Das Bombardieren dauerte nun Tag und Nacht, bald stärker, bald schwächer fort, und ein Feuer nach dem andern sahen wir in der Stadt, zum Teil auch in der Vorstadt aufgehen, unter denen das uns so nahe gegenüberstehende (am 15. Juli) an drei Orten auf einmal brennende ansehnliche Waisenhaus nebst der Kirche den wehmütigsten Eindruck auf uns alle machte. Preußische Freipartie, die sich bis in die Vorstädte wagte, und kaiserliche Kroaten, welche außer der Festung lagen, trafen häufig aufeinander, beschossen sich als Feinde vor unsern Augen herum, ohne daß ein einziger davon gefallen wäre, und brachen hernach freundschaftlich in die Häuser, wo sie es vermochten, um zu plündern, ohnerachtet den letztern dieses strenge untersagt war. Grad unsern Fenstern gegenüber lag ein Kroatenkapitän, vor dessen Türe mehrmals täglich sogar von Weibern und Kindern herbeigeschleppte Verbrecher dieser Art auf stets bereit liegende Schütten Stroh geworfen wurden, tüchtige Stockprügel ad posteriora erhielten und doch wieder plünderten. Die schlimmsten unter ihnen war das Marketendergesindel und ihre Weiber. Ein Kerl von ihnen erhielt Tags vor unserm Eril sogar dreimal diese Strafe. Daß es der nämliche war, erkannten wir an seinem aus gezeichnet gellenden Geschrei: „A Jäsens Mari!“ Den gräßlichsten Lärm verführten bei solchen Erekutionen die Weiber, die auf dem Pflaster sich wälzend um Gnade schrien und wenn sie es zu arg machten, durch Buckelhiebe fortgestöbert wurden.
Dieses Kroatengesindel und ihr Anhang war die furchtsamste Raffe und unnüßeste Bagage, welche die Kaiserliche Armee mit sich herumschleppte. Bei jedem Schuffe aus dem Lager, der sie doch nicht treffen konnte, bückten sie sich tief. Fünf solcher Kerls kamen einst durch unser Hausgärtchen, dessen Zaun bereits die Freipartie zum Derbrennen gestohlen hatte, und sprengten die Hoftüre. Ihre Augen flogen zwar überall herum, doch wagten sie nicht, etwas anzurühren, da mehrere Hausleute sich im Hofe befanden. Der alten Wirtin, welche sie mit Schimpfreden empfing, gaben sie zu verstehen, ihnen die Haustüre zu öffnen. Indem sie es tat, ergriff der eine ihre auf der Wäschemandel liegende Sackmütze. Sie bemerkte es, 30g den Kerl von der Gasse wieder ins Haus zurück, und da er sie hinwarf, ließ sie ihn freischend nicht eher fort, als bis er sie aufgehoben und wieder an den vorigen Ort gelegt hatte. An eben diesem Tage hatte unser nächster Nachbar, ein Kaufmann, auch einen Plünderer erwischt, den er zum Hause heraus und gerade in die vorbeifließende Kaitzbach warf, ja gar mit dem fuße in den Schlamm niederdrückte. Verschiedene seines Gelichters sahen es mit an und schlichen fort.
Den tollsten Spektakel bei solchen Mausereien machten die Weiber, die über die Beute fast allemal in Schlägerei gerieten. Das erste bei solchen Rupturen war das Abreißen der Hauben und das Zausen bei den Haaren, bis sie hinstürzten und unter Zetergeschrei auf dem Pflaster so lange sich herumwälzten, bis sie es satt hatten. Gemeiniglich kam ein dritter Spitzbube hinzu, der den Raub wegstibitzte. Ihr komisches Staunen über die verlorene Mühe zwang uns doch, bei aller Angst, ein unwillkürliches Lachen ab.
Die Bogenschüsse aus Kanonen, welche am fünften Tage häufiger wurden und niedriger gingen als die Bomben, gestatteten uns ferner keinen sicheren Aufenthalt, nicht einmal im Hofe, da die durchs Dach des drei Geschoß hohen Hauses fliegenden Kugeln unaufhörlich die Ziegel herabwarfen. Donnerstag (17. Juli) nachmittags um 4 Uhr entschlossen auch wir uns, mit der größern Hälfte von elf Familien auszuwandern, und was sich in einem gepackten Korbe und in den Händen fortbringen ließ, mitzunehmen. Es war auch die höchste Zeit, denn folgenden Vormittags lag das Haus und fast die ganze Gasse bereits im Schutte. Wir flüchteten zuerst in den Großen Garten, wo wir auf dem sehr geräumigen Boden des ansehnlichen Palais schon um und um fast alles von Flüchtlingen besetzt und kaum noch ein Plätzchen zum Niederlassen und Ausruhen fanden. Ehe wir so weit gelangen konnten, kamen zwei Preußische Offiziers, welche den ganzen Boden durchgingen und andeuteten, daß alles hier geräumt werden müsse, da alle Verwundete und Kranke a aus dem Lager hierher geschafft werden sollten.
Die Beherztern entschlossen sich, es abzuwarten, wir nebst andern Furchtsamern setzten den Wanderstab weiter fort, ohne zu wissen, wohin? Ein Kamerad meines Vaters, der sich unterwegs zu uns fand und im Dorfe Strehlen eine bekannte Familie wußte, riet uns, mit ihm es zu versuchen, und es glückte uns, daß der Bauer Ludwig auch uns ganz Unbekannte nach einigem Bitten aufnahm. Wahrscheinlich mochte ihn das willfähiger machen, daß er nun durch uns einige Gehilfen mehr zu schleuniger Einbringung seiner in Gefahr stehenden Erntefrüchte bekam. für mich war es ein ungewohntes Vergnügen, fleißig auf dem geleerten Erntewagen mit des Wirts beiden Kindern aufs Feld fahren zu können.
Als dieses auch den folgenden Sonnabend (19. Juli) in den Nachmittagsstunden geschah und wir Kinder immer die Augen auf die vielen Feuer in der Stadt gerichtet hatten, bemerkten wir auf einmal das eine Seitentürmchen der Kreuzkirche brennen. Dieses wurde zwar wieder gelöscht, aber bald darauf stund der hohe Hauptturm in vollen flammen, und ehe wir noch auf dem Rückwege das Haus erreichten, sahen wir die lange Spitze sich etwas rückwärts neigen; heftiger schlugen nun die Luft erhaltenen Flammen um sie herum und bald darauf stürzte die ganze brennende Masse mit einem so
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/165&oldid=- (Version vom 3.9.2024)