ADB:Lindenschmit, Wilhelm Ritter von
Wilhelm L. (1806–1848, s. A. D. B. XVIII, 695). Als derselbe 1839 zur Ausführung seiner Fresken auf dem Schlosse Landskron nach Thüringen ging, brachte er den aufgeweckten Knaben nach Mainz, wo er im Hause seines Großvaters, eines geschickten Münzgraveurs, und unter der Leitung seines Oheims Ludwig L. (1809–1893), dem nachmals um Erforschung der deutschen Vorzeit so hochverdienten Gelehrten, tüchtige Fortschritte im Zeichnen machte, aber zugleich für alte Burgen, Waffen, Chroniken, Kupferstiche und Bücher gewaltige Achtung und stetig wachsendes Verständniß gewann.
Lindenschmit: Wilhelm L., Historienmaler, geboren am 20. Juni 1829 in München, † am 8. Juni 1895 ebendaselbst als Professor der kgl. Akademie, erhielt seine früheste Anregung im Atelier und vor den Bildern seines edlen Vaters, des gleichnamigen, im strengen Stil ernste historische Arbeiten schaffendenSein offenes Auge, welches sich schon frühe für die Schönheit des Isarthales und der Gebirgswelt Altbaierns, dann am herrlichen Rhein begeistert hatte, erhielt neue Nahrung in den reichbewaldeten, sanftgewellten Hügeln Thüringens, wohin ihn der Vater kommen ließ. Bald darauf saß er wieder fest im Antiken- und Actsaal und übte sich in Lithographie und Holzschnitt, auch in der Reproduction der Arbeiten seines Vaters, welcher 1845 nach Mainz übersiedelte, wohin ihm der Jüngling auf einer malerischen Fußwanderung über Augsburg, Nördlingen, Nürnberg und Aschaffenburg, überall unter Einheimsung neu-anregender Eindrücke folgte. Nach dem überraschend schnell am 12. März 1848 erfolgten Ableben des Vaters suchte er weitere Förderung am Städel-Institut zu Frankfurt, wo er mit dem gleichstrebenden Landschafter Carl Peter Burnitz, K. Hausmann, Victor Müller, Adolf Schreyer [729] u. A., lauter nachmals wohlbekannten und berühmten Fachgenossen, zusammentraf, die alle ihre beste Kraft einsetzten, um es möglichst weit in der Welt zu bringen. Auch L. scheute vor keiner ehrlichen Arbeit zurück, um die Mittel zum Besuche der Akademie Antwerpen zu erwerben, wo er mit hellem Jugendmuthe ein größeres Bild „Tilly’s Niederlage bei Breitenfeld“ begann, vollendete und nach New-York absendete. Doch verscholl dasselbe unbegreiflicher Weise.
Hatte L. das erträumte goldene Vließ in dem manierirten belgischen Naturalismus nicht gefunden, so setzte er neue zuversichtliche Hoffnungen auf Paris, wo er mit den gleichgesinnten Henneberg, Gustav und Louis Spangenberg, Ludwig v. Hagn, Heilboth und abermals mit Victor Müller und Hausmann sich möglichst zu fördern suchte, die Alle, ohne eine Schule und berühmte Unterweisung zu genießen, bloß durch fleißige Nutzanwendung des Erhaschten und Geschauten auf eigene Faust weiterstrebten. Sie lebten wie ehedem die armen Klosterbrüder von S. Isidoro zu Rom, buchstäblich von der Hand zum Munde, im täglichen Kampf um Leben und Kunst, froh durch nächtliche Retouchirung von Photographien sich nothdürftigst über Wasser zu halten. Sie hausten und schliefen in einem Atelier, kochten mit Schmalhans um die Wette reihum, sparten am knurrenden Magen, nur um die Mittel für selbsteigenes Schaffen zu erreichen. Es klingt beinahe wie Ironie, wie diese sich durcharbeitenden Incaminaten an die höchsten Aufgaben sich wagten: L. mit einem „Herzog Alba bei der Gräfin von Rudolstadt“ und einer „Ernte“ – die billig losgeschlagen – sie fanden später ihren ehrenvollen Platz im Hamburger Stadt-Museum – die Mittel boten zu fernerer Wanderung. In blauer Blouse, das Ränzel auf dem Rücken – auch die nachmals berühmtesten „Düsseldorfer“ waren in ähnlichem handwerksmäßigem Kostüm nach dem schönen Süden und dem hohen Norden gezogen, Joseph Petzel, Reinhard Sebastian Zimmermann und Friedrich Pecht folgten in jungen Jahren demselben Recept – machte sich L. auf den Heimweg, d. h. er durchzog vorerst ganz Frankreich bis in die spanischen Pyrenäen und kehrte durch das Rhoneland und die Schweiz zurück. In Ermangelung kleiner Münze fanden sich überall Wirthe, Bürger und behäbige Landleute, die erfreut ihr Conterfait in ihrer Weise honorirten – einmal hatte der im Jura eingeschneite Maler elf Tage lang die Hände voll Arbeit; daß es Meister Albrecht von Nürnberg in seinen Wanderjahren von 1490–94 und nach ihm Hans Holbein auf der Reise nach England und Johannes Scoreel durch die halbe Welt fast ebenso trieben, ist durch neuere Funde nachgewiesen. Ehrliche Arbeit hat noch nie geschändet und das Wort „Per aspera ad astra!“ hat kein Geringerer als Seneca, offenbar aus eigener Empirie, gelehrt.
Nach Frankfurt zurückgekehrt, verwerthete L. von 1853–1863 die gewonnene Handsicherheit und sein coloristisches Können im steten Schaffen von Landschaften, Genrebildern und Illustrationen zu deutschen Classikern, gründete 1855 sein eigenes Heim und schmückte es aus zu einer wahren Künstlerwerkstätte. Hier entstand sein großer Carton „Franz I. Gefangennehmung bei Pavia“ (im Germanischen Museum zu Nürnberg), der Kampf der wackeren „Lützower bei Göhrde am 16. September 1813“, wobei das heldenmüthige Mädchen Eleonore Prochaska, welche, Allen unbekannt, als „August Renz“ bei den Freiwilligen Jägern, die tödtliche Kugel erhielt und dann mit allen militärischen Ehren ins frühe Grab gesenkt wurde (vgl. W. Petsch in Westermann’s Monatsheften 1870, XXIX, 90 ff.) – ein treffliches Bild, welches L. großmüthig zum Hülfsverein für Schleswig-Holstein stiftete. – In diesem glücklichen Schaffen dichtete er in festen Federzeichnungen den aus neun Blättern [730] bestehenden, in Steindruck vervielfältigten Cyklus der „Waldbilder“ – ein wahres Programm für spätere Oelgemälde, wovon jedoch nur eines als „Der Fischer“ (nach Goethe) in großem Format ausgeführt, die spätere Schack-Galerie bewahrt. Zum Schillerfest 1859 schmückte L. die eine Seite des Triumphbogens mit einer „Apotheose“ des Dichters, während der gerade aus Paris rückkehrende Victor Müller die entsprechende Rückwand decorirte. Die zum zweiten „Deutschen Bundesschießen“ 1862 erbaute Festhalle zierte L. mit vier die Varusschlacht, die Niederlage der Ungarn am Lech, die Türkenschlacht bei Wien und den Sieg an der Katzbach darstellenden großen Friesbildern. Damals entstand auch das Oelgemälde des seinen Trotz bis zum Ende bewahrenden „Franz von Sickingen“, eine Staatsaction, womit die jenem häßlichen Bauernkrieg vorauswirbelnde Erhebung der Reichsritterschaft ihr Ende fand. Andere geschichtliche Ereignisse des 16. Jahrhunderts waren durch größere Kreidezeichnungen vorbereitet, das „Marburger Reformatoren-Gespräch“, die „Gründung des Jesuiten-Ordens“ und ähnliche Projecte, mit deren späterer Ausführung L. seine eigenen Wege betrat.
Ein Antrag des über Frankfurt und Stuttgart nach München 1863 übergesiedelten Commerzienrath Fr. Bruckmann (s. A. D. B. 1903, XLVII, 275), welcher angeregt durch die „Stanza della Segnatura“ und Kaulbach’s Museums-Fresken in Berlin ähnliche culturelle Associationen neuerer Künstler und Dichter plante, zeitigte bei L. den wiederholt auftauchenden Wunsch, dem Münchener Kunstleben näher zu kommen und ganz nach der Isarstadt zu ziehen, wo er sich gleich außerordentlich heimisch fühlte. Seine vielseitige Bildung und leichtgestaltende Phantasie boten willig die Hand zu der in verhältnißmäßig kurzer Zeit bewältigten Bearbeitung der „Befreiungskriege“, worin alle Factoren der zwischen 1806 und 1814 reichenden Periode in einheitlichem Zusammenhang zur Sprache kamen. Daran reihte sich eine gleichfalls durch Photographie und Stich vervielfältigte „Ruhmeshalle“ der deutschen Litteratur (von 1700–1865) und Musik (1740–1867, Neumann sc.), der außerdeutschen Musiker (1564–1864); „Dante und die italischen Dichter und Schriftsteller von 1265–1865“, „Shakespeare und die Englische Literatur (1540–1868)“ und „Schiller in Weimar“, wozu Fr. Schwörer (s. A. D. B. XXXIII, 474) die „Koryphäen der deutschen Wissenschaft von 1740–1840“ übernahm – eine ganze Reihe artistischer „Conversationen“, welche sich später zu handsameren Porträt-Galerien vereinfachten. Indessen nahm L. die Oelmalerei wieder auf, zuerst mit der Ausführung seiner früher schon gezeichneten „Stiftung des Jesuiten-Ordens.“ Gegenüber dieser 1868 beendeten und durch sehr effectvolle Beleuchtung und Charakteristik überraschenden Leistung erschien 1875 im Auftrag des Fürsten von Waldburg-Wolfegg eine andere neue Bearbeitung dieses Vorganges von Karl Baumeister (geboren am 24. Januar 1840 zu Zwiefalten), welche diese ruhiger gestimmte Scene in die Kryta des Montmartre verlegte; Baumeister’s Composition fand durch Hanfstängl’s Photographie gleichfalls große Verbreitung.
Damit begann L. eine Specialität von Bildern aus dem Leben und Walten der Reformatoren in Deutschland, Holland und England, welche meist durch historische Haltung und specifische Charakteristik sich bemerkbar machten. Darunter „Luther als Currende-Schüler im Hause der Frau Cotta“ (Stich von Schultheiß; Holzschnitt im „Daheim“ 1873, X, 13), der junge „Luther 1497 bei Andreas Proles“ (auf Holz gezeichnet von K. Appold in Lützow’s Zeitschrift 1870, S. 122 und in Nr. 15 „Ueber Land und Meer“ 1875) und das ob seiner Lebendigkeit in Farbe und Conception das größte Aufsehen erregende, mit der Reformation indessen gar nicht zusammenhängende [731] Bild wie „Ulrich von Hutten“, während seines Aufenthaltes an der Universität zu Bologna die wälschen Scholaren mit seinen „Federwisch“ hinausfuchtelt: Einer liegt von dem, die Trinkgefäße zerschlagenden, Tisch und Stühle umstürzenden Raufbolde tödtlich verwundet, am Boden, während der Nächste nur eine deckende Pose wagt, um alsbald mit dem anderen Trio das Heil in der Flucht zu suchen. Fiebernd in grimmigster Wuth, ein wahrer „furor teutonicus“, eines Angriffs gewärtig, hat der Maler seinen Helden wie einen angewurzelten Eichbaum hingestellt: das waren „deutsche Hiebe!“ Dauerte kaum ein Jahrhundert, so war ein Anderer in gleicher Situation betroffen während seines einzigen Semesters auf der hohen Schule zu Altdorf, wo Freiherr Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein mit Stubenarrest und dem Consilium unterm 12 Januarj 1600 begnadigt wurde, nach Abtrag seiner Schulden „sich hinwegk zu thun vnd sein Gelegenheit anderer Orten zu suchen“. Daß noch keiner unserer Historiker sich bemüßigt fand, weder für den Einen oder den Anderen zu Bologna und Padua „aus den Akten“ Neues über die Genannten zu erheben? – Dann schilderte L. den calvinischen Prediger John Knox, welcher sich 1559 vergebens bemühte, die Zerstörung der schottischen Krönungsabtei Scone gegen die Kirchen und Schlösser stürmende sogenannte „congregatio christi“ aufzuhalten (Gartenlaube 1873, S. 403) und den „Tod des Prinzen Wilhelm von Oranien“ (im Auftrag der „Verbindung f. histor. Kunst“; vgl. Fr. Pecht in Beil. 103 d. Allg. Ztg. v. 12. April 1872); das Bild kam durch das Loos in den Besitz des Kaisers Franz Joseph und wurde dem k. und k. Hof-Museum einverleibt. Immer neue Stoffe reizten die Phantasie des Malers zu fortgesetztem Schaffen, darunter „Sir Walter Raleigh im Gefängniß von seiner Familie besucht“ (in Königsberg); „Anna Boleyn übergibt vor der Hinrichtung ihre Tochter Elisabeth dem Schutze des Matthew Parker“; dann weitere Begebenheiten aus Luther’s Leben: Sein Verbringen durch die Eltern 1497 in die Klosterschule der grauen Brüder zu Magdeburg (Holzschnitt in Schorer’s „Familienblatt“ 1887, S. 693); das „Gespräch mit dem Cardinal de Vio zu Augsburg“ (1518: vgl. Fr. Pecht in Beil. 120 d. Allg. Ztg. v. 30. April 1875); „Luther auf der Wartburg“, in Rom und im Kreise der Seinen, „Melanchthon“ u. s. w. Doch erging sich L. gerne mit anderen Stoffen, so reizte ihn, offenbar angeregt durch E. Grützner, Sir John Falstaff, der in Frauenkleidern von Fluth hinausgejagt wird (Fr. Pecht in Beil. 8 der Allgem. Zeitung von 1873); auch antike Stoffe wurden beliebt, z. B. mit einem „Narciß“ und die „Klage der Venus über den Tod des Adonis“, wozu ihn die Lust mit Farbenwirkungen zu experimentiren, zu allerlei Versuchen reizte (Lützow’s Zeitschrift 1874, IX, 787 und „Kunst für Alle“, 15. Aug. 1887, S. 347). War er früher schon mit seinen „Reformatoren“ und „Jesuiten“ in einen von Rosenberg beklagten „allmählich immer bräunlicher, grämlicher und krankhafter werdenden Gesammtton gerathen, so verführte ihn hier die Tendenz des gegensätzlichen Farbenspiels zu Mißgriffen: Mit dem hellbeleuchteten, trotzdem aber im Ton ziemlich unreinen und obenein etwas schwammigen Körper der Venus contrastirte der todte Adonis, dessen Leichnam schon von dem grünlichen Schimmer der Verwesung überzogen war“ (A. Rosenberg).
In erfreulicher Frische packten den Beschauer eine Anzahl Genrebilder, welche während seiner großen Schöpfungen, gleichsam im geistigen Athemholen aus der reichblühenden, gestaltenden Kraft des Meisters sich lösten, Kinder des Augenblickes, verkörperte Einfälle, immer aber von gewissenhafter Ausführung und in abgerundeter Farbe- und Formgebung. Beispielsweise schöne Frauengestalten, bald lehrend, sinnend (gestochen von Doris Raab), lesend, mit dem [732] Fächer spielend, aus Träumen erwachend, im Sonntagsstaat fröhlich dahinschreitend; oder ein herziger junger, in einem alten Codex studirender Scholar; ein armer „Fahrender Mann“ mit Weib und Kind, vor einer Klosterpforte aufspielend (vgl. Regnet in Lützow’s Zeitschrift 1877, XII, 548), „Faust in Auerbach’s Keller“ unter den Studenten (Stich von Barfus; vgl. Alfred von Wurzbach in Nr. 389 d. Wiener Allg. Ztg. v. 30. März 1881): Immer anregend und erfreuend, bringt er uns in angesehene Gesellschaft und wohlnachklingende Erinnerung. Es waren artistische Novellen, wenn er den alten biederen Bischof Willigis von Mainz vorführt, wie er in seinem Kreise für Kunst und Belehrung waltete (als Holzschnitt von Walla in „Der gute Kamerad“ 1900, XIV, 274), wenn Dürer seine Frau malt oder wenn Uhland’s „Goldschmied’s Töchterlein“ vorübereilt, das überraschte „Gretchen“ staunend den Schmuckfund betrachtet oder eine prangende, stolze „Venetia“ den Zauber der einzigen Lagunenstadt wachruft. Den höchsten Triumph erreichte der Meister mit dem, nach langen Vorarbeiten und Studien in seinem auf der Höhe von S. Pietro in vincoli gelegenen Atelier 1886, rasch in einem Zug vollendeten echt monumentalen „Alarich in Rom“. Der kühne Gothenkönig, welcher, „während noch die Jugendlocken seine Schultern blond umgaben“, schon so große Thaten vollbracht hatte, reitet in die durch Plünderung, Mord und Brand erfüllte Stadt, lebhaft mit histrionenhafter Pose die Gräuel abwehrend, gleichsam zum Schutz einer vor ihm getragenen, mit den silbernen Altarzierden und goldenen Kostbarkeiten der alten Peterskirche belasteten riesigen Bahre, die unberührt aus einem Versteck in das Heiligthum, unter dem Geleite der psalmodirenden Christengemeinde zurückgetragen werden. Die Krieger haben das schwere, floßähnliche Gerüst obendrein mit drei jugendlichen Nonnen belastet, deren mittlere mit dem himmelwärts gerichteten Blick, an ein schweres Metallcrucifix geklammert, wol den Glauben repräsentirt, während die beiden sie umschlingenden Seitengestalten etwa als Hoffnung und Liebe gedacht, zur Ergänzung der Cardinaltugenden gelten können. Den sinnigen Eindruck beeinträchtigt nur die Besorgniß, daß der Transport eines so improvisirten lebenden Bildes einige Uebung im beiderseitigen Balanciren beanspruchen dürfte. Das etwas willkürlich bearbeitete Factum bestätigt eine dem umschließenden Rahmen eingefügte, den ehemaligen „Spruchzetteln“ entsprechende Beschreibung, als nothwendige Beihülfe für den Beschauer, welchem man überhaupt nur solche Ereignisse vor Augen führen sollte, die keiner langen Explication und exegetischen Klarlegung bedürfen. Mit dieser colossalen, von der Kritik nicht einwandfrei aufgenommenen, nun in der städtischen Galerie zu Görlitz befindlichen Leistung erwies sich L. als ebenbürtiger Rivale Piloty’s, indem er aber auch, wie Rosenberg richtig hervorhebt, der Neigung des Letzteren zu theatralischem Aufbau und deklamatorischem Pathos mehr entgegenkam, als es in seinen früheren Historienbildern der Fall gewesen. Es war wie der mit voller Orchesterbegleitung und künstlicher Beleuchtung gut inscenirte Actschluß eines historischen, in wohlscandirten Jamben verfaßten Schauspiels (vgl. Lübke in Westermann’s Monatsheften, Jan. 1889, S. 504).
Als im Todesjahre Piloty’s (1886) L. seinen „Alarich“ beendete, hatte er schon seit neun Jahren an der Stelle des 1875 verstorbenen Arthur von Ramberg das Lehrfach an derselben Akademie bekleidet, nachdem ihm bereits 1874 die Ehrenmitgliedschaft der Berliner Akademie – 1888 erfolgte die gleiche Auszeichnung von Wien – zu Theil geworden war. Eine große Zahl von dankbaren Schülern, ihre Namen werden später aufgezählt, genossen seine eingehende Unterweisung. Inzwischen ergab sich erwünschte Gelegenheit, auch [733] die Wandmalerei wieder vorzunehmen. Nachdem L. früher im Hause des Freiherrn v. Cramer-Klett zu Nürnberg als festlicher Dekorateur sich 1867 bethätigt hatte, erwuchs ihm die Aufgabe einen von Hauberrisser erbauten Saal des Rathhauses zu Kaufbeuren mit Wandgemälden zu schmücken (1883 und 1884), wobei L. die von Keim präparirten Mineralfarben zur Anwendung brachte. Hier malte er die von Kindern in lebhafter Action umgebenen Frauengestalten der Bürgertugenden (Rechtspflege, Gottesfurcht, Barmherzigkeit) an der Fensterwand; gegenüber bot die historische Localtradition einen originellen Stoff: wie zur Zeit des dreißigjährigen Krieges ein schwedischer General zur Schonung der Stadt durch rührende Fürbitte der Kinder (Hussiten vor Naumburg) bewogen worden sei. Daß der Maler dazu die nettesten Modelle aus der Schulbevölkerung wählte, war ein guter, naheliegender Griff; ebenso daß er die dadurch vielleicht erwachsende Genrehaftigkeit durch allegorische Begleitung der Vaterlandsliebe u. dgl. parallelisirte (eine photographische Reproduction in neun Folio-Blättern erschien in Kaufbeuren). Nach Vollendung des „Alarich“ erblühte ihm ein neidenswerther Auftrag für das neue Rathhaus der Stadt München. Hier ergaben sich in Heinrich dem Löwen mit dem Modell der Burg und in Kaiser Ludwig dem Baier erwünschte Motive; auch in der Darstellung des Schützenfestes von 1577 und der für Kunst und Wissenschaft so ersprießlichen Periode König Ludwig I., wozu die „Verlegung der Universität von Landshut nach München“ eine für malerische Wirkung schwer verwendbare Aufgabe bot. Schwieriger gestaltete sich das Pensum für den durch Lender erbauten Rathhaussaal zu Heidelberg, wo die „Uebergabe der Reform-Urkunde der dortigen Universitas unter Pfalzgraf Otto Heinrich“ (1558) als Oelbild Platz fand, ein Thema, welches an die auch im Münchener National-Museum beliebten Probleme der Unmöglichkeit grenzte („Kunst für Alle“, 15. April 1893, S. 218). Schon 1861 hatte sich L. mit A. Schmitz und W. Pfnorr an einem Bildercyklus in Holzschnitten zur Deutschen Geschichte betheiligt. Zu Joh. Scherr’s „Germania“ lieferte L. das Bild „Gothen auf der Wanderung durch ein toskanisches Thal“; einen „Auszug zur Jagd“. Andere Arbeiten Lindenschmit’s ähnlicher Art würden ein langes Verzeichniß in Anspruch nehmen. Dazu zählt auch ein großer „Die Hochzeit zu Kana“ darstellender Carton im Stile der Cinquecentisten für ein von Zettler gemaltes Monumentalfenster nach Chicago (in Nr. 37 „Ueber Land und Meer“ 1893, Bd. 70, S. 767).
Wichtiger ist die wenn auch nur namentliche Aufzählung seiner akademischen Schüler, die sich mit Freuden seiner Lehre und Unterweisung rühmten. Dazu gehören Fr. Keller, Hans Blum, die Landschafter Fritz Bär und Ludwig Gebhardt, Ludwig v. Zumbusch, Ch. Ulrich, G. v. Hößlin, der lustige H. Schlitt, Hans Pöck, K. Freiherr v. Bodenhausen, der durch seine anmuthigen Frauenbilder bekannte Alfred Seifert (geboren am 6. September 1850 zu Horowitz, † am 4. Februar 1901), Fr. Bredt, A. Eckardt, W. Kreling, Heierdahl, Werenskiold, Wergeland, der Amerikaner Karl Marr, der Porträtmaler Leo Samberger, F. P. Messerschmitt, Kunz Meyer, Schneidt, der Tiroler Albin Egger Lienz, der Schweizer Ed. von Berlepsch-Valendas, W. Ziebland, N. Mathes, E. Hausmann, Alfred Zimmermann, Harburger, Röse, Fr. Freund, K. Steinheil, G. Rößler und Waltenberger, dazu die Damen Tina Blau-Lang und Bertha Wegmann. Eine Collectiv-Ausstellung von Arbeiten seiner Schüler wurde im Mai 1895 veranstaltet. Ebenso aber auch eine drei Säle des Glaspalastes füllende Exposition seines Nachlasses (vgl. Nr. 130 d. Allg. Ztg. v. 11. Mai 1895). Wie sich L. seiner Scholaren annahm und mit feurigem [734] Eifer den Unterricht betrieb, schildert der auch als Kunsthistoriker bekannte Kroate J. Krsnjavi (in Lützow’s Zeitschrift 1880, XV, 115). Als es sich zu Ende der sechziger Jahre um Errichtung einer Kunstschule für Frauen und Mädchen handelte, sprang L. als Lehrer, Berather und Bahnbrecher wacker ein. Ebenso ermüdete er nicht die Frage der internationalen Kunstausstellungen zu ventiliren und zu befürworten, indem er gerade von diesem Wettkampf aller Nationen einen besonderen Aufschwung für das heimische München prophezeite. Er sinnirte überhaupt gerne über allerlei Probleme und suchte seine Theorien als Praktiker zur Erscheinung zu bringen. Für A. W. Keim’s Verbesserung der Maltechnik trat er mannhaft ein und setzte es durch, daß dem vielgeprüften Forscher ein eigenes Laboratorium an der Akademie eingeräumt wurde. In dieser Technik malte L. das Werk seines Vaters, den „Sieg Ludwig’s des Reichen über Albrecht Achill bei Giengen“ in den Arkaden nach der glücklicherweise erhaltenen Cartonzeichnung, ebenso das berühmte Fresko mit der „Sendlinger Schlacht“ an der dortigen Kirche, nur stimmte er das leuchtende Fresko um eine Octave tiefer, ebenso auch an Bernhard Neher’s „Einzug des Kaisers Ludwig in seine Hauptstadt nach der Niederlage Friedrich’s des Schönen in der Schlacht bei Mühldorf“ – eine Transscription in das unserem L. bisweilen sehr naheliegende „grämliche“ Colorit. Zeitweise hält ja auch der gute Vater Homer ein Schläfchen!
Lindenschmit’s Kunst hat überhaupt etwas Abstractes, man fühlt das in langer Deliberation mühsam ausgeklügelte Wollen und die geplante Absichtlichkeit; es ist kein primitiv erfrischendes Aufquellen, keine wohlthätige Ueberraschung; er sagt nichts Neues oder in bisher unerhörter Form; frappirt er auch bisweilen (wie im Hutten) durch die Unmittelbarkeit, so wirkt das nur für einen Augenblick, bietet aber keinen bleibenden Eindruck und haftet nur selten als liebe Erinnerung. Bei Piloty ist es der hinreißende Choc der Genialität, L. manövrirte als bedächtiger Taktiker. Auch L. gebraucht zu viel oratorische Mittel um klaffende Lücken der Composition und leere Winkel mit phraseologischem Füllsel zu stopfen, wozu beispielesweise bei seinen gelehrten Unterhaltungen und Disputationen ein auf dem Fußboden zerstreut aufgestappelter Bücherhauf dienen muß, als ob die braven Reformatoren mit den kostbarsten Manuscripten und Druckwerken in einer jeden Bibliothekar empörenden Rücksichtslosigkeit Ball gespielt hätten. L. schildert den feinsinnigen Andreas Proles als einen Ofenhocker und Stubengelehrten, der seine Bücherei beliebig herumstreut; auch im Hause der Frau Kotta ist keine musterhafte Ordnung und bei dem Marburger Religionsgespräch liegen ganze Bücherstöße unter dem Tisch und auf der Diele. Wie säuberlich hat Dürer und Holbein seine Zeitgenossen und Gelehrten in ihrer Geistesarbeit dargestellt! – Jede Periode hat ihre eigene Vorstellungs- und Sprechweise und bleibt im Bann derselben. L. hat jedenfalls mit allen ihm zuständigen Kräften sein Bestes gethan und verdient darob gerechte Anerkennung und Dank.
- Vgl. Regnet in Nr. 19 „Ueber Land und Meer“ 1871, XXV, 4 (mit biogr. Notizen) und in s. „Künstlerbildern“ 1871. II, 22 ff. – Rosenberg, Die Münchener Malerschule seit 1871. 1887, S. 53 ff. und Geschichte der Modernen Kunst 1889 u. 1894. III, 100 ff. – Pecht, Geschichte der Münch. Kunst 1888, S. 232 u. 361. – Porträt und Nekrolog in Nr. 89 „Ueber Land und Meer“ 1895, Bd. 74, S. 752. – Kunstvereinsbericht f. 1895, S. 77. – Fr. v. Bötticher 1895, l, 878 ff. – Vgl. dazu die sehr anerkennenswerthe, leider nur als Manuscript edirte pietätvolle Abhandlung seines Sohnes W. Lindenschmit über „Leben und Wirken“ s. Vaters. München 1895, Fol., 21 S. – Lindenschmit’s Nachlaß wurde durch Hugo [735] Helbing am 14. October 1896 versteigert; der reich illustrirte Katalog enthielt auch die vorgenannte biographische Skizze.