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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/164

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Hat gleich diese Art jugendlicher Übungen auf meine künftigen Beschäftigungen keinen unmittelbaren Einfluß gehabt, so stiftete sie doch wenigstens den Nutzen, daß sie meiner Neigung zur stillen Tätigkeit neue Nahrung gab und zu dem leidigen Müßiggehen, Spielen und Herumtummeln der Knaben meines Alters keine Zeit übrig ließ. Selbst meine sich entwickelnde Anlage zu witzigen Einfällen, welche ich unter andern Umständen und unter anderer Gesellschaft vielleicht zu jugendlichen Leichtfertigkeiten gemißbraucht hätte, erhielt dadurch eine anständigere Richtung, daß ich im bunten Geflechte auf neue Muster raffinierte, die sich vor den gewöhnlich eingeführten auszeichneten und die bessern darunter nachgeahmt wurden.

Um dem Arbeitsherrn der Mutter in der Nähe zu bleiben, war mein Vater aus der Wilsdruffer Vorstadt in die gerade entgegenliegende Pirnaische Vorstadt, auf die Lange Gasse[1] gezogen, von wo aus ich die Armenschule viel zu weit hatte, daher ich die Gemeindeschule, welche der Richter Kohl mit besorgte, besuchen mußte, wo ich noch weniger als vorher zu profitieren Gelegenheit fand. Unser Lehrer war wegen Gemeindeangelegenheiten von Amtswegen oft genötigt, halbe und ganze Tage abwesend zu sein und überließ die Schularbeit unterdessen seiner betagten Ehefrau, welche, die Brille auf der Nase und assistiert von ein paar der größern Schulbengel, weiter nichts betreiben konnte, als den Kleinern Sprüche vorbeten, sie aufsagen oder lesen, Evangelien und Psalmen herschnattern zu lassen. Dieses fertige Herplappern war überhaupt das höchste Ziel der Lernvollkommenheit in dieser Schule. Die meisten, sobald sie aufgesagt hatten, nahmen ihr Buch unter den Arm oder schnalleten ihr Bündel in den Bücherriem und marschierten ihres Weges.

Bei dieser Plappermethode kam denn nun ich am meisten ins Gedränge, da ich, an das oben erwähnte bedachtsame Neumeistern[2] gewöhnt, nicht so schnell zu sprechen vermochte. Bald trieben mich die hinter mir stehenden mit Stößen in den Rücken, ich solle geschwind machen, bald drängten sie mich bei Seite und sagten: „Er kann's! – Geh weg, laß mich dran.“ Wenn ich nun mich zwingen wollte, auch schnell zu sprechen, stieß ich häufig mit der Zunge an, wodurch ich mir ein Stammeln angewöhnte, besonders bei einigen Konsonanten, die mir in der Eil nicht gleich fertig parieren wollten, oder wenn ich ja sie herauspreßte, ihnen mehrere Worte unverständlich nachrolleten. Dieser doppelte Fehler, zu dem ich in den folgenden Schuljahren immer neue Veranlassung fand, beschlich mich besonders bei mir zu bekannten und auswendig zu geläufigen Gebets- und liturgischen Formularen, Perikopen, Hauptstücken und dergleichen, nie hingegen bei ungeläufigen Sachen. Erst seitdem ich mich im Predigen versuchte, habe ich mir denselben, obschon anfangs mit vieler Anstrengung, völlig abgewöhnen können. Ich habe ihn an mehreren Predigern wahrgenommen, wahrscheinlich aus ähnlichen Verwahrlosungen in der Jugend.

Das Schreiben mochte wohl noch das beste sein, was ich in dieser ¾jährigen Schulzeit profitierte. Wenigstens hatten die vorgeschriebenen Zeilen meinen ganzen Beifall, daher ich mir schon deswegen alle Mühe gab, sie möglichst nachzuahmen, und vielleicht damals den ersten Grund zu einer leidlichen Hand legte. . . . . . . . .

Immer furchtbarer wurden indes die Ereignisse und Erwartungen des Jahres 1760. Ein starkes Belagerungskorps der Preußischen Armee rückte im Juli vor Dresden, um es von den Österreichischen Truppen und ihren Verbündeten wieder zu erobern. Die erschütternden Vorfälle bei dieser Belagerung haben auf meine Kindesseele zu tiefen Eindruck gemacht, als daß sie nicht noch itzt mir lebhaft vor Augen schweben sollten, um so mehr, da die Preußische Batterie zunächst bis an den Zinzendorfschen Garten reichte, welcher längst der Hintergebäude der Langen Gasse sich hindehnte wir also zwischen zwei Feuern wohnten und alle Kugeln aus der Festung und in dieselbe über unsere Häuser flogen. Von meinen damaligen Erfahrungen will ich nur das berühren, was unmittelbar auf mich besonderen Eindruck gemacht hat.

Am 6. Trinitatissonntage (13. Juli) wartete mein Vater nebst mir zum letztenmale den Vormittagsgottesdienst in der uns nahe gelegenen, niedlichen Waisenhauskirche[3] ab. Mitten unter der Predigt hörten wir die ersten Schüsse des beginnenden Bombardements. Häufig strömten die ziemlich zahlreich Anwesenden aus der Kirche. Der Prediger Gleditsch[4] ermahnete zur Ruhe, Fassung und Mut, und wer noch nicht fort war, ließ sich halten. Er schloß bald darauf, ohne Gebet, nur mit Vater unser, einem kurzen Gesange und Segen. Während dessen hatten auf Anregen der Wirtin sämtliche Hausleute in Kisten und Laden ihre besten Sachen in den Keller geschafft. Mit Beihilfe der Nachbarn hatte auch die allein und außer Fassung sich befindende Mutter, was sie in der Angst ergriffen, in eine Lade gepackt und nebst den meisten Betten ebenfalls in Verwahrung bringen lassen. Als wir nach Hause kamen, war der vollgepfropfte Keller bereits zugemauert.

Anmerkungen

  1. Jetzt Zinzendorf-Straße.
  2. Er hatte sich die pathetische Aussprache des alten Pastors Neumeister, zu dessen Predigten er häufig mit in die Annenkirche genommen worden war, angewöhnt.
  3. Am jetzigen Georg-Platz, abgebrochen 1897.
  4. Heinrich Zacharias Gleditsch, seit dem 24. März 1760 Waisenhausprediger, seit 1772 Pfarrer in Leuben, gest. 1781.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/164&oldid=- (Version vom 22.1.2025)