als die Kommunalgarden zusammentraten, während abgesandte Deputationen beim Könige um Anerkennung und Ausführung der Reichsverfassung in Sachsen ansuchen sollten. Soviel wußte ich allerdings; als aber die Gardisten einzeln nach Hause gingen und die Nachricht verbreiteten, daß am Zeughause vom Militär aufs Volk geschossen worden sei, wobei Tote geblieben, so kam mir dies bei der bisher gezeigten Nachgiebigkeit der Regierung doch unerwartet, und ich entließ meine Schüler mit der Weisung nach Hause zu gehen. Man erkannte wohl, daß von seiten der Volkspartei nach einem vorgefaßten Plane gehandelt wurde, denn alsbald stellten sich Leute ein, die den Bau von Barrikaden in der Stadt anordneten. Auch vor meinem Hause[1] begannen mir unbekannte Männer eine solche zu errichten, um den Eingang der Scheffelgasse zu schließen, wozu das Material aus den benachbarten Häusern herbeigeschleppt wurde. Vom Fenster aus sah ich, wie der schon bejahrte Stadtrat Rachel[2], vom Rathause kommend, diese Leute von ihrem Beginnen abzumahnen versuchte, aber nur durch seine schleunige Entfernung tätlichen Mißhandlungen zu entgehen vermochte. So wenig man das Einschreiten des Einzelnen bei der allgemeinen Aufregung klug nennen mochte, um so mutiger erschien mir der Versuch des alten Ratsherrn, zumal ich nicht in Erfahrung gebracht habe, daß irgendwo in Altstadt von seiten der Behörden durch Wort oder Tat dem Barrikadenbaue entgegengetreten worden wäre. Und doch war dies das einzige Mittel, der Insurrektion in Dresden und Sachsen und dem langen Straßenkampfe zuvorzukommen. Denn nur die Barrikaden waren es, die dem Aufstande eine siebentägige Dauer verschafften, denn nur hinter ihnen konnte sich der anfänglich kleine Haufe der Kämpfer halten und erst dadurch sich der Ruf von der Konsistenz und Bedeutung der bewaffneten Auflehnung zur Verteidigung der Reichsverfassung im Lande verbreiten und der Zuzug aus den Provinzen veranlaßt und gefördert werden. Dresden konnte aber so gut wie Leipzig vor einem mehrtägigen Kampfe innerhalb seiner Mauern und Häuser bewahrt werden. Während am Zeughause der Kampf mit der Schußwaffe fortgesetzt wurde, begannen die Turmglocken ihr Sturmläuten, und an den Straßenecken bliesen die Signalisten der Turner Alarm. Ich sah, wie die Gardereiterschwadron, die ihre Kaserne in der Seevorstadt[3] verlassen hatte, um sich nach der Brücke zu ziehen, auf dem Postplatze vor der Sophienstraße zurückprallte, als sich ihnen wahrscheinlich vom Balkon in Engels Hause[4] drohende Gewehrläufe entgegenstreckten, und wie sie dann im Trabe in die Ostra-Allee einlenkte.
Unterdeß war die Barrikade vor meinem Hause fertig geworden. Am Spätabende erschien ein bewaffneter Turner und begehrte Einlaß in die erste Etage, wo er die Nachtwache zu übernehmen habe. Er verlangte eine Lampe, die er hinter den Ofen stellte. Die Haustüre dürfte nicht verschlossen werden. Früh fand ich aber den Mann nicht mehr vor.
Freitag den 4. Mai wurden wir früh vor 4 Uhr durch Sturmläuten aufgeschreckt. Zu gleicher Zeit verließ der königliche Hof die Stadt. Eine unheimliche Stille war für diesen Tag eingetreten; auch alle Geschäfte ruhten. Der Stadtrat suchte eifrigst mit dem Militärgouvernement den Frieden zu vermitteln. Doch eben diese Zeit der äußeren Untätigkeit diente nur dazu, sowohl der deutlicher hervortretenden Revolutionspartei als der Regierung Verstärkung von auswärts zuzuführen. Der Verkehr für Fußgänger in der Stadt war unbehindert. Der Rektor Beger[5] besuchte mich vormittags von Neustadt aus und er hielt dafür, daß die Stadt einer großen Gefahr entronnen sei. Ich selbst, dem Frieden nicht trauend, benutzte die Ruhe, um Gegenstände und Papiere von Geldeswerte, zum Teil mir anvertrautes fremdes Gut, in der Vorstadt im Fletcherschen Seminar[6] und bei dem Kammermusikus Kummer an der Elbe in Verwahrung zu geben. Auf dem Wege zu Letzterem sah ich in einem Parterreraume der chirurgischen Akademie[7]) eine Reihe Leichen der gestern an dem Tore des Zeughauses durch einen unerwarteten Kartätschenschuß niedergestreckten Leute aus dem Volke, als sie im Begriffe waren, den Torflügel einzustoßen. Dem Äußern nach waren die Toten junge Männer von anständiger Kleidung. Die bisherigen geheimen Leiter der Bewegung zur Anerkennung der Reichsverfassung von Frankfurt waren indessen auf dem Rathause zu einem Sicherheitsausschusse zusammengetreten, und dieser hatte eine provisorische Regierung für Sachsen eingesetzt. Das Läuten mit allen Glocken auf dem Kreuzturme um 2 Uhr verkündete das Ereignis und damit zugleich den offenen Widerstand gegen die königliche Macht. Der Bau der Barrikaden wurde mit erneutem Eifer betrieben und bewaffneter Zuzug aus den Provinzen angeordnet, welcher von nun an ununterbrochen eintraf.
Die Nacht verlief ruhig, da der erwartete Angriff des Militärs erst am Morgen des Sonnabends stattfand. Am Abend stellten sich mehrere Bewaffnete in meinem Hause ein, welche die erste Etage sowohl als
Barrikadenwache als auch zur Verteidigung derselben
- ↑ Ecke Scheffelstraße und Wallstraße.
- ↑ Kämmerer Heinr. Wilh. Rachel, pensioniert 1853, gest. 1861.
- ↑ Reitbahnstraße.
- ↑ Ecke der Wilsdruffer Straße, jetzt Bargou’s Warenhaus.
- ↑ Dr. Friedr. Aug. Beger, Direktor der Neustädter höheren Bürgerschule (jetzt Dreikönigschule).
- ↑ Freiberger Straße.
- ↑ Kurländer Palais am Zeughausplatze.
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/73&oldid=- (Version vom 11.2.2025)