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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/76

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seine Leute zusammennahm, ihnen Schonung und Achtung vor fremdem Eigentum als Ehrensache anempfahl und erklärte, er werde jeden in seinem Bereiche unter den bestehenden Umständen betroffenen Dieb erschießen lassen. Ich selbst habe mich über keinen der vielen in mein Haus gekommenen Leute zu beklagen Ursache gehabt. Freilich half dazu, daß ich das Haus nicht verließ, immer zu recht sah, das nicht verweigerte, was sie in solchen Verhältnissen beanspruchen konnten. Mein Nachbar, der Kaufmann Gierth, mir gegenüber, der in den letzten Tagen sein hart bedrängtes Haus verlassen hatte, fand bei seiner Rückkehr seinen Kleiderschrank ausgeleert, und ich entsann mich, daß ich ein auf unserer Gasse wohnhaftes Subjekt, das bereits das Zuchthaus geziert hatte, während der schlimmsten Tage mit einem Gewehr in der Hand in diesem Hause ein- und ausgehen hatte sehen, jedesmal mit einem andern und bessern Rocke bekleidet, als er außerdem trug. Der Kaufmann Gierth hatte freilich seine verlassene Wohnung nicht verschließen können, weil die Fenster zum Schießen benutzt wurden.

Am Montage den 7. Mai veränderte sich unsere Lage wesentlich. Das Schießen begann frühzeitig. Ich konnte immer noch einen Blick auf die Westseite aus dem Fenster tun. Nach einem heftigen Geschrei bemerkte ich eine lebhafte Bewegung an der Barrikade beim Turmhause. Jene und dieses wurden vom Militär genommen. Dasselbe erfolgte mit der Spiegelfabrik und der daran stoßenden Barrikade, und so etablierten sich die Soldaten in sämtlichen den Postplatz auf der Nordseite begrenzenden Gebäuden. Sonach trat nun das Posthaus, das von Polytechnikern besetzt war, mit seiner südlichen Umgebung in die in Angriff genommene Linie. Das Gewehrfeuer richtete sich sofort auf die beiden vor meinem Hause errichteten Barrikaden, das nun aus den beiden daran stoßenden Häusern lebhaft erwidert wurde. Aus meinem Hause konnten die Aufständigen nicht schießen, weil sie dabei die Arme und den Oberkörper zum Fenster hinaus hätten stecken müssen. Ebenso streiften die feindlichen Kugeln aber das Haus nur an der Westseite, während die Südseite desselben gar nicht oder nur von zurückschlagenden Kugeln getroffen werden konnte, weshalb sie den Leuten mit Ausnahme des letzten Tages einen sichern Aufenthalt gewährte. Natürlich durften die Verteidiger sich weder an den Fenstern noch auf der Barrikade blicken lassen, denn es lauerten drüben Hunderte von Schützen, die ihre Kugeln dahin absendeten, wo die Soldaten die geringste körperliche Bewegung wahrnahmen. Ein Bergmann hatte kaum den Kopf etwas über die Barrikade erhoben, als er mit einer Kugel in demselben zu Boden sank. Er war der erste unter meinen Augen Getroffene, und man trug ihn blutend vor in das Deutsche Haus, wo im Saale ein Lazarett eingerichtet war. Auf den Plätzen um das Posthaus herum sah man zwei Tage nicht einen Hund, geschweige einen Menschen gehen. Meine Nachbarn in den Häusern nach rechts auf der Wallstraße blieben von nun darin eingeschlossen, da sie keinen Ausgang nach hinten hatten. Sie konnten sich kein Wasser und Brot mehr holen lassen. Gegen Mittag war nun auch eine Kanone dem Turmhause gegenüber hinter der Staketerie aufgestellt. Zum Abfeuern wurde sie vor- und nach jedem Schusse schnell wieder zurückgezogen. Ihre Geschosse waren abwechselnd auf die Barrikade und auf die beiden Häuser dahinter und daneben gerichtet, und nur dann, wenn die Kugeln links abwichen, trafen sie mein Haus. Kanonenkugeln und Kartätschen wechselten ab, und letztere prallten rasselnd gegen die mit Trottoirplatten von Granit belegte Barrikade. Nun hatten wir an den Fenstern nach der Scheffelgasse das Zusehen, wie erstlich die Kugeln eine Maueröffnung in dem Hause schrägüber bohrten, sodann wie sie ein Stück nach dem andern vom Erker des einen gegenüberliegenden Eckhauses aus dem Verbande rissen und herabwarfen. Auf diesen Erker schienen die Gegner es besonders abgesehen zu haben, weil die Insurgenten daraus ein heftiges Feuer aus starken Standbüchsen unterhielten, was ihnen dadurch erleichtert wurde, daß sie durch mein Haus gedeckt waren und nur dann in den Erker vortraten, wenn sie abfeuerten. Währenddem schlugen Flintenkugeln ununterbrochen ein, und das an der Ecke meines Hauses vom Dache herabführende Wasserabfallrohr fand ich nach Beendigung des Kampfes wie ein Sieb durchlöchert. Ich hatte nicht geglaubt, daß ich in meinem Leben einmal würde ernstlich Pulver zu riechen bekommen, und jetzt saßen wir hier am Fenster in Pulverdampf gehüllt stundenlang ganz nahe dem Zielpunkte der Geschosse und gleichsam in der Schußlinie der beiden Gegner. In meine nach der Wallstraße zu liegenden Stuben durfte ich mich nicht mehr wagen, denn da drangen an den Fenstergewänden abprallende Kugeln ein und warfen unter anderem die Gardinenstangen zum Teil herab. Ich fand nun auch für gut, Kleidungsstücke und einige wertvolle Gegenstände in den Keller zu räumen.

Die Besatzung der Barrikade an meinem Hause war heute ungewöhnlich stark, und viele neue Gesichter tauchten auf. Ein Leipziger Volkskämpfer, der bereits in seinen Siegeshoffnungen herabgestimmt schien, äußerte gegen mich: „Nun, wenn wir nur wenigstens ein anderes Ministerium erlangen!“ Im Erkerhause fiel mir ein anderer junger Mann, ein Büchsenschütze, durch seine malerische Erscheinung mit einer roten Schwungfeder auf dem Hute auf.

Als ich vom Kleinen Rauchhause zurückkehrte, wo ich zu Mittage gegessen hatte, fand ich die Besatzungsmannschaft,

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/76&oldid=- (Version vom 11.2.2025)