werden mußte. Ich konnte mich nicht enthalten, einen Punkt aufzusuchen, wo mir das Opernhaus sichtbar war. Ich ging deshalb auf die Straße, überstieg an einer mir bekannten Stelle die Barrikade und schritt hinter der Posthofeinfassung nach der Marienstraße so weit vor, bis ich die Feuerstätte erblickte. Niemals hatte ich eine so breite, mächtige, hohe Flammenmasse in so imponierender Ruhe zum Himmel emporsteigen sehen. Ein Glück war es, daß kein Wind herrschte und die von der Hitze hoch emporgetriebenen glühenden Kohlen, vom Luftzuge über unsere Häuser getrieben, auf von einem sanften Regen benäßte Dächer fielen. Das Schießen dauerte den ganzen Tag fort. Das Kanonenfeuer vom Zwingerwalle galt besonders dem Turmhause. Der endliche Verlust der Hofkirche und die weitere Annäherung der Soldaten bewog die Insurgenten, eine zweite Barrikade vor meinen Fenstern zu erbauen, welche sich im rechten Winkel an die vorhandene an- und die Wallstraße verschloß. Die Verbarrikadierung der Scheffelgasse befreite uns zwar von der Lieferung von Material zum neuen Bau, aber die Verteidiger fanden es für passend, mehrere meiner Schultafeln auf die Straße zu schaffen und sie als Treppenstufen hinter der alten Barrikade aufzustellen, während sie auf letztere eine dreifarbige Fahne steckten. Aus den Gesprächen der in meiner ersten Etage ab- und zugehenden Bewaffneten konnte ich nichts von den Vorgängen in der Stadt erfahren: sie schienen jedoch immer noch von der Hoffnung des Sieges erfüllt zu sein. Ein paar Bergleute spielten geheimnis- und erwartungsvoll auf unterirdische Bauten nach dem königlichen Schlosse zu an. Der eine davon, ein ältlicher, mir unheimlich erscheinender Mann, fiel mir später dadurch auf, daß er wiederholt gegen mich erwähnte, gewisse von ihm bezeichnete Häuser an der Zwingerstraße müßten zerstört werden, wenn das Militär weiter vordränge, und diese Häuser brannten in der letzten Nacht des Kampfes wirklich ab. Es hatten sich freilich nun auch Personen in die sogenannte provisorische Regierung eingemischt, wie der Russe Bakunin, die vor dergleichen Gewalttätigkeiten nicht zurückschreckten, wie die im Rathause vorgenommene Herstellung von Pechkränzen und Fackeln bewies, wo zu gleicher Zeit 25 Zentner Pulver aufbewahrt wurden. Das rücksichtslose Verfahren Bakunins und seines Anhanges, wie überhaupt der unglückliche und verderbliche Gang der ganzen Aktion, veranlaßten das eine Mitglied der Regierung, Todt[1], sich in Verborgenheit zurückzuziehen, und es begannen auch kleine Abteilungen von fremden Bewaffneten Dresden wieder zu verlassen. Machte es doch, wie ich vom Fenster aus bemerken konnte, keine sichtbare Wirkung, als am Sonnabend Nachmittag drei bewaffnete Turner einen Umgang an den Barrikaden vorüber hielten und der Besatzungsmannschaft ein Lebehoch auf die deutsche Republik zuriefen. Es mochte vielleicht eine Art Fühler sein sollen. Am Nachmittage erscholl ein Jubelgeschrei vom Altmarkte her. Ich ging nach dem Markte, um etwas von den dortigen Szenen zu sehen, und fand eine Schar neuer Zuzügler mit Schießwaffen, Piken und Sensen versehen in einem nach dem Rathause offenen Viereck aufgestellt. Aus der Mitte der auf dem Rathausbalkon stehenden Männer sprach ein mir Unbekannter, es mochte Tzschirner sein, mit lauter Stimme zu der Mannschaft und vereidete sie auf die deutsche Reichsverfassung. Der lebhaften Anrede antwortete die Schar mit einem mehrmaligen kräftigen Hoch und zog dann nach den östlich gelegenen Straßen ab. Der Führer der einen Abteilung, die nach der Kreuzkirche hin abbog, kam plötzlich nach dem Rathause zurückgesprungen und rief laut hinauf: Werft mir meine Schrapnels herunter. Alsbald flog eine Ledertasche vom Balkon herunter, die der Mann umhing und seiner Abteilung nacheilte. Ich erkannte in ihm den Advokat Marschall[2], den ich zwei Tage darauf zum letzten Male sah, indem er in tiefer Niedergeschlagenheit allein die Scheffelstraße durchschritt. Man konnte an ihm und andern bemerken, daß sie seit längerer Zeit Tag und Nacht nicht aus den Kleidern gekommen waren. Als nun die Nacht einbrach, mußte sich ein Teil der Barrikadenwache in meinem Hause hinter der Barrikade im Freien legen. Die Leute erbaten sich Holz von mir und machten sich damit ein Feuer an. Im Laufe der Nacht jedoch trieb sie der Regen ins Haus, wo sie sich in der Hausflur auf Stroh lagerten. An den beiden folgenden Morgen wurde ihnen Kaffee aus den Nachbarhäusern und von mir geschickt. Ein Faß Bier besaßen sie. Unter den ab- und zugehenden Freischärlern war auch ein junger Mann, der vorzüglich dieses Fasses wegen sich einzustellen schien und immer über Durst klagte. Er hatte ein gedrücktes schielendes Auge, trug keine Waffen, aber einen schönen metallenen Helm auf dem Kopfe, wegen dessen er nur fürchtete, daß er im Kampfe, wie er sagte, von den Feinden besonders zum Zielpunkt genommen werden würde, und am Tage darauf sah ich ihn in das Haus des Hutmachers Albert gehen, woraus er bald wieder mit einem gegen den Helm eingetauschten grauen Filzhut trat. Solche Bummler suchten sich wohl unter die Volkskämpfer zu mischen, allein sie mußten sich bald
wieder entfernen, denn ich war Zeuge, wie der Barrikadenführer
- ↑ Karl Gotthelf Todt, Geh. Regierungsrat (gest. in Rießbach bei Zürich 1852), bildete mit Samuel Erdmann Tzschirner, Advokat in Bautzen (gest. in Leipzig 1870), und Otto Leonhard Heubner, Kreisamtmann in Freiberg (gest. in Blasewitz 1893), die provisorische Regierung.
- ↑ Herm. Fr. Marschall von Biberstein.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/75&oldid=- (Version vom 11.2.2025)