Zum Inhalt springen

Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/182

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

größtenteils mir selbst herauszubuchstabieren, und es gelang mir nach und nach, durch Vergleichung der in den Partituren übereinander stehenden Vokal- und Instrumentalstimmen von ihren Verhältnissen zu dem Grundbegriffe des Generalbasses und der Bedeutung seiner Signaturen eine ziemlich richtige Ansicht mir zu verschaffen, ohnerachtet an einer vollständigen und fehlerfreien Theorie voritzt noch vieles ermangeln mußte, wie ich bald zu erfahren Gelegenheit hatte.

Mein ganzes Streben war nun auf Versuche in der Komposition gerichtet. Die erste Probe machte ich am 7. November 1767 mit einer vierstimmigen Chorarie auf einen selbst gefertigten Text, welche ich unserm Organisten Fehre[1] zeigte und mir sein Urteil ausbat. Er hatte drei Noten in der Harmonie geändert und unten die Zensur beigeschrieben: „Thema und Ausführung sind gut, nur müssen verbotene Quinten vermieden werden.“ Ich hatte in meinem Bach zwar bereits ein Langes und Breites über verbotene Quinten gefunden, ohne in dieses weitschichtige Raisonnement mich finden zu können oder daraus zu erfahren, warum sie verboten wären. Aus der Korrektur meiner Komposition erfuhr ich es ebensowenig und ich studierte vergebens darüber, warum meine weggestrichenen Noten fehlerhaft und die dafür gesetzten richtiger wären. Ich hätte nun freilich kurz und gut meinen Zensor um Belehrung ersuchen sollen, aber da ich keine Klavierstunden bei ihm nehmen konnte, war ich zu blöde, ihn damit zu bemühen. Er hatte indes doch alles übrige für gut taxiert; dies machte mir Mut, die von ihm gebesserte Arie mit Verschweigung meines Namens ins Chor zu geben, und da sie durchgängig gefiel, so wagte ich noch einige derselben ohne Korrektur auf gut Glück und ohne mir darüber den Kopf zu zerbrechen, wieviel oder wenig verbotene Quinten darin sich unnütz machen möchten. Meine Sänger wenigstens haben dergleichen nicht gefühlt. Mit gleichem Glücke wagte ich auch zwei Motetten, doch mein zu voreiliges Selbstzutrauen mußte erst durch einen noch gröberen Schnitzer, als verbotene Quinten, ein wenig scheu gemacht werden.

Eine Menge von den Partituren, die mir der Kantor mit nach Hause gab, schrieb ich, wenn es die Zeit erlaubte, heimlich noch besonders für mich ab. Hierzu mußte ich denn nun freilich einen Teil der Nächte mit zu Hilfe nehmen, wodurch ich den ersten Grund zur Kurzsichtigkeit meiner sonst sehr scharfen Augen gelegt haben mag, wiewohl auch schon mein cholerisches Temperament dazu geeignet war, ein Myops zu werden. Außerdem nun, daß ich hierdurch eine ziemlich fertige und gute Hand im Notenschreiben mir angewöhnte, war diese Mühe auch nicht ganz ohne Nutzen. Die gesammleten Partituren studierte ich nun mit Muße möglichsten Fleißes und gewann dadurch immer richtigere Ansichten von dem Regelmäßigen oder Fehlerhaften in der Komposition. Hierbei gewann ich noch auf eine andere Weise, indem ich alle dergleichen kopierte Partituren dem oben gedachten Schulmeister Meinelt in Kreischa kommunizierte, welchen ich jährlich einigemal besuchte, da ich den dreistündigen Weg in einem Tage hin und her recht füglich gehen konnte. Da ihm die mitgebrachten neuen Musikalien lieb waren, drückte er mir gewöhnlich beim Abschiede ½ Gulden in die Hand, äußerte aber fast allemal den Wunsch, ihm doch auch Stücke aufs Ernte- und Kirchweihfest mitzubringen, deren mein Kantor freilich nicht bedurfte.

Durch die geübte Bekanntschaft mit Partituren trauete ich mir nun selbst soviel Fähigkeit zu, ebenfalls ein Musikstück mit Vokal- und Instrumentalstimmen zu setzen. Um nun Herrn Meinelts Verlangen Genüge zu tun, entwarf ich mir 1768 den Text zu einer Erntemusik, der ich unter andern Instrumenten auch zwei Hörner beifügte. Ich schickte ihm dieselbe zu mit dem Vorgeben, dieses Kirchenstück bei einem andern Schulmeister, dessen Sohn ebenfalls im Chore sei, aufgetrieben zu haben. Ein Glück war es, daß ich, um mein erstes Kunstwerk dieser Art zu hören, am Tage der Aufführung nicht füglich mir Urlaub ausbitten konnte.

Als ich bald darauf ihn besuchen konnte, kam er mir gleich mit der Anrede entgegen: „Sag Er mir einmal um Gotteswillen, wo Er diese Musik her hat? Sie ist durchgängig ein recht niedliches Ding, aber die Hörner hat ein Pfuscher dazu gemacht“, mit der Erklärung: „die kann kein Teufel blasen“. Das war nun eine komische Zensur, süß und bitter, gelobt und geschimpft, zehnmal schlimmer als Fehrens Rüge der verbotenen Quinten. Ich war wie aus den Wolken gefallen, hatte Mühe, mein persönliches Interesse hierbei zu verbergen und schob geradezu alle Schuld auf meinen vorgeblichen Kameraden und seinen Vater, welche mir die Partitur nicht besser gegeben hätten. Mit schwerem Herzen über diese so zweideutig ausgefallene musikalische Autorschaft eilte ich nach Hause, und es glückte mir, jemand aufzufinden, der mir über die verfehlte Tonleiter der Hörner eine völlig befriedigende Auskunft zu erteilen vermochte.

Ungern sahe ich mich noch vor Ende dieses Zeitraums genötiget, mein bisheriges sehr bequemes und behagliches Quartier zu verändern, da mein Wirt, ein ziemlich betagter Greis, verstarb und die Wittbe Gelegenheit fand, sich anderweit zu verheiraten. Da beide einsam lebten und mich nichts störte, beide auch überhaupt teilnehmend, uneigennützig und willfährig mich

Anmerkungen

  1. Christoph Ludwig Fehre, seit 1757, gest. 1772.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/182&oldid=- (Version vom 5.2.2025)