Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Gestalt, ernst über die Bühne der Weltgeschichte schreitet. – Werfen wir auf dieses historische, vergangne Syrakus einen Blick, ehe wir das heutige beschreiben.
Im 4. Jahre der 111. Olympiade (im 731. vor unsrer Zeitr.) und 22 Jahre vor der Erbauung Roms – so erzählt Thucydides – stiftete der Heraklide Archias aus Corinth, als Haupt einer Schaar griechischer Auswanderer, auf der kleinen Insel Ortygeia, nachdem er Sykulische Fischer daraus vertrieben hatte, eine Pflanzstadt, die er später durch einen Damm mit der Küste in Verbindung brachte. Er nannte sie Syrakus, die Stadt an den Sümpfen, nach großen Morästen gleichen Namens, die auf der Küste gegenüber lagen und sich weit in das Land erstreckten. Dieses älteste Syrakus nahm genau die Stelle des heutigen ein.
Schnell muß die Stadt zugenommen haben an Wohlstand, Bevölkerung und Macht; denn schon 70 Jahre nach ihrer Gründung konnte sie Colonieen aussenden: Akrä, Kosmenä als die ersten. Die Staatsform war die heimathliche: die Republik.
Bei allmähliger Ausbreitung ihrer Herrschaft auf der Küste kam es zu Reibungen mit andern griechischen Colonieen. Gela, die mächtigste derselben, von Gelon beherrscht, gerieth mit Syrakus in Krieg und dies unterlag. Gelon nahm die Stadt ein, machte sie zu seiner Residenz, veranlaßte viele Tausende, sich in derselben niederzulassen und zog den Strom der griechischen Auswanderung hierher. Da blühte Syrakus wunderbar auf und noch bei Lebzeiten des Fürsten erreichte es eine nie geahnte Größe. Gelon herrschte durch Weisheit und Güte, einer der größten Griechen und der ehrwürdigsten Regenten, deren Namen die Geschichte bewahrt hat.
So groß war schon der Begriff von der Macht des jungen Pflanzstaats, daß, als Xerxes mit ungezählten Heeren und Flotten gegen die Griechen heranzog, diese eine feierliche Gesandtschaft an Gelon schickten, seinen Beistand zu erbitten. Er bot ihnen eine Flotte, 20,000 schwer bewaffnete Fußkrieger, 2000 Reiter und 6000 Bogenschützen an, dazu Getreide für das ganze Griechenheer, so lange noch ein Perser auf Hellas Boden weilen würde; verlangte aber die Oberfeldherrnstelle für sich. Hochmüthig antworteten die Griechen: „wir brauchen Krieger; die Feldherren haben wir selbst.“ – „Nun, so ziehet wieder heim, geehrte Gastfreunde,“ versetzte Gelon, „und sagt den Hellenen, sie hätten ein Jahr ohne Frühling.“ Mit dem Frühling verglich er die aufblühende Macht der Syrakusaner. –
Es war ein Glück für diese, daß sie nicht ausgezogen. Denn auf Anstiften des Xerxes hatte Carthago ein ungeheures Heer gesendet, die griechischen Pflanzstädte auf Siciliens und Italiens Küsten zu zerstören und jene Länder zu unterjochen. Es kam und unwiderstehlich wälzte sich der Carthaginenser Kriegsmacht über Siciliens Fluren hin. Erst an den festen Mauern Hymera’s und dem Muthe seiner Bürger stemmte sich die Fluth. Gelon zog den auf das Aeußerste Bedrängten mit 50,000 Mann Fußvolk und 8000 Reitern zu Hülfe, griff das Heer der Carthager, das viermal so starke, von berühmten Feldherren befehligte, an, und vertilgte es in der größten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/21&oldid=- (Version vom 22.7.2024)