46 Dresdner Geschichtsblätter 1905. Nr. 5. werden. Dem ins Ungewisse hinein beschlossenen Marsch auf Leipzig gegen eine nur vermutete, durch nichts gewähr. leistete Aufstellung Napoleons mußte notwendig ein klarer strategischer Zweck fehlen. Man schritt ins Dunkle und ließ die Ereignisse an sich herantreten. " -- Es wird nun in der Lüdtkeschen Schrift ein un- zutreffender Schluß gemacht, wenn es (S. 28) heißt: Was hatte es auf sich, daß man mit einer Viertel million Soldaten die Offensive gegen Leipzig nahm, wo man Napoleon zu finden glaubte? Was hatte es auf sich, daß man die Oftarmee zu einem gleichen Vor- stoße aufforderte ? Was bedeutete die Vereinigung der drei Heere, die man also erzielen mußte Nun, das alles war von keiner anderen Bedeutung, als von der jenigen, welche diese Operationen in den Oktobertagen desselben Jahres erhielten: man wollte die Schlacht!" Wie soll eine solche die mit vereinten Kräften herbeizuführen sein, wenn bei dem Schwarzenbergschen Vormarsche die schlesische Armee noch gegen 30, die Nordarmee noch rund 25 Meilen (Luftmaß) von Leipzig bzw. von der Linie Chemnitz-freiberg entfernt war! Und dies zu einer Zeit, in der diese beiden Armeen noch gar nicht in Kontakt mit ihren Gegnern sich bes fanden, diese also erst zu überwinden und dann wieder- um und zwar nicht ohne weitere Gefechte zu verfolgen, dabei noch den Elbübergang eventuell zu erzwingen, im ganzen also mehr als 1-1, Meilen günstigsten falls und durchschnittlich pro Tag kaum zu bewältigen vermochten? Wie kann bei solchen Raumverhältnissen und Kriegslagen an eine Vereinigung der drei Armee- gruppen zu gemeinsamer Schlacht jetzt auch nur gedacht werden? waren - Es scheint auch, als habe dies Dr. Lüdtke doch einigermaßen durchgefühlt, denn S. 28 unten heißt es weiter: Wären die Annahmen des böhmischen Haupt- quartiers so richtig gewesen, wie seine Absichten kühn vielleicht wäre es dann schon jetzt zu einer Völkerschlacht von Leipzig gekommen. Aber die Vor sehung hatte es anders geordnet. Erst zwei Monde darauf sollten die eisernen Würfel rollen, sollte der auf- atmenden Welt die Kunde werden: der Jmperator ſei geschlagen. Und wir können dem Schicksale dafür dankbar sein; denn ob die Verbündeten den gleich starken, von einem Napoleon geführten Feind, der noch kein Kasbach, kein Großbeeren, kein Kulm und Dennewitz erlebt hatte, überwunden hätten die Frage zu be- antworten wage ich nicht." Darauf ist zu entgegnen: Nicht die Vorsehung hat hier geordnet, wo unberechenbare Verhältnisse nicht vor- lagen; nicht das Schicksal hat eingegriffen, wenn erst zwei Monate später die Entscheidung fiel, sondern der ins ungewisse hinein und schwächlich ohne klare, große Ziele ausgeführte Vormarsch der böhmischen Armee | nach Sachsen, der vor Dresden scheiterte, ist schuld daran, daß erst im Oktober die Entscheidung einzutreten ver- mochte. Wenden wir uns zur Vormarschausführung. Der am 19. August begonnene, durch den Mel- nifer Kriegsrat beschlossene Vormarsch auf Leipzig voll. 30g sich in vier Hauptkolonnen, am 22. August über den Erzgebirgskamm, nachdent am 21. Blüchers Nachricht von seinem ziemlich widerstandslosen Vorgehen über die Katzbach (18. August) eingegangen war. Man er hoffte ein Zurückgehen Napoleons auf Dresden be- ziehungsweise über die Elbe, ein Preisgeben ganzer Provinzen seiten des Jmperators ohne Schwertstreich; doch blieb der Wunsch der Vater des Gedankens. Um 22. August abends war die böhmische Armee in folgenden Stellungen angelangt: I. Kolonne (rechte, 30000 Ruffen nach siegreichen Kämpfen zwischen Hellendorf und Pirna gegen die dorthin vor. geschobenen Truppen St. Cyrs) im Rayon Zehista- Pirna-Dohna-Groß Cotta. $ II. Kolonne (Korps Kleift, 37000 Preußen), Dortruppen bei Pilsdorf und Sayda, Gros bei Purschenſtein (dahinter russische Grenadierdivision bei Johnsdorf). III. u. IV. Kolonne (Österreicher, 56000 Mann unter Heſſen-Homburg - 27000 2ann unter Gyulai gefolgt von 24000 Mann unter Klenau). Dortruppen bei Freiberg und Wolkenstein, Gros bei Marienberg und Annaberg. Die russisch-preußischen Garden noch bei Brür (35000 Die russische Kürassier- und leichte Kavalleriediviſion bei Mann). Minis südlich Budin (14000 Mann). Hauptquartier Kaiser Alexanders und Schwarzenbergs war Zöblit. Dort erhielt der Zar wichtige Depeschen, welche von Kosaken den Truppen St. Cyrs abgenommen waren. Aus diesen Depeschen die Quellen geben Genaueres nicht an ging im wesentlichen hervor, daß - a) in Richtung Chemnik-freiberg auf Leipzig kaum größere feindliche Abteilungen zu finden sein würden, daß b) das Korps St. Cyrs zur Deckung Dresdens bestimmt sei und nahe dieser Stadt stehe 1), und daß c) Napoleon noch immer mit seinen Hauptkräften am Fuße des Laufißer Gebirges sich befinde. Darnach mußte der Weiterverfolg der Marsch. richtung auf Leipzig zu einem Luftstoße führen, und dies nötigte zur Richtungsänderung im Vormarsche. Der Marsch auf Dresden, zum nächsten Gegner hin, ergab sich nun von selbst. 10) a und b besagten auch Meldungen der österreichischen Dor. truppen- Kavallerie. SL Sächsische Landesbibliothek - UB Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/49&oldid=- (Version vom 12.1.2025)