ADB:Schenkendorff, Max von
Schenkendorf: Gottlob Ferdinand Maximilian Gottfried v. S., Dichter, ältester Sohn des späteren Kriegsrathes und Gutsbesitzers Georg v. S. und seiner Gemahlin geb. Karrius, geboren am 11. December 1783 zu Tilsit. Sein Bruder Karl, geboren am 24. Juni 1785, starb als preußischer Hauptmann zu Hirschberg im Riesengebirge an Wunden, die er wenige Tage vorher in der Schlacht bei Bautzen empfangen hatte. Er war Ritter des Eisernen Kreuzes, des Ordens pour le mérite und des Wladimirordens. Eine Schwester, Karoline Ludovica Euphrosyne, geboren am 5. November 1789, starb in ihren Kinderjahren. Die Eltern lebten viel getrennt, der Vater auf dem Gute Lenkonischken bei Tilsit, die Mutter in Königsberg oder auf einem zweiten Gute Nesselbeck dicht bei dieser Stadt. Der Vater trachtete darnach, durch neue Einrichtungen die Erträge seines Besitzes zu vermehren und sich als vortrefflichen Landwirth zu bewähren. Aber manche seiner Neuerungen verursachten bedeutenden Kostenaufwand, der unnütz vergeudet wurde. In seinem Wesen war er heftig und unruhig und scheint auch seinen Kindern, oder wenigstens dem ältesten Sohne nur ein geringes Maß von Herzlichkeit bewiesen zu haben. Die Mutter, welcher der älteste Sohn ähnlicher gewesen sein soll, war durch ihre Sonderbarkeiten in Königsberg berüchtigt. Sie machte vielfach den Tag zur Nacht und trat oft erst Nachmittags gegen 5 Uhr aus ihrem Schlafzimmer hervor. Stolz und Leutseligkeit waren auf das seltsamste in ihrem Wesen gemischt. Den regen Sinn für die schöne und erhabene Natur und das phantastische Schwelgen in Gefühlen scheint der Dichter von der Mutter überkommen zu haben, obgleich auch er sich gerade in ihr Empfinden nicht einzuleben vermochte und bei aller Pietät der eigenen Mutter fremder blieb als manchen Frauen, die er später als mütterliche Freundinnen verehrte.
Ueber die Kindheit Schenkendorf’s wissen wir nichts. Schon im Alter von fünfzehn Jahren bezog er die Universität Königsberg, nachdem er vorher vermuthlich [75] durch einen Hofmeister im Hause der Mutter unterrichtet worden war. Daheim als Knabe karg gehalten, genoß er nun die studentische Freiheit in vollen Zügen, und wenn er sich auch an ernste und strebsame Jünglinge anschloß und keineswegs ausschweifend lebte, so überschritt er doch in seinen Ausgaben die ihm spärlich zugemessene Summe. Die Eltern ließen ihn Jahre hindurch gewähren, als aber sein wissenschaftlicher Eifer für das juristische Berufsfach ihnen auch nicht genügen konnte, bestimmten sie, daß er die Universität verlasse und übergaben ihn 1802 der Führung und Ueberwachung eines Geistlichen im Kirchdorfe Schmauch, unfern von Pr. Holland im Oberlande, dem späteren Königsberger Archivdirector Dr. Ernst Hennig, der damals Söhne aus angesehenen Familien in Pflege und Kost nahm und ihre wissenschaftliche Fortbildung leiten und überwachen wollte. Schenkendorf’s Eltern hofften wohl, daß der Sohn in der Einsamkeit des Dorfes schon aus Langeweile eifriger arbeiten und den Hang zur Verschwendung aus Mangel an Gelegenheit aufgeben werde. Und diese Erwartungen scheinen auch nicht getäuscht worden zu sein. Wenigstens kehrte S. nach zwei Jahren entschieden reifer zur Universität zurück. Aber Hennig selbst hatte keinen Einfluß auf seinen Zögling gewonnen, der freilich unmuthig genug bei ihm eingekehrt sein mochte. Allein der vertraute Umgang mit der Natur und ein reger Verkehr in den Häusern des Erzpriesters Wedeke in Hermsdorf und seines Patrones des Grafen Dohna, Erbherrn von Karwinden und Schlodien, und der Grafen von Kanitz auf Podangen brachten dem empfänglichen Sinn Schenkendorf’s reiche Anregung und unvergängliche Eindrücke. Nach seinem Scheiden schrieb er: „Ist es mir doch, als wenn ich aus dem väterlichen Hause hinausgestoßen wäre in die Fremde. Im Oberlande ist meine Heimath, da fand ich Verwandte, nicht Verwandte des Bluts – verrinnt Blut nicht im Sande des Grabes? – eine Verwandtschaft des Geistes, die übers Grab hinaus, an keinen Körper gefesselt, währt und reicht für die Ewigkeit.“ Was Schleiermacher von seinem Verkehr in denselben Kreisen rühmte, daß ihm erst hier der Sinn für die Frauen aufgegangen sei und er nur durch die Kenntniß des weiblichen Gemüths die des wahren menschlichen Werthes gewonnen habe, das gilt in gleichem Maße für S. Dichtungen Schenkendorf’s aus dieser Zeit liegen nicht vor, wohl aber ein bemerkenswerther prosaischer Aufsatz, der in dem Freimüthigen, Berlinische Zeitung für gebildete unbefangene Leser (Freitag, den 26. August 1803, Beilage 3) unter der Chiffre F. v. Sch. erschien. S. eifert hier in beredten Worten gegen den Vandalismus der Umwandlung des altehrwürdigen Marienburger Schlosses in ein militärisches Mehlmagazin. Die Anregung zu dem Besuche des Schlosses und zu der Verehrung der historischen Denkmäler hatte er sicherlich von Wedeke erhalten, der gerade damals seine „Bemerkungen auf einer Reise durch Preußen“ herausgab, um durch Hervorhebung der vaterländischen Merkwürdigkeiten die Liebe zur Heimath im Volke zu verbreiten. Auch über das Wesen der deutschen Reichsverfassung und besonders über die Einrichtungen der deutschen Reichsstädte empfing er von Wedeke zuerst nähere Aufklärung, der in schwärmerischer Begeisterung halbe Nächte davon erzählen konnte und in dem romantischen Sinne seines jungen Freundes und Verehrers den lebhaftesten Widerhall erweckte. So ist es begreiflich, daß S. vom Oberlande ohne Reue und Bitterkeit, ja mit regem Dankgefühl schied, obwohl sich der Verkehr mit seinem bestellten Mentor Hennig immer unerquicklicher für ihn gestaltet hatte und schließlich zu einem offenen Bruche führte. S. sehnte sich allmählich doch wieder zu den gleichaltrigen Freunden in Königsberg zurück und theilte ihnen seine Sehnsucht mit. Die Freunde redeten ihm zur Rückkehr eifrig zu und rechneten ihm vor, daß er, falls die Eltern ihm keine Unterstützung zur Fortsetzung des Studiums geben würden, eine Zeitlang wohl durch ihre Hülfe [76] in Königsberg würde leben können. Aber sie versprachen mehr, als sie zu leisten vermochten, und S. mußte sich wieder bittend an seine Eltern wenden. Der Vater wies ihn schroff ab und sprach einen Fluch aus, wenn er ihm zum Studentenleben wieder Geld gebe. Und als er später sich versöhnlicher zeigte, wollte die Mutter nicht zugeben, daß der Sohn den Vater umzustimmen versuchte, da „auf einmal verfluchtem Gelde kein Segen ruhe.“ Sie selbst ging dagegen auf die Bitten öes Sohnes ein, aber unter so peinlichen Bedingungen und Vorsichtsmaßregeln, daß dieser am liebsten seinen Plan wieder aufgegeben hätte. Nach Hennig’s Berichten über S. glaubte die Mutter, daß zwischen beiden heftige Auftritte vorgefallen sein müßten und verlangte, der Sohn solle sich ein Verzeihungsdocument erbitten. S. fügte sich mit schwerem Herzen und erbat die Bescheinigung, daß derartige Zerwürfnisse nicht stattgehabt hätten. Der Geistliche entließ ihn unter Thränen und Küssen und gab ihm einen verschlossenen Brief an die Mutter mit; in diesem aber sprach er von seinem ungerathenen Pflegling, den er so entlarven wollte, daß die Eltern ihn in seiner Blöße erkennen sollten. Die Mutter selbst bezeichnete das Schreiben als einen Uriasbrief, aber es mag sie doch zu dem Schritte veranlaßt haben, den der Sohn als eine unverdiente öffentliche Beschimpfung empfand. Sie stellte ihn unter die Aufsicht eines Verwandten, des Justizcommissarius Wannovius, der im Intelligenzblatt die Anzeige erließ, daß der Studiosus F. M. v. Schenkendorf in Abwesenheit seiner beiden Eltern seiner Curatel übergeben sei und er alle Ausgaben desselben nach dem ihm gemachten Etat reguliren werde. Traurig und niedergedrückt schrieb S. an Wedeke über diese Erklärung: „Ich habe sie nicht gelesen und mag sie nicht lesen, mein Vater soll auch nichts davon erfahren. Aber tief schmerzt es mich, gerade jetzt – nie war ich so gut als im letzten Jahre – eine solche Aufmunterung zu erhalten. Ich erfuhr es erst, als keine Abänderung mehr möglich war. Oeffentlich bin ich beschimpft.“ Und sein Etat war so knapp, daß er meinte, er müsse enger in den Heften schreiben und die Kleider mehr schonen, sonst könne er sich keine Semmel mehr kaufen und keinen Brief auf die Post geben.
Die Freunde nahmen S. freundlich auf, das fühlte er wohl. Aber er war ein anderer in seiner Einsamkeit geworden, und der Dichter träumte gern. Die Freunde aber wollten vernünftig sein: „Ihr Gott ist die reine Vernunft. Die kalte Vernunft bringt den Nutzteufel hervor, und der – der soll bei mir nie Wohnung nehmen.“ Aber er folgte doch ihren Mahnungen, durch Ablegung des Examens sich möglichst bald der drückenden Bevormundung zu entledigen und arbeitete fleißig, bis er im Mai 1805 die Universität verließ, um, wie es zur cameralistischen Ausbildung damals erforderlich war, noch ein Jahr hindurch sich auf einem Domänenamte aufzuhalten. Der Freundeskreis rief ihm in einem gedruckten Abschiedsgedicht mit der Versicherung, daß er ewig in ihrem Bunde fortleben werde, die Worte zu: Geduld und Muth!
S. siedelte, wie es scheint, noch im Sommer 1805 nach Waldau zu dem Amtsrath Werner über, in dessen Hause er sich bald heimisch fühlte. Störend empfand er nur die Nähe des Gutes seiner Mutter. Die wöchentlichen Besuche bei ihr, die er auch von Königsberg aus regelmäßig abgestattet hatte, brachten ihn immer aus seiner sonst glücklichen Stimmung heraus. Schon in Königsberg hatte er das Gefühl nicht unterdrücken können, daß er zu etwas Besserem als zum Cameralisten geboren sei, und sorgte nur, daß die heilige Gluth nicht erlösche. In Waldau schürte er die Gluth und dichtete fleißig in der idyllischen Stille seiner „Hütte“, angeregt und aufgemuntert durch die lebhafte Theilnahme der gebildeten Amtsräthin. Auch las er jetzt noch eifriger als früher die Classiker Klopstock, Goethe und Schiller, an deren Dichtungen auch manche seiner späteren [77] Lieder anklingen, und nachdem er hier den Wallenstein gelesen, unterzeichnete er fortan sich Max v. Sch., während er in der Familie Ferdinand gerufen worden war. Aber das wichtigste Ereigniß in dieser Zeit war, daß er seine künftige Gattin, die Frau Elisabeth Barckley, geb. Dittrich, bei ihrem flüchtigen Besuche in Waldau kennen lernte, eine sanfte, freundliche, fromme, verständige Hausfrau, die mit allen Reizen äußerer und innerer Schönheit und echt weiblicher Würde ausgestattet war. Sie galt dem Dichter hinfort als „seines Geistes holde Braut“, an welche sich viele seiner Gedichte richteten, namentlich nachdem sich ihr Gatte nach mehrjähriger Schwermuth 1808 oder 1809 das Leben genommen hatte.
Im Herbst 1806 kehrte S. nach Königsberg zurück und bestand seine Kammerreferendar-Prüfung am 8. November. Im Hause des Landhofmeisters von Auerswald, der im königlichen Schlosse wohnte, und in der Barckley’schen Familie fand er die freundlichste Aufnahme und trat namentlich zu den Frauen in nahe Beziehungen. Frau v. Auerswald war eine geb. Gräfin v. Dohna-Lauck und eine Schülerin des Erzpriesters Wedeke, und schon von Waldau aus war S. ihr bestens empfohlen. Der Dichter verehrte sie als seine mütterliche Freundin und nahm später – wie es scheint 1808 – gern ihr Anerbieten an, zeitweise in ihr Haus zu ziehen, um im Umgange mit den Kindern und in der Uebernahme mancher kleiner Besorgungen und Aufträge der Hausfrau hülfreich zur Seite zu stehen. Fast kein Familienfest wurde gefeiert ohne kleine Aufführungen, zu denen S. die Verse lieferte, und der Dichter lernte in dem geselligen Hause die Welt kennen und gewann die Bekanntschaft bezw. Freundschaft einer großen Zahl einflußreicher und angesehener Menschen. Verkehrte doch selbst die königliche Familie während ihres Aufenthalts in Königsberg viel und gern bei dem Landhofmeister, dessen Wohnung im Schlosse unmittelbar an die königlichen Zimmer sich anschloß. Hier sah auch S. wiederholt die von ihm hochverehrte und mehrfach dichterisch verherrlichte Königin Luise.
Schon in seinen Studienjahren hatte S. mit dem Freiherrn F. v. Schrötter einen poetischen Männerbund, „Blumenkranz des baltischen Meeres“ genannt, gestiftet, welcher aus zwölf Mitgliedern bestand, die sich aus Adeligen und Bürgerlichen, Officieren und Civilbeamten zusammensetzten. Auch Juden und Schauspieler wurden aufgenommen. Wöchentlich versammelte sich der Bund in der Wohnung der einzelnen Mitglieder, wo nach einem oder mehreren Vorträgen bei einem einfachen Mahle offen und lebhaft über Philosophie, Religion und Künste gesprochen und gestritten wurde. Auch Achim v. Arnim wurde in diesen Kreis aufgenommen, der im J. 1809 feierlich unter Abfassung einer Urkunde erneuert wurde, mit der Bestimmung, daß auch an anderen Orten, zunächst in Berlin, Töchterlogen begründet werden sollten. Dem Tugendbunde soll S., so sehr er den Grundgedanken desselben gebilligt haben wird, nicht beigetreten sein, weil er glaubte, in größeren Vereinen leicht von dem eigenen Standpunkt abgedrängt zu werden.
Vom Jahre 1806 ab dichtete S. eifriger; von nachweislich früheren Dichtungen finde ich nur aus dem Jahre 1805 ein in Gemeinschaft mit Fortunat v. Rzetkowzky dem Freunde Ewald bei seinem Abgange von der Universität gewidmetes Abschiedsgedicht „Das Jugendgefühl“ und ein Gedicht an seine Freundin Luise Collins bei ihrer Vermählung mit dem Kriegs- und Domänenrath Müller erwähnt. Schon 1807 vereinigte er sich aber mit Ferdinand v. Schrötter zur Herausgabe einer Zeitschrift: „Vesta. Für Freunde der Wissenschaft und Kunst.“ Königsberg 1807. Gedruckt bei Heinrich Degen. Erschienen sind zwei Bände zu je drei Monatsheften, Juni bis November, im Verlage der „Redacteurs“, welche monatlich ein Heft von wenigstens vier Bogen gegen einen Pränumerationspreis [78] des Jahrgangs von zwölf Gulden in Preußen, von achtzehn Gulden für das Ausland versprachen. Der Kostenüberschuß sollte unter Familienarme zweckmäßig vertheilt werden, „welchen ihr Zartgefühl, öffentlich den Beistand Fremder anzusprechen, verbietet“. Die Zeitschrift gehört jetzt zu den bibliothekarischen Seltenheiten. Ihre Fortsetzung soll auf kaiserlich französischen Befehl verhindert worden sein. Schon im nächsten Jahre tritt der junge Dichter, diesmal allein, als Herausgeber einer neuen Zeitschrift auf: „Studien. Erstes Heft. Herausgegeben zur Unterstützung der abgebrannten Stadt Heiligenbeil in Ostpreußen. Berlin 1808. Gedruckt auf Kosten des Herausgebers.“ Das Motto lautet: „Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, gebe ich.“ Das Heft zählt 122 Seiten und die fünf Musikbeilagen 12 Seiten. Während in den Heften der Vesta sich nur drei Beiträge Schenkendorf’s finden, tritt der Herausgeber in den Studien mit mehr als zwanzig Gedichten und Prosastücken hervor. Ein zweites Heft ist nicht erschienen.
Schon im J. 1807 hatte S. einen unangenehmen Auftritt mit einer kurzen Gefangenschaft zu büßen. Er war als Referendarius beauftragt worden, die Verwaltung eines Militärmagazins zu untersuchen und widersetzte sich, wie es scheint, thätlich den Franzosen, worauf er gebunden abgeführt und eine Zeit lang gefangen gehalten wurde. Bald häuften sich die Unannehmlichkeiten für ihn in Königsberg. Im J. 1808 oder 1809 meldete er sich zu dem zweiten Examen, das er indessen nicht bestand. Er versuchte wol seinen Aerger und seine Enttäuschung sich hinwegzuscherzen und zählte lachend alle die wunderlichen Fragen her, auf die er die Antwort schuldig geblieben war, aber ein Stachel blieb doch zurück, und er fühlte sich gekränkt. Aufregender noch und folgenschwerer war ein anderes Ereigniß. Bei einer Schlittenfahrt im Winter 1809 auf 1810 gerieth S. mit einem General, der dem Schlitten nicht auswich, in einen so heftigen Wortwechsel, daß der General ihn verklagte, noch ehe S. demselben seinerseits die Forderung zu einem Duell übersandt hatte. Die Verhandlungen zogen sich lange hin, wodurch Schenkendorf’s Aufregung gesteigert wurde, zumal der Ausgang des Duells kaum zweifelhaft war, da der General für einen vorzüglichen Schützen galt, S. aber im Pistolenschießen ganz ungeübt war. Wider Erwarten wurde der General am Vorabende beim Lesen einer frommen Schrift zur Milde gestimmt und erklärte schon beim Erscheinen auf dem Kampfplatze dem Secundanten, daß er dem jungen Manne nicht das Leben nehmen, sondern ihm nur ein wenig das Schreiben verderben wolle. Er zielte sicher, und die Kugel drang in Schenkendorf’s rechte Hand. Sogleich ergriff er die Pistole mit der Linken; aber noch ehe er den Gegenschuß abdrücken konnte, sank er zusammen. Die Folgen waren schlimmer, als man anfangs gedacht hatte. Nach schwerem Leiden und großer Entkräftung genas er langsam unter der sorgfältigen Pflege der Familie Dohna, die ihn nach Schlodien zu sich genommen hatte. Nach der Genesung folgte dann eine lange und peinliche gerichtliche Untersuchung wegen der Beleidigung, die das Duell herbeigeführt hatte. Dem Dichter wurde eine harte Strafe zuerkannt, die später gemildert und endlich durch königliche Begnadigung gänzlich aufgehoben wurde.
Im Sommer des Jahres 1810 starb die auch von S. hochverehrte Königin Luise. S. dichtete sogleich nach dem Eintreffen der Schreckenskunde das schöne Lied: „Rose, schöne Königsrose“ und veröffentlichte es in der Königsberger Zeitung. Wenige Wochen darauf veranstaltete er mit Wilhelm Dorow „im Namen der Königsberger“ eine Trauerfeier, die würdig verlief und die Anerkennung des Königs fand, aber auch manchen Widerspruch hervorrief, da sie auffälliger Weise in der katholischen Kirche abgehalten und mit katholischem Gottesdienste eröffnet wurde, während die Musik von dem Theaterpersonal ausgeführt [79] wurde. Das wäre vielleicht in einer evangelischen Kirche nicht gestattet worden, und dieser äußere Grund mag bei der Wahl der Kirche entscheidend gewesen sein; aber S. bei seiner mystischen, durch den Einfluß der Frau v. Krüdener, welcher sich Frau v. Barckley auf das engste angeschlossen hatte, verschwommenen confessionslosen Anschauungsweise hatte auch innerlich wol gar kein Arg bei dieser Feier. In seiner mystischen Phantastik konnte er, wie Frau v. Krüdener, die heilige Jungfrau anrufen, die Heiligenverehrung verstehen und sogar in einem Gedicht „Gebet bei der Gefangenschaft des Papstes Pius VII.“ Christus anrufen, daß er Hülfe niedersende und seiner Heerde ihren Hirten wiedergebe.
Neigte er von vornherein zur Mystik hin, so wurde er in dieser Richtung bestärkt und förmlich im Bann gehalten von der Frau v. Barckley, die ihrerseits sich gänzlich von der „Prophetin“ Frau v. Krüdener leiten ließ. Dem Dichter wurde auch von nahen Freunden sein intimer Verkehr im Hause seiner verwittweten Freundin verdacht, und es wurde viel besprochen und gestritten, ob er sich um die zehn Jahre ältere Wittwe oder um ihre zehn Jahre jüngere Tochter bewerbe, und es fehlte nicht an solchen, welche, wie die eigene Mutter der Frau v. Barckley, dem Dichter, der nichts sei und nichts habe, unedle Beweggründe unterschoben. Aus der peinlichen Lage befreite sich und den Dichter Frau v. B. durch den plötzlichen Entschluß, der Frau v. Krüdener, als sie im November 1811 nach Baden übersiedelte, dorthin zu folgen. S. blieb in Königsberg zurück und bezog jetzt das verlassene Barckley’sche Haus, wodurch der letzte Schleier des Geheimnisses gelüftet wurde. Als er aber durch den Fortgang seines Freundes, des treuen Friedländer, immer mehr vereinsamte, und im Frühjahr des Jahres 1812 die Franzosen als Freunde auf dem Zuge nach Rußland Königsberg besetzten, da hielt es ihn nicht länger dort:
„Und als das Heer der Welschen kam
In jenen finstern Tagen,
Und keiner noch die Waffen nahm
Die Räuber zu erschlagen,
Mocht’ ich den Jammer nimmer schau’n,
Weit ging ich von der Heimath Au’n,
Dem Rhein die Noth zu klagen.“
Ueber Berlin reiste er weiter seinem Ziele, Karlsruhe, zu. Da er keinen Paß bei sich hatte, wurde er in Weimar aufgehalten, lernte hier Frau v. Wolzogen kennen, und sah den „Herzog sonder Gleichen, den sel’gen Dichterfürsten“, Goethe, ohne ihn freilich „mit Worten zu grüßen“.
In Karlsruhe wurde er von dem ganzen Freundeskreis seiner Erwählten, besonders von Jung-Stilling, freundlich empfangen. Aber noch manche Widerwärtigkeiten waren durch die harte Gesinnung der Verwandten seiner Verlobten zu überstehen, bis er am 15. December 1812 endlich in Gegenwart Jung-Stilling’s und des Kirchenraths Ewald sich trauen ließ. Die leider durch seinen frühen Tod nur kurze Ehe war durchaus glücklich, wenn auch die Verehrung, mit welcher er zur Gattin aufschaute, und die pietistische Richtung derselben, welche sie nach dem Beispiel der Krüdener immer nach Demüthigung und Zerknirschung zu streben trieb, dem Verhältniß der Gatten einen gewissen feierlichen Ernst aufprägte. Den eigentlichen Kern der Unterhaltungen im eigenen Hause wie im Verkehr mit den Freunden bildeten religiöse Betrachtungen und das gemeinsame Streben aller Freunde war nach dem Ausdruck der Frau v. S. darauf gerichtet, „das Erdenleben an den Himmel zu knüpfen“. S. schätzte und verehrte den Kreis der Frau v. Krüdener und seiner Gattin, aber das hinderte nicht, daß er eine gewisse Einförmigkeit und seine Abhängigkeit von Frauen fühlte. Er sehnte sich nach Heidelberg zu gehen, um dort „den Umgang manches großen [80] Mannes zu genießen“, aber die Gattin fühlte sich in Karlsruhe sichtlich wohl, und ein häufig eintretender Nervenkopfschmerz hinderte ihn, einen festen Plan für die Zukunft zu fassen. Rechte Frische gab ihm allein die Natur, in der er schwelgte. Wenn er die Berge des Schwarzwaldes durchzog, dann fühlte er „manchen Schmerz entfliegen und heilen manchen bittern Gram“. Da gab das Jahr 1813 seinem Herzen einen neuen Aufschwung, seiner Dichtung einen neuen Inhalt. Auch er gürtete sich das Schwert um und eilte nach Schlesien. Den einzigen Bruder traf er kurz vor seinem Tode noch in Hochkirchen und manchen alten Freund, wie Schrötter und die Grafen Gröben und Kanitz und den damals sechzehnjährigen Alfred v. Auerswald, konnte er freudig wieder begrüßen. Auch neue Freunde gewann er, wie namentlich Fouqué. Obwohl er mit der linken Hand nicht recht Zügel und Schwert regieren konnte, schloß er sich doch den Kämpfern als Begleiter an und wohnte der Völkerschlacht bei Leipzig bei. Er selbst blieb unverwundet, aber sein Pferd wurde von einer Kugel getroffen. Den vollen ersten Siegesjubel erlebte er fröhlich mit. Das war der „Freiheitstag“, dessen Anbrechen er heiß ersehnt hatte:
„Dann Klang von allen Thürmen
Und Klang aus jeder Brust
Und Ruhe nach den Stürmen
Und Lieb’ und Lebenslust!
Es schallt auf allen Wegen
Dann frohes Kriegsgeschrei –
Und wir, ihr wackren Degen.
Wir waren auch dabei!“
Dabei hatte er sein müssen, aber freilich, er fühlte wohl, als Kämpfer konnte er, der Invalide, nichts schaffen; nur seine Gesänge wirkten, nicht seine Faust. Jetzt, wo die Entscheidungsschlacht geschlagen war, glaubte er daher anderweitig besser dem Vaterlande dienen zu können und nahm gern die ihm vom Freiherrn v. Stein angebotene Stellung als Agent der Verwaltungscommission bei dem Großherzog von Baden an. Hier förderte er mit Umsicht die Volksbewaffnung am Oberrhein. In dieser Thätigkeit lernte ihn Smidt, der Abgeordnete Bremens für das Hauptquartier der Verbündeten, kennen und schrieb anerkennend über ihn: „Stein weiß seine Leute zu wählen, auch dieser ist ein Mann, wie er sein muß.“ Auch in dieser Stellung blieb S. seinem Wunsche gemäß nicht ganz fern vom Kriegsgeräusch. Von Frankfurt aus, wo er zeitweise unter Rühle v. Lilienstern arbeitete, wurde er bisweilen mit diplomatischen Aufträgen ausgesandt. Am 22. März 1814 schrieb er an seinen Freund, den Hauptmann von La Chevallerie: „Mein Geschäft hier geht seinen undankbaren Gang fort, und die Faulheit wie der böse Wille machen uns viel zu schaffen. Während unserer Trennung bin ich aber auch schon in Frankreich bis Chaumont und in Basel, Zürich und am Rheinfall gewesen, hab’ auch Breisgau und Schwarzwald von zwei Seiten bereiset. Uebrigens darf ich jetzt Herr Kamerad zu Dir sagen; denn der König hat mich – obgleich ich seit dem 3. October nichts dazu gethan habe – im Februar zum Volontair-Officier ernannt. Es ist wirklich sonderbar, daß ich jetzt Uniform trage und den Feldzug in bürgerlichem Kleide gemacht habe. Es schmerzt mich freilich, hier sitzen zu müssen, während die Waffenbrüder das neue Babel ängstigen – die Erlaubniß, meinen hiesigen Posten zu verlassen, dürfte auch leicht mit dem Friedensschlusse kommen, vor dem uns Gott übrigens bewahren wolle! Schande wird der preußische Waffenrock übrigens von mir nicht haben.“ (Original königliche Bibliothek in Berlin.)
[81] Der Friede wurde geschlossen, aber S. genoß nicht die heiteren Tage, die er sich versprochen hatte. Der stille Karlsruher Kreis genügte ihm jetzt nicht, nachdem er wieder mit Männern in frischer Thätigkeit verbunden gewesen war. Dazu kam, daß er jetzt erst recht den preußischen Geist verstehen und schätzen lernte. Das Volk zwar, meinte er, sei überall gut und in seinen Grundzügen durch ganz Deutschland gleich. Aber „daß das süddeutsche Volk sich in diesem Kriege nicht gleich dem norddeutschen hat erheben und zeigen können, daran tragen die Fürsten die Schuld, die, es fürchtend, jede Begeisterung unterdrückt haben“. S. hatte bisher in der Begeisterung für die alte deutsche Geschichte auf die Wiederaufrichtung des alten Reiches unter Führung der Habsburger gehofft; während des Wiener Congresses regt sich der Preuße in ihm. Zunächst denkt er an eine Doppelherrschaft in Deutschland durch Oesterreich und Preußen; aber schon spricht er stolz aus: „Es gibt nicht leicht einen tüchtigeren, begeisterungsfähigeren, überhaupt fähigeren Stamm in Deutschland, als in Preußen. Alles, worüber ich mich täglich ärgere, macht, daß mir meine Preußen jetzt in einem weit günstigeren Lichte erscheinen. Wenigstens haßt man bei uns doch die Franzosen, die man hier (in Baden) liebt und zurückwünscht.“ Freilich, als er dann, um Genesung von seinem Nervenkopfschmerz zu suchen, fünf Monate im Herbst und im Winter 1814 in Aachen sich aufhielt, fühlte er sich im Kreise der preußischen Officiere und Beamten wiederum nicht wohl, und sie nannten ihn einen Oesterreicher. Um so enger aber schloß er sich an die geborenen Rheinländer an. Den Wiederausbruch des Krieges 1815 begrüßte er mit der neuen Hoffnung auf eine Einigung des ganzen Deutschlands, aber der wiedererrungene Friede erfüllte seine Wünsche nicht. Im Sommer 1815 mußte er zur Bekämpfung seines Kopfschmerzes wieder nach Aachen. Vor allem aber fehlte ihm die freudige Arbeit; und auch das Dichten geistlicher Lieder, wozu ihn die Gattin anregte, konnte ihm allein doch nicht Genüge geben. Da wurde er zu seiner Freude 1815 als Regierungsrath nach Coblenz berufen. Dort fand er alte Freunde, wie seine Landsleute Graf Gröben und Bärsch, und zahlreiche neue Freunde, wie Gneisenau, Major v. Scharnhorst, v. Clausewitz, v. Jasmund, Johannes Schulze und Friedrich Lange, und auch den Rheinländern gefiel seine Amtsführung, die ihnen weniger büreaukratisch erschien, als sie es von dem Preußen erwartet hatten. Auch sein Gefallen an ihren merkwürdigen Bauwerken und an der Art des katholischen Gottesdienstes nahm die Rheinländer für ihn ein. So wurde ihm wohl dort, aber als er eben die Seinen aus Karlsruhe abholen wollte, um sie nach Coblenz überzuführen, erhielt er eine Berufung nach Magdeburg. Erst nach langen Verhandlungen entschied es sich, daß er in Coblenz bleiben könne. Als er aber dort mit der Gattin, die sich schwer von Karlsruhe getrennt hatte, eintraf, schieden zu seinem großen Bedauern bald Gneisenau und Gröben, und zugleich steigerte sich sein altes Leiden in bedenklichem Grade. Jetzt wechselten Kopfschmerz und Blutwallungen mit Brustbeklemmungen, Krämpfen und Schwindelanfällen, so daß er oft sein Ende herbeiwünschte. Noch suchte er in Ems Heilung, wo er seine letzten glücklichen Tage verlebte. In Coblenz trat das Leiden wieder auf und schneller, als der Arzt es gedacht hatte, starb er an seinem Geburtstage, am 11. December 1817. Feierlich ward er mit den militärischen Ehrenbezeugungen am 14. December auf dem Kirchhof vor dem Löhrthor bestattet. Aber schon nach kurzer Zeit wurde der Kirchhof durch Anlegung einer Schanze zerstört. Die Särge wurden in der Erde an ihrer Stelle belassen, nur die Kreuze auf einen anderen Kirchhof gestellt. Da auf dem gothischen Steinkreuz, das Schenkendorf’s Grab bezeichnet hatte, Platz für den Namen der Gattin gelassen war, wurde es, als sie im J. 1840 starb, auf ihrem Grabe [82] aufgestellt. Sie hatte es schwer empfunden, daß ihres geliebten Mannes Grab verschüttet und unzugänglich geworden war, aber sie erkannte in einem Briefe an Fouqué selber an, dem Sinne des Verstorbenen wäre es wohl nicht entgegen gewesen, daß sein Grab nunmehr eine Schanze gegen den Feind geworden.
Eine vollständige und kritische Ausgabe der Schriften Schenkendorf’s fehlt noch. Viele seiner Kriegslieder und Gelegenheitsgedichte erschienen in Einzeldrucken, andere in Zeitschriften, so, außer in der Vesta und den Studien, in der Königsberger Zeitung, dem Preußischen Korrespondenten (1813 und 1814), den Deutschen Blättern (1813), der Breslauer Zeitung (1813), den Neuen Preußischen Provinzial-Blättern (1852), dem Rheinischen Merkur (1814); wieder andere in Taschenbüchern: Der Spiegel (1809), Hertha (1811), die Musen von Fouqué und Neumann (1814), Taschenbuch für Freunde altdeutscher Zeit und Kunst (1816), Die Hesperiden (1816), Deutsche Frühlingskränze von Hornthal (1815 und 1816), Cornelia (1816, 1820, 1827), Frauentaschenbuch (1817 und 1818), Die Sängerfahrt (1818), Krieg und Frieden von Ewald (1814) und Der Sieg von Belle-Alliance von Mann (1815). Bei seinen Lebzeiten erschien außer den genannten Zeitschriften, der Vesta und den Studien, von ihm eine kleine Sammlung von Oden und Sonnetten, die er mit Friedländer zum Andenken seiner Freundin Henriette Gottschalk, geb. Hay, herausgab, deren „Sternblumen“ seinem Wunsche gemäß später seinen Gedichten beigefügt wurden. 1814 gab er anonym heraus: „Christliche Gedichte. Frommen Jungfrauen und Mägdlein zur Weihnachtsgabe.“ An der Spitze des außerordentlich seltenen Büchleins (Archiv f. Litteraturgesch. XII, 643) steht eine Zueignung an seine Gattin. Im J. 1815 endlich gab mit Schenkendorf’s Bewilligung der Bremer Smidt im Cotta’schen Verlage eine neue Sammlung seiner Gedichte heraus unter dem Titel: Max v. Schenkendorf. Gedichte. Nach seinem Tode erschien 1832 sein poetischer Nachlaß (durch Georg Phillips) und 1837 seine sämmtlichen Gedichte (durch Friedrich Lange) und endlich 1862 und 1878 neue Ausgaben bei Cotta, herausgegeben von August Hagen. Dauernden Werth haben namentlich seine Kriegsgedichte und die Lieder, in welchen er seinen innigsten Lebenswunsch ausdrückt und wieder und wiederum von Kaiser und Reich predigte und sprach. Gegenüber den Freiheitsliedern von Arndt, Rückert, Körner kennzeichnen sich Schenkendorf’s Kriegsgesänge durch größere Innigkeit und Weichheit und sind, wenn auch vielleicht minder feurig und für die Zeitgenossen weniger begeisternd, dichterisch von höherem Werth. Jacob Grimm urtheilte in Briefen an seinen Bruder Wilhelm, sie seien wohl die besten Gedichte, die auf die Zeit erschienen seien; sie hätten etwas Schillerisches, seien zwar etwas schwächer, aber auch zierlicher, und immer treu und brav. Nach zwei Jahrhunderten werde man sie vielleicht höher achten, als jetzt die Opitz’schen. Der Vergleich mit Opitz erscheint mir weder naheliegend noch für S. ehrenvoll genug, aber daß viele seiner Gedichte Jahrhunderte hindurch dauern werden, wird heut Niemand bezweifeln.
- Hauptquelle: Max v. Schenkendorf’s Leben, Denken und Dichten. Unter Mittheilungen aus seinem handschriftlichen Nachlaß dargestellt von Dr. A. Hagen. Berlin 1863. (Hagen verarbeitete ein reiches Material, versäumte nur leider die angeführten Briefstellen zu datiren. Einzelnes konnte nach den Handschriften im Besitz der Familie Auerswald hier fester bestimmt werden.) Vgl. auch Dr. Drescher: Ein Beitrag zu einer Biographie Max v. Schenkendorfs. Progr. des großherzogl. Gymnasiums zu Mainz 1888.