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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/77

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der das lange Stehen mißfiel, an Schultafeln sitzend, die an der schützenden Hauswand aufgestellt waren. Sie hatten sich gerade die neuesten Tafeln einer kurz vorher errichteten Klasse heruntergeholt, aber auf meine Vorstellung, daß ich ihnen zur Schonung dieser gern ältere bewilligt haben würde, deren Verlust leichter zu ertragen wäre, waren die Leute sofort bereit, die neuen wieder hinauf zu schaffen und andere dafür zu nehmen.

Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß sich aller Augen auf einen Mann richteten, der am Nachbarhause auf dem Trottoir stand und mit lauter Stimme eine Anrede an die Bewaffneten auf der Straße und an den Fenstern hielt. Es war Heubner, Mitglied der provisorischen Regierung. Er feuerte die Leute zur Ausdauer im Kampfe für die Reichsverfassung an und brachte dieser ein Hoch aus, in welches alles mit einstimmte. Bei dem Emporheben seines rechten Armes zeigte er unbewußt, wie sehr er Arm und Ärmel bereits strapaziert haben mochte, denn letzterer hatte sich unter der Achsel vom Rocke getrennt und ließ das weiße Hemd gerade im feierlichsten Momente breit durchschauen. Bald darauf zeigte mir mein Hausmann, daß man daran gehe, die Haustür auszuheben. Ich fand auch wirklich einige Männer von wildem Aussehen, die eben erst erschienen waren, damit beschäftigt. Es waren anscheinend Fremde. Sie trugen graue Blusen mit roten Schnuren um den Leib, führten Äxte bei sich, und mit ihrem ungeberdigen Benehmen harmonierten ihre weingeröteten Gesichter. Sie mochten zu dem Dutzend solcher Gestalten gehören, die am Rathause gesehen worden sind. Sie waren eben im Begriffe, die Haustüre und die Läden im Parterre loszumachen, um sie in der Barrikade zu verwenden, worin sie Schießscharten anbringen wollten. Mit diesen Leuten konnte ich nichts anfangen. Sie müßten heute noch Blut sehen, äußerte der Eine. Da wendete ich mich an die Barrikadenwache, und dieser gelang es unter der Vorstellung, daß das Haus schon durch seine unmittelbare Verbindung mit der Barrikade genug zu leiden habe, die Ungestümen zur Verzichtleistung auf meine Türen und Vorbauläden zu bewegen und ihr Material anderweit zu holen. Sie benutzten besonders Schleusenbohlen und stellten eine Schießluke dicht an meiner Hausecke her, woraus nun die gesamte Mannschaft einer nach dem andern ununterbrochen in gedeckter Stellung schoß, denn auf die Barrikade durfte sich heute niemand wagen, und die aufgepflanzte dreifarbige Fahne wurde ebenso oft heruntergeschossen als aufgesteckt, so daß ihr Stock immer kürzer wurde. Gegen die eröffnete Schießluke richtete sich besonders das Kartätschenfeuer. Es fingen sich aber auch schon Löcher in der Hauswand an der beschossenen Westseite an zu zeigen, die in der zweiten und dritten Etage das Licht neben Fenstern durchscheinen ließen, und die grünen Jalousien gingen in Stücken. Jetzt wurde auch das Straßenpflaster hinter der Barrikade aufgerissen und die Steine in die erste Etage transportiert, wo man sie zur Erhöhung der Fensterbrüstung verwendete.

Als man nun auch bemerkt haben wollte, daß die Läden des Verkaufslokals im Parterre zerschossen seien, an welches sich die Barrikade anlehnte, so daß bei einem Sturme das Militär eindringen könne, so bestanden die Verteidiger darauf, die Türen und Fenster von innen zu verbarrikadieren. Ein Schlosser öffnete das Lokal von der innern Seite; ich mußte Holzwerk schaffen und die in langer Reihe von der Straße, die Treppe hinauf bis wieder hinunter in das Eckgewölbe aufgestellte Mannschaft reichte sich Pflastersteine zu und hinein, so daß mittelst derselben bald die hohen Fensteröffnungen geschlossen waren. Das zur Arbeit nötige Licht drang allerdings durch die Spalten der zerschossenen Läden ein, bis der innere improvisierte steinerne Verschluß fertig war. Daß dieser Raum, der einem Friseur zum Geschäftslokal diente, an seiner inneren Ausstattung nicht gewann, läßt sich leicht ermessen, jedoch es wurde nichts mutwillig zerstört oder genommen, denn ich blieb Augenzeuge und sorgte, daß das Lokal alsbald wieder verlassen und verschlossen wurde. Kaum damit zustande traf ich in der ersten Etage in der an das Nachbarhaus der Wallstraße anstoßenden Schulklasse drei Männer beschäftigt, mit Brecheisen einen Stein aus der Kommunwand zu lösen an der Stelle, wo sie die schwarze Wandtafel herabgenommen hatten. Die Arbeit schien ihnen ungewohnt zu sein und schwer zu werden. Der Kalk war gelöst, das umfängliche starke Grundstück erzitterte zwar von den Schlägen, aber wollte nicht weichen. Auf meine Frage nach dem Zwecke ihrer Arbeit erklärte der Leiter des Vornehmens, ein junger Mann, anständig in Benehmen und Kleidung, daß sie von der großen Barrikade am Eingange der Wilsdruffer Gasse beordert seien, dieselbe mit der an der Scheffelgassenecke durch die dazwischenliegenden Häuser in Verbindung zu setzen und deshalb die Wände zu durchbrechen. Das klang nicht tröstlich für mich. Auf diese Eröffnung gab ich achselzuckend ganz ruhig die Versicherung, daß sie an der Front der Wallstraße vier Häuser zu passieren, also viermal eine solche Kommunmauer zu durchbohren haben würden, ehe sie die beabsichtigte Kommunikation zustande brächten. In jedem der anderen Häuser auf der Scheffel- und Wilsdruffer Gasse, die mit den Rückseiten aneinanderstießen, wäre nur eine einzige Wand zu öffnen, um von einer Gasse

in die andere zu gelangen, ja nur einige Häuser entfernt im Gasthause zum goldnen Hirsch[1] bestehe bereits


  1. Jetzt Scheffelstraße 24.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/77&oldid=- (Version vom 12.2.2025)