MKL1888:Circénsische Spiele
[139] Circénsische Spiele (Ludi circenses), die ältesten römischen Spiele, die als Pferde- und Wagenrennen schon in der Königszeit gefeiert wurden; aber auch später deutet sich ihr hoher Rang darin an, daß man mit ihnen gerade gern ein Fest schließen ließ. So war es beim Fest der Ceres (19. April), des Apollo (13. Juli), der „großen Mutter“ (10. April), der Flora (3. Mai), des Augustus (12. Okt.). Nur circensisch war das Marsfest (12. Mai). Im allgemeinen gewannen die circensischen Spiele der Römer eine weit höhere Bedeutung als die Hippodromien der Griechen. Was sie an religiöser Bedeutung einbüßten, gewannen sie reichlich an politischer: in den Zeiten der Republik suchten die höhern Magistrate durch sie das souveräne Volk bei guter Laune zu erhalten. Dies Überbieten der Kräfte brachte die im Zirkus vorgenommenen Spiele auf die Zahl von sieben. Voraus ging dem Schauspiel selbst oft ein Aufzug (pompa circensis) vom Kapitol aus mitten durch die Stadt zum Circus maximus. Der Magistrat, welcher die Spiele veranstaltete, eröffnete den Zug; es folgten die Götterbilder, auf prächtigen Wagen gefahren, oder kleinere Bildnisse derselben, auf den Schultern getragen; dann kamen die zum Wettkampf bestimmten Rosse, Wagen, Kämpfer, Magistrate und Priester, endlich Opfertiere, Geräte etc. Nachdem der Zug die Spina im Zirkus einigemal umschritten, wurde ein Opfer gebracht, worauf die eigentlichen Spiele begannen. Unter jenen sieben Arten stand das Pferde-, namentlich aber das Wagenrennen obenan. Gewöhnlich fuhren je vier Gespanne in die Schranken (carceres) vor, wo sie das Signal erwarteten. Jedes einzelne Rennen (missus) bestand aus vier Gespannen, von denen jedes durch eine andre Farbe, die weiße, rote, grüne oder blaue, ausgezeichnet war, deren jede unter den Zuschauern ihre Partei hatte. Domitian fügte noch die goldene und purpurne hinzu, welche indes nicht lange bestanden zu haben scheinen. Diese Faktionen erregten oft stürmische Auftritte, besonders werden die Grünen und Blauen häufig in Epigrammen genannt. Gewöhnlich wurden 25 Rennen nacheinander aufgeführt, bisweilen noch mehr. Die Renner, gewöhnlich von den besten Rassen, wurden zu keinen anderweitigen Verrichtungen gebraucht und lange zuvor eingeübt. Besonders mußte das Roß der linken Seite wegen der Wendung um die Meta gut dressiert sein, wie auch hier hauptsächlich die Kunst des Wagenlenkers (agitator) sich zeigte. Errang ein Agitator einen Vorsprung, so konnte er sich von der Spina entfernen und an der Meta seine Wendung mit desto größerer Sicherheit ausführen, weil er den Verlust doch immer wieder einbrachte. Die circensischen Wagenlenker trieben nur dieses Geschäft und waren anfangs größtenteils Sklaven. Erst später ward das Lenken des Wagens noble Passion, und selbst Kaiser, z. B. Nero, Domitian, Commodus, Caracalla, Heliogabal, traten als Agitatoren auf. Jedes Rennen bestand in sieben Umläufen (s. Circus). Wessen Gespann nach der siebenfachen Umkreisung nur um einen Schritt oder einen Fuß früher an der Linie, wo das Rennen begonnen hatte, angelangt war als die übrigen, der trug den Preis davon, der in Palmen und Kränzen bestand, womit die Sieger geschmückt wurden. Doch konnten sich diese circensischen Preise an Ehren nicht mit den olympischen messen, verwandelten sich auch in der spätern Zeit in eine Geldbelohnung. Das letzte oder 25. Rennen hieß Missus aerarius, weil es ursprünglich mit Sammelgeld bestritten ward. Überstieg man die Zahl der 25 Rennen, so beschränkte man die der Umläufe um die Meta auf fünf; bisweilen erhöhte man auch die Zahl der zu einem Missus nötigen Wagen. Augustus führte statt des Zwei-, Drei- und Viergespannes das Sechsgespann ein; in der Folge kamen auch Gespanne von Hirschen und andern Tieren vor. Dem Wagen pflegte ein Reiter voranzusprengen, genau gekleidet wie der Wagenlenker, man weiß nicht, ob als Ersatzmann. Außer dem Cursus equorum finden wir folgende Schaustücke, um welche im Verlauf der Zeit die circensischen Spiele vermehrt worden waren: gymnische Spiele, wie Laufen, Ringen und Faustkampf; eine Art Turnier (ludus Trojae), ein Scheingefecht zu Pferde; Tierhetzen, die jedoch nach Erbauung der Amphitheater (besonders nach Cäsars Zeit) seltener im Zirkus aufgeführt wurden; Gladiatorenkämpfe, entweder Mann gegen Mann oder Schar gegen Schar (Cäsar ließ je 300 Reiter, je 500 Fußkämpfer, je 20 Elefanten miteinander kämpfen); militärische Evolutionen und Manöver, von jungen Bürgern (je 60 und mehr gegeneinander) ausgeführt, schon zur Zeit der Punischen Kriege üblich und noch unter Hadrian beliebt; endlich die Sechsmännerspiele beim Marsfest (seit Augustus), [140] ausgeführt von den sechs Turmen der Ritterschaft. – Zur Zeit der Republik gewann mancher Ehrgeizige das souveräne Volk durch Spiele des Zirkus; in der Hand der Kaiser waren sie vollends ein Mittel, um es von aller Politik abzuziehen. „Duas tantum res anxius optat, panem et circenses!“ („Es verlangt nur nach zwei Dingen: nach Brot und circensischen Spielen!“) grollt Juvenal (Sat., X, 81). Man eilte schon um Mitternacht nach dem Zirkus, um noch Freiplätze zu finden. Auch in den Provinzen fanden die circensischen Spiele bald Eingang. So erbaten einst die Trevirer, nachdem ihre Stadt zerstört worden, vom Kaiser nichts angelegentlicher als Zirkusspiele, und zu Alexandria wie zu Antiochia in Syrien kam es zwischen den verschiedenfarbigen Faktionen nicht selten zu blutigen Auftritten. Es erhielten sich diese circensischen Spiele noch lange nach der Kaiserzeit, am längsten die Wagen- und Pferderennen; ja, noch 1204 sah man dergleichen von den Venezianern nach der Eroberung Konstantinopels in dem dortigen Hippodrom aufführen. Tier- und Menschenhatzen scheinen, jedoch ohne die Pompa circensis, noch in den Zeiten Theoderichs stattgefunden zu haben. Das siegende Christentum machte dem Unwesen als öffentlicher Festfeier allmählich ein Ende. Die bildenden Künste brachten Szenen aus den circensischen Spielen auf die vielfachste Weise zur Anschauung, besonders finden sich Wagen- und Pferderennen häufig in Mosaiken, auf Reliefs, Lampen, geschnittenen Steinen, Münzen etc. Vgl. Friedländer in Becker-Marquardts „Handbuch der römischen Altertümer“, Bd. 4; Derselbe, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, Bd. 2 (5. Aufl., Leipz. 1881).