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ADB:Riemer, Friedrich Wilhelm

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Artikel „Riemer, Friedrich Wilhelm“ von Julius Wahle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 559–564, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Riemer,_Friedrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 03:40 Uhr UTC)
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Riemer: Friedrich Wilhelm R., geboren am 19. April 1774 zu Glatz als Sohn eines preußischen, aus der Mark stammenden Beamten, wurde wegen frühzeitiger Neigung zur Zeichenkunst dem Geniewesen bestimmt, aber durch Verweigerung der Aufnahme in die Potsdamer Ingenieurschule dem Studium zugeführt, das er in seiner Vaterstadt im Privatunterricht begann und auf der Realschule des Magdalenäums zu Breslau fortsetzte. Er genoß die besondere Gunst des Rectors Manso, der ihn auch von dem Gedanken, zum Zwecke künstlerischer Ausbildung sich nach Berlin zu wenden, abbrachte. 1794 ging er nach Halle, um Theologie und Philologie zu studiren, wurde aber bald durch F. A. Wolf, der sich seiner auch freundschaftlich annahm, ausschließlich für die letztere gewonnen. Die auf Anrathen Wolf’s angetretene akademische Laufbahn – er las als Privatdocent in Halle über griechische Grammatik, Herodian, [560] Lukian, Cicero – mußte er wegen Mangels an Vermögen nach anderthalb Jahren aufgeben, um vorläufig auf den Broterwerb bedacht zu sein. Die in diese Zeit fallenden Anfänge seiner schriftstellerischen Thätigkeit sind unselbständige Uebersetzerarbeiten, darunter „Sainte-Croix Widerlegung des Wolfischen Paradoxons über die Gedichte Homers“ (anonym Leipzig 1798) mit einer anonymen Vorrede Wolf’s. Mit Zustimmung desselben begann er, ohne specielle Vorstudien, einen Auszug aus J. G. Schneider’s 1797 f. erschienenem griechisch-deutschen Wörterbuch. Die qualvolle Arbeit setzte er in Tegel im Familienkreise W. v. Humboldt’s fort, dem er auf Wolf’s Empfehlung als Hauslehrer seit Ende 1801 angehörte. Das auf Schätzung seines Charakters und seiner Tüchtigkeit begründete Verhältniß zu diesen beiden durch gleiche wissenschaftliche Bestrebungen und durch persönliche Freundschaft so eng verbundenen Männern, das auch in der Folgezeit ein freundschaftliches blieb, war für ihn eine hohe geistige Schule und eine würdige Vorbereitung für seine nachmalige Stellung in Goethe’s Haus. Humboldt folgte er auch im September 1802 nach Italien, als dieser den Gesandtschaftsposten an den Höfen von Mailand, Rom und Neapel antrat. Nach mehreren glücklichen Monaten in Rom sah er sich, um die unterdessen stockende Arbeit am Wörterbuch – am zweiten Bande war in ungenügender Weise eine Hülfskraft thätig gewesen – wieder in Gang zu bringen, zur Rückkehr genöthigt und schloß sich Juli 1803 seinem römischen Freunde Fernow an, als dieser einem Rufe nach Jena folgte. Den am 3. Septbr. in Weimar Angekommenen nahm Goethe wenige Tage darauf als Lehrer für seinen damals vierzehnjährigen Sohn August ins Haus. Hier vollendete er die wider Willen übernommene Arbeit am Wörterbuch, zu der er sich selbst jegliches Talent absprach (1. Aufl. 1802–1804, 2. 1815 f., 3. 1819 f., 4. 1823 und 1825). In den Vorreden zu den verschiedenen, zumeist unter ebenso ungünstigen Verhältnissen wie die erste zustande gekommenen Auflagen, in denen er sich von seiner Grundlage immer freier macht, klagt er, polternde Auseinandersetzungen mit seinen Fachgenossen einflechtend und hier und da Goethische Ideen umschreibend – z. B. gegen die Sprachreinigung (Goethe an Riemer 30./VI. 1813, vgl. Briefe von und an Goethe S. 199 f.) – über den Mangel einer methodischen griechischen Grammatik (Wolf an Riemer, Briefe S. 248 f.), und richtet als ein Schüler der Hemsterhuis’schen Lehre sein Augenmerk auf die Gesetze der Analogie und entsprechend der Grundrichtung seines philologischen Talentes auf die Etymologie. W. v. Humboldt’s und F. A. Wolf’s lobende Urtheile (Briefe S. 244, 248 f., 251) sind werthvoll als Schätzung durch zeitgenössische Sprachgelehrte. (Vgl. auch Bursian, Gesch. d. class. Philol. in Deutschl. 1, 509.) Goethe persönlich war er „als gewandter Kenner der alten Sprachen höchlich willkommen“ (Annalen 1803), und er wurde Goethe’s antiquarischer Beirath als Nachfolger des 1804 nach Dresden abgehenden Böttiger (Schiller an Goethe 14./XII. 1803). Goethe’s bisherige Secretäre waren mehr oder weniger bloße Schreiber gewesen; mit R. trat ein Gelehrter in seinen Dienst und zwar als wissenschaftlicher Helfer und Mitarbeiter. Der Lehrer seines Sohnes wurde bald der Theilnehmer seiner eigenen wissenschaftlichen und ästhetischen Thätigkeit; und dies nicht bloß auf dem Gebiete der Philologie und Alterthumskunde, sondern auch auf dem ihm ferner liegenden der Naturwissenschaften, so der Geologie, Osteologie und besonders der Optik. Goethe selbst hat in Briefen und in seinen autobiographischen Schriften rühmend und dankend davon Zeugniß gegeben. R. hat für Goethe’s Arbeiten Materialien gesammelt und hauptsächlich massenweise Excerpte aus den antiken Schriftstellern zusammengetragen; wie denn der lexikalische Abschnitt „Farbenbenennungen der Griechen und Römer“ und der sprachwissenschaftliche „Der Ausdruck Trüb“ im historischen Theil der Farbenlehre von ihm herrühren. (So auch Personen- und [561] Sachregister der Bände „Zur Farbenlehre“.) Der Optik brachte er auch selbstständiges Interesse entgegen, Sinn und Talent für Zeichnen und Malen veranlaßten ihn zu eigenen Versuchen, und so schrieb er auf Grund derselben, bald aphoristisch, bald ausführlicher, seine Gedanken darüber nieder – das Goethearchiv bewahrt unter Goethe’s Materialien viele derartige Riemer’sche Papiere und Zeichnungen – ja sogar zur scheinbaren Zufriedenheit Goethe’s einen (verloren gegangen) Aufsatz über die paroptischen Farben (Briefe S. 181, Mittheilungen 2, 564). R. war für Goethe als Helfer seiner weiten und breiten Studien bald wichtiger geworden wie als Lehrer seines Sohnes, und als dieser 1808 zur Universität abging, blieb R. in ersterer Eigenschaft in Goethe’s Haus bis Ostern 1812, wo er als Professor am Weimarischen Gymnasium angestellt wurde. R. selbst hat diese neun Jahre fast täglichen Verkehrs – er begleitete Goethe auch auf Reisen und war während dieser Zeit fünf Mal mit ihm in Karlsbad – zu den schönsten und werthvollsten seines Lebens gerechnet. Wie Goethe ihn zu sich emporhob, ihn an seiner weitverzweigten Gedankenarbeit theilnehmen ließ, ihn in seine poetischen und wissenschaftlichen Pläne einweihte (vgl. auch Goethe an W. v. Humboldt 18./VI. 1821, 22./VII. 1823, 1./XII. 1831, 17./III. 1832), aber auch dem Geringeren Anregung, Förderung und thatkräftige Hülfe bot und von dessen Talent und Wissen zu seinen Zwecken dankbar Nutzen zog, ersah man früher aus seinen Briefen an ihn, sowie aus Riemer’s „Mittheilungen“, jetzt am besten aus dessen erst kürzlich bekannt gewordenen Tagebüchern, zu deren Führung ihn wie so viele aus seiner Umgebung gewiß Goethe angeregt hat. Die bisherige Publication derselben hat allerdings nur das auf Goethe bezügliche, und dies auch zeitlich beschränkt, herausgehoben, aber sie zeigt zur Genüge, was beide Männer einander waren. Das persönliche Verhältniß war im großen Ganzen, obwol R. doch vielfach Schreiber- und Handlangerdienste verrichten mußte, und seinem unzufriedenen, reizbaren Wesen dies nicht immer behagen mochte, ein gutes und annehmliches. Goethe schätzte sein Talent und Wissen, sprach ihm aber (Unterhaltungen mit Kanzler Müller S. 50) eigentliche Charakterstärke ab. Nur von einer einzigen persönlichen Reibung ist etwas bekannt (Mai 1809, vgl. Goethe-Jahrbuch 1, 242 f.), die aber durch Goethe’s Tact und würdevolle Energie sofort beigelegt wurde. In späteren Jahren hat das schlechte Verhältniß zu August seit 1816 (vgl. Goethe-Jahrbuch 2, 279 f.) auch eine zeitweilige Trübung der Beziehung zu Goethe im Gefolge gehabt. Besonders wichtige Dienste leistete R. Goethe bei der Correctur der Werke; aber er war auch hier nicht bloß Corrector des Druckes, sondern Goethe ging mit ihm besprechend die Manuscripte durch – wobei der gewandt, an Worten und Wendungen reiche Stilist oft guten Rath geben konnte (Eckermann6 1, 134) – und überließ sie ihm, wie bei der Ausgabe letzter Hand Göttling, mit weitgehender Freiheit nicht allein in Sachen der Orthographie und Interpunction, sondern auch des Stils (vgl. Briefe S. 194 f., 202 f., 228). So hat er die Wahlverwandtschaften und Wanderjahre (Goethe-Jahrbuch 1, 243), die Annalen und Dichtung und Wahrheit, zu welch’ letzterem er den Titel angegeben hat (Mittheil. 1, 397), die Italienische Reise – von R. ist auch die Uebersetzung der Ovidischen Schlußverse (Briefe S. 230 f.) – ganz oder theilweise, im Manuscript oder im Druck durchgesehen. Er war Goethe’s einziger Helfer bei der ersten und zweiten Cottaischen Gesammtausgabe (1806 ff. und 1815 ff.), und mit Eckermann und Göttling thätig an der Ausgabe letzter Hand. Nach Goethe’s Tode gab er mit Eckermann in den 20 Schlußbänden dieser Ausgabe den Nachlaß heraus, den er – mit Ausschluß des wissenschaftlichen Theils – nebenher für die gleichfalls mit Eckermann besorgte, sogenannte [562] Quartausgabe (1836 f.) verwerthete. Auch an der Verfertigung des Inhalts- und Namensverzeichnisses für die Ausgabe letzter Hand war er betheiligt. Schon in der ersten Cottaischen Ausgabe hat er von der ihm ertheilten Freiheit vielfach tadelnswerthen Gebrauch gemacht; doch die stärksten Vorwürfe der Ungenauigkeit, Willkür und Kritiklosigkeit in Anordnung und Textbehandlung treffen R., den „Philologen“, als Herausgeber des Nachlasses, wenn diese Bände auch für die erste Möglichkeit eines Gesammturtheils über den Todten höchst Werthvolles enthalten. Jetzt sind z. B. zahlreiche Aenderungen des Fausttextes (2. Theil) von Erich Schmidt im 15. Bande der Weimarischen Goetheausgabe auf Grund der Handschriften berichtigt. Wichtig ist die Quartausgabe durch die auf Grund der Tagebücher von R. und Eckermann verfertigte „Chronologie der Entstehung Goethischer Schriften“ und die Datirung vieler Gedichte aus den Tagebüchern. Gleich unphilologisch verfuhr R. als Herausgeber auch in den „Briefen von und an Goethe. Desgleichen Aphorismen und Brocardica“ (Leipzig 1846), einer in vielen Beziehungen werthvollen Ergänzung der Goethischen Briefwechsel. Besonders die sehr lückenhafte und ungenaue Mittheilung von Goethe’s Briefen an Meyer (vgl. Goethe-Jahrbuch 3, 234 f.; 4, 164 f.; 5, 23) legt das Vorurtheil nahe, daß auch die Correspondenz mit Zelter (Berlin 1833 f.), zu deren Herausgabe Goethe R. noch bei Lebzeiten auserkoren hatte (an Zelter 29./I. u. 19./II. 1831), derselben Mängel nicht gänzlich baar sein dürfte (vgl. auch an Zelter 3./I. 1832). Das persönliche Element, das diesen Veröffentlichungen innewohnt, tritt am stärksten zu Tage in den „Mittheilungen über Goethe. Aus mündlichen und schriftlichen, gedruckten und ungedruckten Quellen“ (Berlin 1841, 2 Bde.). Persönliche Erinnerungen, Kenntniß von ungedruckten Briefen und Tagebüchern, genaueste Bekanntschaft mit Goethe’s Werken, Aufzeichnungen seiner im Gespräche gemachten Aeußerungen, sowie die Führung eines Tagebuches kamen diesem ersten Versuch einer Gesammtdarstellung Goethe’s zu statten. Er will keine Entwicklungsgeschichte geben, keine Leben und Wirken einheitlich gestaltende Biographie; sondern es werden nach äußerlichen Eintheilungsgründen – Persönlichkeit, Gesundheit, Thätigkeit, Eigenheiten u. s. w. – einzelne Züge seines Charakters an Aussprüchen und Handlungen aufgezeigt und das Biographische, aber nur für einige Weimarer Jahre, mehr äußerlich und anekdotenhaft abgethan, wobei zumeist Goethe selbst in Briefen und Tagebüchern das Wort führt. Diesen Mängeln der Composition, theilweise entschuldbar durch das Fehlen geeigneter Vorarbeiten, stehen starke Mängel der Darstellung zur Seite: erdrückendes Aufspeichern pedantischer Gelehrsamkeit in Citaten aus antiken und modernen Schriftstellern, störendes Aneinanderreihen von Goethischen Parallelstellen, unleidliche Häufung von unnöthigen und schwer verständlichen Fremdwörtern, Schwerflüssigkeit des Stils, vollständige Unfähigkeit objectiver Beurtheilung und körperlicher Gestaltung – Mängel, welche durch die starke innere Wärme, die begeisterte Hingabe an Goethe nicht verdeckt werden, und welche heutigen Lesern das Werk ebenso unverdaulich machen, als es heftige, oft ungerechte Polemik, kampflustiges Aushauen nach allen Seiten, starke subjective Gereiztheit des Tons, und vor allem eine engherzige, falsche Beurtheilung anderer Größen neben Goethe – insbesondere Schiller’s – unerquicklich machen. Doch ist vorsichtige und kritische Benützung der „Mittheilungen“, weil aus directem Verkehr mit Goethe hervorgegangen, viele Details zur Entstehungsgeschichte und Erklärung einzelner Werke enthaltend und aus nunmehr versiegten Quellen schöpfend, auch für die heutige Wissenschaft unerläßlich. (Das Urtheil eines Zeitgenossen s. Erinnerungen und Leben der Malerin Luise Seidler2 S. 365.) Kleinere Aufsätze in Goethe’s Zeitschrift „Kunst und [563] Alterthum“ („Freundes Gutachten“ III, 3, 52 ff., „Deutscher Natur-Dichter“ IV, 2, 84 ff., „Einiges zur Geschichte des Uebersetzens“ VI, 3, 574 ff.) haben keinen originalen Werth: Goethischen Ausführungen sich anschließend oder durch Goethe angeregt, zeigen sie das geistige Gepräge dieses ihres Vorbildes. Zwei Aufsätze „Goethe am Hofe zu Weimar“ und „Goethes Schreiben von der Theaterleitung“ in „Berühmte Schriftsteller der Deutschen“ 1, 11 ff. sind belanglos. Er gab ferner nach Meyer’s Tode den 3. Theil von dessen Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen und Römern „Zeit ihres Abnehmens“ heraus (Dresden 1836) und versah ihn mit einer kurzen Vorrede, die den Gang von Meyer’s Studien knapp skizzirte. Auch als Dichter trat R. hervor. Sein Talent war zumeist ein formales, geschult an den Classikern. So schätzt der „Uebersetzer“ Knebel seine Einsicht und seinen Rath (Briefwechsel zwischen Goethe und Knebel I, 269 f., 313); Goethe selbst benützt ihn auch dichterisch als formgewandten Helfer besonders in metrischen Nöthen, sei es, daß er ihm die Abtheilung der rhythmischen Prosa des „Elpenor“ in Verse überträgt (Mitth. 2, 625), sei es, daß er ihn für „Pandora“ um metrischen Rath angeht (Briefe S. 182), oder ihm sogar, wie in dem Festspiele zur Eröffnung des Theaters in Halle „Was wir bringen“ (1814) die poetische Ausführung eines Planes anvertraut (Annalen 1814, Hempel 11, 1, 366 ff.). An der Bearbeitung von „Romeo und Julie“ war R., wie Goethe behauptet (Analen 1811, Hempel 27, 198), nicht betheiligt (vgl. Biedermann’s Anmerkung). Dagegen hat er mit Einsiedel Calderon’s „Leben ein Traum“ übersetzt und für die Weimarische Bühne bearbeitet (Analen 1811, Goethe an Frau v. Humboldt 7./IV. 1812, an Zelter 8./IV. 1812, Einsiedel an R., Briefe S. 253), wo diese Bearbeitung in den Jahren 1812, 1813, 1814, 1816, 1817 und noch 1832 gegeben wurde (vgl. auch Böttiger, Litt. Zustände und Zeitgenossen 2, 237). Mit Wolff plante er 1812 eine Faustaufführung und eine Neubearbeitung des Egmont (Annalen 1812, Mitth. 2, 551). Zwei Gedichtsammlungen („Blumen und Blätter von Silvio Romano“, 2 Bde., Leipzig 1816 u. 1819; „Gedichte von Friedrich Wilhelm Riemer“, 2 Bde., Jena 1826) geben Zeugniß von seinem dichterischen Bemühen. So nahe es liegt, in ihnen Goethe’s Einfluß zu suchen, wird man doch kaum mehr finden als Aneignung gewisser äußerlicher Sprachmittel und Formen. Seine Poesie quillt nicht aus einem vollen Herzen, sondern ist die achtungswerthe Verstandesarbeit einer gereiften Einsicht, einer hohen Bildung und eines feinen Formsinnes. Auch hier guckt das Lehrhafte seiner Natur durch in gelehrten Anspielungen, in antiker Mythologie, in Fremdwörtern und überkühnen Sprachbildungen. Viel Gelegenheitspoesie zu festlichen Anlässen in der fürstlichen Familie, zu Maskenzügen – wie Goethe –, auf hervorragende Personen des Weimarischen Kreises, worunter natürlich Goethe obenan. Von der 1807 f. in Jena grassirenden „Sonettenwuth“ (Mitth. 1, 35; 2, 596) war auch er ergriffen – aber ohne „Raserei der Liebe“, und so hetzt er die Sonettenform, die in seinen Gedichten überwiegt, zu Tode. Ihnen fehlt vor allem Einfachheit und Natur echter Lyrik, doch ist ihm hie und da auch ein einfacher Ton gelungen, wie denn sein Trinklied „Ergo bibamus“ Anregung und Grundform zu Goethe’s gleichnamigem Liede gegeben hat. Auch als Uebersetzer versucht er sich. – Neben der Lehrstelle am Gymnasium – Goethe verlor ihn ungern aus seinem Hause (an Knebel 25./III. 1812, an Frau v. Humboldt 7./IV. 1812, an Zelter 8./IV. 1812) – erhielt er 1814 auch die Stelle eines zweiten Bibliothekars an der großherzoglichen Bibliothek (vgl. Goethe’s Briefe an Voigt S. 326) und heirathete 1814 Karoline Ulrich, die langjährige Hausgenossin (seit 1809) und Freundin von Goethe’s Frau; beiden hatte sie auch Secretärdienste geleistet. (Auf sie das Gedicht Hempel 3, 352; vgl. über sie Luise Seidler a. a. D. S. 53.) [564] Erstere gering besoldete und sehr anstrengende Stellung gab er 1820 auf. Goethe that alles mögliche, um ihn für Weimar und sich zu erhalten (Brief an v. Müller 8./V. 1820, Gegenwart 16. Juni 1877) und unterstützte ihn aus eigenen Mitteln. 1831 wurde er Hofrath, 1837 Oberbiliothekar, 1841 geheimer Hofrath, † am 19. December 1845.

K. G. Nowak, Schlesisches Schriftsteller-Lexikon, 3. Heft, Breslau 1838, S. 125–130, offenbar von R. selbst verfaßt, wörtlich übergegangen in F. v. Biedenfeld, Weimar. Ein Führer für Fremde und Einheimische. Weimar 1841, S. 291–297 und in „Neuer Nekrolog der Deutschen“, 23. Jahrg. 2. Theil, Weimar 1847, S. 972–977. – Goedeke 3, 1203 f. – Strehlke, Goethe’s Briefe 2, 90 ff. – Der theilweisen Veröffentlichung von Riemer’s Tagebüchern durch Robert Keil (Deutsche Revue 1886: Januar, Mai, October, 1887: Januar, Februar, März, Juli, October) soll eine vollständige Ausgabe mit biographischer Einleitung von demselben Verfasser folgen.