Zum Inhalt springen

Von der Armut des Reichsten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<<
Autor: Friedrich Nietzsche
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Von der Armut des Reichsten
Untertitel:
aus: Nietzsche’s Werke. Erste Abtheilung. Band VIII. Dionysos-Dithyramben. S. 437-440
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: C. G. Naumann
Drucker:
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: {{{ÜBERSETZER}}}
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Internet Archive und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[437]
Von der Armut des Reichsten

Zehn Jahre dahin —,
kein Tropfen erreichte mich,
kein feuchter Wind, kein Thau der Liebe
— ein regenloses Land…

5
Nun bitte ich meine Weisheit,

nicht geizig zu werden in dieser Dürre:
ströme selber über, träufle selber Thau,
sei selber Regen der vergilbten Wildniss!

Einst hiess ich die Wolken

10
fortgehn von meinen Bergen, —

einst sprach ich „mehr Licht, ihr Dunklen!“
Heut locke ich sie, dass sie kommen:
macht dunkel um mich mit euren Eutern!
— ich will euch melken,

15
ihr Kühe der Höhe!

Milchwarme Weisheit, süssen Thau der Liebe
ströme ich über das Land.

Fort, fort, ihr Wahrheiten,
die ihr düster blickt!

20
Nicht will ich auf meinen Bergen

herbe ungeduldige Wahrheiten sehn.
Vom Lächeln vergüldet
nahe mir heut die Wahrheit,

[438]

von der Sonne gesüsst, von der Liebe gebräunt, —

25
eine reife Wahrheit breche ich allein vom Baum.


Heut strecke ich die Hand aus
nach den Locken des Zufalls,
klug genug, den Zufall
einem Kinde gleich zu führen, zu überlisten.

30
Heut will ich gastfreundlich sein

gegen Unwillkommnes,
gegen das Schicksal selbst will ich nicht stachlicht sein
— Zarathustra ist kein Igel.

Meine Seele,

35
unersättlich mit ihrer Zunge,

an alle guten und schlimmen Dinge hat sie schon geleckt,
in jede Tiefe tauchte sie hinab.
Aber immer gleich dem Korke,
immer schwimmt sie wieder obenauf,

40
sie gaukelt wie Öl über braune Meere:

dieser Seele halber heisst man mich den Glücklichen.

Wer sind mir Vater und Mutter?
Ist nicht mir Vater Prinz Überfluss
und Mutter das stille Lachen?

45
Erzeugte nicht dieser Beiden Ehebund

mich Räthselthier,
mich Lichtunhold,
mich Verschwender aller Weisheit Zarathustra?

Krank heute vor Zärtlichkeit,

50
ein Thauwind
[439]

sitzt Zarathustra wartend, wartend auf seinen Bergen, —
im eignen Safte
süss geworden und gekocht,
unterhalb seines Gipfels,

55
unterhalb seines Eises,

müde und selig,
ein Schaffender an seinem siebenten Tag.

— Still!
Eine Wahrheit wandelt über mir

60
einer Wolke gleich, —

mit unsichtbaren Blitzen trifft sie mich.
Auf breiten langsamen Treppen
steigt ihr Glück zu mir:
komm, komm, geliebte Wahrheit!

65
— Still!

Meine Wahrheit ist’s!
Aus zögernden Augen,
aus sammtenen Schaudern
trifft mich ihr Blick,

70
lieblich, bös, ein Mädchenblick…

Sie errieth meines Glückes Grund,
sie errieth mich — ha! was sinnt sie aus? —
Purpurn lauert ein Drache
im Abgrunde ihres Mädchenblicks.

75
— Still! Meine Wahrheit redet! —


Wehe dir, Zarathustra!
Du siehst aus, wie einer,
der Gold verschluckt hat:
man wird dir noch den Bauch aufschlitzen!…

[440]
80
Zu reich bist du,

du Verderber vieler!
Zu viele machst du neidisch,
zu viele machst du arm…
Mir selber wirft dein Licht Schatten —,

85
es fröstelt mich: geh weg, du Reicher,

geh, Zarathustra, weg aus deiner Sonne!…

Du möchtest schenken, wegschenken deinen Überfluss,
aber du selber bist der Überflüssigste!
Sei klug, du Reicher!

90
Verschenke dich selber erst, oh Zarathustra!


Zehn Jahre dahin —,
und kein Tropfen erreichte dich?
Kein feuchter Wind? kein Thau der Liebe?
Aber wer sollte dich auch lieben,

95
du Überreicher?

Dein Glück macht rings trocken,
macht arm an Liebe
— ein regenloses Land…

Niemand dankt dir mehr,

100
du aber dankst jedem,

der von dir nimmt:
daran erkenne ich dich,
du Überreicher,
du Ärmster aller Reichen!

105
Du opferst dich, dich quält dein Reichthum —,

du giebst dich ab,
du schonst dich nicht, du liebst dich nicht:
die grosse Qual zwingt dich allezeit,

[441]

die Qual übervoller Scheuern, übervollen Herzens —

110
aber niemand dankt dir mehr…


Du musst ärmer werden,
weiser Unweiser!
willst du geliebt sein.
Man liebt nur die Leidenden,

115
man giebt Liebe nur dem Hungernden:

verschenke dich selber erst, oh Zarathustra!

— Ich bin deine Wahrheit…