der anwesenden Bewaffneten verminderte sich im Hause wie auf der Gasse. Ich aß Mittags wieder im Rauchhause. Bei meinen Ausgängen, die sich aber nur bis an die Quergasse auf der Scheffelgasse ausdehnten, sah ich Niemanden von meinen Nachbarn, auch nicht an den Fenstern; sie hatten sich in die hinteren Räume ihrer Häuser zurückgezogen oder auch ihre Wohnungen verlassen. Nur Bäcker und Schenkwirte hielten ihre Lokale geöffnet und bei den Schlossern wurde an Sensen und anderen Waffen gehämmert. Nachmittags sah ich, während ein sächsischer Artillerist mit Schleppsäbel ohne Kopfbedeckung bei mir vorbeistürmte, durch die Quergasse das Dach des Hauses in der Kleinen Brüdergasse in Brand, welches ans prinzliche Palais anstößt. Später bemerkte ich, wie der Barrikadenführer an meinem Hause Freiwillige sammelte und mit diesen, etwa sechs bis acht Mann, eilig nach dem Markte marschierte. Man schien Hilfe nach der Loch-[1] und Frohngasse hin zu verlangen, und ich schloß daraus, daß dort ein schärferes Vordringen des Militärs stattfinden möchte als gegen unsere Position. Gegen Abend war Gottschalk wieder an der Barrikade. Das Schießen hörte allmählich auf. Die Mannschaft gruppierte sich, steckte die Köpfe zusammen, ließ aber die Unterhaltung nicht laut werden. Das schien mir ein bedenkliches Zeichen für den Verlauf der folgenden Nacht. Bei einer Erstürmung der Barrikade und dem Eindringen der erregten Soldaten in mein Haus mochte ich nicht in demselben anwesend sein. Ich beschloß demnach, als das Nachtdunkel eingetreten war, das Haus zu verlassen, da überdies auch wegen der Strohlager in der 1. Etage Feuersgefahr nicht zu fern lag. Waren doch am Tage schon die großen mit Papierspänen gefüllten Säcke, die zum Schutze gegen die Kugeln oben auf die Barrikade gelegt worden waren, in helle Flammen geraten.
Nachdem ich Katze und Kanarienvogel außer Verschluß gebracht, übergab ich den Schlüssel zu meiner Wohnung in der 2. Etage dem Hausmanne, der mit seiner Frau im Hause verbleiben wollte, und begab mich ins Rauchhaus, um dort die Nacht zu verbringen, wohin ich auch meine Wirtschafterin und das Dienstmädchen des Advokat Steglich mitnahm. Hier munkelte man von einem nahe bevorstehenden Erscheinen des Militärs, und in der großen Küche waren die Leute mit Charpiezupfen beschäftigt. Unter Sorgen suchte und fand ich im Eckzimmer den Schlaf.
Früh Mittwoch um 3 Uhr wurde ich geweckt. Das Schießen geht los, hieß es. Ich vernahm ein lebhaftes Gewehrfeuer vom Posthause her. Als es zu tagen begann, bemerkte ich, daß aus den Fenstern dieses Hauses in die Scheffelgasse geschossen wurde, und ich durfte wegen des Einschlagens der Spitzkugeln nicht mehr in den Erker treten. Um nun die Verbindung des gegenüberliegenden Durchhauses im Hirsch mit dem Rauchhause nicht zu verlieren, wurde ein langer Wagen quer über die Straße gestellt, hinter welchem Flüchtende von der Wilsdruffer Straße herüber eilten. Im Rauchhause fand ich, daß dasselbe westlich durch Mauerdurchbrüche mit dem Erkerhause an der Wallstraße (meinem Hause gegenüber) und südlich mit der Webergasse in Kommunikation stand. Jetzt war die Zeit, wo auch aus meinem Hause sowie in dasselbe durch die Fenster geschossen wurde. Die Mannschaft hatte die Barrikade verlassen und sich in mein Haus zurückziehen müssen, weil die Preußen vom Posthause herab über die Barrikade schossen und die Scheffelstraße beherrschten. Die Leute waren demnach vollständig abgeschnitten, sowie seit Mitternacht schon von ihrem Führer Gottschalk verlassen. Nachdem sie eine Zeit lang aus den Fenstern geschossen, hatten sie endlich oben nach Durchbruch der östlichen, wenig starken Giebelwand ihren Abzug über und durch die Dächer der niedrigeren Nachbarhäuser genommen. Einen älteren Mann, der sich auf die Gasse hatte retten wollen, fand ich bei meiner Rückkehr tot neben meiner Haustüre am Pflastergerinne liegen.
Einmal nicht mehr in meiner Behausung, sehnte ich mich aus den beengenden Mauern hinaus. Es mochte nach 6 Uhr sein, als ich auf dem Vorhausgange des Rauchhauses einen mir von Angesicht bekannten Mann traf, der eben vom Erkerhause durch die Maueröffnungen kam. Ich fragte ihn, wie es vorne an der Barrikade stünde, worauf er andeutete, daß es Zeit sei, sich zurückzuziehen. Wenn ich das Haus zu verlassen gedächte, so wollte er mich führen. Ich entschloß mich sofort dazu und folgte ihm mit meinen beiden Frauenzimmern. Wir stiegen im Hintergebäude des Rauchhauses durch ein Mauerloch in eine tiefer liegende Stube eines anderen Hauses und sahen uns da in der Wohnung einer jüdischen Familie, die mit dem Ausdrucke der Angst und des Schreckens unsern Durchzug beobachtete. Wir passierten eine dunkle Treppe und gelangten bald durch die Haustür auf die Webergasse. Hier und auf der Seegasse war alles still und leer, und erst vor dem Seetore stießen wir auf Trupps von Aufständigen, die auf dem Rückzuge aus der Stadt begriffen waren. Am ersten Hause rechts[2] erblickte ich den Besitzer desselben, Dr. Barthel, an der Haustüre. Er fragte mich verwundert, wohin ich wolle; die Sache sei ja zu Ende und seit 4 Uhr habe schon der Abzug gedauert. Diese Nachricht, vielmehr aber das Gefühl, aus dem Getümmel und der Absperrung heraus zu
sein, machte, daß es mir wie ein Stein vom Herzen
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/79&oldid=- (Version vom 12.2.2025)