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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/46

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Trotz dieser Stärke der verbündeten Hauptarmee kam es nur zu unbedeutenden Änderungen der österreichischen Vorschläge, welche am 19. Juli zu Reichenbach den dort anwesenden Monarchen durch den österreichischen Oberst Grafen Latour zugestellt wurden. In dessen Instruktion[1] war als Detail zu den Operationen noch folgendes ausdrücklich bemerkt, das die Lüdtkesche Schrift nicht bringt:

„. . . . Wenn der Feind auf dem rechten oder linken Elbufer gegen die österreichische Armee die Offensive beginnt, wird von der russischen und preußischen (d. i. schlesischen) Armee gleichfalls und mit allem Nachdruck die Offensive in der Richtung auf Dresden unternommen; die gleichmäßige Offensive findet statt, wenn die französische Armee gegen den Kronprinzen von Schweden vorrückt.

Nur in dem Falle, daß der Kaiser der Franzosen mit allem Nachdruck die Offensive gegen die k. russische und k. preußische (schlesische) Armee unternimmt, bleibt diese Armee auf der Defensive und die österreichische beginnt die Offensive mittels Vorbrechung bei Zittau[2]. Da die österreichische Armee beim Anfange der Operationen der gegnerischen an Streiterzahl nicht gewachsen sein dürfte, wenn die gesamte französische gegen sie vordringt, so wird mit Aufopferung des Landes die österreichische so lange auf der Defensive halten, bis entweder der Feind seine Kräfte schwächt oder die k. russische und die k. preußische (schlesische) Armee sich mit der österreichischen verbindet.“

Mit unwesentlichen Ergänzungen fanden die Radetzkyschen Vorschläge die Billigung der Monarchen zu Reichenbach – immer noch in dem Glauben, daß nächstes Operationsobjekt Napoleons die böhmische Armee sein werde, welcher aber nicht bloß 25 000 Mann, sondern nunmehr bestimmt 90- bis 100 000 Russen und Preußen[3] von der schlesischen Armee zuzuführen seien. Es handelte sich um raschen Anschluß Österreichs an die Koalition, den man – in Rücksicht auf baldiges, gemeinsames Losschlagen – durch weitere Verhandlungen wohl nicht verzögern wollte.

Den Wortlaut des neuen, als Operationsgrundlage angenommenen Trachenberg-Reichenbacher Plans hat man nicht, und so dient auch zur Zeit noch als einzige schriftliche Unterlage für die zum Beginne des Herbstfeldzuges 1815 maßgebend gewesenen Operationsgrundsätze lediglich die Eingabe des Fürsten Schwarzenberg, welche er im November 1813 dem Kaiser Alexander für die Operationen in Frankreich überreichte, wobei er in der Einleitung die vorher 1813 beobachteten Grundsäge folgendermaßen festgestellt hat:

a) mit den Hauptkräften auf den Flanken und auf den Operationslinien des Feindes zu operieren;
b) von hier aus seine Verbindungen zu unterbrechen und ihn dazu zu zwingen, entweder Detachierungen vorzunehmen oder mit seinen gesamten Kräften nach den bedrohten Punkten zu eilen[4];

c) eine Schlacht nur dann anzunehmen, wenn der Feind seine Streitkräfte geteilt habe und die Überlegenheit entschieden auf seiten der Verbündeten wäre, sie aber zu vermeiden, wenn die Kräfte des Gegners vereinigt und auf die von den Verbündeten bedrohten Punkte gerichtet wären;

d) in dem Falle, daß der Feind sich in Masse gegen die eine der alltierten Armeen wende, diese zurückzuziehen, die anderen dagegen mit größerer Lebhaftigkeit vorgehen zu lassen;
e) der Sammelpunkt aller Armeen sei das feindliche Hauptquartier gewesen, alle Armeen hatten die Aufgabe, es zu erreichen, wie es auch bei Leipzig tatsächlich geschehen sei.

Darnach müssen wir annehmen, daß Vorstehendes der Sinn der Reichenbacher Abmachungen gewesen, die wahrscheinlich nur den maßgebenden Persönlichkeiten der verbündeten Hauptquartiere bekannt geworden sind.

Wie auch Major Friederich in seinem mehrfach an gezogenen Werke sich zutreffend äußert, hat man sich besonders bezüglich der ersten beiden Punkte noch in den Anschauungen vornapoleonischer Zeit und eigentlich erst in dem letzten Punkte in der Auffassung energischer napoleonischer Kriegführung bewegt. Die Operationen des Herbstfeldzuges konnten daher eine baldige Entscheidung nicht herbeiführen; sie konnten in ihren Anfängen nur Teilkämpfe und Teilerfolge liefern.

Im Laufe der Kritik über die Operationspläne sagt die Lüdtkesche Schrift (S. 14): „Verhehlen wollen wir uns freilich nicht, daß die Denkschrift Radetzkys, wie die österreichischen Denkschriften dieser Zeit überhaupt, nicht mit der nötigen Entschiedenheit und Präzision das aussprechen, was sie eigentlich sagen wollen. Man vermeidet es mit einer Art ängstlicher Scheu, die letzten Ziele, Schlüsse und Konsequenzen deutlich und klar hinzustellen[5]; und so sind allerdings manche Beurteiler irre geführt worden. . .“


  1. Nach Friederich, „Herbstfeldzug 1813“, S. 97.
  2. Richtung Zittau, weil zu jener Zeit die österreichische Armee in Böhmen an der großen Straße Zittau – Prag in der Versammlung begriffen war.
  3. Es waren dies die russischen und preußischen Garden und die Korps Wittgenstein und Kleist, wogegen der schlesischen Armee vier Korps verblieben.
  4. Die Maßnahmen ad a und b – entlehnt dem Werke Friederichs, I.Band, S. 98 – sind in der Lüdtkeschen Schrift neben den übrigen dort S. 12 aufgenommenen nicht mit aufgeführt. Die Prinzipien beider Punkte bleiben aber charakteristisch für die den Armeen gestellten Aufgaben.
  5. Bis hierher kann nur zugestimmt werden.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/46&oldid=- (Version vom 12.1.2025)