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ADB:Pocci, Franz Graf von

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Artikel „Pocci, Graf Franz“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 331–338, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Pocci,_Franz_Graf_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:23 Uhr UTC)
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Pocci: Graf Franz P., Dichter, Zeichner, Componist, wurde am 7. März 1807 zu München geboren, wo sein aus Viterbo stammender Vater Fabricius Graf P., welcher 1781 als Edelknabe an den kurfürstlichen Hof kam und in den baierischen Militär- und Hofdienst trat, als Generallieutenant und Obersthofmeister der Königin am 1. Februar 1844 starb. Seine Mutter war eine Baronin v. Posch (geb. 1778 zu Dresden, † 1849 zu München), welche ein feines Talent für Landschaftsmalerei besaß und mit großem Schönheitsgefühle [332] zeichnete, radirte und in Oel malte. So erhielt das frühzeitig hervorstechende Ingenium des mit südlicher Lebhaftigkeit begabten Knaben die richtige Pflege; den ersten Unterricht im Zeichnen ertheilte der nachmals berühmt gewordene Medailleur und Erzgießer J. B. Stiglmayr, später der wackere Joseph Schlotthauer, welche mit der Ungeduld ihres Schülers zu kämpfen hatten, der immer Neues verlangte, ohne sich an die Durchbildung und Ausführung der Aufgaben zu halten, eher bereit, seine eigenen Einfälle zu Papier zu bringen. Schlotthauer führte seinen Scholaren regelmäßig in das Handzeichnungs- und Kupferstichcabinet und wies ihm alte Meister. Dadurch erhielt P. seine historische Richtung und blieb seinem Lehrer zeitlebens dafür dankbar und in innigster Freundschaft zugethan. Seltsamer Weise enthält ein frühzeitiges Blatt des kleinen Franz schon das ganze Programm des Künstlers, indem er „Jäger, Hanswurst, Tod und Teufel“ in einer Gruppe zusammenstellte: Man denkt unwillkürlich dabei an seine späteren „Jägerlieder“, seine Kinderherz-erfreuenden „Casperl-Theater“, an seinen „Gevatter Tod“ und die tiefsinnigen „Todtentänze“, welche sich durch die ganze Reihe seiner Bilder und Dichtungen hinziehen.

Auf der Universität zu Landshut, wo sich ein schöner Kreis gleichgesinnter Jünglinge zusammenfand, oblag Graf P. dem Studium der Jurisprudenz; dazwischen wurde fleißig gezeichnet, musicirt und componirt. Noch wird z. B. das uralte „Wenn ich ein Vöglein wär’“ nach[WS 1] der damals von P. neu untergelegten Melodie gesungen. Nachdem P. zu Starnberg und Dachau nach Absolvirung der Jura prakticirt hatte, nahm er den Acceß bei der Regierung zu München, häufig andern, schöngeistigen Studien zugethan. Damals entstand durch Freiherr v. Bernhard und Friedrich Hoffstadt gegründet (am St. Georgentag 1831) die „Gesellschaft für deutsche Alterthumskunde zu den drei Schilden“. In einem, eigens zu diesem Zwecke in der damaligen Lerchen- (nun Schwanthaler-)straße durch Freiherr v. Bernhard gekauften Häuschen that sich eine Anzahl vielseitig begabter herrlicher Jünglinge aus den verschiedensten Berufskreisen in beispielloser Begeisterung zusammen „zur Erforschung unserer deutschen Vorzeit“. Dazu gehörte Dr. Friedrich Freiherr v. Bernhard (geb. am 22. Juli 1801 zu Düsseldorff, † als königl. geh. Hofrath und Universitätsprofessor a. D. am 24. Januar 1871 zu München), welcher mit mehreren Abhandlungen (z. B. über „Die zwei Schwerter Gottes“) als Vorkämpfer der deutschen Rechtswissenschaft auftrat; Friedrich Hoffstadt (geb. 1802 zu Mannheim, † am 7. September 1846 als Appellationsgerichtsrath zu Aschaffenburg), welcher beinahe gleichzeitig mit dem Engländer Pugin die Gesetze des Spitzbogenstiles erforschte und in seinen „Grundregeln“ sich ein unvergängliches Denkmal stiftete. Dann Dr. Friedrich Beck (geb. am 20. Juni 1806, zur Zeit der einzige noch lebende, leider erblindete Ueberrest dieses Kreises), welcher mit seinen philosophisch-speculativen Aufsätzen zu einer tiefer begründeten „Geschichte der Kunst“ wesentlich beitrug und außerdem noch die „Geschichte eines deutschen Steinmetz“ (München 1833, neuestens in Reclam’s Universal-Bibliothek, Nr. 1377), dichtete – ein Roman, welcher ebenso wie Wackenroder’s „Franz Sternbald“ und Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ das artistische Glaubensbekenntniß dieser jungen Romantiker enthält. Ferner Dr. Heinrich Hofstetter, welcher bald darauf die Jurisprudenz mit der Theologie vertauschte († 1875 als Bischof von Passau). Dazu gehörten der treffliche Dominik Quaglio, welcher nicht allein als Architekturmaler sich hervorthat, sondern (z. B. mit dem Schlosse Hohenschwangau) auch als praktischer Baumeister sich bewährte; die Maler Joseph Schlotthauer, Ludwig Zenker, Hermann Keim, der biedere Karl Ballenberger (s. A. D. B. II, 21) und Hans Freiherr von Aufseß, der diese Ideen, welche die Gesellschaft damals hegte, [333] späterhin mit dem „Germanischen Museum“ in einen großartigeren Maßstab übertrug, indeß die Genossenschaft „zu den drei Schilden“ (so genannt nach dem angeblichen Dürer-Wappen) sich mit dem ansehnlichen Inventar aller ihrer Sammlungen schon 1838 in den heute noch florirenden „Historischen Verein für Oberbaiern“ concentrirte.

In dieser ritterlichen Tafelrunde „zu den drei Schilden“ wurde gemalt in Oel und auf Glas – auch Sulpiz Boisserée ging ab und zu und ließ durch Völlinger und Jos. Scherer allerlei Aufträge vollführen – da wurde gemeißelt und gezeichnet (denn es schwebte den Jünglingen auch der Gedanke vor, eine neue deutsche Bauhütte zu gründen, aus welcher die Regeneration der „Gothik“ hervorgehen sollte in alle Welt), da wurden alte Sigille und Stiche, altdeutsche Gemälde und Holzsculpturen gesammelt, die Copien alter Bildwerke zusammengeschleppt, es war eine Ameisen- und eine Bienenrührigkeit sondergleichen. Aber es wurde auch gedichtet, gesungen, musicirt und poculirt. Hoffstadt gab seine geistreichen, in Stein radirten Gedenkblätter als wiederkehrende Neujahrsgabe, P. und der feurige phantasievolle Ludwig Schwanthaler zeichneten an großen Prachtblättern um die Wette, so z. B. einen an 10 Meter langen „Turnierzug“, welchen hundert berittene Trompeter eröffnen, worauf erst noch die Ritter im prächtigsten Wechsel der Rosse einhersprangen. Damals entstanden Pocci’s „Blumen-“ und „Minne-Lieder“, die „Trifolien“ und „Bildertöne“, insgesammt mit Arabesken und Randzeichnungen ausgestattete Clavierstücke; auch begann er damals schon die dann zeitlebens beibehaltene Sitte, alljährlich zu Weihnachten ein auf die heilige Zeit bezügliches Bild zu zeichnen, welches, bisweilen auch von Melodien und einigen Versen begleitet, durch Steindruck, Radirung und Holzschnitt, später am liebsten durch Photographie, als Festgabe großmüthig unter die Freunde vertheilt wurde. Auf solche Weise entstanden auch größere Krippenbilder, meist im naiven Stile Memling’s oder Benozzo-Gozzoli’s gedacht, wo die drei Könige auf Kameelthieren und Dromedaren einherritten mit großem Gefolge von Rittern und Pagen, reiche, biderbe, schnabelschuhige Degen, in Pelzröckelein und perlenbestickten Goldbrokat gewandet, zierliche Schappel und Rosenkränzel in den langfliegenden Flachsen. Eins dieser Blätter gab den Anstoß zu dem mit Guido Görres publicirten „Festkalender“ (München 1834–1837 in 15 Heften oder drei Bänden; eine neue, frei umgezeichnete Auflage in 2 Bänden mit einer Auswahl von 169 Blättern erschien 1885 und 1887 in Freiburg bei Herder), womit ein rascher Umschlag zu Gunsten der – vordem ebenso arg vernachlässigten, wie jetzt an erschreckender Ueberproduction leidenden – Jugendlitteratur erfolgte. Die besten Namen, wie W. Kaulbach, Feodor Dietz, Settegast, Eduard Steinle, Kaspar Braun, Alexander Straehuber und viele Andere, die damals theilweise noch in der Garderobe verweilten, um allmählich erst auf den Schauplatz ihres Ruhmes zu treten, lieferten dazu ihre Erstlinge. Man muß, wie Unsereiner, mit diesen, in der ersten Originalausgabe jetzt schon zur bibliographischen Seltenheit gewordenen Heften (die lithographirten Steine wurden inzwischen aus Erspamiß von der Verlagshandlung abgeschliffen) aufgewachsen sein, um zu wissen, mit welchen Freuden diese harmlose Vereinigung von Bild, Wort und Musik – denn auch Liederbeigaben fehlten selten – von Jung und Alt aufgenommen wurde. Sehr richtig sagte damals schon Graf Raczynski (Geschichte der Kunst, 1840, II, 294): Man könnte finden, daß P. in gewisser Hinsicht nächste Aehnlichkeit mit Neureuther und Schwind zeige, „aber im Grunde gehört sein Talent keiner anderen Richtung an; er ganz allein bildet eine für sich“. Und Ludwig Richter bekannte seither bei jeder Gelegenheit, wie er gerade durch Pocci’s Vorbild angeregt und auf jenes Genre geführt worden sei, in welchem er der Liebling des deutschen Volkes geworden.

[334] Es war eine dankenswerthe That König Ludwig I., daß er den Grafen P. den Händen der Jurisprudenz entnahm – hätte doch ein gleich glücklicher Stern auch über Fr. Hoffstadt geleuchtet! Denn als der König sich dieses seltenen Künstlers erinnerte und ihn ganz der Ausübung der Architektur zurückgeben wollte, trug Hoffstadt schon den sicheren Todeskeim in seiner Brust – und zum Ceremonienmeister am k. Hofe ernannte, obwol gerade Niemand weniger „Ceremonien“ liebte und „machte“ als unser ritterlicher Graf, welcher durchweg Aristokrat und voll Courtoisie, doch jeder Unnatur entgegentrat und durch seine Freimüthigkeit oft genug bittere Erfahrungen erleben mußte. Gleichzeitig erhielt P. das kleine Ritterlehen „Ammerland“ am Starnbergersee. So behielt er genug freie Muße, sein universelles Talent in Musik, Zeichnen und Dichten zu entfalten. P. trieb diese Künste abwechselnd, je nach obwaltender Stimmung, am liebsten aber in vorgeschilderter, gleichvereinter Weise, freilich immer als Dilettant, aber geistreich und einzig in seiner Art. Auch eine Oper: „Der Alchymist“ entstand (vielleicht angeregt durch Mendelssohn-Bartholdy’s Gegenwart, welcher 1832 einige Zeit zu München concertirte) und kam bei Hofe zur Aufführung, ebenso einige Singspiele; leider verlor P., obwol ein vorzüglicher Theoretiker und Kenner des Generalbaß, über dem Ausarbeiten der Partitur immer den ausdauernden Muth. Dagegen liebte er am Clavier im freiesten Fluge der Phantasien sich zu wiegen; noch in den letzten Tagen nahm er gern zu seinem Aeolodikon die Zuflucht, um seine Stimmungen auszuströmen und in Harmonie zu bringen. Die Originalität seiner Ideen überraschte jeden Zuhörer. Das klang oft so minnesingerlich, im vollen Zauberhauch verschollener Romantik – ein Freund nannte diese Tonweisen einmal „spitzbogige“ Musik – dann wogten die Töne mild und elegisch, oft voll verzehrender Melancholie oder im echtesten Tempo des Holbein’schen Todtentanzes, um schrill aufschreiend und klagend, wie um ein verlorenes Paradies, im nächsten Augenblick in den zartesten Accorden den Schmerz wieder zu lösen und zu versöhnen. Im J. 1834 schloß P. mit der Reichsgräfin Albertine Marschall auf Burgholzhausen (aus Wien) eine Ehe; von seinen drei Kindern wendete sich die Tochter mit eminenter Begabung für die Farbe zur Oelmalerei, der älteste Sohn, gleichfalls musikalisch veranlagt, fand als kaiserlicher Oberförster im Reichsdienst, der zweite in der baierischen Armee eine geachtete Stellung.

Seit der Mitte der dreißiger Jahre nahm Pocci’s Thätigkeit, begünstigt durch seine sorglose Stellung, getragen von Glück, ausgezeichnet durch die Huld seines Monarchen, einen neuen Aufschwung. Rasch folgten drei Bände „Geschichten und Lieder mit Bildern“, dann die köstlichen „Märchen vom kleinen Frieder mit seiner Geige“, von „Hansel und Gretel“ und „Schneewittchen“, das wir, noch nicht beirrt durch eine fast pfadlos gewordene Wildniß der sogen. Jugendlitteratur, kaum oft genug lesen und sehen konnten; besondere Freude bot die Schlußvignette mit den im vollen Golddruck über einem Feuerchen glühenden Pantoffeln, in welchen sich die böse Stiefmutter zu Tode tanzen mußte! Daran schlossen sich zwei Hefte „Fliegende Blätter“ mit Radirungen zu L. Bechstein’s und Franz v. Kobell’s Gedichten, dann die „Legende von St. Hubert“, die Illustrationen zu dem von Guido Görres ganz im Stile von Brentano’s „Märchen“ gedichteten „Schön Röslein“ (1837). Weiter kamen die „Rosengärtlein“, Sprüchlein und Spruchbüchlein mit Bildern, in allerlei für die kleinen Hände tauglichem Format und bei verschiedenen Verlegern, welche sich bald um den Zeichner bewarben. Inzwischen gingen neue Radirungen zu den Märchen von Rudolf Schreiber und der Gebrüder Grimm, welch’ letztere P. später auch in den „Münchener Bilderbogen“ illustrirte. Ein Bändchen eigener „Dichtungen“ mit Balladen und Romanzen, Wald- und Kinderliedern in Ernst und Scherz, [335] erschien 1843 bei Hurter in Schaffhausen. Geradezu epochemachend aber zündeten die mit Franz v. Kobell herausgegebenen, mit Holzschnitten und Singweisen ausgestatteten „Alten- und Neuen Jägerlieder“ (Landshut 1843), in welchen sich auch jener im Jägerhütlein und Jagdrock mit geschultertem Gewehr dahinschreitende, Hühner stibitzende Meister Reinecke findet, welcher alsbald auf Krugdeckeln und Pfeifenköpfen, in Porzellan, Gyps, Metall und Bisquit, in malerischen und plastischen Nachbildungen ersehen und eine fabelhafte Popularität erfuhr. Ebenso freundliche Aufnahme fanden in gleicher Ausstattung die „Kinderlieder“, die „Alten und neuen Studentenlieder“ (neue Ausgabe mit L. Richter und G. Scherer. Leipzig 1876) und herausgegeben mit A. Jürgens (Leipzig 1842) ein ähnlicher Cyclus „Soldatenlieder“.

Eine ganz erstaunliche Thätigkeit entfaltete P. als Illustrator; doch gelangte hiervon kaum der zehnte Theil in die Oeffentlichkeit. Wir erwähnen nur die Holzschnitte zu Kobell’s „Schnadahüpfeln“ (1845), zu Andersen’s „Märchen“ (Uebersetzung in’s Englische von Charles Boner 1847 und in der späteren deutschen Ausgabe), zu Boner’s eigenen Dichtungen („Boner’s Book“ und „The little Tuk“, London 1848), die Zeichnungen zu Güll’s „Kinderheimath“ (1845 bis 1846) und Löschke’s „Kinderreimen“. Dazwischen entstanden „Schattenspiele“ und „Dramatische Spiele“ (1850); von Pocci’s Hand sind auch die Zeichnungen zu G. Scherer’s „Osterhaas“ (1850) und theilweise zu dessen „Kinderliedern“ und „Deutschem Kinderbuch“ u. s. w.

Schon früher wurde Graf P. vom König für den damaligen Kronprinzen Maximilian als Reisebegleiter nach Italien gewählt; ebenso ging er ein paar Mal im Gefolge König Ludwig I. über die Alpen. Jedesmal brachte er reiche künstlerische Ausbeute in seinen Skizzenbüchern zurück, aus denen er manches mit der Radirnadel verarbeitete. P. besaß, ebenso wie Moriz von Schwind oder Joseph Knabl, das Talent des künstlerischen Schauens und im Gedächtnisse Festhaltens; das in flüchtigster Wahrnehmung gesehene Bild blieb im sicheren Umriß in der Erinnerung haften; so konnte P. das Porträt eines Mannes nach zehn Jahren noch mit frappantester Aehnlichkeit hinzaubern. Aber gerade die neidenswerthe Leichtigkeit des Producirens und die gaukelnde Fülle der sich drängenden Phantasien hinderten ihn beim Dichten und Zeichnen an der zur künstlerischen Durchbildung unerläßlichen Feile und Glättung; eine unzähmbare Hast trieb ihn immer weiter. In diesem verschwenderischen Hinwerfen der Ideen, mit dieser unversiegbaren Productionskraft in Witz, Laune, Heiterkeit und Humor schien P. dem Dichter Clemens Brentano vergleichbar, blieb aber auch wie dieser von Stimmungen abhängig und darum ebenso leicht erregbar wie zeitweise, insbesondere in mittleren Jahren, von einer Melancholie gequält, die neben auflodernder Lustigkeit sein Leben beinahe gefährdete. Auch der Besuch eines Nordseebades (im Sommer 1856; bei dieser Gelegenheit kam P. zum ersten Male an den Rhein) gewährte nicht völlig die gewünschte Hülfe. Die Plage wich, ebenso wie eine ziemlich regelmäßig wiederkehrende Migräne, nur allmählich und mit den Jahren. Aus diesen Stimmungen entstanden, vermischt mit einem echt mittelalterlichen Humor, Pocci’s durch alle möglichen Tonarten fugirten, häufig mit neuen zeitgemäßen Motiven vermehrten „Todtentänze“, gleich originell in Bild und Wort, wovon jedoch nur der geringste Theil in die Oeffentlichkeit trat, da, wie leicht begreiflich, Verständniß und Theilnahme des Publicums wenig darauf passionirt waren. Daraus erblühte aber die von jeder Ironie abgeklärte und ruhige Auffassung der Gegensätze des Lebens, welche den edlen Grafen in den späteren Jahren nimmer verließ; sie spiegelt sich wohlwollend in der „Herbstblätter“ (1867) überschriebenen, freilich im Ausdrucke oft [336] stark prosaischen, Sammlung, welche indessen doch als ein wahres Laien-Brevier gelten mag.

Im J. 1847 erhielt Graf P. die Stelle der königl. Hofmusikintendanz, welche er auch unter König Max II., der ihn gerne zu seinen poetischen Symposien zog, behielt. P. erwarb in kürzester Zeit die vollste Verehrung, Hochachtung und Liebe seiner Untergebenen. König Ludwig II. ehrte die seinem höchstseligen Vater und Großvater geleisteten Dienste durch Verleihung des Oberstkämmereramtes (27. April 1864). So war Graf P. wirklich, um mit Walther von der Vogelweide zu reden, „drier Künege getriuwer Kameraere“. Was die Welt an Ehren zu bieten vermag, wurde ihm redlich zu Theil; aber auch ihre Kehrseite lernte er hinreichend kennen. Er blieb sich, treu seiner Devise „Semper idem!“ immerdar gleich. Denn das gute Herz wird, wenigstens nach Andersen’s Ausspruch, niemals stolz. Die erfreulichste Anerkennung erwies die Ludwig-Maximilians-Universität, welche unter dem Rectorate von Ludwig v. Arndts, wobei Justus Freiherr v. Liebig das Decanat der philosophischen Facultät vertrat, den Grafen P. am 11. December 1854 der höchsten akademischen Auszeichnung für würdig erkannte und einstimmig zum Ehrendoctor der Philosophie ernannte.

Schon bei Gründung der „Fliegenden Blätter“ (1845) versprach Franz P. dem Unternehmen seine Beihülfe mit Rath und That. Er lieferte eine Reihe heiterer, sarkastischer und jovialer Beiträge, unter denen – es war die harmlose Zeit, wo Eisele und Beisele’s Reiseabenteuer die Welt erfreuten – seine (1857) auch in Buchform abgedruckten Erlebnisse des „Staatshämorrhoidarius“ den lautesten Beifall fanden. Der Traum desselben von dem „juristischen Himmel“ mit dem justinianeischen Festaufzug und den verknöcherten Typen des Byzantinism, muß jeden Beschauer zum gesundesten Lachen reizen, ebenso die Suite der Hofmandarinen beim Cortege des chinesischen Kaisers in der „Lustigen Gesellschaft“. Für die „Münchener Bilderbogen“ zeichnete er über ein Viertelhundert Nummern, darunter die Märchen vom „Fundevogel“ und „König Drosselbart“, das große „Alphabet“ und „Einmaleins“, die „Kindersprüche“ und „Sprichwörter“. Im gleichen Verlag bei Braun & Schneider gab er heraus ein „Allerneuestes Spruchbüchlein“, sein „Lustiges Bilderbuch“ (1853) und das schönste von Allen „Was du willst“ (1854) betitelt, wo Scherz und Ernst, Verse und Prosa mit Bildern und Schattenspielen in Kinderherz-erfreulichster Reihe wechseln. Dazu folgte 1867 die „Lustige Gesellschaft“ voll Drachen, Riesen, Rittern, wilden Männern, Türken, Zauberern, Chinesen und Zwergen; der auf seinem Schlitten prächtig dahin kutschirende Winter ist ein Holzschnitt, flott und frisch, wie von Jost Amann’s Hand. Auch im Drama versuchte sich Graf P. mit einem „Gevatter Tod“ (München 1855 bei Braun & Schneider), welcher bei der Aufführung am 10. December 1858 und an den folgenden Tagen einen vollständigen succés d’estime erlangte, sonst aber ob des ungewöhnlichen Stoffes, als zu gruselig befunden ward; 1860 kam der nach Hebel dramatisirte „Karfunkel“ als Volksstück, dann „Der wahre Hort oder die Venediger Goldsucher“, denen als eigene Erfindung die „Giovannina“ folgte, ein Stück, welches unter fremdem Namen und anderem Titel seither öfters mit Glück über die Bretter ging. Indessen fehlte ihm zum Drama die Ruhe der Durchführung, indem der ungeduldige Dichter mit allzu fühlbarer Hast auf einen überraschenden Schluß losstürmte, sobald der Knoten ihm genügend geschürzt schien. Dagegen gelang ihm der Wurf, mit einer Anzahl heiterer Spiele, welche anfänglich nur für die Jugend berechnet, durch das Münchener „Puppentheater“ auch ein weiteres Publicum eroberten und heute noch ein dankbares Auditorium sammeln. Sie belaufen sich auf nahezu vierzig Stücke, welche unter dem Titel „Lustiges Komödienbüchlein“ [337] 1859–1877 bei Fr. Lentner (E. Stahl) zu München gedruckt erschienen. Den meisten liegt ein ethischer Kern zu grunde, welcher, ohne sich aufdringlich bemerkbar zu machen, vom Zuschauer leicht erfaßt wird. Er geißelt Thorheiten und Leidenschaften, wie sie im Volk schlummern und lehrt eine gesunde Lebensansicht. In dieser Methode, wie er eine tiefe Wahrheit mit der heitersten Fülle von Schwänken überkleidet, zwischen denen doch immer wieder die ursprüngliche Idee in poetischer Feinheit durchklingt, gemahnt er häufig an Raimund. Als stehend komische Figur erscheint in allen möglichen Verkleidungen der alte „Kasperl Larifari“, der verkörperte Volkshumor mit specifisch-altbaierischer Färbung.

Von Pocci’s übrigen Schriften verzeichnen wir die meisterhafte Bearbeitung von Joubert’s „Gedanken; Versuche und Maximen“ (München 1851) und als Muster einer populären Schreibweise das „Bauern ABC“ (1856), während das mit Reding von Biberegg redigirte „Altes und Neues“ (Stuttgart 1855 und 1856 in zwei mit Holzschnitten illustrirten Bändchen) für das weitere Publicum ein zu alterthümlich-litterargeschichtliches Gepräge trug. P. gab dazu eine Ueberarbeitung von Jörg Wickram’s „Der jungen Knaben Spiegel“ unter dem Titel „Wilibald der Sackpfeifer“; die kräftigen „Handwerks- u. Gesellen-Lieder“; etliche (auch im Separatabdrucke edirten) „Todtentänze“ und das wohlklingende „Lied vom armen Sängerlein“. Bei allen Werken der Charitas war P. immer bereit, seine thatkräftige Hand zu bieten. So sendete er regelmäßig zu dem Berliner Bazar für die Kaiserswerther Diakonissenanstalt eine sorgfältig gefertigte Handzeichnung; zum Besten des von der edelsinnigen Prinzessin Alexandra gegründeten Waisenstiftes gab P. das „Münchener-Album“ (1856) heraus, welches eine nicht unerhebliche Summe abwarf. Ueberhaupt bewährte der wackere Mann in allen Fällen, wo er einer Sache oder einem Menschen nützen und helfen konnte, eine rücksichtslose Aufopferung und rührende Humanität, unbekümmert um den meist sicher zu erwartenden Undank. Nicht zu vergessen sind die im echtesten, kerndeutschen Charakter gehaltenen „Landsknechtlieder“ (1861). Für die Kunsthandlung von Hermann Manz zeichnete P. eine Serie von einhundert, in Photographie vervielfältigte „Namenbilder“ und an zwanzig „Buchzeichen“; sie sind ein vollgültiges Zeugniß einer unermüdlichen Phantasie, welche mit dem geringen Apparat von wenigen Spruchbändern und Arabesken doch eine überraschend neue Wirkung erzielte. Ebenso bewundernswerth ist die Unzahl seiner Burgen und Schlösser, welche er meist in reizender, landschaftlicher Umgebung mit immer neuen Motiven auf das Papier warf. Auch Briefpapier-Vignetten und niedliche Correspondenzkarten (in Farbendruck bei Prantel) entstanden in Fülle. Zu Ende des Jahres 1875 erschien Pocci’s „Viola tricolor“ (New-York 1876, bei Ströfer; auch mit deutschem Text) – ein heiteres Capriccio. P. machte nämlich eines Tages, in seinem Garten zu Ammerland lustwandelnd, die überraschende Wahrnehmung, daß die bescheidenen „Tag- und Nachtschatten“ eine verblüffende Fülle von menschlichen Gesichtern repräsentiren; demgemäß begann der Entdecker einen ziemlichen Vorrath solcher Blumen zu sammeln, zu pressen und zu diesen getrockneten Visagen die gehörigen Körper zu zeichnen! So entstand eine Collection der seltsamsten, schnurrigsten Gestalten und Gruppen, die wieder zu allerlei Genrebildern, Festzügen und Schnickschnack Anlaß gaben. Eine kleine Auswahl der tollsten Art enthält das genannte Buch.

Außer seinen Berufsgeschäften, welche, so mild man davon auch denken mag, doch nicht als Sinecuren anzuschlagen sind, lieferte P. noch Jahre lang Correspondenzen über Musik und Kunst in die Augsburger „Allgemeine Zeitung“, legte allerlei culturhistorische Studien in der „Neuen Münchener Zeitung“ nieder [338] und blieb ein treuer Berather und Mitarbeiter der von Isabella Braun (geb. am 12. December 1815, † am 2. Mai 1886) redigirten „Jugendblätter“. Daneben entstanden hunderte von leicht aquarellirten großen und kleinen Zeichnungen, oft sehr ausgeführte, meist mit Versen und Reimen ausgestattete Blätter, die großmüthig an Freunde und zu wohlthätigen Zwecken verschenkt wurden. So besitzt die Gesellschaft der „Zwanglosen“ und „Alt-England“ einen Schatz von Handzeichnungen, in welchen eine gewisse Schalkhaftigkeit eine vorwiegende Rolle spielt. Für diese im langjährigen Verkehr zusammengewachsenen Freunde entstanden die muthwilligen Caricaturen, chronicalen Burlesken und lächerlichen Sprühregen, welche bei den Tafelfreuden der „Zwanglosen“ und „Alt-Englands“ als immer erwünschtes und bejubeltes Dessert die großen Kinder erfreuten. Pocci’s neidenswerthes Talent gipfelte darin, daß der Betroffene den Scherz niemals übelnehmen, sondern aus hellem Halse mitlachen konnte; sein Witz war nie giftig und ätzend, zog niemals Beulen und Geschwüre, obwohl er die besten Freunde am liebsten damit tractirte, wobei er aber seine Person freilich auch am wenigsten schonte. Was seinen Umgang überhaupt so angenehm machte, war die feine Sitte, der gute Ton, der politische Anstand in allen Fragen. Dieser ächte Takt, selbst in heiterster Fröhlichkeit, der immer eine gewisse Grenze zu wahren wußte, that an ihm unendlich wohl. So konnte er mit allen Parteien und Ansichten verkehren, ohne sich einer ganz hinzugeben. In diesem Sinne war P. Aristokrat und wahrte doch das heilige Feuer der Freiheit; er blieb in wahrer Weise liberal, da er jede auf Ueberzeugung gegründete Ansicht achtete, aber deshalb auch den gleichen Anspruch für sich erhob. Eben weil er voll wahrer Ehre war und auf solche hielt, konnte weder Stolz noch Eitelkeit bei ihm Wurzel fassen. Leicht beweglich, entzündbar und von energischer Heftigkeit, lenkte er doch schnell wieder ein; seine weichen Empfindungen barg er gern hinter scurrilen Einfällen. Er war ein guter, wohlwollender, unerschütterlich treuer, selbstloser Freund, der das Gute, jeden Eigennutzes bar, aus reiner Freude des Wohlthuns übte.

Seinen Tod erwartete P. mit besonnenem Gleichmuth lange voraus und zwar in der Weise, wie er am 7. Mai 1876 als Schlaganfall beinahe plötzlich eintrat. Sein Haus war bestellt und Alles geordnet.

Vgl. Heindl, Galerie berühmter Pädagogen u. s. w. 1859. II, 105 ff. – Nekrolog in Beilage 144 Allgemeine Zeitung vom 23. Mai 1876 und die Studie über „Franz Graf Pocci als Dichter und Künstler“ im XXXVI. Bd. des Oberbayer. Archivs, 1877. S. 281–331, wo der erste Versuch gemacht wurde, alle seine Schriften und Werke bibliographisch zusammenzustellen. Die Zahl der im Druck, Lithographie, Holzschnitt, Radirung und Photographie erschienenen Schöpfungen beläuft sich auf 526 Nummern, welche gewiß noch namhaft durch neue Nachweise und Funde verstärkt werden dürften.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: noch