fiel und die Brust, wie die eines von schwerer Krankheit Genesenden, frei und frisch aufatmete. Mehr mechanisch als nach einem bestimmten Plane setzte ich meinen Weg dem stillen Zuge der abgematteten Leute folgend bis an das Trompeterschlößchen fort, wo ich einen Nachbar von meiner Gasse, den Schlosser Bose traf, der nach Räcknitz wollte. Wiewohl ich mich auch hinaus in die freie Natur sehnte, so schien mir es doch rätlicher, wenn die Waffenruhe wieder hergestellt sei, je eher je lieber nach meinem verlassenen Hause zu sehen. Die hier zahlreicher zusammentreffenden abziehenden Volkskämpfer, deren oberste Leiter das Rathaus und die Stadt schon in der Nacht verlassen hatten, drängten sich durch ein Nebenhaus in die Große Plauensche Gasse, deren Eingang verbarrikadiert war. Ich bog mit meinen beiden Begleiterinnen in die Gasse am See. Die Straße war menschenleer, und Bekannte, die spähend aus der Haustüre schauten, wollten noch nicht recht an den Abschluß des Aufstandes glauben, weil man noch vom Antonsplatze her schießen hörte. Ich trat in die Restauration zur Konversation[1] ein und beschloß hier den Ausgang abzuwarten. Unter frischem Maigrün und in erquickender Stille tranken wir hier im Garten unsern Morgenkaffee, seit langem zum ersten Male ohne bange Sorgen für den Verlauf des Tages. Nach einer Stunde ging ich auf Erkundigung aus. Nur einzelne Personen zeigten sich auf der Straße, aber vorn an der Annenstraße traf ich Männer mit Beseitigung der Barrikade beschäftigt und über den Postplatz sah ich Menschenkörper, an Armen und Beinen angefaßt und, wie mir schien, in blauer Uniform von Trägern transportiert werden, sonst aber niemanden. Man fing an, improvisierte weiße Fahnen aus den Fenstern der Wohnhäuser heraus zu stecken, anscheinlich aus Freude über Befreiung aus dem qualvollen Zustande, denn von bewaffneter Macht war nirgends etwas zu spüren. Das Militär mochte sich nach dem Markte hin gezogen haben. In die Konversation zurückgekehrt, beschloß ich nach Hause zu gehen. Es war aber immer noch etwas zu früh, denn als wir die Marienstraße erreichten, hatte sich daselbst noch niemand auf die Straße gewagt, weil neben dem Portikus ein Preuße stand, der noch immer durch denselben nach dem gegenüberstehenden Portikus und der dahinter liegenden Barrikade schoß, da das Feuern von derselben durch einen Mann noch fortgesetzt wurde. Wir warteten deshalb an der Ecke von Renners Hause[2]. Doch schien es mir nötig, dem Preußen über unsere Gegenwart Aufklärung zu geben, ich ging deshalb hinüber und sprach mit ihm. Es war ein gutmütiger, nicht aufgeregter Mann, der mir sogar die mir neue Manipulation des Zündnadelgewehrs beim Laden zeigte und erklärte, ehe er hinter dem Portale vortrat und abdrückte. Jetzt betraten noch zwei Preußen die beiden Eingänge der Marienstraße. Der eine kam von der polytechnischen Schule her und transportierte einen jungen Bergmann, den er am Kragen des Grubenkittels festhielt. In meiner Nähe begegneten sich beide Preußen und gingen beieinander vorüber; nach wenigen Schritten aber drehte sich der andere um und schoß sein Gewehr nach dem Rücken des Gefangenen ab, traf aber nicht. Ich konnte von Glück sagen, daß dieser von Spiritus erhitzte rohe Soldat mich unbeachtet beiseite ließ. Ein mir bekannter Mechanikus Grimmer, der auch zu zeitig in seine Wohnung in dem jetzt Baumannschen Hause am Zwinger ging, mußte es mit dem Leben büßen; er wurde als Gefangener auf der Brücke erschossen und in die Elbe geworfen.
Unterdessen hatte der letzte Schütze drüben die Barrikade an der Zahnsgasse hinter dem Portikus verlassen. Der preußische Gardist vom Alexanderregimente deutete mir an, daß ich gehen könnte. Wir passierten den menschenleeren Antonsplatz und näherten uns erwartungsvoll meinem Hause. In einem der offenen Läden des Erkerhauses an der Wallstraße war ein Aufständiger zurückgeblieben, er hatte auf dem langbenutzten Strohlager sein Sterbebett gefunden. Die beiden oft erwähnten Barrikaden zeigten sich in einem bereits destruierten Zustande, so daß wir darüber steigen konnten. Ein preußischer Soldat ohne Gewehr stand darauf und schien die Freimachung der Passage vorbereiten zu wollen. Auch hier war noch niemand auf der Straße zu sehen, und wir traten durch die offene Haustüre ein. In der Hausflur standen Sensen und Piken angelehnt, und auf der Treppe lag noch allerlei Schießapparat. Den Hausmann und seine Frau traf ich in seiner Wohnung; er hatte sich noch nicht hervorgewagt. Ich rief ihn heraus und forderte ihn auf, mit mir an das erste Aufräumen zu gehen. Ich ergriff zunächst die Waffen im Hause und legte sie hinaus zu der auf Trümmern liegenden zerschossenen Fahne. Der neben der Haustüre liegende Tote ward bald darauf weggeholt. In der ersten Etage sah es wild aus. Tiefe runde Löcher von preußischen Spitzkugeln blieben noch lange sichtbare Erinnerungszeichen an die schreckliche Katastrophe. An einer schwarzen Wandtafel war ein Namenverzeichnis der Barrikadenmannschaft vom letzten Tage angekreidet. Sie schienen zumeist Handwerkern aus nichtsächsischen Orten anzugehören. In meiner Wohnung, zweite Etage, fand ich alles unberührt; der Hausmann hatte zwar aufschließen müssen, aber, da nicht daraus geschossen worden war, die Türe wieder verschließen können. Die letzten Fremden im Hause hatten, wie bereits erwähnt, da die
unteren Wände ihren eiligen Durchbruchsversuchen
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/80&oldid=- (Version vom 12.2.2025)