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ADB:Heckscher, Johann Gustav

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Artikel „Heckscher, Johann Gustav Wilhelm Moritz“ von Werner von Melle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 11 (1880), S. 215–218, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Heckscher,_Johann_Gustav&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:55 Uhr UTC)
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Heckscher: Dr. Johann Gustav Wilhelm Moritz H., Advokat, Mitglied der deutschen Nationalversammlung und Reichsminister, Diplomat, wurde als Sohn eines wohlhabenden Bankiers am 26. December 1797 zu Hamburg geboren. Nachdem er zuerst in Schnepfenthal und Genf und hernach in Hamburg eine besonders sorgfältige Erziehung genossen hatte, machte er als 17jähriger Jüngling im hanseatischen Freiwilligencorps den Feldzug von 1815 mit und besuchte dann von 1816–20 die Universitäten Göttingen und Heidelberg. Hier widmete er sich mit Eifer den juristischen, historischen und humanistischen Studien und war außerdem als gewandter Redner und tüchtiger Schläger eine in studentischen Kreisen geachtete Persönlichkeit. 1820 promovirte er in Göttingen und bereiste dann mehrere Jahre lang Italien, Frankreich, England und Rußland, wobei er sich die vollständigste Kenntniß der Sprachen und Institutionen dieser Länder erwarb. Nach Hamburg zurückgekehrt widmete er sich der Advokatur und ragte, wenn auch seine Praxis nicht zu den umfangreichsten gehörte, als vortrefflicher [216] Jurist und glänzender Redner unter seinen vielen bedeutenden Collegen hervor. Einzelne seiner meisterhaften Plaidoyers vor dem Handelsgericht erregten auch in weiteren Kreisen Interesse, und mit Spannung folgte man insbesondere im J. 1841 seiner erfolgreichen Vertheidigung der, als des Sclavenhandels verdächtig, von englischen Kreuzern aufgebrachten Hamburger Bark „Louise“, Capt. Boye. Zugleich mit Vorliebe litterarisch thätig und voll Theilnahme an den politischen Angelegenheiten, redigirte H. seit 1840 den politischen Theil der „Hamburger Nachrichten“ und trat auch in einzelnen staatsrechtlichen Schriften über brennende Tagesfragen anonym als Publicist auf. 1848 ging er zum Vorparlament nach Frankfurt, wo er durch seine rhetorische Gewandtheit sowie durch die Klarheit und Schärfe seiner Argumentation sofort die Aufmerksamkeit auf sich zog. „Es war ein blasser, italienisch aussehender Krauskopf mit trockner Baßstimme und einem so in sich begründeten eigensinnig logischen Wesen, daß seine Worte nach links und rechts hin jeden Einwand hart und kurz abzuweisen schienen.“ So schildert ihn Heinrich Laube bei Gelegenheit seines ersten Eingreifens in die Debatte, wo er mit größter Entschiedenheit gegen die Permanenzerklärung des Vorparlamentes sprach und die Bildung eines starken Ausschusses, welcher den Uebergang zur Nationalversammlung bilden sollte, befürwortete. Laube macht in seinem Buche über die Nationalversammlung kein Hehl daraus, daß er kein Freund von H. war. Gewissermaßen nur mit Widerstreben erkennt er seine Beredsamkeit und seine scharfe juristische Logik an und wirft ihm dann wiederholt Eigensinn, Verdrießlichkeit, Rechthaberei und ein stetes Verwechseln der Rolle des Politikers mit der eines Advokaten vor. Aehnlich urtheilt über ihn Karl Biedermann in seinen „Erinnerungen aus der Paulskirche“, und es muß zugegeben werden, daß allerdings eine gewisse Berechtigung zu solchem Tadel vorlag. Ein Zurücktretenlassen seiner Person hinter die Sache, die er verfocht, ein geschmeidiges Nachgeben und die Entfaltung einer besonderen persönlichen Liebenswürdigkeit, dies alles war wenig nach Heckscher’s Sinn. Auch mag es richtig sein, daß er sich bei seiner eminenten Begabung für die Advokatur in den parlamentarischen Debatten zuweilen mehr auf den Standpunkt eines Sachwalters als den eines Politikers stellte. Mußte er sich aber durch seine eigengeartete Persönlichkeit und sein schroffes Auftreten in der Paulskirche zahlreiche Feinde erwerben, so zeugt es um so mehr für seine hervorragende Bedeutung in der Nationalversammlung, wenn z. B. Rießer von ihm sagt, daß er von der Majorität geachtet und bei Vielen auch beliebt sei, und wenn selbst Biedermann anerkennen muß, daß er geschätzt gewesen und gefürchtet „als ein Meister haarscharfer Dialectik, als ein Redner von großer Kraft und Präcision des Ausdrucks und von schonungsloser Derbheit in der persönlichen Polemik“. Als Heckscher’s Wünschen gemäß die beantragte Permanenzerklärung des Vorparlaments abgeschlagen und der Funfzigerausschuß eingesetzt worden, spielte er als Mitglied des letzteren eine hervorragende Rolle und übte bei vielen wichtigen Fragen einen entscheidenden Einfluß aus. Doch schon am 18. Mai waren die Aufgaben des Funfzigerausschusses erledigt, und H. trat als einer der Abgeordneten für Hamburg in die aus freier Volkswahl hervorgegangene verfassunggebende Nationalversammlung ein. Erfüllt und durchdrungen von der Berechtigung der in diesem bedeutungsvollen Jahre überall in Deutschland hervorgetretenen Freiheitsbestrebungen war er seiner Zeit nach Frankfurt gekommen, doch schon im Vorparlament hatte er zu erkennen geglaubt, wie gefährlichen Abwegen die liberale Seite des Hauses mit Eifer zusteuerte. In Folge dessen war er immer mehr zur Rechten hinübergedrängt und ward nunmehr in der Nationalversammlung ein immer entschiedenerer und heftigerer Vorkämpfer des rechten Centrums der Paulskirche. Bei Gelegenheit der Debatten über die provisorische Centralgewalt [217] betrat er zweimal die Tribüne und erregte noch gegen Ende der Verhandlungen durch seine bissige Bemerkung, daß die neuen Amendements der Linken, die man in so schöner Fülle ankündige, schon im Voraus, noch ehe man sie kenne, den Beifall der Gallerie erhalten hätten, einen solchen Sturm in der aufgeregten Versammlung, daß der den Ordnungsruf verweigernde Vicepräsident Soiron sich zur Aufhebung der Sitzung genöthigt sah. Der endlich am 28. Juni gefaßte Beschluß, durch den die provisorische Centralgewalt einem von der Nationalversammlung zu erwählenden unverantwortlichen Reichsverweser übertragen wurde, stimmte im Wesentlichen mit Heckscher’s Wünschen überein. Es folgte die Wahl des Erzherzogs Johann, und H. ward zum Mitglied der Deputation ernannt, die den Reichsverweser nach Frankfurt einholen sollte. Als Hauptsprecher der Deputation erwarb er sich das persönliche Vertrauen des Erzherzogs und ward von diesem bei der Bildung des ersten Reichsministeriums im Juli d. J. als Justizminister in dasselbe berufen, welche Stellung er jedoch bald mit der eines Ministers für die auswärtigen Angelegenheiten vertauschte. Als solcher aber mußte er an den lebhaften Debatten, die nach Abschluß des Waffenstillstandes von Malmoe im September des Jahres in der Nationalversammlung stattfanden, in erster Linie betheiligt sein. Man behauptete, daß dieser Waffenstillstand rücksichtlich Schleswig-Holsteins unehrenhafte und nachtheilige Bedingungen für Deutschland enthalte, und es galt das Reichsministerium diesen heftigen Vorwürfen gegenüber zu vertreten. H. that dies während der mehrtägigen Debatte mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft und Geschicklichkeit und zeigte sich auch hier wieder als ein Meister des Worts und der schlagfertigen Discussion. Er schloß mit den Worten: „Ich trete ab mit dem Bewußtsein in jeder Beziehung meine Pflicht erfüllt zu haben.“ Nach schweren Kämpfen brachten endlich er und seine ihm in der Debatte zur Seite stehenden Collegen die Majorität der schwankenden Versammlung auf ihre Seite, und man beschloß von einer Beanstandung des Waffenstillstandes abzusehen. Bei dieser Gelegenheit aber zog H. die Ungunst der aufgeregten öffentlichen Meinung so sehr auf sich, daß er fast wie Auerswald und Lichnowsky ein Opfer des wüthenden Pöbels geworden wäre. Nachdem man bereits in Frankfurt schreiend nach ihm gesucht, ward er von einem Ausfluge heimkehrend am 18. September in Höchst erkannt und thätlich insultirt. Mit Mühe nur gelang es ihm sich vor dem nachstürmenden Haufen, der ihn mit dem Tode bedrohte, in das Rathhaus zu retten. Nun aber stellte es sich heraus, daß dort mit ihm eine große Anzahl Personen eingeschlossen war, welche bald darüber in Streit gerieth, ob man ihn der tobenden Menge ausliefern müsse oder nicht. Bei dieser Debatte überhäufte man ihn mit Vorwürfen jeglicher Art und forderte unter Anderen von ihm, er solle seinen Austritt aus der Nationalversammlung erklären. H. wies aber dieses Ansinnen auf das Entschiedenste zurück und verstand es zugleich durch die Gewalt seiner glänzenden Beredsamkeit und die Macht seines persönlichen Einflusses seine schwankenden Zuhörer 7 lange Stunden hindurch von der Oeffnung der Rathhausthür abzuhalten, bis endlich die Menge draußen sich verlaufen hatte und damit die augenblickliche Gefahr vorüber war. Doch mußte er, nach Frankfurt zurückgekehrt, sich dort noch mehrere Tage verborgen halten, da man weitere Excesse gegen ihn befürchtete. In das nach diesen Vorgängen neu constituirte Reichsministerium trat H. nicht wieder ein, sondern wurde als Gesandter nach Turin und Neapel geschickt. Nach viermonatlicher Abwesenheit erschien er wieder in Frankfurt zur Zeit, als die entscheidenden deutschen Verfassungsfragen ihrem Abschlusse nahe waren. Mit Entschiedenheit erklärte er sich nun gegen den Ausschluß Oesterreichs und organisirte im Februar 1849 zusammen mit Welcker, Hermann, Sommaruga, Würth u. A. dem Plane des preußischen Erbkaiserthums [218] gegenüber eine neue Partei, die sich im Gegensatz zu den „Kleindeutschen“ die „Großdeutschen“ nannte. Dagegen verbanden die „Kaiserlichen“ oder „Kleindeutschen“ sich um so fester zur sogenannten „Weidenbuschpartei“, und die so geschaffenen schroffen Gegensätze traten bald in heftigen und langen Debatten, an denen sich auch H. eifrig betheiligte, der endgültigen Erledigung des Verfassungswerkes in der Paulskirche hemmend entgegen. H. als einer der Rührigsten unternahm sogar im Interesse seiner Partei eine Reise nach Wien, um sich mit österreichischen Staatsmännern über die Verfassungsfrage zu berathen. Während aber so die beiden starken Parteien einander gegenüberstanden, und ein Ende der Sache noch nicht abzusehen war, traf plötzlich am 11. März in Frankfurt die überraschende Nachricht ein, daß der Reichstag von Kremsier aufgelöst und abseiten der österreichischen Regierung eine Verfassung für die Gesammtmonarchie eigenmächtig verliehen worden. Dieses Auftreten Oesterreichs machte in Frankfurt einen mächtigen Eindruck, der noch verstärkt wurde, als Welcker, einer der Führer der Großdeutschen, in der Sitzung vom 12. März offen zur Gegenpartei übertrat. Doch H. blieb trotz alledem der alten Fahne treu und ihm und seinen Gesinnungsgenossen gelang es, wenn auch zur Ueberraschung der Versammlung selbst, die Abweisung der jenseitigen Anträge durchzusetzen. Indeß der Erfolg war kein durchschlagender. Heckscher’s Vorschlag auf Errichtung einer Directorialgewalt konnte nicht durchdringen, und dies gab den „Kaiserlichen“ neuen Muth. Man griff zu einer zweiten Lesung der Verfassung ohne Discussion, um im Einzelnen zu erreichen, was man zuvor im Großen und mit einem Schlage hatte erobern wollen. Manches Wichtige zwar mußte man nun der Gegenpartei und insbesondere der Linken opfern, doch ward am 27. März mit einer Mehrheit von nur 4 Stimmen die Erblichkeit der Würde des Reichsoberhauptes und dessen Titel „Kaiser der Deutschen“ durchgesetzt, ein Beschluß, von welchem die am folgenden Tage vorgenommene Uebertragung dieser Kaiserwürde an den König von Preußen eine selbstverstandene Consequenz war. Nach dieser Entscheidung aber hielt es H. nicht mehr in Frankfurt. Während die Nationalversammlung ihrer Auflösung entgegenging, kehrte er Ende April 1849 zu seinem früheren Berufe nach Hamburg zurück. Doch wurde er bei Ausübung der Advokatur durch die eingetretene Schwäche seines Gesichtes vielfach behindert. Vielleicht in Folge dessen trat er im Mai 1853 zur Diplomatie über und ward hanseatischer Ministerresident in Wien, als welcher er vor Allem im J. 1857 bei der damaligen Hamburger Handelskrisis durch geschickte Vermittlung des abseiten Oesterreichs gewährten Silberanlehens seiner Vaterstadt ausgezeichnete Dienste leistete. Auch nahm er, obwol er nur der Vertreter einer kleinen Macht war, doch eine sehr geachtete Stellung in Wien ein. Er starb daselbst an einer Herzlähmung in der Nacht vom 6. auf den 7. April 1865 im Alter von 67 Jahren.

Nekrolog im Hamb. Correspondenten vom 12. April 1865. – Hamb. Schriftstellerlexikon Bd. III, S. 138 f. – Handelsgerichtliches Verfahren u. Erkenntniß über d. Hamb. Bark Louise wegen Verdachts der Betheiligung am Sclavenhandel, Hamburg 1842. – Heinrich Laube, Das erste deutsche Parlament, 3 Bde., Leipzig 1849. – Karl Biedermann, Erinnerungen aus d. Paulskirche, Leipzig 1849. – Häusser, Die deutsche Nationalversammlung, im siebenten Bande des Deutsch. Staatswörterbuchs, Stuttgart u. Leipzig 1862. – M. Isler, G. Rießer’s Leben nebst Mittheilungen aus seinen Briefen, Bd. I S. 559, Frankfurt u. Leipzig 1867. – L. Schatte, Lebensbilder aus der deutsch. Nationalversammlung, Schw. Hall. – Reden in der Waffenstillstandssache, gehalten vom Abgeordneten Heckscher, Frankfurt a. M. 1848.