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ADB:Rainer

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Artikel „Rainer, Erzherzog von Oesterreich“ von Anton Victor Felgel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 27 (1888), S. 181–188, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rainer&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:33 Uhr UTC)
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Rainer, Erzherzog von Oesterreich, wurde zu Pisa am 30. September 1783 als das vierzehnte von sechszehn Kindern und als zehnter von zwölf [182] Söhnen, welche der Ehe des Großherzogs von Toscana und späteren Kaisers Leopold II. mit der Infantin Maria Ludovica, einer Tochter des Königs Karl III. von Spanien entsprossen, geboren. Er verbrachte seine ersten Lebensjahre abwechselnd in Pisa, Florenz und den großherzoglichen Lustschlössern zu Imbrogiana, Castello, Poggio Imperiale und Petraja und folgte mit der übrigen Familie im Mai 1790 seinem Vater, dem nunmehrigen Könige Leopold II. nach Wien, welcher bereits am 2. März Florenz verlassen hatte, nachdem die Trauerkunde vom Tode des Kaisers Joseph II. in den großherzoglichen Palast gelangt war. Beide Eltern starben schon im Frühjahre 1792. Rainer’s ältester Bruder, Kaiser Franz vertrat Vaterstelle an dem frühverwaisten und überwachte sorgfältig dessen Erziehung. Der Erzherzog wurde vorzugsweise in den staatswissenschaftlichen und militärischen Fächern unterrichtet. Auf dem Gebiete der Naturwissenschaften war die Botanik das Lieblingsstudium des jungen Erzherzogs, welcher diese Vorliebe auch in späteren Jahren bethätigte, wenn er die pflanzenreichen österreichischen Lande forschend und sammelnd, seine reichen Herbarien ergänzend durchwanderte. Er bekleidete in der österreichischen Armee der Reihe nach die militärischen Grade bis zum Generalfeldzeugmeister. Die politische und finanzielle Staatsverwaltung war jedoch dasjenige Gebiet, auf welchem der Erzherzog seinem milden, friedliebenden Sinne entsprechend eine bedeutende Thätigkeit entfalten sollte. Auf kaiserliche Anordnung wurden schon im J. 1805 alle bei dem Staatsrathe einlangenden Acten, noch ehe sie dem Kaiser vorgelegt wurden, dem Erzherzoge R. mitgetheilt, um diesen so in den Stand zu setzen, sich gründliche Kenntnisse von den inländischen Staatsgeschäften zu erwerben. Gegen das Ende des J. 1805 und im Januar des J. 1806 finden wir ihn mit anderen Mitgliedern der kaiserlichen Familie in Teschen, welches damals vorübergehend der Sitz der Regierungsbehörden wurde. Als der Kaiser im Frühjahre 1807 sich zum ungarischen Landtage nach Ofen begab, ertheilte er für die Dauer seiner Abwesenheit von Wien dem Erzherzoge R. die Weisung und Vollmacht, die vor den Staatsrath gelangenden Sachen in gewissen Fällen mit der Unterzeichnung, daß es auf des Kaisers ausdrücklichen Befehl geschehe, zu erledigen, in anderen Fällen eine Berathung mit Staatsrathsmitgliedern zu halten oder die Acten dem Kaiser zur Schlußfassung einzuschicken. Der Erzherzog erledigte fleißig und pünktlich die in Folge dieses kaiserlichen Auftrages ihm zugekommenen Angelegenheiten und begleitete Bittgesuche und wichtigere Acten, die er dem Kaiser zur Entscheidung unterbreitete, wol auch mit eigenhändigen Briefen, deren Inhalt in gleicher Weise von seinem gewissenhaften Studium der betreffenden Verhältnisse, als von dem warmen Gefühle, das den Erzherzog für die Interessen der österreichischen Industrie beseelte, Zeugniß geben. Er nahm auch wichtigen Antheil an den Plänen und Entwürfen zur Verbesserung der österreichischen Staatsfinanzen, welche damals zahlreich auftauchten. Er legte dem Kaiser im J. 1807 ein Finanzproject vor, dem zufolge 190 Millionen neuer Bankobligationen zu geringen Procenten und 160 Millionen Circulationsscheine zur völligen Auswechslung und Vernichtung der Masse der circulirenden in runder Zahl auf 500 Millionen berechneten Bancozettel dienen sollten. R. begutachtete in folgenden Jahre durch den Erzherzog Karl mitgetheilte Vorschläge zur Herstellung der Finanzen und versuchte die Frage zu beantworten, ob die dem Kaiser vorgelegten Anträge zur Verbesserung der Finanzen auch dann ausgeführt werden könnten, wenn unvorhergesehene Unglücksfälle oder selbst ein Krieg die Monarchie träfe und welche anderen Mittel allenfalls zu ergreifen wären, um die Ausgaben im Falle eines Krieges zu decken. Die Frage: ob ein Krieg zu wagen, ob der Frieden um jeden Preis zu erhalten sei, spaltete Hof und Regierung in zwei Parteien, welche in lebhafter Fehde je ihre Meinung [183] geltend zu machen suchten. Erzherzog R. vertheidigte eine friedliche Politik. Die Kriegspartei, zu welcher die Erzherzoge Karl und Johann und die Minister Stadion, O’Donnel und Metternich gehörten, obsiegte. – Angesichts der französischen Invasion entschloß sich Kaiser Franz Wien zu verlassen und zur Armee abzugehen. Er ernannte am 30. März 1809 wieder den Erzherzog R. zu seinem Stellvertreter, gab ihm eine delegirte Commission zur Seite, übertrug ihm den Vorsitz und die Leitung derselben und räumte ihm entsprechende ausgedehnte Vollmachten ein. Alle von den Ministerien und den Vorständen der Hofstellen sonst an den Kaiser zu erstattenden Vorträge gelangten nun an den Erzherzog R., der mit gewissenhaftem Fleiße auch Rückstände aufzuarbeiten suchte, so viel es die häufigen von allen Seiten zusammenfließenden currenten Geschäfte erlaubten. Die guten Nachrichten, welche von der Armee des Erzherzogs Johann einliefen, vereint mit der muthigen begeisterten Stimmung des Volkes und der allgemeinen Bereitwilligkeit zu patriotischen Opfern erfüllten ihn mit froher Zuversicht auf den Sieg der gerechten Sache. Er ließ sich aber durch diese Hoffnungen und den glänzenden Anfang des Feldzuges keineswegs abhalten, alle möglichen Vertheidigungsmaßregeln theils selbst zu ergreifen, theils dem Kaiser vorzuschlagen. Als in den letzten Tagen des Monats April vom deutschen Kriegsschauplatze die Kunde vom Vordringen Napoleons nach Wien gelangte, beeilte sich R. geeignete Vorkehrungen in möglichst unaufsichtiger Weise zu treffen und versuchte auf die öffentliche Stimmung einzuwirken, um den Curswerth der Staatspapiere vor zu tiefem Sturze, das Volk vor Entmuthigung zu bewahren. Er bat den Kaiser dringend, die erledigte Stelle des niederösterreichischen Landmarschalls möglichst bald zu besetzen, welche gerade in solchen unglücklichen Zeitpunkten nothwendiger als je sei, damit die Stände doch einen angesehenen Vereinigungspunkt haben. Da Kaiser Franz strengstens befahl: Alles zu thun, um Oesterreich zu vertheidigen und Wien zu schützen, setzte sich R. sogleich mit seinem Vetter, dem Erzherzoge Max in das Einvernehmen und die Landwehr wurde schleunigst bei Wels zusammengezogen. Indessen kamen Nachrichten von dem Rückzuge des Feldmarschalllieutenants Hiller über die Donau bei Linz, und von dem Hereinbrechen der ganzen feindlichen Macht. Erzherzog R. theilte dem Kaiser manches Anerbieten mit, welches den hohen Patriotismus der Wiener Bürgerschaft bezeigte und erörterte gleichzeitig mit vielem Freimuthe die Frage, ob Wien gegen den heran dringenden Feind vertheidigt werden könne und solle. Die Festungswerke, welche im 17. Jahrhunderte noch siegreich gegen den Halbmond vertheidigt worden waren, erschienen wol nicht mehr geeignet der modernen Kriegsführung, der Belagerungstechnik des 19. Jahrhunderts mit Erfolg Widerstand zu leisten. Der warme Eifer, mit welchem er dafür eintrat, die kostbaren Gebäude, Bibliotheken, wissenschaftlichen Sammlungen, Lehr- und Erziehungsanstalten und alle anderen schönen, öffentlichen Institute Wiens nach Möglichkeit vor der Schädigung oder gar Vernichtung zu retten, welche sie bedrohte, wenn die Hauptstadt belagert und eingenommen würde, entsprang dem idealen für die Interessen von Kunst und Wissenschaft empfänglichen Sinne des Erzherzogs. Er verlegte den Sitz der Behörden nach Ofen und wies die in Wien zurückbleibenden Beamten an, dem vom Kaiser zum Hofcommissär für die vom Feinde occupirten Reichstheile ernannten Grafen Chotek auf dessen jeweilige Aufforderung bereitwilligst an die Hand zu gehen. Er selbst begab sich den Weisungen seines kaiserlichen Bruders folgend nach Ofen, wo ihn die Kunde von der Einnahme Wiens erteilte. Da weitere Nachrichten ihn ein Vordringen des Feindes nach Ungarn besorgen ließen, war er vor allem darauf bedacht, die Schätze des kaiserlichen Hof- und Staatsarchives und was sonst Rettenswerthes und unter den obwaltenden Verhältnissen vorläufig Entbehrliches Hudelist (s. A. D. B. XIII, 278) nach Ofen gebracht [184] hatte, sobald als möglich nach Peterwardein und von dort nach Temeswar in sichere Verwahrung bringen zu lassen. Am 13. Juni erschienen vor ihm der Vicepräsident Graf Pergen und der Graf Hardegg, welche als Deputirte von Oesterreich nach Ofen gekommen waren. Sie erbaten sich eine Audienz beim Kaiser in der Angelegenheit der von französischer Seite verlangten Stellung von Geiseln, und schilderten den Zustand Oesterreichs, welches verheert und verwüstet unter der Zügellosigkeit der feindlichen Truppen litt. Der Erzherzog vernahm, daß das anfänglich harte und rauhe Benehmen Napoleons und seiner Vertrauten milder und höflicher zu werden beginne, daß Berthier selbst in einer Unterredung mit Hardegg vom Frieden gesprochen habe. Er glaubte jetzt den richtigen Zeitpunkt zum Friedensschlusse gekommen. Nun, da Kaiser Franz noch im Besitze des größeren Theiles der Monarchie sei, mit einem Heere, das vor Kurzem erst die Welt belehrt hatte, daß der Sieg nicht untrennbar an die Fahnen Napoleon’s geknüpft sei, könnten noch vortheilhafte Bedingungen erreicht und auf die Integrität der Monarchie gedrungen werden. Diese Friedenshoffnungen sollten sich noch nicht erfüllen. Es kam zur unglücklichen Schlacht bei Wagram. Große finanzielle Schwierigkeiten erhoben sich wieder. Der Erzherzog präsidirte am 26. Juli einer Berathung über die Frage: ob und wie Oesterreich die übergroßen Ansprüche Napoleon’s befriedigen und die verlangte Kriegscontribution leisten könne. O’Donnel, Pergen, Stahl, Barbier nahmen an der Berathung theil, und konnten sich nicht einigen. R. forderte sie auf schriftliche Gutachten abzugeben und legte diese dem Kaiser mit einem Berichte vor, in welchem er sich der Ansicht zuneigte, daß, wenn der Gedanke die Noten auf den Paricurs zu heben, völlig aufgegeben, Staatsgüter verkauft, inländische Silbergeräthe eingezogen und Ungarn zu angemessener Beitragsleistung herangezogen würde, allenfalls 200 Millionen Francs aufgebracht werden könnten, ohne in Bankerott zu fallen. Er wiederholte noch im October die Mahnung, daß fernerer Widerstand nutzlos sei und betonte abermals die Nothwendigkeit, den Frieden möglichst bald zu schließen. Im October 1809 plädirte er für völlige Befreiung des ungarischen Handels von allen Hindernissen und hoffte von der Förderung des Handelsgeistes die finanzielle Wiederherstellung der Monarchie. Er verband damit den Plan, durch Aufhebung der Zölle den ungarischen Adel zur Beitragsleistung zu den öffentlichen Lasten zu vermögen. Er unterbreitete auch nach dem Friedensschluße dem Kaiser Vorschläge wegen Einsetzung einer Creditcommission, welche unabhängig von der Hofkammer das gesammte Creditwesen leiten sollte. Die scharfe Kritik welche er an den in der Leitung des Finanzwesens maßgebenden Persönlichkeiten übte, schuf ihm manchen Gegner und vermehrte die Zahl und den Eifer jener, welche die Erzherzoge aus dem Vertrauen ihres kaiserlichen Bruders und aus den von ihnen bekleideten activen Posten verdrängen wollten. – Als Kaiser Franz im J. 1815 sich zur Armee begab, übertrug er am 23. Mai seine Vertretung abermals dem Erzherzoge R. und betraute ihn mit der Aufgabe, den Kronprinzen in geeigneter systematischer Weise mit dem Geschäftsgange der obersten Regierungsbehörde vertraut zu machen. In demselben Jahre erhielt R. auch den kaiserlichen Auftrag, die finanziellen Zustände des Herzogthums Parma zu studiren, um seine Nichte, die Kaiserin Marie Luise in diesem für das Land und dessen Regenten so überaus wichtigen Gegenstande mit gutem Rathe unterstützen zu können. Im J. 1816 bereiste Erzherzog R. im kaiserlichen Auftrage die Provinzen des lombardisch-venetianischen Königreiches, um die Verhältnisse und Bedürfnisse seiner Bevölkerung genau kennen zu lernen. Indem er in den einzelnen Delegationen die administrativen Behörden visitirte, in ihre Arbeiten und Geschäftsgebahrung Einsicht nahm, die Schulen, Wohlthätigkeitsanstalten, bedeutenderen Fabriken besuchte, mit den vorzüglicheren [185] Beamten und Lehrern sprach, war ihm kein Weg zu beschwerlich, kein Gebirgsthal zu entlegen, wo etwas wichtiges, bedeutendes für ihn zu sehen war. Einen Aufenthalt in Parma im October 1816 benützte er zum Studium der Administration des Herzogthums, und gewann die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer völligen Reorganisirung der Administration in allen Zweigen, der Entfernung einer Anzahl höherer Beamten und deren Ersetzung durch geeignete Persönlichkeiten. Eine Reise nach Modena und Toscana unterbrach diese Studien. Er begab sich von Florenz nach Bologna, wo er, sowie überhaupt in den Legationen noch viele Anhänglichkeit an Oesterreich fand, und nahm über Reggio wieder seinen Weg nach Parma. Hier kam er dem Auftrage seines Bruders, des Kaisers Franz und den Bitten seiner Nichte, der Kaiserin Maria Luise nach, indem er einen Plan zur Reorganisirung der Administration der Herzogthümer Parma und Piacenza ausarbeitete. Sein Hauptaugenmerk war, wie er selbst in einem Briefe schrieb, darauf gerichtet, Einfachheit und Evidenz in die Verwaltung der Herzogthümer zu bringen, die Administration schneller und thätiger zu machen und eine bündige Controlle bei derselben einzuführen. Nach seinen von Kaiserin Maria Luise unbedenklich genehmigten Vorschlägen traten an die Stelle des ganz selbständig vorgehenden, jeder Controlle sich entziehenden Ministeriums zwei von einander gegenseitig unabhängige Behörden; die Presidenz des Innern und die der Finanzen, welche von ihrem Thun und Lassen der Regentin allmonatlich Rechenschaft abzulegen hatten. Der Erzherzog knüpfte daran weitere Vorschläge zur allgemeinen Organisirung der Unterbehörden und arbeitete die Grundsätze aus, nach welchen in Zukunft die Staatsverwaltung in Parma geleitet werden sollte. Unverweilt wurde zur Ausführung des Planes geschritten. Mehrere der höheren Staatsbeamten wurden ihrer Stellen enthoben und die wichtigsten Posten mit Männern besetzt, welche vermöge ihrer Fähigkeiten und ihres Charakters dazu geeignet schienen und auch „die öffentliche Meinung ganz für sich hatten“. Die Regierungsmaschine fing am Neujahrstage 1817 nach der neuen Organisation zu arbeiten an. Der Erzherzog freute sich, daß nicht nur Alles mit der neuen Anordnung zufrieden schien, sondern auch der Uebergang vom Alten zum Neuen ohne die mindeste Unterbrechung und Stockung vor sich ging. Er wäre gerne noch einige Monate dort geblieben um den Gang der von ihm reorganisirten Administration zu beobachten und rathend und bessernd einzugreifen, aber es rief ihn die wichtigere Pflicht, die unterbrochene Bereisung Lombardo-Veneziens wieder aufzunehmen und zu beendigen. Seine Berichte an den Kaiser sollten Zeugniß ablegen, daß er dem Auftrage, sich genaue Kenntniß von den Zuständen und Bedürfnissen des lombardisch-venezianischen Königreiches zu verschaffen, getreulich nachgekommen sei. Er verlebte den Rest des J. 1816 und das folgende Jahr in und bei Wien, angestrengt thätig, staatsräthliche Rückstände aufarbeitend, Vorschläge zur Verminderung der Geschäfte beim Staatsrathe prüfend und seinen jüngeren Bruder, den Erzherzog Ludwig in die Behandlungsweise der Geschäfte und den Geist der innern Staatsverwaltung praktisch einführend, und stand während der Reise des Kaisers abermals den Regierungsgeschäften vor. Der Kaiser wollte ihm nach seiner Rückkehr einen öffentlichen Beweis seiner Zufriedenheit geben, indem er ihm am 2. December 1817 das Großkreuz des St. Stephans-Ordens verlieh und ihn am 23. December 1817 in Anbetracht der gründlichen Geschäftskenntnisse, welche der Erzherzog durch rastlose Thätigkeit sich erworben hatte, in Rücksicht seiner Talente und infolge des persönlichen besonderen Vertrauens, welches er in ihn setzte, zum Vicekönig des lombardisch-venezianischen Königreiches ernannte. Der Erzherzog begab sich über München und Innsbruck im Mai 1818 nach Mailand. Er fand im Mailändischen geordnetere Verhältnisse vor als im Venezianischen. Die noch [186] unter der Regierung der Kaiserin Maria Theresia trefflich organisirte politische Administration der Lombardei war selbst von den Franzosen im Wesentlichen aufrecht erhalten worden. Im Venezianischen aber hatte die auf Willkür und Spionage begründete Regierung der Republik in gewissem Maße demoralisirend eingewirkt. Die darauf folgenden Bedrückungen durch die Franzosen, welche überdies vieles anfingen und nichts beendeten, hatten viele Unordnung in die Administration gebracht. Der schon zur Zeit der Franzosenherrschaft in Italien aufgetauchte Gedanke der Unabhängigkeit und Einheit Italiens war mit dem Sturze Napoleon’s nicht erloschen und durch die darauf erfolgte politische Gestaltung Italiens unbefriedigt geblieben. Die italienischen Einheitsbestrebungen, von den Städten als Centren ausgehend, verzweigten sich in immer breitere Schichten der Bevölkerung auch Lombardo-Veneziens. Sie fanden namentlich Förderung durch Sardinien, welches bald die führende Rolle übernahm. Schon im J. 1816 war dem Erzherzoge das bei mancher Gelegenheit sich äußernde unfreundliche Benehmen des Hofes von Turin aufgefallen. Er allein machte bei den Verhandlungen des Monte noch Schwierigkeiten und hielt so dieses wichtige, sonst schon ganz vollendete Geschäft auf. Seine Behörden zeigten sich auch im grenznachbarlichen Verkehre nicht sehr willfährig. Der König selbst trug zur Beunruhigung der Gemüther bei, indem Aeußerungen verbreitet wurden, er werde bald Herr der ganzen Lombardei sein, und König von Italien werden. Schwärme von Engländern, größtentheils der Oppositionspartei angehörig, durchstrichen die Lombardei nach allen Seiten. Sie gaben sich überall als unbegrenzte Bewunderer und Verehrer Napoleon’s, predigten fleißig die Unabhängigkeit Italiens und erhitzten die Köpfe der Italiener. Die Schweiz bot den Exilirten ein Asyl und bildete ihren Sammelpunkt, von wo aus sie Proselyten warben. Die Carbonari, Sansedisten, Guelfen gruben ihre Minen. Aus diesen wenigen Andeutungen erhellt schon zur Genüge die Schwierigkeit der Position des österreichischen Erzherzogs-Vicekönigs. Die offen und geheim gehegten Bestrebungen, welche schließlich doch auf Lostrennung österreichischer Provinzen abzielten, ruhig gewähren und wachsen zu lassen, konnte wol von keiner österreichischen Regierung billiger Weise verlangt werden. Die ganze Unpopularität der auf Eindämmung der nationalen Bewegung gerichteten Maßregeln lastete auf dem Vicekönige, dessen Bemühungen um die Verbesserung der Administration und Hebung der materiellen Wohlfahrt des ihm untergebenen Königreiches, so weit es ihm die allerdings enge gezogenen Grenzen der ihm ertheilten Vollmachten gestatteten, zu geringe Anerkennung fanden. Er hatte während seiner frühern Bereisung Lombardo-Veneziens nicht nur bemerkt, daß die Bevölkerung des Königreiches die baldige Ankunft eines Vicekönigs, aber nur eines mit großen Vollmachten ausgerüsteten wünschte. Er hatte sich auch mit anderen Erwartungen und Wünschen der Bewohner des lombardisch-venezianischen Königreichs vertraut gemacht, welche die Aufhebung des Provisoriums, Einrichtung stabiler Behörden für das Justiz- und Cameralwesen, Organisirung der unteren Civilstellen und Ertheilung ordentlicher Instructionen an die Central- und Provinzialcongregationen verlangten und Regulirung des Vermögensstandes der Städte und Gemeinden, welche derselben dringend bedurften, Einführung eines ordentlichen allgemeinen Systems für den öffentlichen Unterricht, Regulirung der gerichtlichen Angelegenheiten und Steuerung der Nothlage und der außerordentlichen Brodtheuerung anstrebten. Der Erzherzog-Vicekönig suchte die Administration in ruhigem gleichmäßigem Gange zu erhalten und war auch auf Verbesserungen bedacht. Er residirte abwechselnd in Mailand und Venedig und bereiste wiederholt alle Provinzen des Königreiches, um sie und die Beamten genauer kennen zu lernen. Er konnte bald berichten, daß Städte und Gemeinde anfingen ihre Schulden zu [187] zahlen und aufzublühen. Sorgfältig überwachte er die Finanzadministration, die Errichtung des neuen Monte, Tilgung der Staatsschulden, Einführung des neuen Münzsystems. Er übersah keineswegs, daß der Handel in Folge der vielfachen Neckereien der Zollverfassung, namentlich für den einst so blühenden Transitohandel stockte, wozu auch das Fortdauern der Zollinie am Mincio und der Grenze gegen die übrigen österreichischen Erbländer beitrug und betonte schon im J. 1821 die dringende Nothwendigkeit einer radicalen Abhülfe. Die Industrie aller Art nahm aber trotz der Handelsstockungen zu und die Einkünfte des Staates stiegen. R. sorgte für Vervollkommmmg des Sanitätswesens und der Unterrichtsanstalten; Normalschulen, Lyceen u. s. w. wurden in den Städten und größeren Orten eingeführt. R. betrieb die raschere Herstellung der Flußdämme und sorgte für systematische Förderung dieses vorhin vernachlässigten und doch gerade für Oberitalien so wichtigen Gegenstandes. Straßen wurden gebaut, die sich den kühnsten Werken dieser Art in Europa würdig anreihten. Von den großen Straßen über die Alpen ward jene über den Splügen schon im J. 1821 ganz vollendet. R. eröffnete Verhandlungen mit den Graubündnern wegen Fortsetzung der Straße, so daß deren Zweck, den Transitohandel durch lombardisches Gebiet zu leiten, erreicht wurde. Mit dem schwierigen Baue der Straße durch den Valtelin über das Stilfser Joch in das Innere von Tirol, ferner der Straße von Roveredo nach Vicenza und endlich jener von Belluno nach Toblach in Tirol, Strecken, welche die Bewunderung der Reisenden erregten, schuf R. ein dauerndes Denkmal der österreichischen Herrschaft. Er wandte seine Aufmerksamkeit aber auch den ihm nicht unmittelbar untergeordneten Zweigen der Staatsverwaltung, wie Justiz- und Militärwesen, zu und theilte seine Beobachtungen darüber dem Wiener Hofe mit. Er und seine Gemahlin wirkten segensreich durch Errichtung und Förderung von gemeinnützigen und wohlthätigen Einrichtungen, Lyceen, Waisen-, Armen- und Krankenanstalten. Die bekannten Ereignisse des Jahres 1848 machten der Wirksamkeit des Vicekönigs ein Ende. Der niederösterreichische Landmarschall Graf Montecuculi, der vermöge der Stellung, welche er früher in Mailand bekleidet hatte, die dortigen Verhältnisse und Geschäfte kannte, wurde am 1. März zum Staatsminister ernannt, mit der Bestimmung dem Erzherzoge R., der sich mit seiner Kanzlei und seinem Hofstaate nach Verona verfügen sollte, beigegeben zu werden. Als die Kunde von den Ereignissen der Wiener Märztage nach Mailand gelangte, brach der lange vorbereitete Aufstand offen aus. R. verließ in der Nacht des 17. März 1848 Mailand, um nie mehr dahin zurückzukehren. Er verlebte den Rest seines Lebens von allen Staatsgeschäften zurückgezogen in Bozen und starb dort nach dreitägiger Krankheit am 16. Januar 1852. Er war seit 28. Mai 1820 mit Maria Elisabeth, Prinzessin von Savoyen-Carignan, geb. am 23. April 1800, einer Tochter des Prinzen Karl von Carignan und Schwester des Königs Karl Albert von Sardinien vermählt, welche am 25. Januar 1853 starb. Acht Kinder entsprossen dieser Ehe. Die ältere der beiden Töchter, die am 6. Februar 1821 geborene Erzherzogin Maria starb unvermählt am 28. Januar 1844. Die am 3. Juli 1822 geborene Erzherzogin Adelheid vermählte sich am 12. April 1842 mit Victor Emanuel, Prinzen von Piemont, späterem Könige von Sardinien und seit 1861 Könige von Italien. Sie starb am 20. Januar 1855. Von den sechs Söhnen des Erzherzogs R. überlebten ihn fünf. Erzherzog Leopold, geb. am 6. Juni 1823, war General-Geniedirector, und bekleidet gleich seinem nächsten Bruder, dem am 8. August 1824 geborenen Erzherzoge Ernst den Rang eines Generals der Cavallerie. Erzherzog Sigismund, geb. am 7. Januar 1826, ist Feldmarschalllieutenant. Der vierte Sohn, Erzherzog Rainer, am 11. Januar 1827 geboren, ist seit 21. Februar 1852 mit der Erzherzogin Maria Karoline, [188] der am 10. September 1825 geborenen zweiten Tochter des Erzherzogs Karl vermählt, wurde im J. 1852 Oberst, später Generalmajor und am 2. Februar 1857 zum Präsidenten des ständigen Reichsrathes und 1860 des verstärkten Reichsrathes, am 4. Februar 1861 zum Ministerpräsidenten ernannt. Er blieb in dieser Stellung, am 9. März 1861 zum Feldmarschalllieutenant befördert, bis zum 22. Juli 1865. Von größeren Reisen nach Frankreich, England, Italien zurückgekehrt, organisirte er seit 1868 die Landwehr. Er war 1873 Präsident der Wiener Weltausstellungscommission, gehört der österreichischen Armee als Generalfeldzeugmeister und Landwehr-Obercommandant an, und ist Curator der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und Protector des Museums für Kunst und Industrie. – Der fünfte Sohn, Erzherzog Heinrich, geb. am 9. Mai 1828, Feldmarschalllieutenant, residirt zu Bozen in Tirol. – Der sechste Sohn, der am 16. Januar 1830 geborene Erzherzog Maximilian, ist schon am 16. März 1839 gestorben.

Nach Originalacten und Correspondenzen mit theilweiser Benutzung der einschlägigen Literatur; namentlich: Wurzbach, Biogr. Lex. 7. Theil. (Wien 1861) Seite 125–127. – Adolf Beer, die Finanzen Oesterreichs im 19. Jahrhundert (Prag 1877). – F. Ritter v. Krones, Zur Geschichte Oesterreichs im Zeitalter der französischen Kriege und der Restauration (Gotha 1886).