der kaiserliche Prinz in die Bundesversammlung, um deren Huldigung und die Uebertragung ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse auf die provisorische Centralgewalt entgegenzunehmen. Im Festsaale des Bundespalais nahm der Erzherzog auf einer hiezu errichteten, mit einem Baldachin bedeckten Estrade den für ihn bestimmten Platz ein, Sch. trat vor und hielt von sämtlichen Bundesgesandten im Halbkreise umgeben, eine längere Anrede an den Erzherzog, deren Inhalt darin gipfelte, daß die Bundesversammlung, nachdem ihre bisherigen Obliegenheiten an die Centralgewalt übergegangen seien, ihre Thätigkeit als abgeschlossen betrachte. Mit dieser Erklärung fand denn auch die Stellung Schmerling’s als Bundespräsidialgesandter gerade so wie die seiner Collegen im Bundestage ihr Ende.

An Erzherzog Johann trat nun die Aufgabe heran, das Reichministerium zu bilden. In dem ersten Cabinete, das er berief, ernannte er (am 15. Juli) Sch. zum Minister des Innern und (am 5. August) den Fürsten Karl von Leiningen zum Präsidenten.

Ein heftiger Sturm brach in der Nationalversammlung aus, als am 4. September Heckscher, der Minister des Auswärtigen, den Abschluß des Waffenstillstandes zu Malmö zwischen Preußen und Dänemark mittheilte. Was sollte das Reichsministerium thun? Die Lage war außerordentlich schwierig und erforderte kühle Erwägung des Möglichen und des unter den gegebenen Verhältnissen im Interesse der Gesammtheit Nützlichen.

Sch. besaß die Geistesgegenwart und Ruhe, in solchen Augenblicken für den Staatsmann unschätzbare Eigenschaften, um in sich selbst jedes leidenschaftliche Aufwallen zu unterdrücken und den moralischen und physischen Muth, die als richtig erkannten Maßregeln, wenn auch mit Gefahr für das eigene Leben durchzuführen. Er bestimmte unter Darlegung der verderblichen Folgen einer Verwerfung des Waffenstillstandes, die zu Zerwürfnissen mit Preußen [60] geführt hätte, das gesammte Ministerium einschließlich der Unterstaatssecretäre, dem Reichsverweser die nachträgliche Genehmigung der Malmöer Abmachungen zu empfehlen; auch Robert Mohl, der am längsten widerstrebte, wurde von Schmerling’s Gründen überzeugt. In der Nationalversammlung aber wurde nach stürmischen Debatten die Sistirung des Malmöer Waffenstillstandes mit 238 gegen 221 Stimmen beschlossen. Das Ministerium Leiningen nahm seine Entlassung, denn es konnte diesen Beschluß nicht ausführen. „Es trat zurück“, schrieb Sch. am 6. September nach Wien, „es seinen Nachfolgern überlassend, ohne Preußen und Oesterreich einen Krieg zu führen, für welchen, außer den Turnern und Studenten, kein Mensch sich interessirt.“

Der Reichsverweser versuchte, constitutionellem Gebrauche entsprechend, ein Ministerium aus der siegreichen Majorität zu bilden. Dies gelang jedoch nicht und bei der weiteren Debatte über diese Angelegenheit in der Nationalversammlung wurde nach dreitägigem Redestreite die von der Minorität der Ausschüsse beantragte Ermächtigung des in Malmö abgeschlossenen Waffenstillstandes mit 258 Stimmen gegen 287 ertheilt.

Nun konnte der Reichsverweser an die früheren Minister die Aufforderung richten, ihre Aemter wieder zu übernehmen. Fürst Leiningen und Heckscher traten nicht mehr in das Cabinet. Sch. übernahm die auswärtigen Angelegenheiten und das Präsidium. An seine Thatkraft und seinen Muth wurden schon in den nächsten Tagen die größten Anforderungen gestellt und er bewährte sich glänzend.

Es kam zu einer gewaltthätigen Erhebung des Frankfurter Pöbels, zu einem regelrechten Aufstande. Barrikaden wurden gebaut, allenthalben zeigten sich bewaffnete Volkshaufen, die Paulskirche sollte gestürmt, die Nationalversammlung gesprengt werden. Der Frankfurter Senat wendete sich an Sch. mit der Erklärung, daß die Machtmittel der Stadt zur Bewältigung der Erhebung nicht ausreichten. Sch. traf sogleich die besten erforderlichen Vorkehrungen. Er beorderte telegraphisch zwei Bataillone, ein österreichisches und ein preußisches, von Mainz nach Frankfurt und ließ sich in einem Frühmorgens am 18. September abgehaltenen Ministerrath volle Actionsfreiheit zur Niederwerfung des Aufstandes zuerkennen. In Uebereinstimmung mit dem Kriegsminister v. Peucker traf er mit bewunderungswürdiger Entschlossenheit und militärischer Sachkenntniß alle zum Schutze Frankfurts und des Parlaments nothwendigen Maßregeln. „Die Frühmorgens am 18. ankommenden Bataillone wurden in der Umgebung der Paulskirche aufgestellt, zwei weitere Bataillone und eine Batterie aus Mainz, Cavallerie und eine Batterie aus Darmstadt, württembergische Reiter, die auf dem Rückmarsche von Holstein begriffen waren, aus Friedberg und eine bairische Batterie aus Aschaffenburg erbeten, die Verbindung mit Hanau, von wo die Aufständischen den meisten Zuzug erwarteten, durch Aufreißen der Schienen unterbrochen. Gestützt auf diese militärische Macht lehnte Sch. die Zurückziehung der Truppen, die durch Deputationen der Linken am 18. Vormittags von ihm verlangt wurde, ab und erklärte die Barrikaden, die in der Altstadt entstanden, stürmen zu lassen, wenn sie bis 6 Uhr Abends nicht geräumt und abgetragen seien.“

Am Nachmittage begann der Kampf in mehreren Stadttheilen. Hätte Sch. den Forderungen der Abgeordneten der Linken nachgegeben, so wäre die Absicht der Aufständischen sich Frankfurts und seiner Reichthümer zu bemächtigen, erreicht worden.

Gegen Abend ließ Sch., der die Anordnungen mit Peucker persönlich vereinbart hatte, die hessische Batterie auf der Zeil gegen die Hauptbarrikade vorgehen und Feuer geben. Gleichzeitig rückten die Infanteriecolonnen zum [61] Sturm vor, worauf in wenigen Stunden der Widerstand gebrochen war, so daß Frankfurt um 10 Uhr Abends sich vollständig in den Händen der Truppen befand. Am nächsten Tage konnte die Nationalversammlung ungestört tagen. Mit großer Majorität wurde den Maßregeln des Reichsministeriums, auch der Verhängung des Belagerungszustandes über Frankfurt, die Zustimmung ertheilt und den Truppen der Dank für die bei Unterdrückung des Aufstandes bewiesene Hingebung und Mäßigung ausgesprochen.

In den folgenden Monaten vermehrten sich die Schwierigkeiten für Sch. immer mehr und mehr, seine Stellung wurde von Tag zu Tag bedenklicher. Durch die Nachrichten, welche über die Octoberrevolution von Wien nach Frankfurt gelangten, kam es in der Nationalversammlung zu sehr lebhafter Bewegung, Erregung und heftigen Debatten; die vom Reichsministerium veranlaßte Sendung der Abgeordneten Welcker und Oberst Mosle zu Windischgrätz und an den kaiserlichen Hof nach Olmütz zur friedlichen Beilegung des Kampfes um Wien blieb ganz ergebnißlos, die von der äußersten Linken des Parlaments erfolgte Abordnung ihrer Collegen Robert Blum und Julius Fröbel endete in tief beklagenswerther Weise mit der gegen Gesetz und Recht erfolgten Hinrichtung Blum’s, welche erklärlicher Weise die heftigsten und leidenschaftlichsten Aeußerungen in der Nationalversammlung zur Folge hatte; und nach der Thronbesteigung Kaiser Franz Josef’s I. (2. December 1848) steigerten sich die Schwierigkeiten im Parlamente und in dessen Ausschüssen noch bedeutender, da nach der bei diesem Anlasse erfolgten feierlichen Erklärung des Einheitsstaates Oesterreich die Frage des Verhältnisses dieses Reiches zum künftigen Deutschland brennend geworden war.

Sch. war ein unbedingter Gegner des Gagern’schen Programms, er glaubte, das deutsche Volk werde sich mit einem erneuerten Staatenbunde begnügen, es lasse sich eine Reform des Bundes ersinnen, die den berechtigten nationalen Ansprüchen zu genügen vermöge. Er suchte Zeit zu gewinnen, indem er die Einleitung von Unterhandlungen in Aussicht stellte, um jene Modificationen der Reichsverfassung zu vereinbaren, ohne die Oesterreichs Eintritt in den Bundesstaat nicht gedacht werden konnte. Ein Antrag, der die Unterhandlungen mit Oesterreich einleiten sollte, wurde stilisirt, von Beckerath (am 7. December) befürwortet, er bildete den Gegenstand eifriger Berathungen in den Clubs Landsberg, Kasino, Augsburger und Württemberger Hof. Jedoch der Antrag fiel, die Clubs wollten zwar Unterhandlungen zugeben, wie sie das Reichsministerium wünsche, jedoch unter der Voraussetzung, daß das Wesen des Bundesstaates nicht verletzt werde. Keinesfalls dürfe aber Sch. dabei betheiligt sein; er habe sich zwar als ehrenhaft deutscher Mann gezeigt, er habe mit Umsicht und Energie das Vaterland gerettet, allein die Verhältnisse seien stärker als die Personen. Die gegenwärtigen seien unverträglich mit der Person des Herrn v. Sch. Da nach Annahme dieser Motion Sch. auf keine Majorität im Parlamente mehr rechnen konnte, da es seine nächsten Gesinnungsgenossen waren, die seine Demission verlangten, und auch seine Ministercollegen dieser Ansicht sich anschlossen, begab er sich am 16. December zum Reichsverweser und bat um Enthebung von der Stelle, die er durch sechs Monate unter den schwierigsten Verhältnissen jedoch mit glänzenden Erfolgen innegehabt hatte. Sie wurde ihm ertheilt und Erzherzog Johann berief Heinrich v. Gagern zum Ministerpräsidenten, Minister des Aeußern und Innern.

Sch. entschloß sich, mit lebhafter Zustimmung von Seite des Reichsverwesers, zu einer Reise nach Oesterreich, um sich dem jugendlichen Kaiser vorzustellen [62] und die neuen Minister, namentlich Schwarzenberg und Stadion kennen zu lernen. Unterwegs in Leipzig traf ihn der Courier mit Depeschen, die ihn einluden, entweder in das österreichische Ministerium zu treten, oder den Posten eines Bevollmächtigten bei der deutschen Centralgewalt zu übernehmen. Er begab sich direct nach Wien, wo er vom Ministerium ehrenvollst empfangen wurde und dann nach Olmütz an das kaiserliche Hoflager. Die Minister Schwarzenberg und Stadion, die eben ins Amt getreten waren, beeinflußte er auf das entschiedenste gegen das Gagern’sche Programm, da in demselben, wenn auch nicht ausgesprochen, die preußische Spitze des Bundesstaates enthalten war und bewirkte damit einen vollen Umschwung der österreichischen Politik in der deutschen Frage. Sein Programm stand in vollem Gegensatz gegen das Gagern’sche. Kein Deutschland ohne Oesterreich, also kein Bundesstaat, wenn Oesterreich in demselben sich nicht einfügen läßt, kein deutscher Staat, in dem Oesterreich nicht den ersten Platz einnehmen kann. Dies ist auch der Grundgedanke der Note vom 28. December 1848, die in der am 26. und 27. December unter Schmerling’s Theilnahme stattgefundenen Ministerrathssitzung beschlossen wurde. Von Wien begab sich Sch. an das kaiserliche Hoflager nach Olmütz, wo er, mit dem Vertrauen der allerhöchsten Familie beehrt, in wiederholten Unterredungen mit der Kaiserin-Mutter, der Erzherzogin Sophie, zur Auseinandersetzung seines Programmes ermächtigt wurde, das auch da volle Billigung fand. Er übernahm nun die ihm angebotene Stelle eines Bevollmächtigten bei der deutschen Centralgewalt und kehrte nach Frankfurt zurück. Hier legte er dem Reichsministerium jene Note vom 28. December vor, welche die scharfe Erklärung enthielt, daß Gagern das Kremsierer Programm gründlich mißverstanden habe, daß Oesterreich sich die Freiheit der Entschließung über den Beitritt zum Bunde unbeschränkt offen halte und für diese Frage einen gesandtschaftlichen Verkehr entschieden ablehne, daß keine Reichsverfassung rechtlich Bestand habe ohne Einvernehmen mit den Fürsten, deren erster Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich sei. Gagern blieb auf seinem Standpunkte und beantragte am 5. Januar 1849, die Nationalversammlung möge ihn ermächtigen, zur geeigneten Zeit und in geeigneter Weise mit Oesterreich über dessen Verhältniß zu Deutschland zu verhandeln. Schmerling’s Stellung war eine ungemein schwierige, auf das heftigste entbrannte der Kampf zwischen der österreichischen und großdeutschen Partei mit der kleindeutschen, der preußischen Erbkaiserpartei, die in ihm ihren gefährlichsten Gegner sah; selbst ein Theil seiner früheren Anhänger waren nun seine Gegner geworden. Sch. als Führer der Oesterreicher und an der Spitze der großdeutschen Partei stehend, arbeitete allen Bestrebungen, welche auf die Errichtung eines preußischen Kaiserthums gerichtet waren, entschieden entgegen, hatte dabei jedoch die schwersten Angriffe gegen seine Person, gegen sein Wirken, ja geradezu Schmähungen und Verleumdungen zu ertragen.

Noch schwieriger und bedenklicher wurde seine Stellung, als am 4. März 1849 Kaiser Franz Josef jene Verfassung erließ, auf Grundlage deren alle Länder der österreichischen Monarchie zu einem einheitlich centralisirten Staate sollten umgestaltet werden. Wie sollte nun das Verhältniß der deutsch-österreichischen Bundesländer zu dem Bundesstaate sein, der in Deutschland gegründet werden sollte? Die staatsrechtliche Unmöglichkeit eines solchen Zustandes bewog Sch., um seine Enthebung von der Stelle eines österreichischen Bevollmächtigten bei der deutschen Centralgewalt zu bitten, der auch am 12. März stattgegeben wurde. Ungemein schwer war Schmerling’s Abschied von Erzherzog Johann für Beide. Nachdem er Ende April auch sein Mandat als Abgeordneter der Stadt Tuln in der deutschen Nationalversammlung [63] niedergelegt hatte, übersiedelte er von Frankfurt nach Wien und trat wieder die Stelle eines Verordneten im ständischen Ausschusse an. Doch nicht lange blieb er auf diesem Posten zweiten Ranges.

Der Minister des Innern, der hochbegabte und edelgesinnte Graf Franz Stadion, war unheilbar erkrankt, der Justizmimster Dr. Alexander Bach wurde an dessen Stelle berufen und Fürst Felix Schwarzenberg trug Sch. das Justizministerium an, das er am 28. Juli 1849 annahm.

Es war eine kritische Zeit, in der Sch. nun wieder in die erste Reihe der leitenden Staatssmänner trat. In Ungarn wütete noch der Bürgerkrieg, in Italien drohte von neuem der Ausbruch des Krieges, der dann allerdings durch die Heldenthaten des kaiserlichen Heeres unter Radetzky’s genialer Führung bald glorreich beendet wurde, Verfassung und Verwaltung waren auch in den andern Ländern der Monarchie aus allen Fugen gewichen, das Alte war aufgehoben, das Neue noch nicht eingeführt. Sch. widmete sich seinem Amte mit der rastlosesten Thätigkeit, mit dem größten Geschick, betheiligte sich an der Lösung aller politischen Fragen, nahm den regsten Antheil an allen Arbeiten, die zur Ausführung der einzelnen Bestimmungen der Verfassung nöthig wurden. Bereits am 1. Juli 1850 war die Gerichtsorganisation für alle deutsch-österreichischen Bundesländer mit den Schwurgerichten als Schwerpunkt durchgeführt, für Ungarn ein Provisorium angeordnet, um in diesem Lande den dringenden Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege abzuhelfen. So war in kurzer Zeit die vormärzliche Patrimonialgerichtsbarkeit, die mit der Grundentlastung naturgemäß ihr Ende nehmen mußte, durch die staatliche Jurisdiction ersetzt, an die Stelle der vormärzlichen herrschaftlichen Gerichte traten die k. k. Bezirksgerichte. Die Organisirungsarbeiten für Galizien, Ungarn und Lombardo-Venetien wurden energisch gefördert und Schmerling’s Anträge hatten bereits theilweise die Genehmigung des Kaisers erlangt, theilweise stand sie nahe bevor. All diese Reformen beruhten auf den Bestimmungen der Verfassung vom 4. März 1849. Wäre diese treu und ehrlich verwirklicht worden, wären ihre einzelnen Bestimmungen durch organische Gesetze ausgebaut worden, hätte die österreichische Monarchie zu einem centralistisch-constitutionellen Gesammtstaate ausgestaltet werden können und die furchtbaren Katastrophen, die den Kaiserstaat 1859 und 1866 trafen und die heutzutage noch nicht verwunden sind, wären aller Wahrscheinlichkeit nach hintangehalten worden. Doch dem war leider nicht so. Schwarzenberg, der geborene Absolutist und Bach, der um sich im Ministerium zu erhalten, bald der erste Handlanger der Reaction zur Vernichtung der letzten noch erhaltenen Reste der freiheitlichen Errungenschaften wurde, steuerten das Staatsschiff immer mehr einem militärisch-absolutistisch-hierarchischen Systeme zu. Frühzeitig erkannte das Sch., der in einer seinem Gewissen und seinen politischen Ueberzeugungen nach so entgegengesetzten Regierung nicht verbleiben zu können gedachte. Schon am 25. Januar 1851 nahm er seine Entlassung als Justizminister.

Die Worte, welche er damals sprach: „Es wäre in diesem Augenblicke ein Leichtes, aus Oesterreich einen constitutionellen Einheitsstaat zu schaffen; mit dem Absolutismus kann man einige Jahre lang experimentiren, aber er ist nicht zu halten und man wird endlich wieder dort anfangen müssen, wo wir jetzt aufgehört haben, die inmitten liegende Zeit aber ist eine verlorene“ haben sich in den folgenden Jahrzehnten leider zum Unheile Oesterreichs und seiner Bewohner vollauf bewahrheitet.

Nun folgten Schlag auf Schlag reactionäre Maßnahmen. Durch das Allerhöchste Cabinetsschreiben vom 20. August 1851 wurde erklärt, daß das Ministerium nur dem Monarchen verantwortlich und von jeder Verantwortung [64] gegenüber jeder anderen politischen Autorität enthoben sei; durch die zwei Patente vom 31. December 1851 wurden die Verfassung vom 4. März 1849 und die für die nichtungarischen Provinzen kundgemachten Grundrechte außer Wirksamkeit gesetzt; die durch Sch. 1849 und 1850 durchgeführte Trennung der Justiz von der Verwaltung wurde aufgehoben und die Bezirksgerichte und Bezirkshauptmannschaften wurden zu Bezirksämtern vereinigt, welche Justiz und Verwaltung in erster Instanz zu besorgen hatten; die Schmerling’sche Strafproceßordnung vom 17. Januar 1850, die Schwurgerichte und die Oeffentlichkeit des Verfahrens wurden abgeschafft, das Stadion’sche Gemeindegesetz, welches den Gemeinden gewisse Freiheiten zuerkannt hatte, wurde außer Wirksamkeit gesetzt und als Krönung dieses Werkes rückschrittlicher Organisation des Kaiserstaates wurde am 18. August 1855 das unselige Concordat mit dem päpstlichen Stuhle abgeschlossen.

Vieles von dem mag Sch. vorausgesehen haben, darum wahrte er seinen Ruf als constitutionell gesinnter Staatsmann, dem Recht und Gesetz unverletzlich gilt, durch rechtzeitigen Rücktritt aus diesem Ministerium. Auf seinem eigentlichen Gebiete, dem der Justiz, leistete er aber auch fortab die ersprießlichsten Dienste. Er wurde zum ersten Senatspräsidenten des obersten Gerichtshofes in Wien, zum Mitgliede des Austrägalsenates für den deutschen Bund und des k. k. obersten Gefällsgerichtes ernannt und zum wirklichen kaiserlichen geheimen Rath (Titel Excellenz) erhoben.

In vollster Zurückgezogenheit vom öffentlichen Leben übte er fast zehn Jahre sein oberstes Richteramt mit Eifer, Ueberzeugungstreue und Vaterlandsliebe aus. Schwere Schläge trafen während dieser Zeit Oesterreich. Die unglückselige Politik Buol-Schauenstein’s während des Krimkrieges, welche Rußland geradezu zum Feinde Oesterreichs machte und ihm gleichzeitig die Westmächte entfremdete, die Nebenbuhlerschaft mit Preußen in Deutschland, der italienisch-französische Krieg, der dem Kaiserstaate die Lombardei kostete, waren die bösen Früchte der unheilvollen Staatsleitung von 1851 bis 1866. Der sogenannte verstärkte Reichsrath, der in den Tagen der größten Noth und Hülflosigkeit zusammengerufen wurde, versagte, das Ministerium Goluchowski, welches durch das Diplom vom 20. October 1860 der Monarchie eine föderalistisch-ständische Verfassung verleihen wollte, erlebte durch die öffentliche Meinung die entschiedenste Verurtheilung. Es fiel. Die Kreise aller maßgebenden Gebildeten, welche dem schwerheimgesuchten Vaterlande eine bessere Zukunft wünschten, richteten ihre Blicke auf einen Mann, der Rettung und Heilung bringen könne, und das war Sch. – Und in der That, auch das Vertrauen des Kaisers wurde ihm zu Theil, am 13. December 1860 stellte ihn der Kaiser als Staatsminister an die Spitze der Regierung. Von allen Seiten wurde er jubelnd begrüßt; selbst Moritz v. Kaiserfeld, sein nachmaliger Gegner, der entschiedenste Vertreter des Verfassungsgedankens und der Autonomie der Länder schrieb damals: „Sch. als Minister bedeutet einen vollständigen Systemwechsel, das Ministerium, dessen Mitglied Sch. ist, ist dem von gestern so entgegengesetzt, wie die Begriffe ‚bestimmt‘ und ‚unbestimmt‘, ‚wollen‘ und ‚nicht wollen‘ nur immer sein können … Herr v. Sch. ist die letzte Karte, welche wir auszuspielen haben. Der Einsatz ist Oesterreich.“

Am 4. Februar 1861 übergab Sch. dem Erzherzog Rainer, dem freisinnigsten unter den Prinzen des kaiserlichen Hauses, das Präsidium im Ministerium, in dem er als Staatsminister blieb und in Verbindung mit Josef v. Kalchberg, Lasser, Perthaler und Plener eine Verfassung für die Gesammtmonarchie ausarbeitete, welche am 26. Februar 1861 publicirt wurde.

[65] Gleichzeitig erschienen die in ihren wesentlichsten Bestimmungen jetzt noch geltenden Landesordnungen für die einzelnen Königreiche und Länder und die Landeswahlordnungen, nach welchen die Landtage gewählt und für den 6. April 1861 einberufen wurden. Mitglieder der Landtage sind die Virilisten (Erz- und Fürstbischöfe, Rectoren der Universitäten), Gewählte aus dem landtäflichen (ehemals herrschaftlichen) Großgrundbesitz, den Städten, Märkten und Industrialorten, den Handels- und Gewerbekammern, den Landgemeinden. In Tirol gibt es noch eine besondere Gruppe geistlicher Würdenträger im Landtage, und im Großgrundbesitz haben dort nur die adeligen Großgrundbesitzer zu wählen; in Vorarlberg entfällt diese Gruppe ganz und in Dalmatien treten die Höchstbesteuerten an ihre Stelle. In der Stadt Triest fungirt der Gemeinderath als Landtag, wenn er als solcher einberufen wird.

Der Reichsrath zerfällt in das Herrenhaus und in das Abgeordnetenhaus. Mitglieder des Herrenhauses sind die Erzherzoge, Erz- und Fürstbischöfe, die Häupter jener Familien, welche großen Grundbesitz haben und vom Kaiser als erbliche Mitglieder berufen werden, Männer, welche sich um Staat und Kirche, um Kunst und Wissenschaft verdient gemacht und vom Kaiser zu lebenslänglichen Mitgliedern ernannt werden. – Das Abgeordnetenhaus bestand aus 353 Mitgliedern, welche von den einzelnen Landtagen nach den Gruppen (Großgrundbesitz, Städte, Märkte und Industrialorte, Handels- und Gewerbekammern, Landgemeinden) aus ihrer Mitte gewählt wurden.

Die Februarverfassung wurde für alle Länder der Monarchie, also auch Ungarn und dessen Nebenländer, sowie Venetien für gültig erklärt. Der durch sie geschaffene Reichsrath war kein Volksparlament, er war eine Interessenvertretung (der Kirche, des Adels, des Großgrundbesitzes, der Städte und der in ihr vorhandenen Intelligenz, der Industrie, des Handels, des kleinen ländlichen Grundbesitzes), aber die Februarverfassung war doch ein großer staatsrechtlicher Fortschritt vom Absolutismus zum constitutionellen Leben und Sch. hat sich dadurch unstreitig ein unsterbliches Verdienst um sein Vaterland erworben. Er wollte durch sie seine eigene große Anschauung verwirklichen, wie sein Vaterland zu organisiren und zu beherrschen sei. Die ganze Monarchie, Ungarn eingeschlossen, sollte als Einheitsstaat constituirt werden; was Kaiser Josef II. geplant hatte, wollte Sch. vollführen. Es war eine unsäglich schwierige Aufgabe, welche er zu leisten hoffte, denn unter Goluchowski war die alte ungarische Comitatsverfassung wieder hergestellt worden, die deutschen Beamten und Lehrer mußten Ungarn verlassen und damit fehlten der Wiener Centralregierung die Organe zur Ausführung ihrer verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Pläne. Was den Schluß des Ausgleichs hätte bilden sollen, war zufolge der unglücklichen Erbschaft nach Goluchowski schon am Anfange geschehen. Sch. hoffte jedoch fest auf den Sieg seiner Anschauungen. Er überschätzte die Autorität des österreichischen Einheits- und Reichsgedankens und die materiellen Machtmittel, über welche er verfügen konnte. Er war Optimist, glaubte fest an die Verwirklichung des Einheitsgedankens und unterschätzte die Macht und Gewandtheit seiner politischen Gegner. Kräftig unterstützt wurde er von dem genialen Staatsmann Freiherrn v. Lichtenfels und von Erzherzog Rainer, dem Präsidenten des Ministeriums.

Am 1. Mai 1861 wurde die erste Session des Reichsrathes eröffnet, welche bis December 1862 währte. Schon in dieser wurde mehrseitig an der Februarverfassung gemäkelt. Die Liberalen vermißten die Feststellung der Grundrechte, der Immunität der Abgeordneten, der Verantwortlichkeit der Minister, die offene Anerkennung der Preßfreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechtes, [66] der Gleichberechtigung der Confessionen, tadelten den großen Einfluß des Adels und des Clerus und den Umstand, daß das Februarpatent zwar centralistisch gedacht sei, jedoch durch die Anlehnung an das Octoberdiplom einen föderalistischen Anstrich erhalten habe. Die ständischen Kreise und die Föderalisten, welche in der Anerkennung der historisch-politischen Individualitäten der Königreiche und Länder im Octoberdiplom eine Garantie ihrer separatistischen Bestrebungen gesehen hatten, lehnten die neue Verfassung ab. Der adelige Großgrundbesitz erklärte sich in seinen Privilegien verletzt. Ungarn beharrte auf der Rechtscontinuität seiner Verfassung. Die Tschechen reklamirten die angeblichen Rechte der Länder der Krone Böhmens. Die Clericalen bekämpften das neue Staatsgrundgesetz wie jede constitutionelle Staatsform.

So thürmten sich dem Staatsminister Schwierigkeiten aller Art entgegen. Die größte war die ungarische Frage. Der Landtag in Budapest lehnte die Wahlen in den Reichsrath ab, beharrte auf seinem separatistischen Standpunkte, verlangte Ungarns Selbständigkeit und die Personalunion. Er wurde am 23. August 1861 aufgelöst. Angesichts des Umstandes, daß die Ungarn an dem Wiener Reichsrath nicht theilnehmen wollten, stellte Sch. am 5. Juni 1861 fest, daß die Regierung die in Wien tagende Versammlung nicht als Gesammtreichsrath, sondern als engeren Reichsrath betrachte, mit jenen Befugnissen, welche im § 11 der Februarverfassung für ihn festgestellt sind.

December 1862 schloß die erste Session des österreichischen Reichsrathes. In den inneren Angelegenheiten war wenig zu fördern gelungen; viel lebhafter jedoch hatten sich die auswärtigen Verhältnisse, namentlich die Frage der Vorherrschaft in Deutschland zwischen Oesterreich und Preußen allmählich zu entwickeln begonnen. Sch. erklärte bei dem Künstlerfeste in Salzburg October 1862, Deutschlands Einheit müsse mehrere Schwerpunkte haben – dagegen erschollen die Worte Bismarck’s, der am 24. September 1862 an die Spitze von Preußens Staatsleitung war berufen worden, von dem schmalen Leibe Preußens, der eine zu schwere Rüstung tragen müsse, von Blut und Eisen, das Deutschlands Einigung herbeiführen werde, von der Verlegung des Schwerpunkts Oesterreichs nach Osten.

Ein groß angelegter Versuch, Oesterreich die Hegemonie in Deutschland zu verschaffen, war der Frankfurter Fürstentag. Als Keim zu dieser in ihrer Art einzig dastehenden, höchst merkwürdig beginnenden und verlaufenden, schließlich jedoch ganz in Sand verrinnenden Versammlung ist die Denkschrift zu bezeichnen, welche Julius Fröbel Juni 1861 verfaßte und dem österreichischen Bundesgesandten in Frankfurt, Freiherrn v. Kübeck, überreichte. Ihr Grundgedanke ist, daß eine Bundesreform in Deutschland ohne Mitwirkung der Fürsten nicht zu erreichen und die Verwirklichung der großdeutschen Idee ohne thätiges Eingreifen des Kaisers von Oesterreich nicht möglich sei. Die Einzelheiten dieser Denkschrift sind beiläufig folgende: das deutsche Reich soll aus allen bisherigen Bundesstaaten bestehen. Die österreichischen und preußischen Nebenländer stehen für immer unter dem Schutze des Reiches. Dem Kaiser Franz Josef wird die erbkaiserliche Würde des Reiches übertragen. Das Reichsparlament theilt sich in ein Fürstenhaus und ein Volkshaus. Das Fürstenhaus besteht aus den regierenden Souveränen der deutschen Staaten, die sich durch Prinzen ihrer Familie vertreten lassen können. Der König von Preußen ist erster, der König von Baiern zweiter Präsident des Hauses. Oesterreich ist durch einen Erzherzog vertreten. Das Volkshaus besteht aus Delegationen, die von den Volksvertretungen der Einzelstaaten gewählt werden.

[67] Zur Erreichung dieses Zieles sei eine Verfassung auszuarbeiten, die Fürsten, die Minister, die Kammermehrheiten, die Presse seien zu gewinnen, Oesterreich habe bei dem Bundestage einen Beschluß zu erwirken, Delegationen der Kammern auf einen bestimmten Tag nach Frankfurt zu berufen, und schließlich möge der Kaiser alle deutschen Souveräne auf denselben Tag zu einer großen Fürstenversammlung nach Frankfurt einladen. Seine Proclamation zum deutschen Erbkaiser werde dann höchst wahrscheinlich sein.

Kübeck beförderte diese Denkschrift nach Wien, wo sie dem Kaiser und den leitenden Ministern Rechberg und Sch. vorgelegt wurde. Dieser war auf das lebhafteste von Fröbel’s Vorschlägen ergriffen, ließ ihn sogleich nach Wien kommen und verwendete ihn zur großdeutschen Propaganda, in Wien selbst bei der Gründung des in diesem Sinne wirkenden Blattes „Der Botschafter“, und zu Reisen in den deutschen Mittelstaaten zu demselben Behufe.

Es währte jedoch noch längere Zeit, bis der Kaiser zu einem entscheidenden Schritte sich veranlaßt sah; sein Schwager, der Erbprinz von Thurn und Taxis, scheint ihn dazu schließlich bewogen zu haben. Es wurde die Abhaltung eines deutschen Fürstentages zu Frankfurt beschlossen; Sch. trat auf das lebhafteste dafür ein, Rechberg war dagegen und gab seine Demission; als diese vom Kaiser nicht war angenommen worden, stellte er die Bedingung, daß er, und nicht Sch. den Kaiser nach Frankfurt begleiten dürfe, was wieder für den Staatsminister eine Zurücksetzung war. August 1863 fand der Fürstentag in Frankfurt statt, scheiterte jedoch vollständig an der Weigerung Preußens, an ihm theilzunehmen und der neuen Verfassung Deutschlands die Zustimmung zu geben.

Die zweite Reichsrathsperiode umfaßte die Zeit vom 17. Juni 1863 bis Februar 1864. Die staatsrechtliche Zerfahrenheit dauerte fort, alle Versuche, die Ungarn zur Beschickung des Reichsraths zu bestimmen, scheiterten; nur der Siebenbürger Landtag hatte die Wahlen für den Reichsrath vorgenommen und die Abgeordneten desselben erschienen im October 1863 im Reichsrath. Hingegen erklärten die tschechischen Abgeordneten aus Böhmen am 25. Juni 1863, daß sie jede weitere Mitwirkung an den Arbeiten des Reichsrathes ablehnen.

Am Beginne der dritten Reichsrathsperiode, welche vom 12. November 1864 bis 27. Juli 1865 währte, übersandten die Tschechen wieder eine Rechtsverwahrung und begründeten ihr Ausbleiben mit der Berufung auf die staatsrechtliche Stellung und Autonomie des Königreichs Böhmen. Im Hause selbst trat die autonomistische Partei hervor, welche für eine dualistische Staatsform und für die Selbständigkeit Ungarns plaidirte; die Lage der Regierung wurde immer schwieriger, Sch. befand sich bald in einem offenen Gegensatze gegen das Parlament. Der Kampf gegen das Ministerium beherrschte die ganze Session und entbrannte immer heftiger, je öfter die Regierung die Forderungen der liberalen Parteien nach freiheitlichem Ausbau der Verfassung unbeachtet ließ. Sch. suchte sich auf die Macht der Krone zu stützen, aber auch diese Stütze sollte er bald verlieren.

Zwei Jahre hatte Kaiser Franz Josef mit seiner ganzen Autorität fest an der Staatsauffassung Schmerling’s gehalten. Ein zu stolzes Auftreten desselben jedoch scheint in der Hofburg verletzt zu haben, wo er ohnehin von Anfang schon heftige und gefährliche Gegner hatte. Franz Josef hörte dann auf diese, während Sch. noch im Amte war, und machte sich in Gedanken mit einem andern Regierungssysteme allmählich vertraut. Ueberhaupt war Sch. fast während der ganzen Zeit, als er Staatsminister war, nicht genügender Spielraum zur Durchführung seiner Pläne gegönnt und vielfach sah er sich [68] in der Entwicklung seiner Ideen gehemmt. Ja, im eigenen Ministerium saßen Gegner seiner Ansichten, so der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Bernhard Graf Rechberg, was sich insbesondere in der Beurtheilung der deutschen Frage und bei Gelegenheit des Frankfurter Fürstentages gezeigt hatte. Dennoch mußte Sch. in der großen Debatte vom 28. bis 30. Januar 1864 im Reichsrathe für Rechberg eintreten, wenn ihm das auch nicht sympathisch war. Er war ja der geachtetste Minister im Hause und ihm folgte es am ehesten. Er erklärte, das Bündnis mit Preußen werde auf die innern Verhältnisse Oesterreichs nicht einwirken und das Völkerrecht – den Londoner Vertrag – müsse man achten; Oesterreich werde baldigst das gute Einvernehmen mit dem deutschen Bunde wiederherstellen und zur Politik der Bundesreform zurückkehren.

Als jedoch Rechberg’s Zollvereinsbestrebungen vollständig erfolglos blieben, drängte Sch. auf die Enthebung Rechberg’s; er erklärte dem Kaiser, daß seine Stellung im Reichsrathe unhaltbar sei, wenn er nach diesen diplomatischen Mißerfolgen Rechberg an seiner Seite habe. Sch. und Rechberg baten um ihre Entlassung, der Kaiser entschied gegen diesen, da jener wenigstens noch vorläufig im Reichsrathe unentbehrlich war; Rechberg trat zurück und an seine Stelle wurde Graf Alexander Mensdorff-Pouilly, Statthalter und Landescommandirender in Galizien, berufen.

Aber auch Schmerling’s Stellung war bei Hofe bereits erschüttert.

Es war ihm gelungen, Oesterreich, das nach dem Kriege von 1859 in völliger Auflösung war, mit fester Hand zu lenken, auf constitutionelle Bahnen zu führen und eine kräftige centralisirte Verwaltung zu organisiren. So wenig Rechte dem Volke nach der Februarverfassung auch zugestanden waren, so läßt sich doch nicht leugnen, daß Sch. der Begründer des österreichischen Constitutionalismus ist. Die liberalen Deutschen, die seine Ernennung zum Staatsminister jubelnd begrüßt hatten, waren mit dem sehr beschränkten Parlamentarismus, wie er ihn nach der Februarverfassung übte, nicht zufrieden; sie forderten insbesondere größeren Einfluß des Reichsrathes auf die Regierung, volle Preßfreiheit, Aufhebung des Concordats. Diese Concessionen behagten jedoch dem Kaiser nicht und Sch. mußte, wenn er mit Hülfe der Krone die Reichseinheit gegen Ungarn durchführen wollte, den Kaiser sich geneigt erhalten und daher diesen Volkswünschen entgegentreten, wodurch er wieder die liberalen Deutschen sich zu Gegnern machte.

Da trat zu Ostern 1864 der große ungarische Staatsmann und Patriot Franz Deak mit einem Ausgleichsprogramme auf; er erklärte, Ungarn werde auf die reine Personalunion verzichten und außer der Person des Herrschers noch gewisse Angelegenheiten als Oesterreich und Ungarn gemeinsam anerkennen. Damals hätte Sch. mit Deak Verhandlungen über den Ausgleich beginnen sollen, er wäre jedenfalls für Oesterreich günstiger ausgefallen, als der spätere von 1867; er stellte sich aber leider auf den Standpunkt der Verwirkungstheorie: Ungarn habe durch den Aufstand von 1849, besonders dadurch, daß der ungarische Reichstag in Debreczin das Haus Habsburg der Krone Ungarns für verlustig erklärte, seine avitische Verfassung verloren und das Land sei als eine eroberte Provinz zu betrachten und zu behandeln. – Nachdem die Siebenbürger Abgeordneten im Reichsrathe erschienen waren und gut begonnene Unterhandlungen mit Kroatien im Zuge waren, hoffte Sch. die Ungarn durch Zähigkeit im Festhalten des Einheitsgedankens zu weiterem Nachgeben zu bewegen und that ihnen gegenüber den bekannten Ausspruch: „Wir können warten.“ Moritz v. Kaiserfeld, der Führer der steirischen Autonomisten, der mit Deak und Eötvös in enger Fühlung [69] stand, wollte vermitteln; Sch. lehnte ab und hielt an der Theorie der Rechtsverwirkung fest. Kaiserfeld, Unger, Fischhof, Herbst und mit ihnen die besten politischen Köpfe unter den Deutschen hielten dafür, daß Oesterreich nicht das Recht und die Macht hätte, Ungarn nach der Verwirkungstheorie zu behandeln. Sch. wies jegliche Vermittlung zurück – das war der Capitalfehler seiner Politik. Er hoffte, der Kaiser werde ihm gestatten, seinen staatsrechtlichen Plan zu Ende zu führen. Aber gerade bei dem allerhöchsten Herrn war er schon in Ungnade gefallen, auch deshalb, weil die von ihm vorgeschlagene Reformpolitik in Deutschland gescheitert, der von ihm so warm empfohlene Frankfurter Fürstentag resultatlos geblieben war. Hof und Volk wollten Erfolge seiner Bemühungen um Ungarn sehen; seinen einstigen Anhängern, den freisinnigen Deutschen, trat er in ihrem Verlangen nach liberaler Umgestaltung des ganzen Staatswesens entgegen, um sich bei Hof und beim Kaiser zu halten. Und jetzt wirkten die ungarischen Magnaten klug und vorsichtig, aber darum nicht weniger energisch, seinen Sturz zu erzielen. Graf Moritz Eszterházy, Minister ohne Portefeuille, ein schlauer, bei Hofe hoch angesehener Intriguant, wühlte auf das heftigste gegen Sch.; er bestärkte den Kaiser in der Abneigung gegen die parlamentarischen Formen, gegen die Ansprüche der liberalen Partei. Sein Rath ging dahin, die Februarverfassung zu beseitigen, den Absolutismus wieder herzustellen. Ungarn werde die Abschaffung der centralistischen Verfassung mit Freuden begrüßen, in Oesterreich werde das freisinnige Bürgerthum zurückgedrängt werden, der Adel könnte wieder in seine feudalen Rechte eingesetzt werden.

Im Winter 1864/65 kam es zu harten Zusammenstößen zwischen Sch. und der deutschen Linken im Abgeordnetenhause wegen des Erlasses eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes, wegen der Forderung, daß die Verordnung, womit der Belagerungszustand über Galizien war verhängt worden, dem Reichsrathe vorgelegt werden müsse, und über den § 13 der Februarverfassung, welcher der Regierung gestattete, sich während der Vertagung des Reichsrathes über dessen Befugnisse hinwegzusetzen.

Das alles kam Eszterházy zu Gute, der nun die stärksten Hebel zum Sturze Schmerling’s ansetzte. Juni 1865 begab sich der Kaiser nach Budapest, wurde dort freudig begrüßt, da die maßgebendsten Kreise der ungarischen Politiker in Erfahrung gebracht hatten, er sei ihren Wünschen nach der Königskrönung und Wiederherstellung der ungarischen Verfassung nicht mehr ganz abgeneigt. Als am 26. Juni der ungarische Hofkanzler im Ministerium und Schmerling’s Vertrauensmann Zichy seiner Stelle enthoben und Georg v. Majlath hierzu berufen wurde und der Staatsminister diese Thatsachen erst nach ihrem Vollzuge in Erfahrung brachte, erkannte er, daß sein ganzes großes Lebenswerk gescheitert sei. Ministerpräsident Erzherzog Rainer, Staatsminister Sch. und sein ganzes Cabinet gaben am 27. Juli 1865, dem Tage der Schließung der dritten Reichsrathssession, ihre Demission, welcher am 30. Juli Folge gegeben wurde. Schmerling’s Nachfolger wurde der Statthalter von Böhmen, Graf Richard Belcredi, der für das nun folgende Unglücksjahr für Oesterreich unselige „Sistirungsminister“.

Nach seinem Rücktritte vom Staatsministerium nahm Sch. wieder die Stelle eines ersten Präsidenten des obersten Gerichtshofes ein, welche er sich bei seiner Berufung ins Cabinet vorbehalten hatte und die er nun bis zum 11. November 1891 bekleidete.

Am 21. April 1867 verlieh ihm der Kaiser die Würde eines lebenslänglichen Mitgliedes im Herrenhause des österreichischen Reichsrathes, am 31. Januar 1868 ernannte ihn der Kaiser zum Vicepräsidenten, am 14. Februar [70] 1871 zum Präsidenten dieser hohen Körperschaft; 1873, 1875, 1879 und 1881 wählte ihn die österreichische Delegation zu ihrem Präsidenten.

Im Herrenhause trat Sch. stets für die Reichseinheit ein und gegen den föderalistischen Gedanken auf. Als es im Juli 1867 zur Verhandlung über das Ministerverantwortlichkeitsgesetz kam, machte Sch., der schon als Staatsminister im Abgeordnetenhause Gegner der Verantwortlichkeit der Minister war, einige Einwendungen gegen dasselbe. Hingegen befürwortete er (am 3. Februar 1869), seinem ehemaligen Collegen Rechberg gegenüber, die Errichtung des Reichsgerichtes und die Erklärung dieses Gesetzes zum Staatsgrundgesetz.

Bei der Berathung der Staatsgrundgesetze (November 1867) vertheidigte er das Festhalten an dem Principe der Februarverfassung und wies darauf hin, daß sie nicht gehindert habe, die Autonomiebedürfnisse der einzelnen Länder zu befriedigen. – Bei der Berathung der Frage über die Einflußnahme des Reichsraths auf Landtagsbeschlüsse, trat Sch. den Föderalisten entgegen und betonte, der Reichsrath sei ein höherer Körper, da er die gesammte Vertretung des Reiches in sich schließe, die Landtage, die nur je ein Kronland vertreten, seien nur subordinirte Körper; es sei daher der Würde der Reichsvertretung entsprechend, wenn sie in Angelegenheiten zwischen diesen beiden Körperschaften das entscheidende Wort habe.

Bei der Berathung des Gesetzes über die Delegationen sprach er sich dahin aus, daß er hoffe, daß aus den Delegationen sich einst eine Reichsvertretung entwickeln werde, die alle Theile des Kaiserstaates umfassen solle, und daß in dieser Reichsversammlung alle Stämme zu einem einmüthigen Wirken sich die Hand reichen und gemeinschaftlich zu diesem Zwecke tagen werden – eine Hoffnung, die nicht in Erfüllung ging und leider nie in Erfüllung gehen wird.

Als es nach dem Sturze des sogenannten Bürgerministeriums (April 1870) im Herrenhause zu lebhaften Debatten zwischen den Centralisten und Föderalisten kam, trat Sch. diesen mit aller Energie entgegen und erklärte, daß nur jene Regierung als eine ihre Aufgabe richtig erfassende angesehen werden könne, welche es als ihre erste Pflicht erkennt und erstrebt, im Geiste der Verfassung und mit der Kraft der Gesetze allen gegen den Bestand und die Erstarkung der Verfassung sowie gegen die centrale Reichsgewalt gerichteten Sonderbestrebungen entgegenzutreten, um dadurch ebenso den Glanz und die Rechte der Krone, wie die Wohlfahrt des Reiches und dessen einheitliches Verfassungsleben zu wahren und zu fördern.

Gerade am Beginne des Ministeriums Hohenwart, dieses föderalistischen und feudalistischen Cabinettes (14. Februar 1871) wurde Sch. Präsident des Herrenhauses. In seiner Antrittsrede schon trat er dieser Regierung, die das Reich in historisch-politische Individualitäten auflösen wollte, mit den Worten entgegen: „Wir erleben noch immer, daß man in vergilbten Pergamenten blättert, um eine Grundlage für unsere staatlichen Einrichtungen zu suchen, während uns Allen doch klar sein muß, daß nur der frische und belebende Hauch der Gegenwart es ist, der auch in staatlichen Formen sich kundgeben muß, wenn dieselben gedeihlich wirken sollen. Ebenso besteht noch immer in gewissen Theilen des Reiches, ich muß es so bezeichnen, jene Kirchthurmspolitik, die es sich zur Aufgabe macht, sich immer nur in dem engsten Gesichtskreise zu bewegen und die noch immer nicht erkennen will, daß die Autonomie und Selbständigkeit der einzelnen Königreiche und Länder nur dann gewahrt ist, wenn das Reich sein mächtiges wärmendes Dach über sie spannt.“

Am 9. October 1879 gelangte im Herrenhause eine Deklaration von [71] sechs vom Kaiser neu ernannten Mitgliedern aus dem tschechischen Feudaladel zur Verlesung, in der sie erklärten, daß sie durch ihren Eintritt in keiner Weise der staatsrechtlichen Stellung des Königreiches Böhmen präjudiciren wollten. – Sch. trat dieser Enunciation energisch entgegen und legte Namens der Verfassungspartei Verwahrung gegen diese Deklaration ein.

Als 1880 das Ministerium Taaffe ans Ruder kam, bekämpfte Sch. dieses neue Regime, nur täuschte er sich darin, daß er diese neue Aera für eine rasch vorübergehende Epoche hielt. Namens seiner Gesinnungsgenossen erklärte er (am 23. December 1880), daß sie es für ihre patriotische Pflicht halten, „von neuem der ernsten Besorgniß Ausdruck zu geben, mit welcher uns die von der Regierung eingeschlagene Richtung erfüllt, und wiederholt in loyaler Weise vor den Gefahren zu warnen, welche für die Einheit des Reiches, für das feste Gefüge der Verwaltung und schließlich für die Verfassung selbst aus dem Vorgehen der Regierung erwachsen muß, welche wir daher nur mit Sorge und Mißtrauen begleiten können“.

Gegen die von Taaffe beantragte und auch durchgeführte Wahlreform (1882), welche nur gegen die Deutschen in Böhmen gerichtet war – Bildung einer eigenen fideicommissarischen Wählergruppe im Großgrundbesitze in Böhmen, Theilung der nichtfideicommissarischen Wähler des Großgrundbesitzes in fünf Wahlkörper, Herabsetzung des Census für die Wähler in den Städten, Märkten und Industrieorten und in den Landgemeinden auf fünf Gulden – sprach sich Sch. mit den durch die soeben (Januar 1907) erfolgte Einführung des allgemeinen Wahlrechtes geradezu prophetischen Worten aus, daß dadurch die ganze Bedeutung des Großgrundbesitzes verloren und er in dem politischen Leben seinem Untergange entgegen gehe.

Das letzte bedeutsame Hervortreten Schmerling’s im Herrenhause fand im Herbst 1886 statt. Justizminister Pražak hatte mehrere Verordnungen erlassen, welche die fortschreitende Slavisirung der Gerichte in Böhmen und Mähren und die Verdrängung deutscher Gerichtsbeamten auch im deutschen Sprachgebiete zur Folge hatten. Und am 23. September 1886 erschien ein Erlaß Pražak’s, welcher den Zweck verfolgte, die Unmöglichkeit des Fortbestandes der deutschen Sprache als Staatssprache darzulegen und die tschechische Staatssprache für den tschechischen Staat der Zukunft anzubahnen. Gegen diesen Erlaß brachte Sch. am 20. October 1886 im Herrenhause den Antrag ein, das Haus wolle eine Commission von neun Mitgliedern wählen, um diese Verordnung sowohl nach ihrer rechtlichen Seite, als in Hinsicht ihrer politischen Tragweite zu prüfen, darüber Bericht erstatten und die entsprechenden Anträge stellen. Daß gerade Sch. diesen Antrag stellte, war um so schwerer wiegend, da er Präsident des obersten Gerichtshofes war. Die Regierung und die Hofkreise waren über diesen Antrag des obersten Richters in hohem Grade entrüstet; von den deutschen Landtagen jedoch langten gegen Pražak’s Sprachantrag Beschlüsse ein, und die Deutschen in den Kronländern erließen stürmische Kundgebungen gegen denselben. Das einst durch die Unabhängigkeit seiner Gesinnung und durch seine dem (allerdings gemäßigten) Fortschritt huldigende Haltung ausgezeichnete und die Reichseinheit hochschätzende Herrenhaus war durch den Einfluß des Hofes und der Regierung und die Pairsschübe bereits so haltlos geworden, daß es in der Sitzung vom 30. April 1887 den Antrag Schmerling’s auf Aufhebung dieser Verordnung ablehnte und den Antrag Falkenhayn’s annahm: es liege kein Grund vor, die Verordnung der Regierung von der rechtlichen Seite zu beanstanden, und es könne gegen sie auch in Hinsicht auf ihre politische Tragweite keine Einwendung erhoben werden.

[72] Als 1888 der Allianzvertrag zwischen Oesterreich-Ungarn und dem Deutschen Reiche veröffentlicht wurde, begrüßte ihn Sch. freudigst und sprach dem Kaiser dafür glühenden Dank aus.

Zahlreich waren die Auszeichnungen, welche ihm von Potentaten und von seinen Mitbürgern zuerkannt wurden. Schon 1849 verlieh ihm der Großherzog Leopold von Baden den Hausorden der Treue „als Zeichen dankbarer Anerkennung der sehr großen Verdienste, welche er sich als Reichsminister in den Septembertagen 1848, als der öffentlichen Ordnung die größte Gefahr drohte, um Deutschland erworben hatte“. 1855 wurde er von Kaiser Franz Josef zum wirklichen kaiserlichen geheimen Rathe (Excellenz) erhoben, als Staatsminister erhielt er das Großkreuz des kaiserlichen Leopoldordens; am 14. Juni 1862 wurde er von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien zum Ehrenmitgliede erwählt und später zum Curator-Stellvertreter dieser Körperschaft berufen. Als Urheber der Februarverfassung und damit als Begründer des Constitutionalismus in seinem Vaterlande, wurde er von einer großen Anzahl deutschösterreichischer Städte zum Ehrenbürger ernannt. Durch eine lange Reihe von Jahren bekleidete er das Ehrenamt eines Obercurators der niederösterreichischen Sparcasse in Wien, eines großen, ungemein wohlthätig wirkenden Institutes.

Dreißig Jahre alt, noch ein kleiner Justizbeamter, vermählte sich Sch. am 21. April 1835 mit Pauline, der Tochter des k. k. Feldmarschalllieutenants Josef Freiherrn v. Koudelka, einer Dame von hervorragenden Eigenschaften des Herzens und des Geistes, welche zugleich eine Künstlerin war, als Blumenmalerin Ausgezeichnetes und allgemein Anerkanntes leistete. Er lebte mit ihr in überglücklicher Ehe, doch schon nach fünf Jahren (am 31. Juli 1840) wurde sie ihm durch den Tod entrissen; durch das ganze lange Leben, das ihm noch beschieden war, verschmerzte er diese tiefgehende Herzenswunde nicht. Dieser Ehe entsprossen zwei Töchter: Violetta, welche mit Karl Freiherrn v. Bienerth, k. k. Feldmarschalllieutenant, und Sylvia, welche mit einem Herrn v. Rohonczy vermählt war.

Sch. starb im hohen Alter von 88 Jahren am 23. Mai 1893 zu Wien.

Arneth, Anton Ritter von Schmerling. Episoden aus seinem Leben. 1835, 1848–1849. Prag, Wien, Leipzig 1895. – Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859 bis 1866. 2 Bde. Stuttgart 1897 f. – Kolmer, Parlament und Verfassung in Oesterreich. 4 Bde. Wien und Leipzig 1902–1907. – Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XXX, 172–188. Wien 1875. – v. Zwiedineck-Südenhorst, Deutsche Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Errichtung des neuen Kaiserreiches. 1806–1871. 3 Bde. Stuttgart 1897 bis 1905. – Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. 2 Bde. Stuttgart 1898. – Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I. 7 Bde. München und Berlin 1901. – Menčik, Aus dem Tagebuche des Frhrn. v. Poche (Oesterr. Rundschau VII, 352–362, 446–455, 523–534).