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Seite:Dresdner Geschichtsblätter Vierter Band.pdf/162

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am Morgen des Aschermittwoch ausgehen wollte, sah er den kleinen Rest des Brots mit bedenklicher Miene an und sagte: „Mein Sohn, dieses Bißchen äßest Du wohl zum Frühstücke allein auf? Aber Du mußt es einteilen, um auch auf den Mittag davon zu haben. Ich will Dir gern nichts davon nehmen, sondern sehen, wo ich etwas her bekomme. Erhalte ich heut wieder kein Geld, so müssen wir einmal versuchen, hungrig zu Bette zu gehen.“ Der Abend kam und der Vater brachte weder Geld noch Brot mit. Gleichwohl sollten wir auch diesmal nicht hungern. Eine Hausnachbarin hatte auf Veranlassung meines Vaters 1/8 Zentner des in Tonnen geschlagenen und auf den Schiffen etwas feucht gewordenen Kommismehls gekauft und eben an diesem Tage davon gebacken, daher sie meinem Vater etwas Brot zur Probe brachte. Gott segnete dieses Wenige, daß wir beide abends größtenteils unsern Hunger davon stilleten und noch ein zur Not hinreichender Rest für mich auf den Morgen und Mittag des folgenden Tags übrig blieb, an welchem ein Teil der Bezahlung erfolgt war und mein Vater Geld und Brot mitbrachte. . . . . . . . . .

Dresden war damals [1758], sowie ganz Sachsen, in den Händen der Preußen. Als die österreichische Armee der Festung sich näherte, um sie wieder einzunehmen, ließ der preußische Kommandant, um sie abzuhalten, einen Teil der Vorstädte, besonders die zunächst um den Stadtgraben gelegenen Häuser abbrennen. Dieses geschah so unerwartet und geheim, daß erst abends um 8 Uhr, am Martinstage (10. November), den Bewohnern derselben Andeutung geschahe, sich mit ihren Effekten zu salvieren, und zugleich in alle diese Häuser Stroh, Pulver und Pechkränze geschafft worden waren.

Meinen Vater traf gerade in dieser Nacht die Schloßwache. Unwissend, wie jedermann von allem, was geschehen sollte, ging er ruhig abends um 6 Uhr fort, nachdem er, wie gewöhnlich, mich zu Bette gehen lassen und eingeschlossen hatte. Früh 3 Uhr (am 11. November) wurde durch einen Kanonenschuß das Signal zum Anzünden gegeben, nach welchem jeder Kommandierte die Brennmaterialien in Flammen setzte und sich eilig in die Festung zurückzog, worauf alle Tore geschlossen wurden. Binnen einer Viertelstunde gingen fast alle Häuser um den Wall herum in Feuer auf. Ich erwachte zwar von dem Schusse, aber dergleichen nicht ungewohnt, schlief ich wieder ein, wurde jedoch bald darauf durch Getös und Menschenstimmen im Hofe wieder geweckt. Auch dieses irrete mich nicht, da ich dergleichen jeden Morgen gewohnt war, bemerkte aber doch bald, daß dieses Lärmen früher, stärker und ungewöhnlicher war, als sonst. Daher stund ich auf, hauchte mir eine Öffnung in die hart gefrorenen Fensterscheiben und erschrak nicht wenig, als ich zwar, wegen der Lage meiner Fenster, nicht das Feuer selbst, aber doch überall einen hochroten Himmel erblickte. Zugleich sahe ich, daß jedermann bemühet war, Hausgeräte durch den Hof in den anstoßenden Garten zu schaffen. In großer Angst kleidete ich mich eiligst an, wollte im Hofe mir Nachricht und Beistand holen, war aber unvermögend, das verrostete Schloß der Stubentüre aufzuziehen. Ebensowenig war ich imstande, einen mit Zuckerpapier verkleibten und fest eingefrorenen Fensterflügel zu öffnen.

Man denke sich selbst unter diesen Umständen die peinliche Lage und die Empfindungen eines Knaben von 6¾ Jahren, einsam, eingeschlossen, selbst von den Hausleuten vergessen und verlassen, die, in selbstsüchtiger Betäubung, unter den Räumenden meinen Vater und mich nicht vermißten oder nach uns fragten. Abwechselnd trieb mich bald der Frost mitsamt den Kleidern ins Bette, bald die Angst auf den Stuhl ans Fenster. Ich sahe nur immer nach den Dächern der umliegenden Häuser, wenn sie auch zu brennen anfangen würden, um dann ein Fenster einzustoßen und um Hilfe zu rufen. Diese, von meinem damaligen Kindesalter kaum zu erwartende Fassung und Besonnenheit hatte ich offenbar schon damals, wie in der Folge, dem guten Beispiele meines Vaters zu verdanken, dessen ruhiges, gesetztes Wesen bei bedenklichen Vorfällen ich zu bemerken zuweilen Gelegenheit gehabt hatte, je mehr das leidenschaftliche Benehmen meiner Mutter dagegen abstach.

Mit anbrechendem Morgen wurde die Röte am Himmel blässer und das Rumoren im Hofe stiller. Beruhigter erwartete ich nun sehnlich um 6 Uhr die gewöhnliche Ankunft meines Vaters, aber er kam nicht und konnte nicht kommen. Stunden zählen konnte ich nicht, denn ich hatte und hörte keine Uhr. Höher als vorher die Angst wegen des Feuers stieg itzt meine Angst um den Vater. Ich kleidete mich völlig an, wollte fort und ihn aufsuchen, da ich von Sperrung der Tore nichts wußte; wollte, da das Türschloß immer noch hartnäckig mir widerstund, die Türe aufsprengen, aber ebenfalls vergebens. Vom Weinen, Hin- und Hertreiben in der Stube und Lauschen auf jeden Laut ganz erschöpft, kroch ich endlich vor Frost ins Bette und schlief ein.

Ununterbrochen mochte ich wohl wenigstens drei gute Stunden die gestörte Ruhe nachgeholt haben, denn erst um 11 Uhr weckte mich das Aufschließen der Türe und der ersehnte Vater trat ein. Im höchsten Gefühl der Freude, uns wiederzusehen, da er soviel Angst um mich als ich um ihn ausgestanden hatte, flossen seine Tränen ebensosehr als die meinigen, und nach einer wiederholten Umarmung wurden wir erst fähig, einander zu erzählen. Späterhin war eine Schwägerin von uns

Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 4 (1905 bis 1908). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1905 bis 1908, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Vierter_Band.pdf/162&oldid=- (Version vom 20.1.2025)