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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/48

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von Mutmaßungen und Erwägungen über die gegnerische Lage. Wenn es aber in der Lüdtkeschen Schrift S. 26 heißt: „Es war nur gut, daß man einen festen Plan besaß, nach dem man sich zu richten hatte, ich meine das Reichenbacher Programm“, so ist vor allem aufzuklären, ob man nach diesem auch handelte.

Aus dem Gewirr von Anschauungen ging schließlich hervor, daß man eine Offensive Napoleons gegen die böhmische Armee jetzt als unwahrscheinlich annahm, dagegen, nach einer Meldung des Grafen Neipperg aus der Reichstadter Gegend südlich der Lausitz, zunächst ein Vorgehen Napoleons gegen die Nordarmee vermuten mußte. Für die böhmische Armee war solchenfalls durch das Reichenbacher Programm Offensive gegen den Feind vorgeschrieben.

Bei der völligen Unsicherheit über das gegnerische Verhalten aber hielt man es darnach auch für nicht ausgeschlossen, daß Napoleon mit seiner Hauptmacht eine zentrale Stellung auf dem linken Elbufer, möglicherweise bei Leipzig, genommen habe, aus der er gelegentlich über einen seiner Gegner in Nord oder Süd herfallen könne, bevor diesen der andere zu unterstützen vermöge. Und so kam man zu der Annahme, daß Napoleon einem Vorrücken der Verbündeten über die Erzgebirgspässe etwa da entgegentreten dürfte, wo die Gebirgsstraßen auf die nächste, den Franzosen äußerst wichtige Verbindungslinie mit dem Rheine (Hof-Dresden) stoßen. Dort – also etwa in Gegend Chemnitz Freiberg – glaubte man mit einer offensiven Hauptarmee den ersten Widerstand zu finden. Diese Voraussetzungen traten zuletzt im Melniker Kriegsrate in den Vordergrund und erlangten die Zustimmung Schwarzenbergs. Napoleon vermutete man mit seinen Hauptkräften vorerst auf der Defensive. Nach den Reichenbacher Abmachungen war in diesem Falle für die böhmische Armee nicht – wie Lüdtke S. 27 erwähnt – „die Offensive in Konnex mit den beiden anderen Armeen“ vorgesehen, sondern vielmehr nach Punkt 3 des Radetzkyschen Planes Defensive vorgeschrieben, bis sich der böhmischen Armee die offensiven beiden anderen Armeen so weit genähert haben, daß die Gesamtüberlegenheit einen günstigen entscheidenden Schlag verbürgt.

Das letztere konnte aber z. Z. gegenüber den Entfernungen der drei verbündeten Armeegruppen von einander noch nicht eintreten und es haben denn auch im Melniker Kriegsrate Feldmarschallleutnant Duka, Jomini und Moreau, vor allem Radetzky selbst ihre Bedenken gegen eine sofortige Offensive geäußert. Wohl nur die preußischen und die Mehrzahl der russischen Generale – so darf man annehmen – werden die Monarchen und Schwarzenberg für den Marsch auf Leipzig gewonnen haben, den freilich Kaiser Alexander bereits zwei Tage später schon wieder beklagte, als von Neipperg neue Nachricht einging, nach der Napoleon über Rumburg und Zittau nach Böhmen vorzustoßen scheine und sich zwischen Blücher und die böhmische Armee werfen könne.

Daß Schwarzenberg nicht nach den Reichenbacher Abmachungen, wie oben nachgewiesen, gehandelt, sondern schon beim Operationsbeginne mit der über 220 000 Mann starken Hauptarmee für Offensive, für den Vormarsch, eingetreten, ist ihm als ein ganz besonderes Verdienst anzurechnen. Denn es war dies ein erster Schritt, die Initiative nicht Napoleon zu überlassen, sondern an sich zu reißen. Leider richtete sich die beschlossene Offensive zunächst nur gegen eine gemutmaßte, durch keine Nachricht verbürgte Aufstellung Napoleons. Und ob man deshalb im bezug auf das Operationsziel von der Richtigkeit der im Melniker Kriegsrate gefaßten Entschüsse so recht überzeugt blieb, wie der Gedankengang Alexanders eben angedeutet, sei dahingestellt.

Nach dem Wenigen, was Schwarzenberg über gegnerische Verhältnisse bekannt war, durfte doch bloß geschlossen werden, daß Napoleon, sollte er die böhmische Armee als Operationsziel ins Auge fassen, nur rechts oder links der Elbe gegen sie operieren könne; wo er aber auch stehen oder wandeln mochte, immer blieb Dresden sein, mit Verpflegs- und Munitionsvorräten für eine große Armee reich versehener Hauptstützpunkt an der Elbe. Und das wußte man. Kam dieser in die Hände der starken böhmischen Armee, so war ein Operieren Napoleons gegen die Rückzugslinien derselben ausgeschlossen und Napoleon genötigt, seine Verbindungslinie nach Westen weiter nördlich, etwa über Torgau, sich zu sichern[1]. Im Sinne der Reichenbacher Vereinbarungen wurde sein Operationsgebiet mehr eingeengt, und so

konnte seine Einkreisung für die Führung des schließlichen gemeinsamen Hauptschlages wesentlich gefördert


    und Ost okkupiert waren, ebenso wie aus Sachsen, von dessen Bewohnern ein erheblicher Teil schon antifranzösische Gesinnung gezeigt hatte, einigermaßen verläßliche Auskunft über Stärke und Aufstellung der napoleonischen Streitkräfte rechtzeitig zu erlangen.

  1. Daß diese Auffassung zutreffend, beweist nachdrücklich die Maßnahme, zu welcher Napoleon in seinem Befehle für den 27. August in Dresden sich veranlaßt gesehen gegenüber der Aufstellung der böhmischen Armee vor dessen Toren. Er hatte Anweisung an den Dresdner Gouverneur erlassen, Meißen mit einem Detachement zu besetzen, hervorhebend: „Das ist wichtig, weil ohne Aufschub eine regelmäßige Verbindung auf dem linken Elbufer über Leipzig etc. eingerichtet werden muß“ (vgl. Friederich S. 475, 5. Absatz des napoleonischen Befehls, und Aster, „Kriegsereignisse in und vor Dresden“ S. 333, 1. Absatz). Und das mußte angeordnet werden zu einem Zeitpunkte, in welchem Napoleon noch Herr von Dresden war; wie erst würde er haben verfahren müssen. wenn Dresden in den Besitz des Gegners übergegangen wäre?
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/48&oldid=- (Version vom 12.1.2025)