Syrakus (Meyer’s Universum)
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Der Anblick von Syrakus, welches, wie Tarent, zwei Meerbusen umarmte, hat noch immer etwas Großartiges, wiewohl die jetzige Stadt, auf die Insel eingeschränkt, kaum den zwanzigsten Theil des Raums einnimmt, den sie, als eine der prachtvollsten und größten Städte der alten Welt, einst bedeckt hat.
Doch mehr als das Räumliche sind es die großen, historischen Erinnerungen, welche die Seele beschäftigen und bedrängen bei dem Bilde dieser uralten Metropole Siciliens. Man sieht die Stadt, welche unter allen griechischen Pflanzstädten Athen den Vorzug streitig machte, welche siegreich gegen Carthago kämpfte und muthig gegen Rom in die Schranken trat, das gefürchtete Rom, dem alle Völker Italiens schon huldigten. Man überblickt eine lange Reihe von ereignißreichen Jahrhunderten, während welcher dieses Syrakus, eine hohe, [7] Gestalt, ernst über die Bühne der Weltgeschichte schreitet. – Werfen wir auf dieses historische, vergangne Syrakus einen Blick, ehe wir das heutige beschreiben.
Im 4. Jahre der 111. Olympiade (im 731. vor unsrer Zeitr.) und 22 Jahre vor der Erbauung Roms – so erzählt Thucydides – stiftete der Heraklide Archias aus Corinth, als Haupt einer Schaar griechischer Auswanderer, auf der kleinen Insel Ortygeia, nachdem er Sykulische Fischer daraus vertrieben hatte, eine Pflanzstadt, die er später durch einen Damm mit der Küste in Verbindung brachte. Er nannte sie Syrakus, die Stadt an den Sümpfen, nach großen Morästen gleichen Namens, die auf der Küste gegenüber lagen und sich weit in das Land erstreckten. Dieses älteste Syrakus nahm genau die Stelle des heutigen ein.
Schnell muß die Stadt zugenommen haben an Wohlstand, Bevölkerung und Macht; denn schon 70 Jahre nach ihrer Gründung konnte sie Colonieen aussenden: Akrä, Kosmenä als die ersten. Die Staatsform war die heimathliche: die Republik.
Bei allmähliger Ausbreitung ihrer Herrschaft auf der Küste kam es zu Reibungen mit andern griechischen Colonieen. Gela, die mächtigste derselben, von Gelon beherrscht, gerieth mit Syrakus in Krieg und dies unterlag. Gelon nahm die Stadt ein, machte sie zu seiner Residenz, veranlaßte viele Tausende, sich in derselben niederzulassen und zog den Strom der griechischen Auswanderung hierher. Da blühte Syrakus wunderbar auf und noch bei Lebzeiten des Fürsten erreichte es eine nie geahnte Größe. Gelon herrschte durch Weisheit und Güte, einer der größten Griechen und der ehrwürdigsten Regenten, deren Namen die Geschichte bewahrt hat.
So groß war schon der Begriff von der Macht des jungen Pflanzstaats, daß, als Xerxes mit ungezählten Heeren und Flotten gegen die Griechen heranzog, diese eine feierliche Gesandtschaft an Gelon schickten, seinen Beistand zu erbitten. Er bot ihnen eine Flotte, 20,000 schwer bewaffnete Fußkrieger, 2000 Reiter und 6000 Bogenschützen an, dazu Getreide für das ganze Griechenheer, so lange noch ein Perser auf Hellas Boden weilen würde; verlangte aber die Oberfeldherrnstelle für sich. Hochmüthig antworteten die Griechen: „wir brauchen Krieger; die Feldherren haben wir selbst.“ – „Nun, so ziehet wieder heim, geehrte Gastfreunde,“ versetzte Gelon, „und sagt den Hellenen, sie hätten ein Jahr ohne Frühling.“ Mit dem Frühling verglich er die aufblühende Macht der Syrakusaner. –
Es war ein Glück für diese, daß sie nicht ausgezogen. Denn auf Anstiften des Xerxes hatte Carthago ein ungeheures Heer gesendet, die griechischen Pflanzstädte auf Siciliens und Italiens Küsten zu zerstören und jene Länder zu unterjochen. Es kam und unwiderstehlich wälzte sich der Carthaginenser Kriegsmacht über Siciliens Fluren hin. Erst an den festen Mauern Hymera’s und dem Muthe seiner Bürger stemmte sich die Fluth. Gelon zog den auf das Aeußerste Bedrängten mit 50,000 Mann Fußvolk und 8000 Reitern zu Hülfe, griff das Heer der Carthager, das viermal so starke, von berühmten Feldherren befehligte, an, und vertilgte es in der größten [8] und blutigsten Schlacht, die bis auf jenen Tag in Europa geschlagen worden war. 150,000 Carthager blieben todt, der Rest des Heeres, 60,000 Mann, eingeschlossen und vom Hunger bezwungen, wurde gefangen; die Flotte, 1400 Schiffe, ging in Flammen auf. – Wunderbar! derselbe Tag, der griechische Tapferkeit durch so großen Sieg belohnte, flocht noch schönern Lorbeer um Hellas Scheitel durch jene herrlichste der Niederlagen, welche die Siege aller Zeiten verdunkelt. In derselben Stunde nämlich, in der Gelon bei Hymera schlug, blutete Leonidas mit seinen 300 Spartanern an Gräcia’s Felsenpforte (bei den Thermopylen) den Tod für’s Vaterland.
Nach dem Siege bei Hymera, der entschied, ob das westliche Europa phönizisch-afrikanische, oder griechisch-römische Cultur empfangen sollte, wollte Gelon dem Mutterlande zu Hülfe eilen, als er erfuhr, daß die Griechen durch den großen Seesieg bei Salamis selbst sich befreit. Aeußerer Feinde ledig, (die Carthaginenser gingen einen schmachvollen Frieden ein), wandte der weise Fürst fortan sein ganzes Streben an die Vermehrung des Glücks und Wohlstandes seines Volkes. Er verwandelte, durch Austrocknung, die Sümpfe in das fruchtbarste Marschland und führte die Bürger, wie früher zur Schlacht, zum Ackerbau an. Gegen den Abend seines Lebens berief er eine allgemeine Volksversammlung, bei der ein Jeder bewaffnet erscheinen mußte, und ohne Gefolge begab er sich in ihre Mitte und forderte Alle, die ihn ungerechter That zeihen könnten, blutige Rache an ihm zu nehmen, auf. Er starb, angebetet fast, in hohem Alter, und sein jüngerer Bruder Hieron erbte die Liebe und den Thron der Syrakusaner, nicht aber die ganze Summe seiner Tugenden. Doch war er kein schlechter Fürst. Er liebte die Wissenschaften und Künste und die berühmtesten Dichter und Philosophen damaliger Zeit, Simonides, Pindar etc. zierten seinen Hof. Auf Hieron folgte Thrasybulos, ein Tyrann. Das Volk stürzte ihn vom Throne, mit ihm den Thron selbst, und richtete an des letztern Stelle die alte Republik wieder auf.
Sechzig Jahre bewahrten die Syrakuser ihre Freiheit unter oft großen Zerwürfnissen und innern Stürmen. Demungeachtet blühete die Stadt immer herrlicher auf.
In diese Periode fällt der berühmte Versuch Athen’s, das rivalisirende Syrakus zu demüthigen. Alcibiades kam an der Spitze eines großen Heeres und die Athener belagerten Syrakus mehre Jahre lang, mit einer Tapferkeit, die einer bessern Sache werth war. – Die griechischen Pflanzstädte nahmen für und wider Partei. Oft wechselte das Glück, oft wurden Heere und Flotten erneuert. Am Ende schmolz die Macht der Athenienser durch eine Pest um zwei Drittheile, und eine letzte Schlacht kostete 18,000 ihrer Krieger das Leben. Mit den Heerführern ergaben sich 7000, die als Sklaven verkauft wurden. So endigte eine Unternehmung, welche über 250,000 Streitern das Leben gekostet und worauf Athen 3 Jahre lang seine besten Kräfte verwendet hatte.
Befreit von den Atheniensern, genoß Syrakus der Ruhe nicht. Innerer Zwist ohne Ende machte nicht selten die Straßen zum Schlachtfelde, wo der Bürger den Bürger würgte. Das Bedürfniß festerer gesetzlicher [9] Bande wurde allgemein gefühlt. Diokles, ein Mann von Lykurgischem Geiste, erhielt durch den Willen des Volks den Auftrag ihrer Abfassung. – Sie waren sehr strenge. Eins lautete: kein Bürger dürfe bei Todesstrafe bewaffnet bei öffentlichen Volksversammlungen erscheinen. Diesem fiel der Gesetzgeber selbst als Opfer. Einst geht er mit umgürtetem Schwerdt aus dem Hause. Ein Auflauf des Volks entsteht; er eilt, es zu beruhigen, in seine Mitte. Da ruft ihm ein Bürger zu: Diokles, du brichst dein Gesetz! Nicht so, bei’m Zeus, antwortete er, ich bekräftige es! und stieß sich das Schwerdt in die Brust. – Die Syrakusaner erzeigten ihm später Heroenehre und widmeten ihm einen Tempel.
Nach Diokles Tod verwickelten sich die Angelegenheiten Siciliens, in denen Syrakus stets eine Hauptrolle spielte, auf die gefährlichste Weise. Carthago hatte nach der Niederlage bei Himera seine Pläne auf die Eroberung der Insel keineswegs aufgegeben, und während einer siebenzigjährigen Pause wartete es blos des Augenblicks, in welchem es mit größerer Wahrscheinlichkeit des Erfolgs seine frühern Anschläge ausführen konnte. Nach keinem Besitz hat Carthago so heftig und beharrlich gestrebt, als nach dem Siciliens. Allerdings machte die Größe, die Fruchtbarkeit, die Menge und der Reichthum der Bewohner, die Lage endlich, den Besitz dieser Insel, welcher nach dem damaligen Stand der Dinge die Herrschaft des Mittelmeers und gewissermaßen der Welt bedingte, höchst wünschenswerth. Auch war Carthago kein Fremdling in dem Lande, nach dem es strebte. Seit den ältesten Zeiten schon übte es die Hoheit über Colonieen, welche seine Stammgenossen, die Phönizier, auf der Westküste Siciliens angelegt hatten.
Der vielgetheilte Zustand und die unaufhörlichen innern Zwistigkeiten der griechischen Pflanzstädten, welche sich, nach der Vertreibung der Athenienser, eifersüchtig befehdeten, schien den Carthaginensern für den Erfolg eines erneuerten Eroberungsversuchs hinlängliche Bürgschaft. Gelegenheit dazu war bald gefunden. Egesta war mit den Nachbarstädten in Krieg und unterlag. Die Carthager boten Hülfe, die jenes annahm. Hannibal und Hamilco, Carthago’s Feldherren, kamen mit einer furchtbaren Flotte und landeten an der Spitze eines zahlreichen Heeres. Sie befreiten Egesta, zerstörten Selinus und Himera, eroberten und verwüsteten das mächtige, reiche Agrigent und belagerten Gela. Ganz Sicilien richtete in dieser Gefahr seine Blicke auf das starke Syrakus, welches durch Größe und Reichthum damals Athen, Rom und Carthago gleichkam. In vier durch Bollwerke und Gräben getrennte Städte getheilt, hatten seine Ringmauern 10 Stunden Umfang; sie umschlossen 150,000 Gebäude und deren Einwohnerzahl überstieg eine Million; der streitbaren Männer waren über 200,000. Die Macht, das Ansehen und das Gewicht, welches diese nummerischen Verhältnisse Syrakus gaben, wurden vermehrt durch den rührigen Geist seiner Bewohner, der ihnen mit allen Griechen gemein war, aber auch geschwächt durch einen kaum glaublichen Luxus, durch Sittenlosigkeit und durch den Mangel einer starken, die Parteien und ihre Leidenschaften im Zügel haltenden Verfassung. –
[10] In dieser gefahrvollen Zeit war Syrakus nicht in der Lage, um von seinen Kräften zur Befreiung Siciliens[WS 1] von den Carthagern rechten Gebrauch zu machen. Im Innern der Stadt brannte das Feuer der Zwietracht; das leicht bewegliche Volk wogte steuerlos, dem Sturme der Leidenschaften, den Parteien und arglistigen und herrschsüchtigen Menschen, die nach der obersten Gewalt strebten, ein Spiel. Die edelsten Männer, welche die einbrechende Anarchie zu hemmen und die mißleitete Masse über die Pläne ihrer Aufwiegler und Häuptlinge aufzuklären suchten, fielen als Opfer ihres Muthes. – Hermokrates, der Held, welcher für Syrakus viele Schlachten gewonnen hatte, wurde in einem Volksauflauf erschlagen, mit ihm viele der Besten. Die Gährung warf die Schlechtesten nach Oben und der niedrigste Pöbel schickte seine Coryphäen an die Spitze der Geschäfte. Dionysius, eines gemeinen Fischers Sohn, ein Mann von großen Talenten und der unbändigsten Ehrsucht, ausgestattet mit allen Eigenschaften, um die Massen zu verführen und zu beherrschen, bahnte sich (406 v. Chr.) durch Verrath und Gewalt den Weg zum Throne.
Kaum sah sich Dionys im Besitz der obersten Macht, so schlug er mit eiserner Faust die Parteien nieder, tilgte aus, was sich nicht sklavisch beugen mochte und hielt durch Schrecken die unbändigen Leidenschaften im Zügel. Gegen ihn wälzte sich jetzt der Carthager Macht. Es wurde mit abwechselndem Erfolg, auf beiden Seiten mit beharrlicher Tapferkeit gestritten. Dreimal wurde Friede geschlossen zwischen den erschöpften Streitern, – dreimal entsendete Carthago neue Heere, ihn zu brechen, – dreimal zogen aus Syrakus Hunderttausende, sie zu bekämpfen. Ueber fünfzig blühende Städte wurden in diesem Kriege zertrümmert, 2 Millionen Menschen kamen um, und die unermeßliche Metropole sah sich zu Ende des Kriegs so entvölkert, daß die Heerden in ihren Straßen weideten. Aber Dionys, im Ganzen glücklich und glorreich in der Schlacht, behauptete sich auf dem Throne, dessen er nie froh wurde. Unablässig von Mißtrauen und Furcht gequält, immer von Aufruhr geängstigt, keines Menschen Freund, starb der grausame, verbrecherische, jedoch, wie so mancher Tyrann späterer Zeiten, den Künsten und Wissenschaften aus Eitelkeit günstige Fürst, vergiftet. – Möchte es allen Despoten so ergehen!
Ihm folgte Dionys II., sein Sohn, unter der Leitung des Dion, eines Mannes von großen Gaben und Freund des Plato, welcher mit an den Hof berufen wurde. – Aber bald wurden diese beiden dem jungen Fürsten verdächtig; er entfernte sie und herrschte auf die Weise seines Vaters fort mit Henkerbeil und Dolch. Die Carthager erneuerten den Krieg und das auf’s äußerste gebrachte Syrakus schickte nach Griechenland um Hülfe gegen den innern und äußern Feind. Corinth, die Mutterstadt, gewährte und sandte ein Heer, nicht groß durch seine Zahl, aber furchtbar durch seinen Muth und die Talente seines Feldherrn Timoleon. Diesem gelang mit Hülfe des aufgestandenen Volks die Vertreibung des Wütherichs. Darauf richtete er die Republik wieder auf und zog an der Spitze von 60,000 Streitern den Carthagern entgegen. Am Krimissus kam es zur entscheidenden Schlacht. Sie war vernichtend für das Heer Carthago’s [11] und führte zum Frieden, in welchem letzteres die Freiheit und Unabhängigkeit aller griechischen Städte anerkennen mußte. Dem Timoleon, welcher dies alles vollbracht hatte, bot das Volk von Syrakus die Krone an. Er schlug sie aus; eine seltene That, durch die er gegen den vergänglichen Flitter der Majestät die Verehrung aller Zeiten erworben und ein Beispiel gegeben hat, welches die größten Menschen der Nachwelt, einen Washington z. B., zur Nachahmung begeisterte.
Nach Timoleon’s Tode, im Jahre 335 v. Chr., genoß Syrakus noch eine kurze Zeit der Ruhe; dann kehrten die Schrecken der Tyrannei zurück. Anfangs Sosistratus und darauf Agathokles, bemächtigten sich der Herrschaft. Der erste ein Aristokrat, mit den Carthagern gegen sein eigen Volk im Bunde; der zweite ein Mann des Pöbels, ein kühner und glücklicher Abenteurer, ein neuer Dionys. Er ließ die edelsten Geschlechter von Syrakus ermorden – 4000 an der Zahl – und verschaffte sich durch den Raub ihrer Güter die Mittel zur dauernden Herrschaft über das verwilderte Volk. Die benachbarten Städte überzog er mit Krieg, brandschatzte und plünderte sie und verübte durch seine Söldlinge die schrecklichsten Greuel. Die Geängstigten wendeten sich um Hülfe an Carthago. Dies zögerte nicht, die Gelegenheit zur Erneuerung seiner Eroberungspläne zu benutzen. Wieder sendete es Flotte und Heer und belagerte Syrakus. Aber der kühne Agathokles, der Stadt Vertheidigung den Bürgern überlassend, segelte mit 50,000 Mann nach Afrika und brachte durch Siege und Eroberungen Carthago selbst dem Untergange nahe. Schon vermaß er sich zu dem Titel: Fürst von Syrakus den eines Königs von Afrika zu fügen, als ein neuer Umschwung des Glücks ihn von seiner Höhe herabstürzte. In Syrakus brach Empörung aus. Er eilte schleunig dahin, dämpfte den Aufstand mit Strömen Bluts, wurde aber von den Carthagern besiegt. Dennoch behauptete er sich durch Grausamkeit in der Herrschaft. Dreißigtausend Syrakusaner bluteten auf seinen Befehl durch Henkershand, oder in den Metzeleien, die er gebot; ganzer Städte Bevölkerung tilgte er aus. Endlich starb er durch die Ruchlosigkeit seines Enkels einen wohlverdienten Tod.
Verschiedene Tyrannen nach ihm verlängerten die Leiden des einst so blühenden Staats. 150 Jahre schon hatten sie gewährt, da kam endlich eine glücklichere Zeit. Hieron, aus Gelons Geschlechte, wurde zum Könige ausgerufen, und er trug die Krone 54 Jahre zu seinem ewigen Ruhm. Er fachte in dem durch den Druck in Gefühllosigkeit versunkenen Volk Liebe des Vaterlandes wieder an, setzte der Sittenlosigkeit Schranken und bestrebte sich, den Sinn für hohe Bürgertugend wieder zu erwecken. Während er also innere Glückseligkeit begründete, hielt er äußere Feinde mit starkem Arm zurück. Die Carthager zwang er zur Waffenruhe. Noch einmal füllte sich Syrakus mit Bewohnern aus; denn von allen Seiten zog Hieron Einwanderer herbei; der Handel blühte, Reichthum kehrte zurück; den Ackerbau begünstigte er durch sein eigen Beispiel; die schönen Künste und Wissenschaften zierten seinen Hof, und Syrakus, mit Tempeln, Pallästen und Monumenten sich füllend, wurde herrlicher als je und zur ersten Stadt der Welt. –
Noch während dieser glücklichen Periode fingen die Wetterwolken an sich aufzuthürmen, welche Syrakus [12] eine unheilvolle Zukunft verkündigten. Rom und Carthago rüsteten nämlich zum Kriege um die Herrschaft der Welt, und Sicilien mußte nothwendig der Haupt-Kampfplatz in demselben werden. Welche Rolle auch Syrakus dabei spielen mochte, – sie war eben so wichtig, als gefahrvoll. Neutralität erlaubte seine Lage durchaus nicht. Verhalf es Rom zur Uebermacht, so wurde es, wie mit allen Bundesgenossen geschehen, nach dem Siege von jenem verschlungen; – noch gewisser und näher war ihm dies beschieden, wenn dem treulosen Erbfeinde, Carthago, es sich anschloß. In solchem Sturme nicht zu Grunde zu gehen, dazu bedurfte es besonderer Gunst des Schicksals und eines guten Piloten; diesen hatte es in seinem Hieron.
Der große Kampf begann um den Besitz von Messina, dessen Herrschaft die Römer usurpirt hatten. Es lag sowohl im Interesse von Syrakus, wie in dem von Carthago, die Römer nicht festen Fuß auf der Insel fassen zu lassen; darum sandten beide Mächte zu ihrer Vertreibung ein Heer. Rom, welches die Wichtigkeit des jungen Kampfes sogleich erkannte, entwickelte große Streitkräfte; es schickte den Konsul Appius Claudius mit 12 Legionen über die Meerenge. Appius lieferte zuerst den Syrakusern, dann den Carthagern eine Schlacht und war in beiden Sieger. Darauf verwüstete er das Land bis vor die Thore von Syrakus. Erschrocken fielen die meisten Städte ab und schlossen Bündniß mit den Römern.
Hieron überdachte das Gewagte und Mißliche seiner Lage. Die Hoffnungen Roms auf den Ausgang des Kriegs schienen ihm gegründeter, als die der Carthager. – Darum entsagte er dem Bunde mit diesen und knüpfte den mit Rom. Treu hielt er an demselben und mit großer Klugheit hat er dabei, so lange er lebte, Syrakus die Unabhängigkeit zu bewahren gewußt.
Der Krieg wurde unter häufigen Wechseln von beiden Mächten mit Nachdruck geführt. Sicilien litt dabei unsäglich; viele seiner Städte wurden verwüstet. Am starken Syrakus zogen die Stürme vorüber. – 24 Jahre hatte der Kampf gedauert, als Erschöpfung beiden Parteien zum Frieden rieth. In demselben trat Carthago alle seine sicilianischen Besitzungen an Rom ab. – So endete der erste Punische Krieg. Rom’s Herrschaft in Sicilien war nun fest gegründet.
Hieron, 90 Jahre alt, starb, und noch in der letzten Stunde ermahnte er den jungen Hieronymus, seinen Sohn, treu auf der Bahn der Weisheit fortzuwandeln, die er betreten habe, in der Politik nicht zu wechseln und fest am Bunde der Römer zu hängen. Umsonst! Der junge Fürst gab Einflüsterungen leichtfertiger Genossen Gehör, welche zum Abfall riethen, und der Warnung der Bundesgenossen zum Trotz, schloß er hinterlistig einen Vertrag mit Carthago, welcher die Vertreibung der Römer aus Sicilien und eine Theilung der Insel zum Ziel hatte. Schwindelnden Ehrgeizes voll gab Hieronymus an der Spitze von 20,000 Mann das Signal zur Erneuerung des Kriegs, indem er die mit Rom verbündeten Nachbarstädte überfiel. Aber auf dem Zuge ward er von Verschworenen meuchlerisch erschlagen.
[13] Nun Verwirrung im Heere wie in den Mauern von Syrakus und aus dem Streben Vieler nach Herrschaft sproß Anarchie. Hippokrates und Epikydes, die bei’m Morde des Hieronymus thätig gewesen waren, gewannen endlich die Truppen, drangen in die Stadt, ermordeten die dortigen Häuptlinge und metzelten auf Plätzen und Straßen, in Häusern und Tempeln deren Anhang. Um sich Freunde zu schaffen, öffneten sie die Gefängnisse, ließen sie die Sklaven frei, und gaben den Knechten die Rechte des Bürgers. Auf diese Weise gelangten sie an die Spitze der Gewalt. – Da erschien der Römer Heeresmacht. Abgeordnete derselben wurden gemißhandelt und beschimpft. So wurden die Rechte des Krieges verletzt, wo man die des Friedens mit Füßen getreten hatte.
Es begannen hierauf die Römer die Belagerung des aus 4 großen Städten bestehenden unermeßlichen Syrakus zu Wasser und zu Land. Konsul Marcellus führte die Flotte, sie bestand aus 360 Schiffen; das 120,000 Mann starke Landheer befehligte Appius. 60,000 Krieger vertheidigten die Mauern; kaum genug zum Schutze von Werken so großen Umfangs, hätte nicht das Genie eines Mannes Ersatz zu geben gewußt. Archimedes, unerschöpflich im Erfinden neuer Kriegsmaschinen, schleuderte und regnete Werkzeuge der Zerstörung auf die fast täglich stürmenden Römer. Ihre Schiffe versenkte er durch geschleuderte, eisenköpfige Balken, oder er hob sie mit gewaltigen Haken hoch in die Luft und ließ sie im Herabfallen zerschmettern. Dieser einzige Mann galt für ein ganzes Heer. Sein Name war der Schrecken der Römer, und diese mußten endlich, nach schwerem Verluste, die Belagerung in eine Berennung verwandeln.
Carthago schickte 30,000 Streiter und große Vorräthe, die Belagerten zu verstärken; allein der Plan gelang nicht. Hippokrates, der mit 10,000 Mann ausfiel, um das Eindringen der Carthager zu erleichtern, wurde geschlagen und abgeschnitten. Mangel nahm überhand in der Stadt und der Hunger erzeugte Meuterei unter dem Volk, Muthlosigkeit unter den Streitern.
Da wagte Marcellus einen nächtlichen Ueberfall. 1000 auserlesene Krieger, jeder eine Drommete führend, erstiegen an so viel Orten zugleich die Mauer und plötzlich schreckte der Römer Tuba, die tausendstimmig von den Zinnen ertönte, die Stadt aus dem Schlafe. – In der Verwirrung, welche die Finsterniß begünstigte, sprengten die Stürmenden die Thore. Es wälzte sich nun, mordend und würgend, das Heer der Römer durch Straßen und über Märkte und hinter ihnen zogen prasselnd die Flammen, welche sie angefacht, ihrem Werke zu leuchten. – Epikydes eilte rasch aus der Inselstadt mit seinem Kernheer herbei, um die eingedrungenen Römer zurückzuschlagen: es war zu spät. Nach einem schrecklichen Kampfe mußte er sich nach Achradina zurückziehen, dem Stadttheile zunächst der Insel, die andern (Tusa und Neapolis) den Römern und den Flammen überlassend. Jene, nach versichertem Besitz, thaten dem Feuer Einhalt und schenkten den übrigen Einwohnern das nackte Leben. Alles andere fiel den Soldaten zur Beute. Unermeßlich war sie in einer Stadt, die so lange geblühet. – Epikydes vertheidigte demungeachtet Achradina und die Insel mit verzweifeltem [14] Muthe, und Archimedes ersann immer neue Mittel zur erfolgreichen Abwehr der täglichen Angriffe. So verstrichen mehre Monate, während welcher Carthago zweimal Entsatzheere schickte. Das erste rieb das Schwerdt, das andere die Pest gänzlich auf, und dies entschied den Fall von Syrakus. Epikydes, hoffnungslos geworden, entwich heimlich auf einem Nachen, und als dies ruchbar geworden unter der Besatzung, überließ sich diese den schrecklichsten Ausschweifungen. Viele Tausende der Syrakusaner Bürger fielen von den Waffen, welche sie vertheidigen sollten. In dieser Verwirrung bot Marcellus großmüthig den Frieden, versprach Schonung des Lebens und Eigenthums und ihre Aufnahme als Bundesgenossen der Römer. Vergebens. Die Wüthenden schickten die Gesandten höhnend zurück. – Nun stürmte Marcellus mit dem ganzen Heer. Achradina wurde nach verzweifeltem Widerstand genommen; darauf die Inselstadt, die sich mit gebrochnem Muthe vertheidigte. Was Waffen trug, fiel dem Schwerdt; alles Eigenthum der Plünderung anheim. Selbst Carthago gewährte so große Beute nicht! Die Flammen besiegelten das Werk der Verwüstung. Als Marcellus, der Eroberer, von der Akropolis die unermeßliche Stadt übersah, Preis gegeben allen Ungeheuern des Kriegs, – da hat er – so erzählt Livius – geweint. – Syrakus, dessen Belagerung einer halben Million Menschen das Leben gekostet hatte, ward erobert und zerstört im Jahre 212 v. Chr.
Ganz Sicilien war nun eine römische Provinz, und Syrakus, welches sich nie wieder erhob, theilte fortan die Schicksale der Insel. Kaiser August machte vergebens kostspielige Versuche, der verwüsteten Stadt den frühern Glanz zurück zu geben. Er ließ Ortigia wieder aufbauen und verschönern, erhob einen Theil von Achradina aus dem Schutt und sendete viele Tausende von Colonisten dahin. Unter spätern Kaisern geschah Aehnliches für die Stadt und mit nicht besserm Erfolge. – Unter den Byzantinern sank sie immer tiefer, und unter Kaiser Basilios ist sie nach tapferer Vertheidigung von den Sarazenen erobert worden, welche sie abermals zerstörten. – Von der Zeit an ward die befestigte Insel allein noch bewohnt. 1086 entriß sie Roger der Normann, Graf von Sicilien, den Händen der Ungläubigen, und im 13. Jahrhundert bemeisterte sich das seemächtige Pisa des Orts, welchem Genua es bald darauf wieder abnahm. Aus dessen Händen kam es unter die Herrschaft der Kaiser aus dem schwäbischen Hause, welche Könige von Sicilien waren, und seitdem hat es das Schicksal dieses Reichs stets getheilt. Herabgesunken zu einer Stadt von 13,000 Einwohnern, eingeschränkt auf die kleine Insel, der nämlichen Area, wo vor 2000 Jahren der Heraklide die nachher so unermeßlich gewordene gründete, ist sie eins der ergreifendsten Denkmale vom Wechsel menschlicher Schicksale und der Nichtigkeit menschlicher Größe.
Ephemere – was ist Jemand?
– Traum von Schatten sind die Menschen. (Pindar.)
Das heutige Syrakus verfällt immer mehr. Von Seiten der Regierung geschieht nichts, ihm aufzuhelfen, und die Menge der Klöster (das Städtchen hat deren achtzig!) hat Faulheit und Unzucht längst zum Hauptcharakterzug [15] der Einwohner gemacht. Die Nahrungsquellen der Bürger sind das Almosenspenden der Klöster, der sich hier in großer Menge aufhaltende Landadel, Fischerei, Weinbau und etwas Küstenhandel. Ackerbau wird wenig getrieben; selbst nahe an der Stadt liegen die schönsten Gelände wüst, oder werden blos als Weide benutzt. Die Faulheit will nur da erndten, wo sie nicht zu arbeiten braucht. Ehemals hatte Syrakus mehr Einwohner, als jetzt die ganze Insel; Sicilien zählte mehr Städte über 100,000 Einwohner, als jetzt Frankreich und Deutschland zusammengenommen, und bei so dichter Bevölkerung schickte es noch Getreide nach Rom; es war das Magazin der Hauptstadt der alten Welt. Jetzt muß oft Getreide aus Egypten oder Odessa eingeführt werden, damit die wenigen Einwohner Brod essen können!
Der Hafen von Syrakus, der schönste auf dem Erdboden, der die Kriegsflotten ganz Europa’s fassen könnte, ist leer, zum Theil verschüttet. Außer einigen, Küstenhandel treibenden Felucken verirren sich Schiffe nur dann hierher, wenn sie Zuflucht vor den Stürmen suchen. – Das Sehenswürdigste in dem heutigen Städtchen ist der alte Minerventempel und die Arethuse. Aus jenem hat man die Cathedrale gemacht und die herrlichen Säulen halb vermauert; letztere, eine schöne, reiche Quelle mit seltsamen, häufigen Veränderungen ihres Wasserstandes, ist jetzt das Rendezvous der braunarmigen Syrakusanischen Wäscherinnen. – Ueberaus reich ist die Umgegend von Syrakus an Denkmälern des Alterthums. Landeinwärts ist stundenweit alles eine ungeheure Ruine. Kleine Weingärten grünen zwischen und auf den Trümmern, schwarze Felsen wechseln mit Steinhaufen, Schuttberge mit elenden Hütten. Von der Akropolis-Höhe übersieht man eines Blickes alle Theile der alten Stadt. Die Ringmauern der einzelnen Abtheilungen derselben unterscheiden sich deutlich, die Wasserleitungen, das in den Felsen gehauene griechische Amphitheater, das Forum und mehre Tempel, alle erstaunenswürdige Ueberbleibsel, treten kenntlich hervor. Man sieht die Latonien, die Steinbrüche, aus denen man das Material zum Stadtbau nahm, ungeheuer große und weite mit einander in Verbindung stehende Aushöhlungen, welche schon vor der Zeit des Dionys als Bewahrungsorte für die Kriegsgefangenen dienten. Hier ist auch das berüchtigte Ohr des ältern Dionys, eine akustisch ausgehauene Höhle. An den Wänden derselben bemerkt man noch die Löcher, in welchen die eisernen Ringe befestigt waren, an denen der Despot seine Opfer anschmieden oder in Ketten aufhängen ließ. Hoch oben ist ein kleines Gemach, in das eine geheime (jetzt noch sichtbare) Treppe führt; und dorthin ging der Tyrann, sich an den Klagen und Verwünschungen seiner Gefesselten zu ergötzen, oder ihre Gespräche zu behorchen. Die Katakomben, größer und geräumiger noch als die von Neapel und Rom, sind ein merkwürdiges Zeugniß für die einstige ungeheure Bevölkerung. Sehenswerth ist auch der Hafen des Agathokles, ganz aus köstlichem Marmor erbaut. Jetzt weiden Ziegen und Rinder auf seinen mit hohem Gras und Buschwerk überwachsenen Kayen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Sciliens