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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/47

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Es sei mit Bezug auf diesen letzten Satz die Frage gestattet: Könnte bei der geschilderten Beschaffenheit der Denkschriften nicht auch Dr. Lüdtke als Beurteiler sich haben irre führen lassen? Wir werden sehen.


Wir wenden uns nach der Charakteristik der Operationsgedanken dem von der böhmischen Armee nach Sachsen unternommenen Vormarsche zu. Zur Beurteilung desselben hat man zu prüfen, inwieweit dabei dem Trachenberg-Reichenbacher Plan wirklich gefolgt wurde, bez. inwieweit auf denselben Rücksicht zu nehmen war. Maßgebend für die Beurteilung bleiben lediglich die beim Armee-Oberkommando vorherrschend und ausschlaggebend gewesenen Auffassungen der jeweiligen Lage und die für die Operationen erlassenen Befehle. In soweit ferner in der Schrift Dr. Lüdtkes auch bei Unterführern der böhmischen Armee ein Eingehen oder eine Bezugnahme auf das Reichenbacher Programm gegenüber ihnen erteilten Befehlen oder Anweisungen angenommen wird, bleibt zu untersuchen, ob solches zutreffend ist.

Zunächst der S. 25 ff. der Lüdtkeschen Schrift bearbeitete Marsch auf Leipzig.

Unter dem Schutze der bis an den Gebirgsfuß vorgeschobenen Vortruppen stand mit Beginn der Feindseligkeiten (17. August) die böhmische Armee südlich der Eger, nominell befehligt von dem damaligen General der Kavallerie Fürsten Schwarzenberg, in Wirklichkeit unterworfen den Einflüssen dreier Monarchen, einer beträchtlichen Anzahl von Diplomaten und Generalen, darunter Zivil- und Militärstrategen, die mehr oder weniger als Ratgeber oder Weise eine der ersten Rollen im großen Hauptquartiere zu spielen sich berufen er achteten – ganz wie es auch Dr. Lüdtke S. 25 schildert[1].

In dem Hauptquartiere war mit Ende des Waffenstillstands die Frage zu beantworten: Was tun? Um 17. August trat dieserhalb zu Melnik ein Kriegsrat zusammen.

Nachrichten über den Gegner sind erste Bedingung für militärische Entschlüsse. Über Napoleons Absichten und seine Stärkegruppierungen wußte man um diese

Zeit so gut wie nichts[2]. Das führte zu einem Wirrwarr


  1. Von einem Eingehen auf eine Charakteristik der drei Monarchen und Schwarzenbergs als Feldherrn wird Abstand genommen. Der vornehme, tapfere Schwarzenberg, ein edler Charakter, hatte in seiner glänzenden Laufbahn bisher keine Gelegenheit gehabt, Feldherrneigenschaften an den Tag zn legen. Die den Ereignissen gegenüber getroffenen Anordnungen allein werden ihn zugleich im Hinblick auf die oben erwähnte Beschaffenheit des Hauptquartiers kennzeichnen. An der Tagesordnung war Kriegsrat. Es möge nun eine durchaus objektiv gehaltene Ansicht des Feldmarschalls Grafen Moltke über Zusammensetzung eines Hauptquartiers hier Platz finden – entnommen Moltkes kriegsgeschichtlichen Arbeiten über den italienischen Feldzug 1859 (herausgegeben vom Großen Generalstabe, Kriegsgeschichtliche Abteilung I, 1904). Moltke äußert sich nach S. 10, abgesehen von Feldherrn, die keines Rates bedürfen, die in sich selbst erwägen und beschließen, ihre Umgebung nur ausführen lassen, die also seltene Sterne erster Größe sind, wie beispielsweise Friedrich der Große, Napoleon etc., folgendermaßen: „In den allermeisten Fällen wird der Führer eines Heeres des Beirats nicht entbehren wollen. Dieser kann sehr wohl das Resultat gemeinsamer Erwägung einer kleineren oder größeren Zahl von Männern sein, deren Bildung und Erfahrung sie vorzugsweise zu einer richtigen Beurteilung befähigt. Aber in dieser Zahl schon darf nur eine Meinung zur Geltung kommen. Die militärisch-hierarchische Gliederung muß der Unterordnung, auch des Gedankens, zu Hilfe kommen. Dem Kommandierenden darf nur diese eine Meinung, vorbehältlich seiner eigenen Prüfung, und nur durch den einen dazu Befugten vorgetragen werden. Ihn wähle der Feldherr nicht nach der Rangliste, sondern nach seinem vollen persönlichen Vertranen. Möge auch das Angeratene nicht jedesmal das unbedingt Beste sein, sofern nur folgerecht und beständig in derselben Richtung gehandelt wird, kann die Sache immer noch einer gedeihlichen Entwicklung zugeführt werden. Dem Kommandierenden bleibt dabei, vor dem Ratgeber, das unendlich schwerer wiegende Verdienst, die Verantwortlichkeit für die Ausführung übernommen zu haben. Man umgebe aber einen Feldherrn mit einer Anzahl von einander unabhängiger Männer – je mehr, je vornehmer, ja je gescheiter, um so schlimmer – er höre bald den Rat des einen bald des anderen; er führe eine an sich zweckmäßige Maßregel bis zu einem gewissen Punkt, eine noch zweckmäßigere in einer anderen Richtung aus, erkenne dann die durchaus begründeten Einwürfe eines dritten and die Abhilfevorschläge eines vierten, so ist hundert gegen eins zu wetten, daß er mit vielleicht lauter wohl motivierten Maßregeln seinen Feldzug verlieren wird. Es gibt in jedem Hauptquartier eine Anzahl von Leuten, die mit großem Scharfsinn alle Schwierigkeiten bei jeder vorgeschlagenen Unternehmung hervorzuheben wissen. Bei der ersten eintretenden Verwickelung weisen sie überzeugend nach, daß sie alles vorhergesagt haben. Sie sind immer im Recht, denn da sie selbst nicht leicht etwas Positives vorschlagen, viel weniger noch ausführen, so kann der Erfolg sie nie widerlegen. Diese Männer der Negative sind das Verderben der Heerführer“ usw. Gleiche Überzeugung und besonders über Kriegsrat spricht aus einem Briefe Moltkes an seinen Bruder Adolf vom Juli 1859, im vorgenannten Werke S. 11 angeführt: „In einer beratenden Versammlung wird das Für und Wider mit so guten und unwiderlegbaren Gründen belegt, daß eines das andere aufhebt. Der positive Vorschlag hat die unzweifelhaftesten Bedenken gegen sich, die Negation bleibt im Recht, und alles vereinigt sich auf dem neutralen Boden des Nichtstuns“. . . . und an anderer Stelle: „Ein kühner Entschluß wird nur durch einen Mann gefaßt“. – Äußerst schwierig mag es für den Oberkommandierenden der böhmischen Armee gewesen sein, die Einflüsse, die mächtigen und gewaltigen, welche auf ihn in seinem eigenartigen Hauptquartiere einstürmten, zu bemeistern. Nachteilig war es für die dort zu treffenden Entscheidungen, daß sie von vorausgehenden Meinungsäußerungen mehrerer vielfach abhängig blieben.
  2. Uns klingt das heute im Zeitalter des Telegraphen und der internationalen Presse unbegreiflich. Indes auch zu damaliger Zeit würde es bei einem nur etwas sorgsam organisierten Nachrichtenwesen wohl unschwer möglich geworden sein, aus Preußens, des Verbündeten, Landen, die von napoleonischen Truppen in Nord
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/47&oldid=- (Version vom 12.1.2025)