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ADB:Fabricius, Johann

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Artikel „Fabricius, Johann“ von Julius August Wagenmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 507–509, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fabricius,_Johann&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:38 Uhr UTC)
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Fabricius: Johann F., lutherischer Theologe des 17.–18. Jahrhunderts, geb. zu Altorf bei Nürnberg den 11. Febr. 1644, gest. als Abt zu Königslutter im Braunschweigischen den 29. Jan. 1729. Er stammte aus einem alten Nürnberger Theologengeschlecht, das seit der Reformation durch vier Generationen hindurch in mildem Melanchthonischem Geiste der evangelischen Kirche gedient hatte. (Seine Vorfahren waren: 1) Johann F., Freund Melanchthon’s, Prediger zu St. Lorenz in Nürnberg, † 1558; 2) Johann Baptist F., Prediger zu Nürnberg [508] und Fürth, † 1578; 3) Johann F., Prediger zu St. Sebald, † 1637; 4) Johann F., Professor der Theologie in Altorf, zuletzt Pastor an der Marienkirche zu Nürnberg, † 1676, der Vater des Abtes, vgl. J. A. Fabricius, Fabriciorum Centuria, 1727 und Will’s Nürnb. Gel.lex. Bd. I.) Nachdem er auf dem Gymnasium zu Nürnberg, wohin sein Vater 1649 versetzt war, seine Vorbildung erhalten, studirte er 1663–65 in Helmstädt bei Conring, Saubert, F. U. Calixt, Titius, Cellarius u. A., dann 1665 ff. in Altorf bei Dürr, Reinhart, Weinmann Philosophie und Theologie und gewann hier jene umfassende Gelehrsamkeit, aber auch jene moderate, irenisch-synkretistische Richtung, wie sie damals auf den beiden genannten Universitäten die vorherrschende war. Auf mehrjährigen Reisen durch Deutschland, die Niederlande, Ungarn und Italien 1670 ff., später auch noch 1682 durch Frankreich erweiterte er seinen theologischen Gesichtskreis und seine Kenntnisse und knüpfte ausgedehnte persönliche und litterarische Beziehungen an, bekleidete auch eine Zeit lang eine evangelische Predigerstelle an einer deutschen Gemeinde zu Venedig. Von da folgte er 1677 dem Ruf zu einer theologischen Professur in Altorf, die er mit einer Inauguralrede „Ueber den Nutzen einer italienischen Reise für einen Studirenden der Theologie“ antrat, wurde 1690 Dr. theol. in Jena, 1697 Professor der Theologie in Helmstädt, 1701 zugleich Abt von Königslutter als Nachfolger des jüngern Calixt, 1703 herzogl. braunschweigischer Consistorialrath und in demselben Jahre Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften. Er war hochgeachtet als scharfsinniger und vielseitiger Gelehrter, als friedliebender und moderater Theolog, als gewandter Docent, Prediger und theologischer Schriftsteller, besonders auf dem Gebiet der Irenik oder comparativen Symbolik, die er in einem für jene Zeit Epoche machenden Werk unter dem Titel: „Consideratio variarum controversiarum cum Atheis, Gentilibus, Judaeis, Mohamedanis, Socinianis, Anabaptistis, Pontificiis, Reformatis“, Helmstädt 1704 und in neuer verkürzter Gestalt Stendal 1715 bearbeitete. Schon durch dieses Werk zog sich F. von Seiten der strengen lutherischen Orthodoxie zahlreiche Angriffe wegen allzuweit gehender Laxheit und Lauheit in der Beurtheilung der confessionellen Gegensätze zu, und zuletzt büßte er das Uebermaß seiner Toleranz und seiner Willfährigkeit gegen die katholisirenden Tendenzen des braunschweigischen Hofes sogar mit dem Verlust seines akademischen Lehramts. Als nämlich seit 1704 Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel theils aus persönlicher Eitelkeit, theils aus politischen Absichten (vgl. Bd. I. S. 487) die Verheirathung seiner Enkeltochter Elisabeth (s. d.) Christine mit dem österreich. Erzherzog, dem damaligen span. Kronprätendenten und nachmaligen deutschen Kaiser Karl VI., eifrigst betrieb und zu diesem Zweck die anfangs widerstrebende Prinzessin zu dem von ihr geforderten Confessionswechsel überredete und später dieser Schritt vor der protestantischen Welt gerechtfertigt werden sollte: da war es der Abt F., der sich bereit finden ließ, das von dem Herzog gewünschte theologische Gutachten zu erstatten über die Frage: ob eine evangelisch-protestantische Prinzessin wegen Vermählung mit einem katholischen König mit gutem Gewissen die römisch-katholische Religion annehmen könne? Das Gutachten (nach des F. eigenhändigem Original abgedruckt bei Hoeck a. a. O. S. 81 ff.) fiel so sehr zur Zufriedenheit des Herzogs aus und auch bei den weiteren Verhandlungen leistete F. so bereitwillige und wichtige Dienste, daß er sich das volle Vertrauen und die Gunst seines Herzogs erwarb, die ihm dieser auch später noch bei seinem eigenen Uebertritt zur römischen Kirche im J. 1710 (s. Hoeck a. a. O. S. 217 ff.) bewies. Anderseits aber erregte das zweideutige Benehmen des Helmstädtischen Theologen und besonders die unlautere Art und Weise, wie F. theils die Autorschaft des durch eine Indiscretion publicirten „Responsum“ abzuleugnen, theils die darin vorgetragenen Behauptungen zu vertheidigen suchte, sowie sein Versuch, auch andere Theologen, besonders seine [509] Helmstädter Collegen in die Sache hereinzuziehen, gegen F. einen solchen Sturm des Unwillens in der ganzen protestantischen Welt, in Deutschland sowol als in dem aus politischen Gründen damals so nahe betheiligten England, daß trotz aller Ableugnungs- und Rechtfertigungsversuche, die F. theils im eigenen Namen, theils anonym, theils im Namen der Helmstädter Theologenfacultät ausgehen ließ (die Titel s. bei Hoeck S. 129 ff.), Herzog Anton Ulrich zuletzt keine andere Wahl hatte, als dem Verlangen des bei der Aufsicht über die braunschweigische Gesammtuniversität mitbetheiligten kurfürstlich hannoverschen Hofes nachzugeben und F. seines Helmstädter Lehramtes „auf Ansuchen“ zu entheben (1709). Uebrigens behielt er nicht blos seinen Gehalt und seine Abtei Königslutter, sondern wurde auch zum Generalinspector der Schulen des Herzogthums Braunschweig-Wolfenbüttel ernannt. Er lebte als Professor honorarius et emeritus noch 20 Jahre in ungeschwächter Kraft, wenn auch nicht ohne zunehmende Verbitterung gegen die lutherischen Orthodoxen, beschäftigte sich mit der Verwaltung und Verschönerung seiner Abtei und mit litterarischen Arbeiten, insbesondere mit einem großen bibliographischen Werke, einer räsonnirenden Beschreibung seiner eigenen reichhaltigen Bibliothek (unter dem Titel: „Historia bibliothecae Fabricianae“, Wolfenbüttel 1717–24, 6 Bände in 4.), machte auch noch wiederholte aber vergebliche Versuche, in seine Professur wieder eingesetzt zu werden, indem er seine in der Conversionssache erstatteten Gutachten damit zu entschuldigen suchte, daß er „lediglich der raison d’état sich unterworfen und für seinen Herrn sich sacrificirt habe“. Es half alles nichts: man erwiderte ihm, daß er ja freiwillig der Professur sich begeben, und daß „seine sentiments vom Abtritt der evangelischen Religion zu der katholischen bei vielen auch rechtschaffenen Christen keinen Beifall finden würden“. Er starb 85 Jahre alt, nachdem er den Ruf eines „gelehrten und moderaten Theologen“, den er mit anderen seines Namens theilt, durch den nicht unverdienten Makel eines servilen und unlauteren Charakters befleckt hatte. – Sein Sohn, Rudolf Anton F., wurde 1731 Professor der Philosophie in Helmstädt.

Notizen über sein Leben gibt F. selbst in seinen „Amoenitates theol.“, p. 357 ss. und in seiner „Historia bibliothecae Fabricianae“, V. 101. Außerdem s. Chrysander, Diptycha prof. theol., Wolfenbüttel 1748, p. 275 ss. Zeltner, Theol. Altorf. Will, Nürnb. Gel.-Lex. I. 376, V. 308 ff., besonders aber Wilhelm Hoeck, Anton Ulrich und Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel, 1845. Frank, Gesch. der protestantischen Theol., Bd. II. S. 226 ff. Hencke in Herzog’s theol. R.-E. Bd. IV. Ausführliche Verzeichnisse seiner Schriften geben Zeltner, Will, Chrysander, Jöcher; von seinem ausgedehnten Briefwechsel ist einiges gedruckt bei Schelhorn, Amoenit. theol. V. XII, anderes benützt von Frank u. A.