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Seite:Meyers b7 s0964.jpg

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 7

für die Entwickelung der Kräfte nicht von großem Einfluß waren, so zeigten sie sich doch außerordentlich geeignet, einen sichern Blick und Geistesgegenwart zu verleihen.

Mit der Auffassung, daß die G. die Ausbildung des Körpers zum einzigen Zweck habe, stand das Wettkämpfen an den Festen der Götter nicht in Widerspruch. Galt es doch hier, zu zeigen, wie weit man es in allen Künsten, die sich für einen freien Mann schickten, gebracht habe. Näheres hierüber s. die Artikel über die Olympischen, Pythischen und Isthmischen Spiele. Hier nur noch so viel, daß schon 720 v. Chr. bei den Olympischen Spielen der Schurz, mit welchem die Kämpfer bis dahin noch bekleidet waren, abgeschafft wurde, und daß die gymnastischen Übungen nicht einzeln zum Wettbewerb freigegeben wurden, sondern nur in ihrer Vereinigung zum Pentathlon. – Das Sinken der edlen G. geschah gleichzeitig mit dem Verfall der politischen Größe Griechenlands, also etwa seit dem Ende des Peloponnesischen Kriegs: mit der Freude an den politischen Verhältnissen sank auch das Interesse an dieser hervorragend politischen Institution; eine rohe Athletik gewann in den Gymnasien wie auf den Festspielen immer mehr die Oberhand.

Nach Rom kam die G. mit der Unterwerfung Griechenlands 146 v. Chr., vielfach geübt von den jungen Römern, gering geschätzt und geradezu gemißbilligt von den Männern der alten Zeit. Denn dem alten Römer, welchem es weniger um Ausbildung der Körperschönheit als um Kriegstüchtigkeit zu thun war, und der im Krieg nicht durch stürmischen Angriff den Feind zum Weichen zu bringen, sondern durch lange Märsche zu ermüden und dann im harten Kampf zu schlagen pflegte, schien die rauhe Feldarbeit nebst Reiten und Schwimmen hierzu der bessere Weg als die Übungen der Palästra. Dergleichen erschien ihm vielmehr als Verweichlichung. Allmählich jedoch fand die G. auch bei den Römern Aufnahme, ohne indes dieselbe Bedeutung für das Volksleben zu erhalten wie in Griechenland. Die Stelle der gymnischen Wettkämpfe vertraten bei ihnen Gladiatoren- und circensische Spiele (s. d.).

Auch die altgermanischen Völker pflegten die G. eifrig, wenn auch in kunstloserer Weise. Bei Cäsar und Tacitus lesen wir von den außerordentlichen Leistungen der germanischen Jünglinge im Laufen und Springen; an den Mähnen oder Schweifen der Rosse sich anhaltend und nach den Umständen sich auf- und abschwingend, erschienen und verschwanden sie mit der Schnelligkeit Berittener, und ein Teutoboch schwang sich über mehrere Rosse hinweg. Tacitus erwähnt den Waffentanz nackter Jünglinge zwischen den scharfen Spitzen der Schwerter und Lanzen. Aus späterer Zeit ist bemerkenswert der Wettkampf Gunthers und Brunhildes im 7. Gesang des Nibelungenliedes, welcher außer dem Speerkampf auch den Weitwurf mit einem Stein und den Weitsprung umfaßt. Ein Wettlauf zwischen Siegfried und Hagen gab Gelegenheit zur Ermordung des erstern. Eine weit glänzendere Periode der germanischen G. beginnt in der christlich-germanischen Zeit, nachdem auf den Trümmern des Römerreichs neue Staaten und Gemeinwesen erstanden waren. Der deutsche König Heinrich I. war der Stifter jener ritterlichen Kampfspiele, der Turniere, die, zugleich ein Erzeugnis und ein wirksames Beförderungsmittel ritterlicher Mannhaftigkeit und Tüchtigkeit, im christlichen Mittelalter eine ähnliche Stellung und Bedeutung beanspruchen wie die gymnastischen Spiele im hellenischen Altertum (s. Turnier). Als das Ritterwesen allmählich in Verfall geriet, traten minder ernste Wettspiele, die sogen. Karusselle, an ihre Stelle, die aber nicht sowohl kriegerische Kämpfe als Reiterkünste zur Anschauung bringen sollten. Obwohl fast ausschließlich der bevorzugte Adel und das Patriziat der bedeutendern Reichsstädte an den eben genannten Spielen sich beteiligten, so entbehrten doch auch die niedern Stände, Kleinbürger und Bauern, der mit gymnastischen Leistungen (wie Ringen, Laufen, Werfen, Klettern etc.) verknüpften Festlichkeiten nicht. Nachdem aber der Gebrauch des Schießpulvers die Kriegführung ganz umgestaltet hatte, kamen jene ritterlich-gymnastischen Übungen und Spiele, die ihre Bedeutung als Vorbereitungen zum ernsten Krieg und als Nachahmungen desselben verloren hatten, mehr und mehr außer Gebrauch. Nur einzelne Überreste der alten ritterlichen G. erhielten sich in manchen Kreisen und wurden teils durch die Einwirkung der Mode, teils zu Wahrung der persönlichen Ehre und Tüchtigkeit kunstgerecht ausgebildet, wie die Fechtkunst (s. d.). Andres bestand deshalb fort, weil es, ganz abgesehen vom Kampf, entweder sonstigen Bedürfnissen oder auch dem Vergnügen diente, so namentlich das Reiten (aus dessen Vorübungen sich das besonders auf den Universitäten und Kriegsschulen geübte Voltigieren, d. h. Springen an einem nachgebildeten Pferd oder auch an einem Tisch, entwickelte), das Tanzen, Schlittschuhlaufen, Schwimmen, Rudern, Stelzengehen, das Ballspiel etc. Noch andres, so z. B. das Vogel- und Scheibenschießen mit Büchse und Armbrust, das Sackhüpfen, das Mastklettern, das Faustkämpfen auf beweglichen Balken, das Wettlaufen und Wettrennen, das Werfen in die Weite und nach einem Ziel etc., hat sich im Anschluß an Volksfeste zum Teil bis auf den heutigen Tag erhalten.

Die Geschichte der Wiederbelebung der G. als einer allseitigen, systematischen, weder von zufälliger Gelegenheit abhängigen, noch im Dienst einzelner körperlicher Fähigkeiten stehenden, noch nur einzelnen Kreisen zugänglichen Leibesbildung ist die Geschichte der G. in ihrer deutsch-nationalen Entwickelung, der Turnkunst (s. d.). Vgl. auch Heilgymnastik und Zimmergymnastik. Aus der zahlreichen auf G. und Verwandtes sich beziehenden Litteratur möge hier erwähnt werden: Krause, Die G. und Agonistik der Hellenen (Leipz. 1840–41, 2 Bde.); Jäger, Die G. der Hellenen (Eßling. 1857; neue Bearbeitung, Stuttg. 1881); Fr. Jacobs, Vermischte Schriften, Bd. 3 und 8 (Leipz. 1823–44); Pinder, Über den Faustkampf der Hellenen (Berl. 1867); K. F. Hermann, Lehrbuch der griechischen Antiquitäten (neue Bearbeitung von Blümner, Bd. 4, Freiburg 1882); Bintz, Die G. der Hellenen (Gütersloh 1877, mit ausführlichem Nachweis der Litteratur).

Gymnástiker (griech.), ein die Gymnastik (Turnkunst) Ausübender; jetzt besonders Bezeichnung derjenigen, welche ihre Leibeskünste für Geld öffentlich vorführen. Sofern dieselben zu ihren Vorführungen sich keiner Geräte, wie des Recks, Trapezes, gespannten Seils, bedienen, werden sie Parterregymnastiker genannt.

Gymnēten (griech., „Ungerüstete“), im Heer der Griechen die verschiedenen Arten von Schützen, welche seit den Perserkriegen an Stelle der leichtbewaffneten Sklaven aufgekommen waren, einen unerläßlichen Bestandteil der Streitmacht aber erst seit dem Zug der Zehntausend (401 v. Chr.) bildeten. Sie wurden meist aus den Völkerschaften geworben, welche im Gebrauch der einzelnen Fernwaffen sich besonders auszeichneten, wie z. B. die Kreter als Bogenschützen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 7. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 964. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b7_s0964.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)