gewinnen wußte. Ich schäme mich, zu erwähnen, wie nach diesem Maßstabe auch hier der Unterricht, sowie im Ganzen, also auch besonders in der mittlern Klasse, zu erwarten war. Ich war das eingezogene und immer nach Gegenständen der Tätigkeit strebende Leben seit den ersten drei Jahren unter Leitung meines Kantors nun einmal gewohnt, so daß ich itzt, da ich etwas mehr Freiheit genoß, noch mehr Neigung dazu fühlte, zumal da es mir an anlockenden Gegenständen zum Fleißigsein nie mangelte. Durch die meinem Temperamente eigene emsige Anstrengung, mit der ich alles betrieb, erwarb ich mir in den meisten Arbeiten eine gewisse Fertigkeit, welche mich in den Stand setzte, mit wenigerm Zeitaufwande vieles zu prästieren.
Besonders fand ich itzt Veranlassung, mich häufig mit dem Lesen zu beschäftigen. Aus der Büchersammlung meines Kantors hatte ich bereits vorher vieles gelesen, was er entweder mir empfohlen oder ich selbst auch besonders ansprechend gefunden hatte. Durch Hofmann bekam ich itzt manche andere brauchbare Schriften in die Hände, die ich mit Aufopferung mancher Nachtstunden lesen mußte, da er selbst sie nur gelehnt erhielt. Manche andere suchte ich mir bei einem Antiquar aus, für die ich wöchentlich 6 Pfennig Lesegeld gern bezahlte. Unter mehrern anderen gefielen mir außer den Gellertschen Schriften und den „Belustigungen des Verstandes und Witzes“ vornehmlich Rabeners Satiren in vier Teilen und Joh. Peter Millers „moralische Schilderungen“ ebenfalls in einigen Bänden, welche besonders meiner Neigung zu freien Ansichten und Urteilen Nahrung gaben. Auch die Gestriegelte Rocken-Philosophie[1] darf ich hier nicht vergessen, deren satirische Ansichten meine Antipathie gegen jede Art des Aberglaubens nicht wenig bestärkte. Nicht wenig Reiz für meine Leselust hatten auch Reisebeschreibungen und selbst Robinsonaden, auch diejenigen unverachtet, welche damals aus dem Tintenfasse des Dresdner Kreuztürmers am Ende[2] flossen. Sein Mastrichter Mahler, Martin Speelhoven und Peter Robert, deren ich mich noch jetzt erinnere; was ihnen ja am gebildetern Stile abging, konnte doch jeder Jüngling ohne Bedenken lesen und manches aus andern bessern Schriften darin Zusammengeschichtete benutzen, unbedenklicher, als man es in dem zweideutigen Geschmiere unserer beliebten Leseschriften wagen darf.
Meine damalige Lektüre hatte für mich doch immer einen doppelten Nutzen; teils sammlete ich aus derselben mir manche nützliche allgemeine Welt- und selbst Menschenkenntnisse, die den eingeschränkten Gesichtskreis meiner Schule merklich erweiterten, teils wurde ich auch dadurch gereizt, in eigenen Ausarbeitungen mich zu üben. Mehrere kleine Aufsätze und Meditationen entwarf ich damals über Gegenstände, welche in der Schule unvollständig, unrichtig und ungenügend vorgekommen waren und ich hier und da in meinen Lesebüchern berichtigter, deutlicher und befriedigender aufgefunden hatte, wodurch ich nicht nur frühzeitig am Nachdenken, sondern auch an Übung des Stils gewann.
Meine damals freilich noch schülerhaften Reimereien, welche ich fleißig fortzusetzen nicht ermangelte, will ich hier weiter nicht erwähnen. Sie bestunden größtenteils aus geistlichen Oden, Liedern und einigen musikalischen Kantaten, die, vermöge des untergesetzten Datums, in diesem zweijährigen Zeitraum ausgeheckt worden. Waren gleich sie in den damaligen Ton ähnlicher Poesien gestimmt, so siehet man doch manchen selbst in ihrer gekünstelten Anlage das Streben nach etwas Besserm und Gedachterm an.
Hiermit verband sich meine Vorliebe für das musikalische Fach, in welchem ich durch selbst gewagte Übungen im Generalbasse und in der Komposition es weiter zu bringen suchte. Da ich gewöhnlich von meinem Kantor Partituren abzuschreiben erhielt, zerbrach ich mir oft den Kopf über die Signaturen der Orgel- und Generalbaß-Stimme. Ohnerachtet einige meiner Kameraden, welche Klavierstunden bezahlen konnten, sich besonders auch im Choralspielen übten und dadurch über die Signaturen, deren Bedeutung und Auflösung Unterricht erhielten, war doch keiner im stande, mir einen deutlichen, genügenden und mehr als bloß mechanischen Begriff davon zu geben.
Um diese Zeit war ich so glücklich, bei meinem Antiquar den ersten Teil von des Hamburgischen Bachs deutlicher und vollständiger Anweisung zum Generalbaß für den Selbstunterricht aufzufinden. Außer mir vor Freuden, schon um des berühmten Namens willen, bezahlte ich ohne vieles Handeln die geforderten neun Groschen und eilte mit dem erbeuteten Schatze nach Hause. Ich wünsche jedem Glück, der hieraus einen genügenden Selbstunterricht ohne Beihilfe eines recht faßlichen Lehrers zu schöpfen vermag. Auch hier sowie in der Folge in vielen andern gedruckten und geschriebenen Anweisungen dieser Art fand ich zwar eine Menge Regeln und Beispiele, Signaturen mechanisch zu behandeln und aufzulösen, keineswegs aber eine eigentliche Gründung derselben auf die musikalische Theorie des Generalbasses, woran mir doch besonders zum Behuf der Komposition am meisten gelegen war. Manches wußte ich mir durch eigenes Raffinieren bereits selbst deutlicher zu denken, als es hier schwerfällig vorgetragen und auseinandergesetzt war.
Ich sahe mich also aufs neue genötiget, ohne Bachs und andere Beihilfe das, was ich zu wissen wünschte,
Anmerkungen
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/181&oldid=- (Version vom 5.2.2025)