in Beschlag nahmen und bis zu Ende des Aufstandes besetzt hielten. Es wurde Stroh fürs Nachtlager hineingeschafft und an den Schultafeln wurde gegessen und getrunken. Die Persönlichkeiten wechselten öfter, wie sich auch die Zahl der Anwesenden veränderte. Ein junger Mann, den sie Gottschalk nannten, wurde der ständige Kommandant der Barrikade.
Am Sonnabend früh trat der allgemeine Angriff des Militärs vom Schloßplatze aus ein. Wir spürten davon aber den ganzen Tag nichts weiter als entferntes Schießen und das wiederholte Sturmläuten. Am Vormittage brachte man eine hohe Tonne in die erste Etage und stellte sie an einem Fenster auf, zugleich auch eine Handdruckspritze. Die Tonne wurde mit Wasser gefüllt. Auf meine Frage nach dem Zwecke eröffnete mir der mir unbekannte Transporteur, daß bei einem Sturme auf die Barrikade das Wasser mit Vitriolöl vermischt auf die Angreifenden gespritzt zu werden bestimmt sei. Das konnte mir keine guten Aussichten auf die bevorstehenden Ereignisse geben. Da jedoch bis Nachmittags der Inhalt des Fasses, das nebst der Spritze aus irgend einem Nachbarhause requiriert worden war, zur Hälfte ausgelaufen und bis ins Parterre durchgedrungen war, so ließ ich das übrige Wasser ausschütten und Niemand bekümmerte sich weiter darum. Die Spritze erhielt später ihr Besitzer, Klempner Weigel, zurück.
Am Vormittage langten bewaffnete Züge aus Chemnitz, Freiberg und Burgk an. Aus letzterem Orte brachten die Bergleute vier Stück vierpfündige Kanonen mit. Auf dem Altmarkte herrschte großer Jubel. Eine von den Kanonen schafften sie in das mir gegenüberliegende Lehmannsche Haus in die erste Etage über Naumanns Papierhandlung; am folgenden Tage aber versetzte man sie in ein Erkerzimmer hinter der großen Barrikade auf der Wilsdruffer Gasse. Gehört habe ich aber ihre Stimme nicht, während die Schüsse einer andern, auf der großen Barrikade in der Schloßgasse aufgestellten Tage lang erdröhnten. Wie sich der Kampf im Laufe des Tages gestaltete, erfuhren wir nicht, auch nicht, daß die Barrikade auf der Augustusstraße vom Militär genommen worden war, wie uns überhaupt die erlassenen Proklamationen der königlichen Regierung unbekannt blieben. Gegen Abend erst rückte uns das Schießen näher, als die Chemnitzer Scharfschützen vom Turmhause[1] auf der Ostra-Allee aus ihr Feuer gegen die auf dem Zwingerwalle sich zeigenden Soldaten eröffneten. Nachts trat heute wie gewöhnlich Ruhe ein; nur selten ward ein vereinzelter Flintenschuß gehört. Erwachte man früh von einem durch Traumbilder beschwerten Schlummer, so stellte sich das Bewußtsein ein, nur zu einem neuen in Wirklichkeit mit Schrecken drohenden Tage erwacht zu sein. Besondere Beängstigung verursachte vielen Personen die fortdauernde Unkenntnis von den Vorgängen in andern Stadtteilen und Straßen, wenn sie an ihre Freunde und Angehörigen dachten, namentlich bei dumpfen und falschen Gerüchten, die in solchen Fällen nicht ausbleiben.
Trüb und regnerisch brach der Sonntag an und mit ihm der erneute Kampf, welcher sich uns von der Nordseite immer mehr näherte. Da die Angriffe des Militärs nicht offen in den Straßen stattfanden, sondern der Kampf hauptsächlich im Gewehrfeuer aus Fenstern und verdeckten Positionen bestand und sich gleichsam in den Häusern fortfraß, so dauerte der Widerstand und das Vorrücken des jetzt auch von Preußen unterstützten Militärs um so länger. Die aus meinen Fenstern zu übersehenden Teile des Post- und Antonsplatzes zeigten wenig Passanten mehr, dagegen Züge von eintreffenden Freischärlern, mit Flinten und Sensen bewaffnet, oder Reihen von Männern, die in der Vorstadt requirierte Strohschütten nach dem Innern der Stadt trugen. Das Schießen dauerte ohne Unterbrechung fort. Man konnte öfters Leute bemerken, die mit Körben und Hocken bepackt und von Kindern begleitet nach der Südseite der Stadt hin flüchteten. Auch die Mitbewohner meines Hauses verließen dasselbe; nur das Dienstmädchen des Advokat Steglich blieb in dessen Wohnung. Der Kandidat Unterdörfer, Lehrer an meiner Schule und im Hause wohnend, hatte dasselbe gestern bereits verlassen. Er kam heute frühzeitig, um nachzusehen, wie es bei mir stehe. Da er aber den Weg über die Barrikade nach meiner Haustür nicht fand, so sprach ich mit ihm vom Fenster herab und machte ihn aufmerksam, daß ich etwas für ihn auf die Straße werfen wollte. Es war eine geschriebene Predigt, die ein gewissenhaftes Mitglied seines Predigerkollegiums bei mir für ihn abgegeben hatte. Unglücklicherweise trieb ein kleiner Luftzug das in einem Kuvert befindliche Manuskript von der ihm gegebenen Richtung ab, so daß es in die offene Schleuse fiel, die dicht am Hause auf der Wallstraße vorbeigeht und deren Bohlen zum Barrikadenbau verwendet waren. Ein vorübergehender Kommunalgardist trat indes schnell herzu, drehte sein Gewehr um und machte von dessen Bajonett den vielleicht heilsamsten Gebrauch in seiner ganzen Dienstzeit: spießte das Kuvert an und brachte es glücklich zu Tage.
Am Vormittage, an dem sich Regen einstellte, erschreckte uns plötzlich die Nachricht, daß das große Opernhaus brenne. Dort war heute auch das Schießen heftiger, weil die Insurgenten die Hofkirche und die Barrikade in der Sophienstraße so kräftig verteidigten, daß das dort agierende Bataillon durch Schützen ersetzt
- ↑ Webers Hotel.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/74&oldid=- (Version vom 11.2.2025)